Hilfreich für die Legendenbildung ist ein auffälliger Markenname, ein renommierter Meister und eine Philosophie, die alles bisher dagewesene in Frage stellt. Willkommen in der Welt von Zyx!
Die Idee, eine Firma „Zyx“ zu nennen, war ausgesprochen clever. Es sind nichts weiter als die drei letzten Buchstaben des lateinischen Alphabets in umgekehrter Reihenfolge, die man dank des Ypsilons, das hier die Funktion eines Vokals übernimmt, als ein Wort lesen kann. Allerdings wird sich so mancher Leser fragen, wie der Name denn genau ausgesprochen wird. Die Antwort lautet: „Sicks“, mit weichem „S“. Jede Wette, dass kein Leser diesen Markennamen mehr vergessen wird. Schwerer zu behalten ist dagegen der Name des Mannes, der die japanische Firma gegründet hat: Hisayoshi Nakatsuka. Er arbeitete Mitte der 1970er Jahre bei Ortofon, wechselte anschließend zur Namiki Precision Jewel Company und zeichnete später unter anderem für die heute noch im kollektiven Gedächtnis präsenten Tonabnehmer AC-1 bis AC-3 von Accuphase verantwortlich. (Dem Vernehmen nach soll auch das aktuelle AC-5 auf ihn zurückgehen.) Auch sind einige weltweite Patente rund um die analoge Wiedergabe mit seinem Namen verbunden.
Philosophisches
Vor einem derartigen Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Hisayoshi Nakatsuka sich selbstständig gemacht und seine eigene Firma gegründet hat – natürlich mit dem Vorsatz, einiges besser als bisher zu machen. Seine Ideen drehen sich hauptsächlich um einen Effekt, den er „time distortion“ (zeitliche Verzerrung) bei Tonabnehmern nennt. Anderswo spricht man auch von „Zeitrichtigkeit“ oder – wahrscheinlich technisch korrekter – von „Phasenrichtigkeit“. Den Effekt könne man erfahren, so Nakatsuka, wenn man unter Zuhilfenahme des Balance-Reglers eine Stereoaufnahme mit einer Solostimme nimmt und abwechselnd nur den linken beziehungsweise nur den rechten Kanal abhört. Nur rechts würden die Höhen bevorzugt und der Bass benachteiligt, sodass sich die Stimme wie um zehn Jahre verjüngt anhöre. Spiele man von der gleichen Aufnahme nur den rechten (?) Kanal ab, würden hingegen die Bässe betont und die Höhen vernachlässigt, folgerichtig erklänge die Stimme dann wie um zehn Jahre gealtert … Nakatsuka nennt in der Bedienungsanleitung insgesamt 13 konstruktive Details, die er im Vergleich zu konventionellen Tonabnehmern bei seinen Systemen anders gestaltet.
Alle 13 Punkte einzeln durchzusprechen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Überwiegend handeln sie von der richtigen Erdung aller Bestandteile und der Vermeidung sogenannter „eddy currents“ (parasitäre Ströme in metallischen Bauteilen), die sich klanglich schädlich auswirken sollen. Letzteres dient auch als Begründung dafür, dass bei allen Zyx-Systemen Kunststoffgehäuse verwendet werden. In Anbetracht der Tatsache, dass es viele MC-Systeme mit recht massiven Metallge- Tonabnehmer häusen und trotzdem hervorragenden Klangeigenschaften gibt, sind sehr wohl Zweifel an der Richtigkeit dieser Sichtweise angebracht. Wenn es um technische Produkte geht, schätze ich persönlich gut gemachtes Handwerk höher ein als Theorien. Erwähnenswert ist aber die Konstruktion der Spulen, deren Abgriffe spiegelsymmetrisch zur horizontalen Bewegungsachse des Generators liegen (s. Abbildungen S. 78). Die genannten und weitere Maßnahmen sollen letztlich zum sogenannten „Real Stereo Effect“ führen und eine besonders dreidimensionale Wiedergabe ermöglichen.
Handwerkliches
Äußerlich ist dem Zyx R-50 Bloom-H von all diesen technischen Details wenig anzusehen. Wie in dieser Preisklasse üblich, ist es mit einem Line-Contact-Diamanten ausgestattet, der ohne den Einsatz von allzu viel Kleber in einem auffallend kurzen, konisch zulaufenden Nadelträger aus einer schwarz eloxierten Aluminiumlegierung (AlMg5) steckt.
Gewindebohrungen glänzen durch Abwesenheit, aber immerhin verkanten sich die mitgelieferten Muttern in den entsprechenden Aussparungen des Gehäuses; so bleibt das knifflige Kontern mit einer kleinen Kombizange erspart. Bei der Justage hilfreich sind die geraden Vorder- und Seitenkanten des sich nach unten hin verjüngenden, beinahe dreieckigen Gehäuses. Dessen poppig blaue Farbe könnten Ästheten als modischen Affront betrachten; mir hingegen gefällt sie ganz gut. Etwas blass sind die vergoldeten Kontaktstifte auf der Rückseite, denen eine eindeutig zu identifizierende farbliche Kodierung fehlt.
Das R-50 Bloom gibt es alternativ in einer L- und in einer H-Ausführung; „H“ steht für „High Output“. Es gehört mit 0,68 mV bei 5 cm/s zwar schon zu den lauteren, bei anderen Herstellern manchmal aber auch als „M“ (für „Mid Output“) klassifizierten MCs. Nur wer über einen sehr rauscharmen MM-Phonovorverstärker verfügt, könnte es tatsächlich an einem MM-Eingang betreiben.
Mit einem Systemgewicht von fünf Gramm und einer (vertikalen) Nadelnachgiebigkeit von 12 ?m/mN sollte das Zyx ideal für mittelschwere bis schwere Tonarme sein. Das zur Verfügung gestellte Exemplar (Seriennummer: L5599) wich aber erheblich von den in der Bedienungsanleitung aufgeführten Herstellerspezifikationen ab. Es resonierte im sehr schweren Denon DA-308 schon bei grenzwertigen 12 Hz, was eine Nadelnachgiebigkeit von um die 6 ?m/mN nahelegt. Dementsprechend konnte man im Betrieb im Rega RB 301 und im SME Series IV (selbst mit dem zusätzlichem Headshellplättchen von SME) die unvermeidliche Tonarm-System-Resonanz schon bei definitiv ungesunden 16 Hz beobachten. Gerade im Rega war folgerichtig auch ein ungenauer Bass und eine Tendenz zur Rauigkeit in den Höhen zu vernehmen. Letzteres verschwand zwar im SME, doch als optimale Spielpartner würde ich beide Tonarme nicht bezeichnen wollen. Um die effektive Masse ein wenig zu erhöhen, bietet Zyx übrigens für seine Systeme passende Unterlegplättchen (Pure Tin Base, Pure Silver Base) an. Angesichts der geringen Nadelnachgiebigkeit ist es aber auch nicht verwunderlich, dass die von Zyx angegebenen Abtastwerte von diesem Exemplar nicht erreicht wurden. Selbst bei maximalen 25 mN (2,5 g) Auflagekraft sind nicht mehr als 50 ?m drin. Das reicht zwar durchaus für normgerecht hergestellte Schallplatten, ist aber weit von den Idealwerten des Herstellers (mehr als 80 ?m bei 18 mN) entfernt.
Offenheit und Räumlichkeit
Schon bei den ersten Tönen wird deutlich, dass das preisgünstigste Zyx beileibe kein kleines Einsteigersystem ist, das quasi nur als Trostpflaster für weniger solvente Kunden im Produktportfolio des Herstellers gelistet wird. Das Zyx R-50 Bloom-H gehört rein klanglich zu den Tonabnehmern, bei denen eigentlich kein Wunsch nach mehr aufkommen sollte. Es liefert Details in Hülle und Fülle, ohne sich übertriebener Pedanterie oder – für mich persönlich noch schlimmer – gar eines überzogenen Hochtonanteils mit damit verbundener Pseudo-Analytik schuldig zu machen; beides würde mich vom Kern der Musik ablenken.
Das Zyx bettet vielmehr die einzelnen Klangereignisse ins Gesamtgeschehen ein und begeistert durch seine kernige Herangehensweise, die nicht nur Popmusik zugutekommt. Wie Holly Coles Don’t Smoke In Bed zeigt, ist die räumliche Wiedergabe eine der Schokoladenseiten des Bloom- H. Die Ausdehnung der virtuellen Bühne erreicht das Maximum dessen, was meine Lautsprecher und mein Raum überhaupt zulassen. Fast noch mehr beeindruckt mich die Offenheit und Transparenz des kleinen Zyx, was freilich auch ein ganz klein wenig zu Lasten der Klangfarben geht. Diese Offenheit kommt übrigens auch bei Platten zur Geltung, die nicht gerade als audiophile Schmankerl gelten. Dies trifft zum Beispiel auf Ricochet von Tangerine Dream zu, eine Scheibe, die ich mir gerne spätabends quasi als musikalischen Absacker zu Gemüte führe. So habe ich die LP komplett durchgehört, ohne das Bedürfnis zu verspüren, auf mein vielfach teureres London Reference Cartridge umzuschwenken, das sehr wohl noch einiges mehr an Informationen aus der Rille extrahiert. Bei aller Kritik an der Serienkonstanz und den zum Teil seltsam anmutenden Konstruktionsideen des Herrn Nakatsuka: Das Zyx R-50 Bloom-H sollte vor der Anschaffung eines neuen Tonabnehmers auf die „Unbedingt- mal-anhören-Liste“. Es gehört klanglich eindeutig zu den Spitzensystemen seiner Preisklasse!
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