Servicewüste – Wie man die persönliche Betriebstemperatur in die Höhe treibt
Illustration: Florian Schäfer
Kürzlich brauchte ich in meinem Brot-und-Butter-Job eine Lizenzerweiterung für eine Software. Also rief ich unseren Kundenbetreuer Herrn R. an. Nach drei Klingeltönen schaltete das Telefon automatisch auf besetzt. Ich versuchte es dann noch sieben weitere Male zu unterschiedlichen Zeiten, immer mit dem gleichen Ergebnis, sodass ich vermutete, Herr R. sei in Urlaub und habe vergessen, die Rufumleitung zu aktivieren. Kann ja mal passieren, dann versuche ich eben über die Zentrale seinen Stellvertreter zu erreichen. Natürlich wurde ich mit einem Callcenter verbunden, aber wenigstens sprach man Deutsch. Nach ein paar Fragen – Name? Firma? Software? Erstkontakt? Kundenbetreuer? Lizenzanzahl? Lizenznummer? Schuhgröße? Sexuelle Vorlieben? … – spuckte mir der Schnösel am an- deren Leitungsende das erlösende „Ich verbinde“ entgegen, was nach ein paar Sekunden durch ein demotivierendes „Herr R. ist leider nicht erreichbar“ neutralisiert wurde. Ach was, nicht möglich, eine ganz neue Information! Dann möge er mich doch bitte mit einem anderen Vertriebsmitarbeiter verbinden. Konnte er aber nicht. Stattdessen wurde ich gebeten, mein Begehr per Mail an die Europavertriebsadresse zu senden. Anfang kommender Woche könne ich dann wahrscheinlich mit einem Rückruf rechnen. Mein Blutdruck erreichte inzwischen ungesunde Regionen, aber der Schnösel bot mir keine Alternativlösung an, also schrieb ich zähneknirschend die Mail. Zwei Stunden später meldete sich wundersamerweise unser Kundenbetreuer Herr R., aber da war ich schon im Wochenende. Als ich ihn dann am darauffolgenden Montag kontaktierte, war er tatsächlich in Urlaub, wieder ohne Vertretungsregelung, also schrieb ich nochmals eine Mail an die Europavertriebsadresse, von wo ich nun nach drei Tagen immer noch keine Antwort erhalten habe. Das beschriebene Szenario bezieht sich auf eine Kaufabsicht. Ich frage mich, was passiert, wenn ich mal ein Problem habe. Ein Einzelfall ohne jeden Bezug zu unserem Hobby? Mitnichten! Am gleichen Tag – ich war gerade schön auf Betriebstemperatur – rief ich zum gefühlt hundertsten Mal einen HiFi-Vertriebler an, um mit ihm ein paar Fragen zu einem von ihm vertretenen Produkt zu klären. Ich hatte gerade durch Zufall in den Tiefen eines seiner vielen Internetauftritte die Bürozeiten ermittelt und war daher besonders zuversichtlich, den begehrten Ansprechpartner endlich ansprechen zu dürfen. Nach ein paar Klingeltönen meldete sich – wie immer in den letzten Tagen – das Faxgerät, obwohl der Vertrieb eine separate Faxnummer besitzt. Muss man das verstehen? Wohl kaum, ebenso wenig wie die Tatsache, dass ich trotz Rufnummerübermittlung nicht zurückgerufen wurde oder die Möglichkeit bekam, eine Nachricht zu hinterlassen. Eines Morgens hatte ich dann endlich Erfolg und erreichte den Vertriebler, der gerade wieder mal auf dem Sprung war und mich bat, ihm die Fragen per Mail zukommen zu lassen. Überflüssig zu betonen, dass ich vier Tage später noch keine Antwort erhalten hatte. Wozu auch?
Ein anderer Fall: Bei einer bekannten Nobelmarke ist für Anfragen aus Deutschland die Vertretung in der Schweiz zuständig, die dann die deutsche Vertretung informiert, die sich dann beim Kunden meldet. Da hat wohl jemand ein Faible für „Stille Post“.
Wenn ich einen Ansprechpartner dann endlich erreiche, werde ich häufig gefragt, warum ich denn nicht seine Handynummer angerufen habe. Weil ich es leid bin, Gespräche mit Menschen zu führen, die gerade mit 200 km/h über die Autobahn heizen oder auf der Toilette sitzen. Bei einem Gespräch, bei dem es nicht nur ums Wetter geht, erwarte ich einen konzentrierten Kommunikationspartner, der am Ende des Telefonats noch weiß, über was wir geredet haben.
Servicequalität, Zuverlässigkeit, Kundenzufriedenheit – vollkommen überbewertete Vorstellungen aus einer längst vergangenen Zeit, in der der Kunde noch nicht Bittsteller war. Heutzutage zählt doch sowieso nur noch der Preis eines Produktes, oder? Aber wieso sollte ein Interessent dann nicht gleich zum Internethändler wechseln?
Vielleicht sollte jeder ernsthaft an einem Produkt Interessierte vor der finalen Kaufent¬scheidung einmal versuchen, den Vertrieb bzw. Hersteller zu erreichen. Man bekommt so ein Gefühl dafür, was einen im Ernstfall erwartet.