Winfried Dulisch schlendert durch Luxemburg
Am 19. Juli 1886 absolvierte Franz Liszt in Luxemburg seinen letzten öffentlichen Auftritt. Und wer schreibt hier heute Musikgeschichte?
„Mir wëlle bleiwe wat mir sinn.“ – Der Sänger und Gitarrist, Volksmusikant und literarische Kabarettist Serge Tonnar übersetzt diesen Wahlspruch mit: „Wir Luxemburger singen am liebsten unsere eigenen Lieder. Und zwar auf Lëtzebuergesch.“
Lëtzebuergesch ist neben Deutsch und Französisch die dritte Amtssprache im Groussherzogtum Lëtzebuerg oder Großherzogtum Luxemburg oder Grand-Duché de Luxembourg. Knapp 400000 Untertanen des Großherzogs Henri (sprich: “Hennrie” – auf keinen Fall “Ongrieh”) beherrschen diese Nationalsprache. Schon lange vor Napoleon, der das Land seinem Kaiserreich einverleiben wollte, bekannten sich die Luxemburger zu ihrem Wahlspruch: „Mir wëlle bleiwe wat mir sinn.“
Geschützt
Wenn ein Lëtzebuerger mit dir plaudert, dann bezeichne auf keinen Fall seine Muttersprache als einen Dialekt. Sogar die Europäische Union erkennt das Lëtzebuergesch als schützenswert an. Dabei benötigt die Minderheitensprache solch einen Schutzschild überhaupt nicht. Die meisten jungen Luxemburger verfassen ihre die SMS-Nachrichten und E-Mails in Lëtzebuergesch. Und bereits mehrere Hiphop-Sänger verbreiten diese Message: „Mir wëlle bleiwe wat mir sinn.“
Serge Tonnar, Jahrgang 1970, hat inzwischen fünf CDs mit Songs in Lëtzebuergesch veröffentlicht. Eine davon verkaufte sich 7000 Mal – ein Erfolg, der ungefähr vergleichbar ist mit dem Verkauf von 1,5 Millionen Lindenberg- oder Grönemeyer-Platten im gesamten deutschsprachigen Bereich.
Bedroht
Als Einstieg für deutsche Hörer empfiehlt sich die Live-DVD Serge Tonnar & Legotrip: De Bopebistro Tour. 2012 tourte der Singer-Songwriter mit seiner Band Legotrip durch das Herzogtum und gastierte in 16 Bopebistros. Ein Luxemburger Bopebistro (bope: alte Herren, Rentner) ist auf den ersten Blick nichts weiter als eine Kneipe. Ähnlich wie englische Pubs, französische Cafés und andere kleinformatige Soziokultur-Zentren sind auch die Bopebistros vom Aussterben bedroht.
„Mit den Bistrowirten hatten wir vereinbart, dass sie für jedes Konzert 25 Stammgäste einladen dürften. Wir selbst verkauften außerdem 25 Eintrittskarten an unsere Fans“, erinnert sich Serge. „An manchen Abenden kamen 60, 70, 80 Leute. Doch wir fingen erst an zu spielen, wenn nur noch 50 Zuhörer im Raum waren. Mir wëlle bleiwe wat mir sinn – eine Bopebistro-Band.“
Jung
Ebenfalls ein konsequenter Traditionspfleger ist Pascal Stieklies: „Ich vertrete nur diese Tradition – junges Publikum“, erklärt er als Leiter des „Education Department“ der Philharmonie Luxembourg. Dieses Konzerthaus druckt als einziges in Europa seine Programmhefte in vier Sprachen: Deutsch, Französisch, Luxemburgisch, Portugiesisch.
Portugiesisch? – „Jeder fünfte Einwohner von Luxemburg spricht diese Sprache. Migranten aus Portugal und deren Nachfahren haben unsere Küche und die übrige Kultur – bis hin zum Fußball – positiv beeinflusst. Und auch die portugiesischen Zuhörer sind uns bereits ab ihrer Geburt willkommen.“
Unendlich
Bevor Pascal Stieklies ein Konzertprogramm für die Krabbel-Zielgruppe konzipieren konnte, mussten erst einmal die Musiker umdenken. „In ihrer Ausbildung werden sie eingestimmt auf Hörer zwischen 14 und 25 Jahren sowie von 40 bis unendlich. Wir benötigen kommunikationsstarke Musiker, die lernen wollen, wie man Musik auch an Kleinkinder vermittelt.“
Die Veranstalter von Klassik-Konzerten hatten sich lange genug auf Peter und der Wolf und Hänsel und Gretel ausgeruht. Außerdem findet Pascal Stieklies: „Kinder müssen nicht ständig lernen. Sie haben – wie wir Erwachsenen – Anspruch auf ästhetische Erbauung. Gleichzeitig können wir Erwachsenen von den Kindern wieder die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung erlernen.“
Gemeinsam
Am besten lernt ein Musikfreund das bei einem Babykonzert. „Beginn 10 Uhr. 35 Minuten Dauer. Da kommen 30 Mütter und Väter mit Babys in die Philharmonie.“ Für die größeren Kids macht das Orchestre Philharmonique du Luxembourg einmal im Jahr dieses Angebot: „Amateure spielen gemeinsam mit unseren Profis, Kinder dirigieren.“ Pascal Stieklies darf mit Recht behaupten: „Wir präsentieren das beste Kinder- und Jugendprogramm Europas.“
Jedes Jahr kommen 160000 Besucher – davon 4000 Abonnenten – zu den Konzerten der Philharmoniker. Seine Geburt verdankt dieser Klangkörper den guten alten Zeiten, als der Rundfunk auch die weniger lukrativen Kulturarbeiten erledigte. Radio Luxemburg erhielt 1933 seine Sendelizenz unter der Bedingung, dass es gleichzeitig ein Sinfonieorchester betreiben müsse.
Die Dampfradio-Station des kleinen Herzogtums entwickelte sich zu einem global agierenden Anbieter von werbefinanzierten Programmen. 1996 löste RTL (Radio Télévision Luxembourg) den Vertrag mit seinem Hausorchester. Eine Stiftung der luxemburgischen Regierung sorgt nun für die Philharmoniker.
Ersatzlos
Von einem anderen Kulturgut haben sich die Luxemburger jedoch ersatzlos getrennt. 1993 zogen sie sich vom Eurovision Song Contest zurück. Macht nix, hat sowieso keiner gemerkt. Dabei gehörte das Land 1956 zu den der Gründern des Grand Prix Eurovision de la Chanson. Fünfmal sogar lautete das Urteil: „… and the winner is Luxembourg“.
Aber die Luxemburger „wëlle bleiwe wat mir sinn“ und investieren ihr Geld in andere Formen der U-Musik. Zum Beispiel in ihr Luxembourg Jazz Orchestra. Marco Battistella, Leiter der Abteilung Musik im Kulturministerium des Herzogtums, nennt als Grund für diese Investition: „ Wir Luxemburger haben keine große Militärmusik-Tradition. Statt mit Säbelrasseln überzeugen wir lieber mit diplomatischen Zwischentönen. Dafür ist der Jazz genau die richtige Begleitmusik.“
Allgemeine Informationen über Luxemburg (Deutsch)