Wilson Audio im Conference Center Salt Lake City – Eine Audienz bei der Kaiserin
Der Weg vom Live-Ereignis zur perfekten Aufnahme mit Wilson Audio
High End ist der Versuch, der akustischen Wahrheit, dem tatsächlichen Schallereignis möglichst nahe zu kommen. Dies gelingt manchmal mehr, manchmal weniger gut, denn die perfekte Aufnahme hängt von vielen Parametern ab. Wie viel vom Original übrig bleibt, bis es bei den Zuhörern ankommt, treibt auch die FIDELITY-Redaktion seit vielen Jahren um. In Salt Lake City, Heimatstadt des renommierten US-amerikanischen Lautsprecher-Herstellers Wilson Audio, spürten wir der Frage nach der Authentizität konservierter Musik nach – und fanden im Salt Lake Tabernacle und dem Conference Center verblüffende Antworten.
9.28 Uhr Ortszeit an einem sonnigen Sonntagmorgen in Salt Lake City: Trent Walkers Hände ruhen auf dem Mischpult, die Finger an den Schiebereglern. Mit Walker sitzt ein ausgemachter Klang-Guru an den Reglern – er hat schon mit Größen wie AC/DC, The Beach Boys, America, Chuck Mangione und vielen anderen großen Künstlern zusammengearbeitet.
Im Saal haben sich die knapp 360 Sängerinnen und Sänger des Mormon Tabernacle Choir und die 110 Musiker des zugehörigen Orchesters vor der gigantischen Orgel postiert. Hochkonzentriert warten sie darauf, dass die Aufnahme beginnt. Über ihnen wölbt sich die riesige, von keinerlei Säulen gestützte Kuppel des Conference Centers. Der weit ausladende, majestätische Prospekt der Orgel ergänzt das Bild. Hier geht in wenigen Minuten eine neue Folge der beliebten Live-Kirchensendung Music and the Spoken Word („Musik und das gesprochene Wort“) über den Äther. Eine Sendereihe, deren Folgen seit rund 90 Jahren jede Woche ohne eine einzige Unterbrechung ausgestrahlt wurden und die mittlerweile von knapp 2000 Stationen – terrestrisch und im Internet – in Bild und Ton übernommen wird. Und dass hier der wöchentlich ausgestrahlte „live broadcast“ produziert wird, ist der Hauptgrund, weshalb hier – sowohl im Studio des Tabernakels als auch im Studio, das dem Conference Center angeschlossen ist – Abhörtechnik verbaut wurde, die so außergewöhnlich ist wie der Anlass, für den sie zum Einsatz kommt.
Die Audio-Profis aus der unmittelbaren Nachbarschaft sorgten für einen Qualitätssprung, der dieses Studio entscheidend von der weltweiten Masse unterscheidet: Als Frontlautsprecher der ersten Regie, die den Saalton einfängt, verwenden Trent Walker und sein Team unter anderem die Wilson Audio Sasha, deren absolute Neutralität auch der FIDELITY-Redaktion eine große Hilfe ist, wenn die Talente angeschlossener Komponenten auf dem Prüfstand stehen – die wohl nobelste Variante eines Abhörmonitors. Im Verbund mit Verstärkerelektronik von Bryston dienen die Wilsons dem Toningenieur Trent Walker als unbestechliche „Ohren“, wenn es darum geht, den „sonic fingerprint“, also die akustische Signatur des Tabernakels und des Conference Centers und der hier aufgeführten Musik zu beurteilen. Die hinteren Kanäle – es wird nicht nur ein Stereomix, sondern auch eine 5.1-Surroundaufnahme realisiert – werden von Wilson-Audio-Duette-Lautsprechern wiedergegeben, ergänzt um einen Watch-Dog-Subwoofer. In der Hauptregie für den finalen Downmix fungieren als Hauptlautsprecher Wilson Audios Alexia-Lautsprecher, ein weiteres Paar Duette für die Rückkanäle und jener Wilson-Subwoofer, dessen Name Programm ist: Thor’s Hammer. Um mit ihrer physischen Präsenz nicht von den Schallquellen abzulenken, verstecken sich die Lautsprecher hinter einer blickdichten, jedoch schalldurchlässigen Wand.
9.29 Uhr: Das Mischpult, an dem Trent Walker die Kanäle der Raummikrofone gerade feinfühlig von Hand abgleicht, ist eine 128-Kanal-Digitalkonsole von SSL (Solid State Logic). Nur eines von mehreren Regiepulten, die punktgenaue Korrekturen in Echtzeit ermöglichen. Walker ist ein großer Freund analogen Sounds. So wundert es auch nicht, dass der finale Downmix für den Broadcast in Stereo und 5.1 folgerichtig auf einer API-Vision-Konsole mit ebenfalls 128 Kanälen entsteht. Aufgenommen wird generell parallel analog und digital, eine Kopie liegt stets auf der Festplatte, für Musikproduktionen wird aber das Analogband verwendet.
9.30 Uhr: Im Saal hebt der Dirigent den Taktstock, es erklingen die ersten Takte eines alten Kirchenliedes. Ab sofort herrscht im Tonstudio neben dem Conference Center Rundfunk-Atmosphäre. Jetzt muss jeder Handgriff sitzen, Fehler darf es keine geben, denn die würden dem Publikum rund um den Globus sofort auffallen. Trent Walker wirkt dennoch so ruhig, als würde er sich gerade seinen Morgenkaffee aufbrühen. Er lauscht, justiert die satt laufenden Schieberegler auf seiner Konsole behutsam nach und kann sich dabei auf ein Ensemble verlassen, das zur Weltelite zählt: Der Mormon Tabernacle Choir und das zugehörige Orchestra at Temple Square zählen zu den gefragtesten Klassik-Klangkörpern der Welt. Starsolisten wie der gefeierte Bass Bryn Terfel standen mit diesem Ausnahme-Ensemble auf der Bühne. Aufnahme-Guru Trent Walker war für seine exzellent klingenden Aufnahmen aus dem Tabernakel auch schon für den Grammy nominiert. Amerikas Präsidenten nennen Chor und Orchester einen „nationalen Schatz“.
Vor die Perfektion haben die Götter aber den Aufwand gesetzt. Die FIDELITY-Redaktion hatte bei ihrem Arbeitsbesuch in Salt Lake City Gelegenheit, einigen Proben im benachbarten Konferenzzentrum (das über 20 000 Menschen fasst) beizuwohnen. Ein architektonisches Wunder, das, wie das Tabernakel, ebenfalls über eine sehr große Kirchenorgel verfügt. Von der Aufnahme ging es auf direktem Weg in den Regieraum, wo Trent Walker vorführt, wie der Downmix entsteht. Sitzt man im Sweetspot, ist der Effekt überwältigend, die Illusion, dem gerade Aufgenommenen live zu lauschen, perfekt. Da stimmt die Tonalität, da befinden sich die Klangfarben in genau jener Balance, die wenige Augenblicke zuvor im Saal zu hören war. Auch der virtuelle Raum hat die richtige Größe und die korrekten Abstände der Schallereignisse. Eine schier gigantische Halle wird in ein kleines Regiestudio „gebeamt“, ohne ihre Pracht und besagte akustische Signatur einzubüßen.
9.40 Uhr. Die Übertragung in alle Welt läuft. Für den ersten Solo-Einsatz der großen Orgel nimmt Trent Walker den Pegel der Aufnahmemikrofone sanft zurück. Weiß der versierte Tonmeister doch ganz genau, dass ein Tutti-Einsatz dieser „Kaiserin der Instrumente“ ihm sonst harte, kaum auszugleichende Übersteuerungen bescheren würde. Eine jener Situationen, in der das menschliche Können und die langjährige Erfahrung Trent Walkers mit den Musikern und dem Raum immer noch mehr zählen als die cleverste Aufnahmetechnik.
Der Livestream der Sendung aus dem Tabernakel wird zunächst nach New York übertragen, dort vom Radiosender CBS übernommen und über die unterschiedlichsten Kanäle weltweit ausgespielt. Als die Aufnahmecrew des Conference Centers ihr Abhör-Equipment auf Wilson-Audio-Lautsprecher umstellte, fragte in New York ein Toningenieur der CBS bei Trent Walker nach, was denn bitteschön bei den Aufnahmen passiert sei. Walker, einigermaßen verdutzt, fragte zurück: „Wieso? Wir haben nur die Lautsprecher für den Mix verändert.“ Daraufhin meinte der CBS-Kollege: „Der Mix ist jetzt so viel besser. Bloß nichts mehr verändern!“, und Trent Walker durfte aufatmen – erleichtert, aber auch stolz …
Die Essenz dieses Tages: Ja, es ist möglich, eine Aufnahme dem Original bis zur Ununterscheidbarkeit anzunähern – vorausgesetzt, der heimische Hörraum ist vergleichbar gebaut, ausgestattet und optimiert wie die Regieräume im Conference Center.