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William Steinberg

William Steinberg

Wiederentdeckung eines Vergessenen und Verkannten

William Steinberg

Der Deutschen Grammophon ist es zu verdanken, dass der weithin unterschätzte Dirigent William Steinberg zurück ins Gedächtnis der Klassikfreunde gerufen wird. Seine legendären audiophilen Command-Aufnahmen mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra liegen nun in einer wertig aufgemachten und klanglich schnörkellosen Box mit 17 CDs vor, während drei seiner Aufnahmen mit dem Boston Symphony Orchestra in der Vinylserie „The Original Source“ erscheinen.

William Steinberg

William Steinberg wurde als Hans Wilhelm Steinberg 1899 in Köln geboren und erhielt bereits als Zwanzigjähriger den Wüllner-Dirigentenpreis. Bald darauf stellte Otto Klemperer ihn als Assistent ein und förderte ihn. 1933 wurde Steinberg aufgrund seiner jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten seines Postens an der Kölner Oper enthoben. Er probte gerade Ernst Tochs Oper Der Fächer, als Nazischergen in den Saal stürmten und ihm buchstäblich den Taktstock aus der Hand rissen. Steinberg und seine Frau verließen Deutschland 1936 und gingen in das britische Mandatsgebiet Palästina, um anschließend in die USA zu emigrieren. Am bekanntesten ist Steinberg für seine lange Amtszeit als Musikdirektor des Pittsburgh Symphony Orchestra von 1952 bis 1976. Von 1969 bis 1972 war Steinberg Musikdirektor des Boston Symphony Orchestra, behielt aber seine Stelle in Pittsburgh bei.

Command Records wurde 1959 von Enoch Light gegründet und suchte alsbald den Kontakt zu Steinberg. Während die übrige Schallplattenindustrie das Magnetband zum Standard für Vinylaufnahmen gemacht hatte, wurden die Alben von Command auf 35-Millimeter-Film aufgenommen. Light nutzte die Breite des Filmstreifens, um mehrspurige Aufnahmen zu erstellen, im Gegensatz zu den begrenzteren zwei oder drei Spuren, die von den meisten Aufnahmestudios zu dieser Zeit angeboten wurden. Die etwas höhere lineare Geschwindigkeit bot einen Vorteil bei der analogen Wiedergabetreue, und der mit Zahnrädern betriebene Film begrenzte die Gleichlaufschwankungen („wow and flutter“). Dies ermöglichte es Light, mehr Instrumente einzeln aufzunehmen und ihre Eingangspegel anzupassen. Will man bei diesen audiophilen Aufnahmen die spezifische Interpretationsweise Steinbergs erfassen, so lohnt es sich, zunächst die Aufnahmen der klassisch-romantischen Sinfonik anzuhören. Steinberg orientiert sich bei fast allen Sätzen der Beethovensinfonien an den Metronom-Angaben des Komponisten, Temposchwankungen und agogische Freiheiten werden überwiegend vermieden. Steinberg schöpft die Beethoven’sche Energie allein aus dem Notentext heraus – es ist eine gänzlich uneitle, aber sehr wirkungsvolle Musizierweise. Auch den Sinfonien Brahms’ nimmt er den schweren germanischen Duktus. Unter Musikwissenschaftlern gibt es ja das Bonmot, die permanente Modulationsarbeit bei Brahms lasse dessen Musik immer an die Gründung von Krupp-Stahl denken … Nichts davon ist hier bei Steinberg zu spüren. Mehr noch, bisweilen lässt er Brahms geradezu singen und tanzen. Mindestens genauso bemerkenswert ist der amerikanische Pool dieser Compilation. Steinberg ist es immer eine Herzensangelegenheit gewesen, Komponisten wie Gershwin, Copland oder Rodgers aufzuführen. Bewundernswert die interpretatorische Akribie und der Sinn für rhythmische Komplexität und orchestrale Farbenpracht, die Steinberg hier gemeinsam mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra an den Tag legt.

Bildergalerie
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Werfen wir nun einen Blick auf die Bostoner Zeit Steinbergs. Dafür, dass die Aufnahmen des BSO in den 1970er Jahren im Allgemeinen überdurchschnittlich klingen, gibt es handfeste Gründe – es waren Produktionen, die heute aus finanziellen und organisatorischen Gründen nicht mehr realisierbar wären. So zog das Orchester für eine Schallplattenproduktion von der Bühne auf das Zuhörerparkett um, was natürlich erhebliche Umbaumaßnahmen erforderte. Für eine Schallplattenproduktion ließen sich dort aber bessere technische und akustische Bedingungen realisieren, die bei einer Aufnahme vom Konzertpodium aus nicht möglich gewesen wären.  Steinberg steht auch am Pult des Boston Symphony wie schon in Pittsburgh für eine schnörkellose und geradezu antimetaphysische Interpretationsweise, die die Musik selbst sprechen lässt. Beeindruckend, wie er in gerade einmal sechseinhalb Minuten durch Holsts „Mars“ pflügt, dem brachialen Kriegsmarsch im Fünfvierteltakt keinen eigenen Stempel aufdrückt und gerade dadurch die Brutalität der Komposition selbst sprechen lässt. Gleiches gilt für die Jubelpose des „Jupiter“, die nicht durch willkürliche Temposchwankungen oder agogische Mätzchen ins Gekünstelte abdriftet.

Womöglich hat es aber tatsächlich erst der Rekonstruktion und Wiederveröffentlichung der Vierspurbänder durch die magischen Hände Rainer Maillards und Sidney C. Schmidts bedurft, um das Potenzial der Steinberg’schen Interpretationskunst zu erfassen. Ich kenne keine Aufnahme, die so transparent den Sound der mit dem Bogenholz geschlagenen Streichersaiten zu Beginn der Planeten-Suite ins Ohr dringen lässt und die mit einer derartigen dynamischen Bandbreite die Blechbläser aufspielen lässt. Dass der Fanfarenbeginn bei Straussens Also sprach Zarathustra spätestens beim finalen Beckenschlag zum ultimativen Lautsprecher-TÜV werden würde, war vorauszusehen, aufregend neu sind dank Steinbergs Interpretation und der Aufnahmequalität auch die feinen polyphonen Klanggespinste der Komposition zu hören. Der Geheimtipp dieser 3-LP-Box ist aber Hindemiths Konzertmusik für Streichorchester und Blechbläser op. 50, ein Auftragswerk zum 50-jährigen Bestehen des Boston Symphony Orchestra, das letzte von drei Werken mit ähnlichen Titeln aus den Jahren 1929 bis 1930, die bei aller harmonischen Raffinesse Hindemiths und strukturellen Differenziertheit musikantisch gespielt und gehört werden. Auch hier sorgt Steinbergs uneigennütziges Dirigat für einen mehr als adäquaten künstlerischen Ansatz, der eher die barocken Strukturen als den großorchestralen Habitus der Komposition betont.

William Steinberg

Egal ob auf CD oder Vinyl, die Steinberg’schen Aufnahmen aus Pittsburgh und Boston sind klangliche und interpretatorische Meisterleistungen, die auch heute noch Maßstäbe setzen und dank der DG aktuell wieder erhältlich sind.

William Steinberg & Boston Symphony Orchestra – The Deutsche Grammophon Recordings

Holst, The Planets, Strauss, Also sprach Zarathustra, Hindemith: Mathis der Maler, Konzertmusik für Streichorchester und Blechbläser
Deutsche Grammophon „The OriginalSource“, 3-LP-Box

William Steinberg – Complete Command Classics Recordings

Beethoven, Brahms, Bruckner, Wagner, Copland, Gershwin, Schubert, Rodgers, Strawinsky, Schostakowitsch u. a.
Deutsche Grammophon, 17-CD-Box

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