Brocksieper – Elektronenröhren und Chitinmembranen
Meist wirken Einflüsse aus dem sozialen Umfeld als Schlüsselfaktoren für die Entwicklung individueller Vorlieben und Interessen, mitunter sind es aber auch zufällige Umstände und Ereignisse.
Im Fall Stefan Brocksiepers waren es die Schallplattensammlung seines Vaters und der Traum von einem Plasmalautsprecher.
Bereits in früher Kindheit wurde Stefan Brocksieper über Louis Armstrong, Dave Brubeck, Duke Ellington, Charlie Parker und John Coltrane mit der Liebe zum Jazz infiziert. Mit 14 lernte er E-Bass und spielte zunächst in einer Bluesrockband, wechselte dann aber mit 18 zum Kontrabass und akustischen Jazz. Bis heute trifft sich Brocksieper, der im Laufe der Jahre auch schon mit renommierten Profis spielen durfte, mindestens einmal wöchentlich zu Sessions mit seinen langjährigen Bandkollegen und bildet zum Hobby E-Bass-Schüler aus.
Zugleich entwickelte Brocksieper bereits mit vier Jahren eine Leidenschaft für Technik und machte sich mit zwölf erstmals an die Konstruktion von Lautsprechern, die er wenige Jahre später an Mitschüler verkaufte, um seine erste HiFi-Anlage zu finanzieren. Fasziniert von den damals auf den Markt gekommenen Lautsprechern mit Ionenhochtönern, unternahm er gegen Ende der Schulzeit den Versuch, selbst einen Plasmahochtöner zu konstruieren, sollte aber über einen allerdings sehr gut klingenden Prototyp mit einer etwa vier Zentimeter hohen Plasmaflamme und einen heil überstandenen Hochspannungsunfall nicht hinauskommen. Einige Jahre später sah Stefan Brocksieper, mittlerweile Elektrotechnikstudent an der Wuppertaler Universität, dann den Moment gekommen, seinen Traum in die Tat umzusetzen: Ein High-End-Händler, für den er einen Röhren-Phonoentzerrer konstruieren sollte, bot ihm an, im Gegenzug auch die für sein Lautsprecherprojekt nötigen Industriekontakte herzustellen. Dieses Versprechen blieb zwar uneingelöst, aber Brocksiepers Phonoentzerrer Schmendrick, benannt nach dem unbedarften Zauberer aus Peter S. Beagles Roman Das letzte Einhorn, erwies sich als so erfolgreich, dass er sich in der Folge zum Röhrenspezialisten entwickeln und drei Jahre später die Universität ohne Abschluss verlassen sollte, um gemeinsam mit Winfried Kücke im September 1985 die Music Components GmbH aus der Taufe zu heben.
Nachdem sie zwei Röhrenvorverstärker, zwei Endstufen, einen Zweiwegelautsprecher und einen Elektrostaten auf den Markt gebracht hatten, beschloss Brocksieper 1992, sich angesichts unterschiedlicher Ideen von der zukünftigen Entwicklung des Unternehmens und seinem Geschäftspartner zu trennen, um seine eigene Verstärker- und Lautsprecher-Manufaktur zu gründen. Gleich das erste Produkt unter eigenem Namen, eine Monoendstufe mit zwei 807-Senderöhren, die aufgrund ihres subtilen Klangbildes bereits in den Modellen von Music Components zum Einsatz gekommen waren, sollte sich zu einem seiner größten Verkaufserfolge entwickeln. Es folgten eine Vorstufe, der Phonoverstärker PhonoMax und der ebenfalls sehr erfolgreiche Kopfhörerverstärker EarMax. Jüngstes Mitglied der Röhrenfamilie ist ein Digital-Analog-Wandler, dessen präzise analoge, ausschließlich über Röhren erfolgende Filterung hochfrequenter Störanteile laut dem Entwickler dafür sorgt, dass häufige Mängel digitaler Wiedergabe, die vor allem auf der nicht vorhandenen Signalkontinuität im hohen Frequenzbereich und dem dadurch bedingten ungenauen Zeitverhalten beruhten, in hohem Maße eliminiert werden. Bei der Konstruktion seiner Geräte lässt sich Brocksieper seit jeher vom Anspruch leiten, die technischen Vorteile der Röhre, ihre gegenüber dem Transistor größere thermische und dynamische Linearität, effektiv zu nutzen, dabei aber die sonst Röhren-typischen Verzerrungen, die zu einem euphemistischen, eindickenden Klangbild führen, auszuschalten.
Abgerundet wird das Programm durch die Zwei-Wege-Lautsprecher Arabeske und Minara, bei denen der Konstrukteur großes Gewicht auf präzises Zeit- und Impulsverhalten legte. Eine Besonderheit stellen die in den Tief- und Mitteltönern verwendeten Chitinmembranen dar, die sich laut Stefan Brocksieper im Mitteltonbereich so präzise und im Tieftonbereich so dynamisch verhalten wie kein anderes ihm bekanntes Material. Für die hohen Frequenzen sorgen Thiel-Keramik- oder Diamant-Hochtöner. Die größere Arabeske verfügt zudem über einen eigens entwickelten Superhochtöner sowie einen integrierten Subwoofer. Beide Modelle können auf Wunsch auch mit einer Röhren-Aktivweiche betrieben werden.
Als Nächstes plant Brocksieper neben einer technisch extrem aufwändigen Version des EarMax, die zu Ehren seiner langjährigen, 2010 überraschend früh verstorbenen Lebensgefährtin und Geschäftspartnerin Bettina Mennicke die Bezeichnung „Bettinas Edition“ trägt, die Entwicklung eines kleinen Vollverstärkers, der Elemente aus EarMax und Vor- und Endstufen vereinen soll. Ansonsten arbeitet er noch immer an seinem bedeutendsten Projekt: jenem Lautsprecher, der oberhalb von 700 Hertz ohne jede Membran auskommen und darunter natürlich durch jede Menge Chitin unterstützt werden soll …
Leise oder laut?
Leise.
Analog oder digital?
Analog.
Röhre oder Transistor?
Röhre.
Schallplatte oder Download?
Schallplatte.
Waldlauf oder Fitnessstudio?
Weder noch. Tai-Chi.
Trend oder Tradition?
Tradition.
Tee oder Kaffee?
Beides. (Grüner Tee und Espresso.)
Salat oder Steak?
Salat.
Wein oder Bier?
Wein.
Berge oder Meer?
Berge.
Buch oder Bildschirm?
Buch.
Jazzclub oder Opernhaus?
Beides. (Aber hauptsächlich Jazzclub.)
Bach oder Beatles?
Bach.
Wagner oder Wacken?
Keines von beidem. (Lieber Verdi und Woodstock.)
Standby oder Stecker ziehen?
Stecker ziehen.