Wharfedale Linton 85th Anniversary – Klassiker für das 21. Jahrhundert
Ein Traditionslautsprecher präsentiert sich überrasched frisch: Die Wharfedale Linton 85th Anniversary trägt ein klassisches Konzept hinüber ins 21. Jahrhundert
Wandelt man auf HighEnd-Messen durch die Ausstellungsräume, so ist man zunehmend ermüdet von den aktuellen Entwicklungen im Lautsprecherbau. In manchen Momenten hat man das Gefühl, dort tönenden SUVs mit ebensolchen Preisschildern gegenüberzusitzen. In solchen Augenblicken galoppierenden Zeitgeistes mit immer schneller wechselnden Modellvarianten, in denen immer mehr Glücksritter den Markt fluten, in solchen Zeiten vergisst man mitunter, dass es altehrwürdige Firmen gibt, die über ein ausgereiftes Entwicklungswissen verfügen und die nicht danach hecheln, stets das Rad neu zu erfinden. Eine solche Wiederentdeckung waren für mich auf der HighEnd 2019 die beiden dort von IAD präsentierten Lautsprecher Linton und Elysian 2 der englischen Traditionsfirma Wharfedale, deren Firmengründung in das 1932 zurückreicht.
Grund genug für mich, sich etwas näher mit Wharfedale im Allgemeinen und der dort präsentierten Linton im Speziellen zu beschäftigen, die doch tatsächlich – ohne die dazugehörigen Stands – über ein gerade noch dreistelliges (!) Preisschild verfügt.
Experimente im Wharfedale-Tal
Der umtriebige Ingenieur und Tüftler Gilbert Briggs experimentierte zu Beginn der 1930er Jahre im Keller seines Hauses, das sich in Ilkley, Yorkshire, in einem bis heute als Wharfedale bekannten Tal befand, mit Lautsprecherkonzepten, die an die Grenzen des zu dieser Zeit technisch Machbaren gehen sollten. So wurde der Name seiner Heimat zum Namen seiner Marke, die 1932 offiziell die Hifi-Welt betrat und die das Gesicht des Lautsprecherbaus verändern sollte. Als bahnbrechend muss hier die erste Produktion eines Zweiwegesystems genannt werden, das Wharfedale ab 1945 in Serienreife produzierte. In den 1960er Jahren galt die Firma als einer der wichtigsten Produzenten für die musikalisch interessierte Upperclass im Vereinigten Königreich.
Hochwertige Technik in einem gediegenen Äußeren, dies war der Anspruch, den man erfüllte. Die nun zum 85. Firmenjubiläum redesignte Linton geht auf das Jahr 1965 zurück, was sich zunächst primär optisch an der äußeren klassischen Erscheinungsform erkennen lässt. Auch wenn die Fertigung aus Kostengründen mittlerweile nicht mehr im Vereinigten Königreich, sondern im Reich der Mitte stattfindet, so genügt die Fertigungsqualität doch immer noch höchsten Ansprüchen: Ein sauber gefertigtes Gehäuse mit hochwertigem Furnier, ein solide sitzendes Single-Wire-Terminal und massive Stands, die sogar eine kleine Plattensammlung aufnehmen können, dies sind nur einige Attribute, die für das Qualitätsmanagement der Produktion sprechen.
Im Rahmen der Münchener Messen 2019 konnten wir ein Interview mit Peter Comeau führen, dem Entwickler der Linton. Was er unseren Kollegen berichtete, erfahren Sie hier …
Wharfedale Linton: Moderner Sound im ehrwürdigen Gewand
Wer aufgrund des traditionellen Äußeren nun den typischen eher warm abgestimmten britischen Sound erwartet hat, der wird überrascht. Wunderbar verfärbungsfrei, tonal leicht ins Helle timbrierend und mit einer transparenten Offenheit gesegnet, so tönt die Linton bereits Out of the Box. Dabei geht sie selbstbewusst ihren eigenen Weg und lässt sich auch vom antreibenden Verstärker nur schwer in eine andere Richtung drängen: Ob meine heimische Studio-Kombi aus Grace Design und Yamaha, der Röhrenamp LM34 aus dem Hause Line Magnetic oder ein etwas betagter kleiner Cyrus Straight Line, immer blieb die grundsätzliche Abstimmung der Lautsprecher erhalten. Der freundlicherweise unkompliziert vom IAD-Vertrieb ausgeliehene formidable chinesische Röhrenverstärker zauberte dabei vor allem bei Stimmen ein wenig mehr Volumen und bei Streichern eine minimal seidige Aura hinzu, ihren sauber abgestimmten Charakter behielt die Linton aber auch hier.
Nun mag die Auslegung mit 6 Ohm ein wenig exotisch wirken, sie bewirkt aber, dass eine große Anzahl an Spielpartnern für die Linton in Frage kommt, zumal sie sich in keiner Weise zickig gegenüber kleineren Verstärkerleistungen zeigt. Die 40 Watt der vier EL 34 im Line Magnetic sorgten dafür, dass bereits bei einer Pegelstellung von 10 Uhr brummende Synthiebässe von Depeche Mode und Yello mächtig die Magengrube trafen und ich froh war, dass sich mein Hörraum in einem halbwegs schalldichten Keller befindet. Überhaupt der Bassbereich: Tief geht es hinab, wenn auch nicht in den allertiefsten Keller, was womöglich auch daran liegt, dass zumindest in meinem Hörraum keinerlei Raummoden angeregt wurden. Dabei bleiben die unteren Frequenzgänge immer trocken und präzise, eine hart aufgespannte Pauke in Norringtons historischer Beethoveninterpretation bleibt so wunderbar provozierend knallig, dass auch durch die Linton klar wird, warum diese Aufnahme konservative Klassikhörer vor 30 Jahren so verstörte.
Fabrikneu kommen der Bass und der untere Mitteltonbereich allerdings zunächst ein wenig hüftsteif rüber, aber keine Panik: Man muss der Linton schon gute 100 Stunden Einspielzeit gönnen, vielleicht auch ein wenig mehr. Dann öffnet sich der untere Frequenzbereich, die Musik schwingt lockerer aus, das Klangbild vergrößert sich sowohl in der Tiefe als auch leicht in der Breite und bekommt dabei einen herrlich swingenden Drive. Harry Belafontes „Cotton Fields“ habe ich schon lange nicht mehr derart lässig groovend gehört, ohne dass dabei aber die Musik auch nur einen Hauch verschmiert wirkte. Im Gegenteil, die Musiker platzieren sich abgezirkelt auf einem Bühnenrund um Belafonte herum, dessen Stimme glasklar und dennoch mit einer gehörigen Portion Schmelz auf den Hörer zukommt. Für mich ist es immer ein eindeutiges Qualitätskriterium, wenn eine auf unendlichen Hifi-Messen abgenudelte Scheibe, in diesem Fall die des berühmten Carnegie-Konzerts, plötzlich den Hörnerv auf eine bis dato unbekannte Art und Weise triggert.
Ein unkomplizierter Begleiter
Die Linton dankt einem übrigens eine sorgfältige Aufstellung, insbesondere dann, wenn man mit den höhenverstellbaren Spikes der Stands experimentiert. Hier sollte unbedingt eine Wasserwaage gezückt werden, um die Box wieder ins rechte Lot zu bringen, da man ansonsten einiges Potenzial der räumlichen Abbildung verschenkt. Das Einwinkeln, die Basisbreite und der Hörabstand können dabei durchaus an den eigenen Präferenzen orientiert sein. Ich empfehle, sich aus einem gleichseitigen Dreieck heraus ein wenig in Richtung auf die Basisbreite der Lintons hin zu bewegen. Gerade bei großer Orchestermusik ergibt sich so ein wenig mehr Orientierung bei gleichzeitigem Eintauchen in die Orchesterstrukturen.
Hört man eine sehr direkt aufgenommene Einspielung, wie etwa Vladimir Jurowskis Interpretation der Mahler’schen Auferstehungssymphonie, so meint man, direkt am Dirigentenpult Platz genommen zu haben. Nun, gut – von dieser Hörposition aus vernehmen wir aber auch, dass bei der Auflösung großorchestraler Strukturen etwa eine Wharfedale Elysian2, wie sie auf Münchner HighEnd zu hören war, hier doch noch mit einem größeren Pfund wuchern kann, aber eine Elysian 2 kostet auch das Vier- bis Fünffache einer Linton und ist in einem Hörraum von 25 qm dann auch nicht so unkompliziert zu integrieren wie die kleine Schwester. Wir sehen, Wharfedales Jubiläumsmodell reckt sich in preislich und qualitativ weit entfernte Regionen vor und für den aufgerufenen Preis kenne ich nichts, was ihr hier in Sachen Transparenz und Dynamik das Wasser reichen könnte.
Dies gilt auch für die perfekt austarierten Übergänge zwischen den Chassis bei 630 und 2400 Hertz, die bei der erwähnten Mahler-Symphonie für ein harmonisches Gesamtbild aller Instrumente sorgen, gerade bei den schwierigen Instrumenten der Mittellage wie Klarinetten und Bratschen ist keine Sollbruchstelle an den Übergabepunkten der Frequenzbereiche auszumachen. Alles in allem hat Wharfedales Chefdesigner Peter Comeau mit der neuen Linton ein mehr als bemerkenswertes Kleinod highfideler Reproduktionskunst entwickelt, das perfekt in die langjährige Firmengeschichte passt, besinnt es sich doch konzentriert auf die klassischen Lautsprechertugenden Transparenz, Auflösung, Dynamik und harmonische Abstimmung und versucht nicht mit modischen Extravaganzen das Rad neu zu erfinden. Für des Kaisers neue Kleider sind andere zuständig, bei Wharfedale heißt es schlicht: Aus Tradition gut.
Wir meinen
Wharfedale nimmt ein klassisches Konzept und fügt die Erfahrung aus 85 Jahren Lautsprecherbau hinzu. Das äußere Gewandt der Linton 85th Anniversary könnte kaum zeitgemäßer sein – und gemessen am Preis spielt die kompakte Standbox (oder doch eher stehende Kompaktbox?) geradezu sensationell gut. Ein heißer Kandidat für das Label “Lautsprecher des Jahres”
Produktinfos Wharfedale Linton
- Bass Reflex System
- 8″(200mm) Kevlar® Basstreiber
- 5″(135mm) Kevlar® Mitteltöner
- 1″ (25mm) Gewebe Hochtöner
- 90dB Wirkungsgrad
- 25-200W empfohlene Verstärkerleistung
- 6 Ohm Impedanz
- 40Hz ~ 20kHz Frequenzweidergabe(+/-3dB)
- Bass Extension(-6dB) 35Hz
- Crossover Frequenz 630Hz & 2.4kHz
- Höhe (mit Spikes) 565mm
- Breite 300mm
- Tiefe 360mm
- Gewicht18.4kg/pro Stück
- Stand optional erhältlich, siehe Zubehör
- Farbe: Mahagony Red, Walnut
- Garantie 5 Jahre
- Paarpreis: 999 Euro
Produktinfos Stands
- Höhe: 437mm Breite: 300mm Tiefe: 330mm
- Gewicht: 14,5 kg/pro Stück
- Paarpreis: 299 Euro
Kontakt:
IAD
Johann-Georg-Halske-Str.11
41352 Korschenbroich
Telefon: +49 800 2345007
Im Rahmen der Münchener Messen 2019 konnten wir ein Interview mit Peter Comeau führen, dem Entwickler der Linton. Was er unseren Kollegen berichtete, erfahren Sie hier …