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VPI Traveler

VPI Traveler

Reisende soll man nicht aufhalten

Breaking news: neuer Plattenspieler von VPI – kardanischer Tonarm – Rätsel der Bedeutung der drei Buchstaben noch immer ungeklärt


Der VPI Traveler war auf dem Rocky Mountains Audio Fest nicht zu übersehen (siehe Bilder auf www.fidelity-magazin. de). Harry Weisfeld hatte offenbar mehrere Aussteller mit seinem neuen Kleinod ausgestattet, und allerorten erntete er für seinen „Kleinen“ Respekt. Wen wundert’s, wo doch gerade auf US-Messen der allgegenwärtige globale Größenwahn nicht zu übersehen ist. Offenbar – so hat es jedenfalls den Anschein – meint jeder, der Zugang zu einer Dreh- und Fräsmaschine hat, ein Highend- Laufwerk bauen und Preise aufrufen zu können, die im satten fünfstelligen Bereich liegen. Natürlich, weil alles bisher Dagewesene in den Schatten gestellt wird. Da verwundert es nicht wirklich, dass selbst hartgesottene Amerikaner diese Objekte mit Attributen wie „ridiculous“ oder „absurd“ bezeichneten.

Aber selbst wenn wir diese überteuerten Luxusgeschöpfe mal außen vor lassen, ist nur schwer zu leugnen, dass Analog im zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends zu einem sehr teuren Hobby geworden ist. Dies liegt natürlich auch an der kostspieligen, weil arbeitszeitintensiven Kleinserienherstellung. Vorbei sind die Zeiten, in denen große Konzerne ihre Fließbandproduktion anwarfen und Plattenspieler auch im gehobenen Preissegment in für heute unvorstellbaren Stückzahlen produzierten. Selbst den fast schon unsterblich anmutenden Technics SL-1210MK2 hat zwischenzeitlich (und von der Mehrzahl der Highender unbemerkt) das Schicksal des Aussterbens getroffen.

Unverkennbar VPI

Doch Schluss mit dem Gejammer! Freuen wir uns darüber, dass es Harry Weisfeld gelungen ist, mit dem Traveler sein eh schon umfangreiches Sortiment nach unten hin abzurunden und laut eigenem Bekunden den einzigen Einsteiger-Plattenspieler anzubieten, der in Amerika gebaut wird. Das nächstgrößere Modell – der Scout II mit Acrylteller – kostet immerhin schon 650 Euro mehr – für die man beispielsweise eine Menge Schallplatten erstehen könnte.

Das bedeutet aber auch, dass VPI hier und da einige Kompromisse bei der Gestaltung des Travelers eingehen muss, ohne die bisherige Hausphilosophie zu verraten. Wie alle Plattenspieler von VPI besteht er aus einer nahezu ungedämpften Zarge, die aus zwei unterschiedlichen Materialien aufgebaut ist. Im Gegensatz zu seinen teureren Brüdern aus der Scout-Serie kommt diesmal keine mitteldichte Faserplatte (MDF) zum Einsatz. Stattdessen wird eine Platte aus schwarzem Acryl, die in der Grundversion von einer schwarz lackierten Aluminiumplatte an der Oberseite bedeckt ist, verwendet. Diese Aluminiumplatte kann in drei weiteren Farben (Rot, Blau und Weiß) für einen geringen Aufpreis (140 Euro) geordert werden. Das Chassis steht auf vier silberfarbenen Metallkegeln, an deren Spitzen kleine Gummidämpfer eingelassen sind, die die Übertragung von störenden Vibrationen wirksam verhindern. Selbstverständlich lassen sie sich in der Höhe verstellen und garantieren so, dass der Traveler auf nicht ganz ebenen Stellflächen „im Wasser“ steht. Historische Dielenböden und schiefe Wände sind also kein Thema, mit dem sich der Besitzer lange herumärgern muss. Ebenfalls typisch für VPI ist der beachtlich starke Motor, der integraler Bestandteil des Laufwerks ist. Er befindet sich in einem kleinen schwarzen Kästchen und wird über einen Drucktaster an der linken Seite dieser Motordose eingeschaltet. Unterhalb des Chassis findet das Netzkabel direkten Zugang über eine Kaltgerätebuchse. Das Motorpulley besitzt zwei Führungsrillen mit unterschiedlichen Durchmessern, sodass durch manuelles Umlegen des Riemens zwischen den beiden Geschwindigkeiten (33 und 45 U/min) gewählt werden kann. Der Gummiriemen umschließt einen flachen und überraschend schweren Metallteller, in dem bereits eine weiche Plattentellerauflage eingelassen ist.

Untypisch kardanisch

Die eigentliche Überraschung bei der Präsentation des kleinen VPIs war aber der völlig neu konstruierte Tonarm, der ganz offensichtlich mit der Tradition des amerikanischen Herstellers bricht. Es handelt sich nämlich nicht um eine „abgespeckte“ Variante der bekannten (und meines Erachtens völlig unterschätzten) einpunktgelagerten Tonarme von VPI, sondern um ein kardanisch gelagertes Exemplar, dessen gefederte Spitzen in Lagerpfannen aus Saphir laufen. Wegen dieser Federlagerung fühlt sich der Tonarm auch nicht gänzlich spielfrei an. Also, wenn sie vorsichtig (!) an dem Tonarmrohr ziehen und etwas Spiel fühlen – keine Sorge: Das muss so sein! Sich selbst treu blieb Harry Weisfeld aber bezüglich seiner Einstellung zur Antiskating-Kompensation. Deshalb kann man nur auf die Wirkung des verdrillten Phonokabels zurückgreifen, das in einem Bogen vom hinteren Ende des Arms zu einer im Chassis eingelassenen Buchse geführt wird. Dadurch entsteht automatisch eine gewisse Federwirkung, die den Tonarm leicht nach außen drückt und so ein Mindestmaß an Antiskating-Kraft generiert. Hier über den Sinn und Unsinn einer Skatingkompensation zu philosophieren, würden den Rahmen dieses Artikels sprengen. Sicher ist aber, das es ein paar klanglich vorzügliche Tonabnehmer gibt, die ohne Antiskating nicht die Minimalforderung von sauber abgetasteten 50 ?m schaffen. Ein Beispiel ist das von mir sehr geschätzte Dynavector DV-20X2, dass nun mal kein Abtastwunder ist. Zumindest mein eigenes Exemplar schafft in jedem Tonarm, in dem ich es bisher ausprobiert habe, nur unter Verwendung von Antiskating die besagten „50 Mü“. Die normale Federkraft des Phonokabels reicht im Traveler nicht allein aus. Deshalb muss man einmal den Stecker in der fest montierten „Junction Box“ herumdrehen, das Kabel also einmal mehr verdrillen, und schon schafft das 20X2 diesen Standard. Bei allen anderen von mir verwendeten Tonabnehmern war allerdings diese Vorgehensweise nicht nötig. Stets erreichten sie ihre vom Betrieb in anderen Tonarmen her bekannten Abtastwerte. So ganz Unrecht scheint Harry Weisfeld nicht zu haben …

Unproblematische Einstellungssache

Andere Justageparameter scheinen für den Macher von VPI entscheidender zu sein. Sehr schön ist zum Beispiel die Einstellung der Auflagekraft gelöst. Das Gegengewicht sitzt nämlich auf einem Reiter, der durch ein Schneckengetriebe und einer damit verbundenen Rändelschraube am hinteren Endes des Tonarms vor und zurück bewegt werden kann. Dank der sich im Lieferumfang befindlichen Tonarmwaage von Shure lässt sich auf diese Weise die Auflagekraft sehr fein und reproduzierbar einstellen. Übrigens: Die Anschaffung einer mehr Genauigkeit vorgaukelnden „Digitalwaage“ ist meines Erachtens nach überflüssig. Die altbekannte und bestens bewährte Shure tut es genauso gut und schont dank batteriefreiem Betrieb nebenbei noch die Umwelt (und „echt analog“ ist ihre Funktionsweise obendrein).

Besonders bemerkenswert und in dieser Preisklasse wohl ein Alleinstellungsmerkmal ist allerdings die Tonarmhöhenverstellung. Sie ist zwar einfach ausgeführt – eine große Rändelscheibe wirkt auf das Gewinde des Tonarmschafts –, funktioniert aber so gut, dass man durchaus während des Abspielens den VTA (Vertical Tracking Angle, Tonarmhöhe) einstellen kann. Anschließend sollte man jedoch nicht vergessen, die seitliche Kunststoffschraube wieder anzuziehen und dabei erstens einen breiten Schraubenzieher zu verwenden und zweitens nicht zu viel Kraft aufzuwenden.

Selbstverständlich wird eine korrekte Justageschablone aus Karton mitgeliefert, deren richtige Position dank eines „Auslegers“, den man zwischen Tonarmablage und Lift klemmt, leicht zu finden ist. Diese einfache Schablone ist absolut ausreichend, und ich kann nur davon abraten, sich mit teuren „Universalschablonen“ herumzuplagen. Wenn man es trotzdem tut, werden Überhang und Kröpfungswinkel verändert und nach Baerwald, Stevenson oder wem auch immer optimiert, aber anschließend befindet sich das System zwangsläufig in einer Schräglage in der Headshell. Das sieht nicht nur nicht gut aus, es bringt auch klanglich nichts. Und das liegt keineswegs nur an seiner selten anzutreffenden effektiven Länge von zehn Zoll (25,4 cm), die unter Experten als der ideale Kompromiss zwischen möglichst geringem Spurfehlwinkel und geringer Resonanzarmut gilt.

Weitere Hinweise zu Aufbau und Justage kann ich mir an dieser Stelle sparen. Die leichtverständliche deutschsprachige Bedienungsanleitung lässt keine Fragen offen; auch analoge Neueinsteiger sollten damit gut zurechtkommen. Letztgenannte dürfte der VPI Traveler auch deshalb nicht verprellen, weil er sich gegenüber einer großen Bandbreite von Tonabnehmern unkritisch verhält. Bei mir kamen nebst dem schon erwähnten Dynavector zum Einsatz: DV-20X2, Nagaoka MP-500, Ortofon MC30 Super II sowie Denon DL-103 und Denon DL-110. In allen Fällen lagen die Tonarm-System-Resonanzfrequenzen im Bereich um die zehn Hertz, woraus man schließen kann, dass der Arm der mittelschweren Sorte (zirka 10 bis 15 g effektive Masse) zuzurechnen ist und allein schon deshalb mit der absoluten Mehrheit aller Abtaster funktioniert. Ich hätte gerne noch das EMT JSD-6G eingebaut, das der Tonarm aber nicht ausbalancieren kann, weil es mit seinen 18 Gramm eindeutig zu schwer ist.

Unvermutete Größe

Viel wichtiger als diese technische Betrachtungsweise erscheint mir aber der Hinweis, dass der Traveler die Vorzüge jedes Systems nahezu in vollem Umfang zur Geltung bringt. Diese winzig kleine Einschränkung ist vielleicht etwas kleinlich, aber schließlich kenne ich seinen größeren Bruder Scoutmaster II (FIDELITY 3/2012), der für den doppelten Preis schon noch etwas mehr aus den Rillen holt. Aber der Scoutmaster II ist sowieso ein Ausnahmetalent, das ungeniert in den Teichen der ganz dicken Fische fischt. Deshalb muss sich der „Kleine“ aber nicht gefallen lassen, dass man ihn nur als Einsteiger-Laufwerk tituliert. Es ist nämlich seine ganz starke Seite, dass er eben nicht wie ein kleiner (aber feiner) Plattenspieler klingt, sondern von der Souveränität seines klanglichen Auftritts her eher ein „großes“ Masselaufwerk vermuten lässt. Würde man, wie früher weithin üblich, Blindtests durchführen, bei denen die zu vergleichenden Plattenspieler hinter einem Vorhang versteckt werden, käme kein Mitglied des Auditoriums auf die Idee, dass hier ein Plattenspieler arbeitet, der „nur“ 1800 Euro kostet. Das wird umgehend deutlich, wenn man ihm großorchestrale Schlachtrösser wie die Karelia-Suite von Jean Sibelius (Alexander Gibson, London Symphony Orchestra, LSC-2405) zumutet. Es ist erstaunlich, wie souverän er nicht nur den riesigen Klangapparat strukturiert und dessen Größe auch glaubhaft in den Hörraum transportiert, nein, auch seine mitreißende Dynamik und Rhythmik begeistern.

Apropos Rhythmik: Sie scheint eine weitere, besonders erwähnenwerte Stärke des Travelers zu sein, die er gleich an einem Hit des letzten Jahres demonstrieren darf. Die komplexen Strukturen, die sich in „Somebody I Used To Know“ von Gotye (auf seiner LP Making Mirrors) verbergen, bringt er ohne weiteres zum Leuchten. Auch an der Unmittelbarkeit der Darstellung, mit der er die Stimmen von Gotye und Kimbra wiedergibt, wenn sie im Duett singen, habe ich meine helle Freude. Der bisher gewonnene Eindruck verstärkt sich noch, als ich B_ella – Notes & Sketches From My Songbook (Clearaudio, LP 83039) auflege. Über die Künstlerin selbst konnte ich nichts in Erfahrung bringen, aber der Tonmeister, der diese Aufnahme produziert hat, ist definitiv eine Legende: Heinz Wildhagen. Er hat die, ja was nun: Rock-?, Pop-?, Folk?-Stücke sehr, sehr direkt eingefangen, sodass es manchmal fast schon ein wenig des Guten zu viel ist. Das ist aber keinesfalls dem Traveler zuzurechnen, der lediglich ungeschönt die sehr präsente Stimme der Sängerin so zu Gehör bringt, wie sie eben auf der Scheibe drauf ist. Deshalb klingt diese Aufnahme über den VPI Traveler wenn schon nicht wie live, so doch zumindest nahe daran. Er offenbart sich damit als bezahlbares Ausnahmetalent, das die eingangs beschriebenen überteuerten Luxusplattenspieler in beträchtliche Rechtfertigungsprobleme bringt. Ein feines Teil, der VPI!

PS: Laut Vertrieb wird es den Tonarm in absehbarer Zeit auch separat zu kaufen geben. Man sollte ihn auf jeden Fall mal im Auge behalten!

www.h-e-a-r.de

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.