VPI Scoutmaster II: Ungefedert und schwer.
Die Mehrzahl der am Markt verfügbaren Analoglaufwerke lässt sich grob mit einer Kombination zweier Adjektive aus jeweils einem der folgenden Wortpaare charakterisieren: Gefedert und ungefedert, schwer und leicht. Der Scoutmaster II des in Cliffwood, New Jersey ansässigen Herstellers VPI Industries gehört eindeutig zur Kategorie „schwer/ungefedert“ und bringt es auf stattliche 27 Kilogramm.
Wie bei VPI üblich, ist die Zarge in einer Art Sandwichkonstruktion ausgeführt, die aus zwei etwa 3 cm dicken MDF-Lagen besteht, die durch eine circa 3 mm starke Stahlplatte voneinander getrennt sind. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger besitzt die aktuelle „Mark II“-Version den gleichen, etwa 5 cm hohen Aluminiumteller des weltweit zu Recht bejubelten VPI Classic, der meiner bescheidenen Meinung nach optisch viel besser zum Scoutmaster passt als der ehemalige Acrylteller. Geblieben ist das invertierte Lager, dessen Lagerdorn aus Edelstahl besteht und eine Keramikkugel an der Spitze trägt, während man für die im Teller eingelassene Buchse Messing verwendet. Der Plattendorn weist ein Gewinde auf, mit dem die mitgelieferte Klemme verschraubt werden kann – aber nicht muss. Zusätzlich zur dünnen Gummimatte kann man eine kleine Unterlegscheibe verwenden, die im Zusammenspiel mit der Klemme wellige LPs einebnet (das funktioniert übrigens sehr gut). Die Zarge steht im Normalfall auf vier höhenverstellbaren, schwarz eloxierten Aluminiumkegeln, die mit kleinen Stahlkugeln in der Spitze und mit Schaumstofflagen am stumpfen Ende aufwarten können. Letztere sollen verhindern, dass sich Vibrationen von der Stellfläche auf das Laufwerk übertragen. Das tun sie auch leidlich, wenn man die Spikes zur Nivellierung des Laufwerks nicht zu weit herausdreht. An der linken Seite befindet sich eine rechteckige Aussparung, in der die Motordose bündig zur Zarge zu stehen kommt. In ihr befindet sich ein offenbar bärenstarker Synchronmotor, der über einen linkerhand angebrachten Druckschalter eingeschaltet wird. Das Kunststoff-Pulley hat für die beiden Geschwindigkeiten 33 1/3 und 45 U/min je drei minimal unterschiedliche Durchmesser anzubieten und ermöglicht damit eine einfache Feineinstellung der Umdrehungsgeschwindigkeit.
Jetzt auch mit Antiskating
Der zur Verfügung gestellte Scoutmaster kam mit der Signature- Version des JMW 9T. Mit dessen Grundversion hatte ich mich bereits vor drei Jahren ausführlich beschäftigt (hifi tunes – Das Analogbuch 2). Der „Signature“ unterscheidet sich vor allem durch sein abgestuftes Armrohr, dem mittig ein Edelstahlstück eingefügt wurde, durch die Möglichkeit, den Tonarm im Lager zu bedämpfen, und durch die Silber-Innenverkabelung von Nordost. Diese Nobelverkabelung setzt sich übrigens auch in der sogenannten „Junction-Box“ fort, mit der die Innenverkabelung über einen hochwertigen Lemo-Stecker Kontakt aufnimmt, bevor das Signal dann per Cinchkontakt und extra zu erstehendem Phonokabel zum Vorverstärker weitergereicht wird. Auch ist der etwas wulstig wirkende Ring mit den beiden abstehenden Balancegewichten an der Unterseite der Lagerglocke nicht verdrehbar, sodass die Einstellung der Lateralbalance ausschließlich über das exzentrisch gebohrte Gegengewicht erfolgt. In der Lagerglocke ist das Gegenlager von einer Art Halbkugel umgeben, die in eine entsprechende Aussparung um den waffenscheinpflichtig spitzen Lagerdorn hineinragt. In diese Aussparung kann man gegebenenfalls Silikonöl einfüllen und so den Arm bedämpfen. Das aus der Lagerglocke austretende und im hohen Bogen zur Junction-Box verlaufende Kabel habe ich immer mit einem gewissen Misstrauen betrachtet; tatsächlich ist diese Idee aber ziemlich genial, da die Innenverkabelung immer einen gewissen Einfluss auf die Beweglichkeit des Tonarms im Allgemeinen und bei Einpunktern im Besonderen hat. Hier wird die Not zur Tugend erhoben und das durch den bogenförmigen Verlauf des Kabels entstehende Rückstellmoment als Antiskatingkraft verwendet. Aber offenbar haben genügend Kunden einen fehlenden Antiskatingmechanismus beanstandet, denn es steht ein etwas rustikal wirkender Hebel zur Verfügung, dessen Gelenk mit der Junction-Box verschraubt ist. Auf der vom Tonarm abgewandten Seite des kleinen Hebels befinden sich fünf O-Ringe aus Gummi, deren Gewicht die Antiskating-Kraft erzeugt. Auf der anderen Seite sind vier unterschiedlich hohe Kerben, in denen je nach gewünschter Wirkung des Antiskating ein dünner Nylonfaden mit dem Tonarm-Endstück verbunden wird. Und damit der Faden stets lotrecht zum Tonarmrohr anliegt, ist die gesamte Einheit in der Höhe verstellbar.
Der Mechanismus wirkt etwas antiquiert, ist aber durchaus wirksam. Mein DV-20X2-L zum Beispiel ist nicht gerade ein Abtastwunder; auch in meinen anderen Tonarmen komme ich kaum über einen Abtastwert von 50 ?m hinaus. Im VPI JMW 9T Signature schafft das System bei maximaler Auflagekraft und ohne Antiskating zwar 40 ?m, das ist aber meines Erachtens zu wenig, um auch kritische Platten einwandfrei abzutasten. Unter Verwendung der Antiskating-Vorrichtung sind die bei meinem 20X-Exemplar maximalen 50 ?m aber kein Problem mehr.
Ruhe und Geduld
Für einen einpunktgelagerten Tonarm ist der JMW 9T Signature dank ausführlicher Anleitung und mitgeliefertem Werkzeug relativ einfach einzustellen. Ein bisschen Ruhe und Geduld muss man aber schon mitbringen. Vier Dinge sollen nicht unerwähnt bleiben: Erstens kann man ohne Probleme das mitgelieferte Aluminiumstäbchen als Werkzeug zur Einstellung der Lateralbalance verwenden. Es wird dazu in die quer verlaufende Nut in der Headshell gelegt. Die dadurch entstehende Erhöhung der Auflagekraft um 5 mN (0,5 g) steckt jeder Tonabnehmer gut weg. Zweitens sollte man nicht vergessen, die Antiskating-Einheit in der Höhe anzupassen, sonst kollidiert deren Faden bei zu tiefer Stellung mit dem linken Lateralbalancegewicht an der Lagerglocke, wenn sich der Tonarm der Auslaufrille nähert. Drittens scheint der vom Hersteller angegebene Wert für die effektive Masse (9,2 g) nicht zu stimmen. Jedenfalls liegt die Arm- System-Resonanz mir gut bekannter Tonabnehmer bei deutlich niedrigeren Werten, als es bei der angegebenen effektiven Masse zu erwarten wäre. Genau kann ich diese mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln zwar nicht bestimmen, aber ich schätze sie auf einen Bereich so um 14 bis 15 g – also an der Obergrenze von mittelschwer. Dies könnte übrigens erklären, warum der 9T auch gut mit Tonabnehmern funktioniert, denen man nachsagt, sie würden eher mit schwereren Tonarmen harmonieren – wie zum Beispiel einem Denon DL-103R oder dem Koetsu Black. Und schließlich sollte man den „Schwalbenschwanz“ der Justageschablone bei der Systemmontage entfernen. Keine Sorge, die VPI-Schablone und die Geometrie des JMW 9T Signature sind an und für sich schon in Ordnung, nur kann man sie mit montiertem „Schwalbenschwanz“ (der eigentlich dazu gedacht ist, den korrekten Einbauabstand des Tonarms auf einem Fremdlaufwerk zu bestimmen) nicht ganz in den richtigen Winkel zum Tonarm verdrehen.
HiFi-Rack oder Wandregal
Das eigentliche Laufwerk ist kinderleicht aufzubauen. Dass es auf vier Füßen steht und sich daher das waagerechte Ausrichten auf seiner Stellfläche etwas kniffliger als mit nur drei Füßen gestaltet, wird dadurch kompensiert, dass das Laufwerk hinterher keinerlei Neigung zum Kippeln hat. Da ist die einmalige Friemelei schnell vergessen. Ein diskutables Problem ist allerdings die Tatsache, dass der Scoutmaster sehr empfindlich auf seinen Untergrund reagiert. Das liegt meines Erachtens daran, dass die Zarge zwar ultrastabil ist, aber trotz der Sandwichkonstruktion nicht wirklich bedämpfend wirkt. Andererseits erweisen sich die kegelförmigen Spikes als wenig hilfreich, sie tun nämlich genau das Gegenteil von dem, was ihnen nachgesagt wird: Anstatt Resonanzen abzuleiten leiten sie Vibrationen in die Zarge. Zur Ehrenrettung des VPIs sei aber angemerkt, dass selbst höchstwertige ungefederte Laufwerke mit diesem Problem mehr oder minder zu kämpfen haben und dass auch Subchassislaufwerke keineswegs so unempfindlich auf ihren Untergrund reagieren, wie oft kolportiert wird. Deshalb müssen in aller Regel Besitzer von Plattenspielern, die auf höchstem Niveau Schallplatten abspielen sollen – und von nichts anderem reden wir im Falle des VPI Scoutmaster II – ein gewisses Maß an Eigeninitiative aufbringen, um dem Laufwerk die bestmöglichen Arbeitsbedingungen zu schaffen. Für den Scoutmaster II empfiehlt sich daher ein stabiles Wandregal, am besten kombiniert mit einer schweren Schieferplatte, deren Verwendung beispielsweise mit Sorbothandämpfern übrigens auch als oberste Etage stabiler HiFi-Racks zu empfehlen ist. Dünne Holzbrettchen in spikebewährten Racks sind ebenso zu vermeiden wie leichte Beistelltischchen. Der Klangeindruck ändert sich je nach Aufstellungsort deutlich. Wenn der VPI Scoutmaster II mit einem Tonabnehmer, dessen Klangeigenschaften man gut kennt, zu luftig, zu transparent und mit zu wenig Druck im Bass spielt, ist auch das ein Indiz für eine nicht optimale Standfläche. Ähnlich verhält es sich, wenn er entschieden zu viel Volumen im Bass produziert, zweidimensional und flach klingt. Die optional erhältlichen „Mini HRX Feet“ (450 Euro) können sich als hilfreich erweisen, doch hängt das nicht nur vom Aufstellungsort, sondern auch vom eigenen Hörempfinden ab. Also hilft letzten Endes nur der Versuch.
Rock oder Pop, Jazz oder Klassik?
Wenn alles stimmt, dann hört man umgehend, warum der VPI Scoutmaster II unter Szenekennern als geradezu unverschämt preisgünstig gilt. Denn er braucht wirklich keinen Vergleich zu scheuen, weder in seiner eigenen Preisklasse noch weit darüber hinaus. Das liegt sicherlich auch an der direkten Gangart, die er an den Tag legt. Wiederholt schoss mir das Wort „Mastertape“ beim Hören unterschiedlichster Musikgenres durch den Kopf. Ganz egal, ob man lieber Miles Davis oder Sinfonien von Anton Bruckner hört (der Scoutmaster selbst bevorzugt von sich aus keine Musikrichtung): Stets sitzt man mit dem „kleinen“ VPI in der ersten Reihe. Damit soll aber keineswegs angedeutet werden, dass die Raumdarstellung eher in die Breite als in die Tiefe reichen würde. Im Gegenteil! Es ist absolut erstaunlich, wie großzügig und gleichzeitig stabil die Abbildung gelingt. Bisher hatte ich nämlich besonders einpunktgelagerte Tonarme im Verdacht, die Räumlichkeit zwar durchaus groß darzustellen, dann aber bei der Stabilität einzelner Schallereignisse klein beizugeben. Wenn gleichzeitig große Trommeln oder tief abgestimmte Kesselpauken wiederzugeben sind, können die übrigen Instrumente eines Orchesters also schon mal „über den Raum verschmiert werden“. Dergleichen ist beim JMW 9T Signature jedoch nicht festzustellen. Überhaupt begeistert mich dieser Tonarm! Das ist definitiv kein Einsteigertonarm, den man als Erstausstattung seines Laufwerks eben mal mitkauft, um ihn später gegen ein teureres Exemplar auszutauschen. Auch wenn es innerhalb der Hierarchie von VPI nur der kleinste Tonarm ist (was rein geometrisch übrigens Fakt ist), so ist er meines Erachtens nach ganz eindeutig zu den Großen seiner Art zu zählen. Für ihn gilt das Gleiche wie für das Laufwerk: Wenn man wirklich Wert auf noch bessere Wiedergabe legt, dann wird es sehr, sehr teuer. Deshalb lautet meine Empfehlung: Lieber die Kirche im Dorf lassen und stattdessen dem VPI Scoutmaster II eine sorgfältig ausgewählte Stellfläche gönnen. Dann kann er sein enormes musikalisches Potenzial voll entfalten.
PS:
Die Antwort auf meine eingangs gestellte Frage weiß ich leider auch nicht. Harry Weisfeld, der Inhaber von VPI Industries, liebt offenbar seine Geheimnisse …
Es gibt Momente im Leben, da zweifelt man an sich selbst.
Das mich die genaue Geometrie dieses Tonarms interessierte 1 und ich wissen wollte, wo der äußere Nulldurchgang liegt, habe ich den inneren Nulldurchgang von der VPI-Schablone auf die Schablone von MusiConnection übertragen 3, 5. Es zeigte sich, dass die beiden inneren Nulldurchgänge nicht übereinstimmten. Des Rätsels Lösung liegt in einer Besonderheit der VPI-Schablone. Man kann mit ihr nämlich auch den korrekten Einbauabstand des Tonarms JWM 9T auf einem Fremdlaufwerk bestimmen. Dies geschieht durch einen angeschraubten „Schwalbenschwanz“, der die Position des Tonarms relativ zum Plattendorn festlegt. Er verhindert aber, dass man die Schablone für die Systemmontage um den Plattendorn herum frei drehen kann. Und wenn jetzt die Nullpunktmarkierung nicht im richtigen Winkel bezüglich der Strecke Tellermitte-Tonarmdrehpunkt liegt, dann stimmt die ganze Geometrie nicht mehr 2. Keine große Sache: Einfach den „Schwalbenschwanz“ abschrauben, dann passt alles. Für die, die es genau wissen wollen: Es sieht so aus, als hätte Harry Weisfeld sich an Löfgrens auf IEC-Radien bezogenem Vorschlag B orientiert, diesen aber nicht ganz exakt übernommen. Das ist aber nicht schlimm, denn die Geometrie des VPI-Tonarms geht absolut in Ordnung.
Kleiner Tipp:
Obwohl das Tonarmrohr abnehmbar ist, fällt mir die Justage direkt am Laufwerk leichter. So besteht auch keine Gefahr, dass das Tonarmkabel beschädigt wird 4.
PS:
Ein überaus nützliches Werkzeug ist leider nicht im Lieferumfang enthalten: Der Justageblock von Millennium Audio. Mit ihm ist auch die immer etwas heikle Einstellung der Lateralbalance kein Abenteuer mehr. 6
www.h-e-a-r.de