Voxativ 9.87 – Der Gegenentwurf
Sind wir mit unseren riesigen, schweren, watthungrigen Lautsprechern auf dem richtigen Weg? Diese Frage ist nicht neu und kommt immer mal wieder auf. Die Voxativ 9.87 stellt sie allerdings mit bisher nicht gekanntem Nachdruck.
In aller Kürze
Die Voxativ 9.87 spielt nicht aus dem Stand. Aufstellung, Verstärker, Kabel, Quelle müssen stimmen. Dann aber kann sie Dinge vollbringen, die man bei anderen Lautsprechern weder für Geld noch für gute Worte bekommt.
Als aktiver Musiker in klassischen Orchestern habe ich beim Musikhören ein Problem. Wenn ich von der Bühne ins Wohnzimmer wechsele, fällt praktisch jede Anlage hinter meinen Erlebnissen zurück. Das hat mehrere Ursachen, die in den heimischen vier Wänden nicht alle bedienbar sind. Zum einen ist da der Raum. Tiefe Frequenzen brauchen Auslauf. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass eine Welle bei 20 Hertz rund 22 Meter benötigt, um einmal vollständig durchzuschwingen, bekommt man ein Gefühl dafür, wie wahrscheinlich es ist, dass man im Wohnzimmer von egal welchem Lautsprecher eben diese Frequenz mit der gleichen Natürlichkeit wie in einem Konzertsaal serviert bekommt. Punkt zwei ist der Pegel. Ein gut trainierter Blechbläser kann auf eine Schallleistung von über 110 Dezibel kommen, was nicht wesentlich leiser ist als ein Presslufthammer. Wenn bei Schostakowitschs Achter Sinfonie gleich zehn Bläser nebst Schlagzeug zu Werke gehen, kann man sich vorstellen, was für ein Klanggewitter das bedeutet. Sie sehen: Auch Schalldruck braucht Platz, um irgendwie erträglich zu werden.
Die Lautstärke ist ein Punkt, den ich bei der Musikwiedergabe gut verschmerzen kann. Problematischer ist für mich der Einschwingvorgang von Instrumenten, der eigentlich fast nie so abgebildet wird, wie ich ihn aus freier Wildbahn kenne. Diese Unmittelbarkeit, diese Schwerelosigkeit im Ansatz wird in der Regel nicht erreicht. Ein ganz einfaches Beispiel illustriert, was ich meine: Wenn man einmal aus der Nähe einen simplen Ton einer Triangel hört und das mit dem vergleicht, was aus den eigenen Lautsprechern kommt, begreift man sofort, was auf der Strecke bleibt. Schwerwiegender wird das, wenn man dieses Experiment mit Instrumenten reicherer Frequenzbandbreiten veranstaltet.
Ein paar Lautsprecher habe ich schon erlebt, die schnell einschwingen und Töne mit unglaublicher Natürlichkeit in den Raum stellen konnten. Sehr präsent ist noch meine Erinnerung an die Vorführung eines Breitbandlautsprechers, der in entsprechenden Kreisen hoch gelobt wurde. Zuerst lief eine sehr schöne Aufnahme mit Lautenmusik von Kapsberger, und ich schwöre, diese Musik vorher noch nie so natürlich über eine Anlage gehört zu haben. Das Blatt wendete sich jedoch, als kurz danach eine Mahlersinfonie lief, die Einschränkungen hinsichtlich Dynamik und Frequenzumfang offenbarte, die ich nicht hinnehmen wollte.
Nun kommt von der Berliner Firma Voxativ, die bei aller Liebe zu alten Konzepten mit mindestens einem Bein in der Zukunft steht, ein Lautsprecher, der auf den etwas kryptischen Namen „9.87“ hört und der verspricht, alles deutlich besser, vielleicht sogar alles gut zu machen. Die Bezeichnung kommt nicht von ungefähr, handelt es sich bei diesem Konstrukt doch um die etablierte Pi, die um einen aktiven Bass erweitert wurde. Also so eine Art „Pi Quadrat“. Und das ist gerundet 9,87.
Die Zutaten sind verheißungsvoll, lotet doch allein schon das Gehäuse aus, was man aktuell an Strömungs- und Schwingungslehre einbringen kann: „Acoustic Stealth Technology“ nennt man das in Berlin, was zum Ausdruck bringen soll, dass Chefin Ines Adler ein Gehäuse entworfen hat, das die Chassis in jeder Weise unterstützt, akustisch allerdings selbst nicht in Erscheinung tritt. Das von Grund auf neu entwickelte Chassis erreicht indes problemlos eben jene 20 Kilohertz, die in unserer Branche die magische Grenze darstellen.
Andererseits behauptet Voxativ auch nicht, die Physik neu erfunden zu haben. In den unteren Lagen hat der neue Treiber Grenzen, weshalb dem schönen Oberteil namens „Pi“ ein Subwoofer nach dem Dipol-Konzept von Axel Ridthaler unter die schicken Füße gestellt wurde. Der Kellergeist lässt sich nach allen Regeln der Kunst an die aufgesetzte Kompakte abstimmen: Man kann ihn parallel zu den Satelliten betreiben oder die Pi durchschleifen und in einem wählbaren Hertz-Bereich (50–150 Hz) abtrennen. Unabhängig davon kann man seine obere Grenzfrequenz stufenlos zwischen 50 und 150 Hertz regeln. Obendrein gibt es einen „Booster“, der einen zwischen 30 und 50 Hertz wählbaren Bereich bis zu 6 Dezibel anhebt. Wie gewohnt lassen sich hier kaum Regeln formulieren, da das Zusammenspiel von Satellit und Woofer nicht nur von der unteren Grenzfrequenz der Kompakten (etwa 180 Hz) abhängig ist, sondern auch vom Raum und der Hörposition. Zu unserer Überraschung – eigentlich ist es ja nach allen Regeln der Kunst – erzielten wir optimale Ergebnisse, wenn der Sub bis an seine Grenzen spielte (150 Hz) und entsprechend nur dezent eingepegelt wurde. Den Booster ließen wir im Bereich um 50 Hertz etwa zwei Dezibel Muskelmasse hinzuaddieren, was sich (wie so oft bei Subwoofern) mehr auf die Abbildungsgröße und die Tiefenstaffellung als auf die Kraft in den unteren Lagen auswirkte.
Übrigens hängen die Breitbänder direkt am Verstärker, irgendwie korrigierende Bauteile kommen nicht zum Einsatz. Den Klang kann man mittels eines Filzstückchens im Hornmund feinjustieren, was eine homöopathische, bisweilen aber entscheidende Veränderung der Höhenpräsenz bewirkt. Da der Treiber ungeregelt durchläuft, wirkt die (je nach Raum) bisweilen etwas ungezähmt. Bei einfacher Messung des Frequenzgangs zeigt sich, dass der Hochton ab 500 Hertz bis hinauf zu 10 Kilohertz um sanfte drei bis vier Dezibel ansteigt. Die wichtigste EQ-Abstimmung der 9.87 ist daher ihre Ausrichtung auf den Hörplatz. Nach zahlreichen Versuchen ließen wir ihre Breitbänder knapp am zentralen Sitzplatz „vorbeiblicken“, was einen Hauch von Samtigkeit in die Wiedergabe brachte, ohne die Höhen zu verschleiern. Drücken wir es mal so aus: Die große Voxativ bietet ein unglaubliches Klangpotenzial, man sollte sich in den ersten Tagen (und vielleicht auch Wochen) aber auf eine gewisse Abstimmungsphase einstellen. Hat man etwas Erfahrung im Umgang mit allen Parametern und dem Regelwerk gefunden, lässt sich spürbar mehr an Klangfülle und Feinheiten herauskitzeln.
Der eingesetzte Breitbänder ist übrigens ein anderes Modell als in der Pi, was (neben dem Woofer) den deutlichen Preisunterschied erklärt. Insgesamt stehen sechs verschiedene passende Treiber vom Basismodell bis hin zum sündteuren, fremderregten „Field Coil“-Chassis zur Verfügung, was dem ambitionierten Voxativ-Besitzer eine reiche Spielwiese beschert. Nach dem Kauf der Grundversion einer Pi gibt es also mehrere Möglichkeiten, die Lautsprecher „wachsen“ zu lassen. Über verschiedene Stufen und besagte Subwoofer kann man die Kompakte zu einer vollwertigen 9.87 (die mit dem AV-4NP schon über ein deutlich höherwertiges Chassis verfügt) ausbauen oder gar noch darüber hinausgehen. Schon wieder fließt mir die bemühte Vokabel von „Nachhaltigkeit“ in die Tastatur, was bei solchen Preisen erst einmal seltsam erscheinen mag. Dennoch ist es schön, wenn man nicht in einem Kreislauf aus Kaufen und Verkaufen hängen bleibt, sondern ein für gut befundenes System wachsen lassen kann.
Für alle, die es ganz genau wissen möchten, bietet Voxativ sogar eine Reihe passender Vollverstärker an, aus deren Reihen wir das Modell 211 bei uns begrüßen durften. Nicht nur aus Gründen eines Kettengedankens, sondern schlicht wegen der Notwendigkeit, einen Röhren-Vollverstärker mit Pre-Out zur Verfügung zu haben, um die Subwoofer angemessen ansteuern zu können. Insgesamt offenbar ein ganzheitliches wie eigenständiges Konzept.
Betrachten wir solche Lautsprecher also mehr aus der Erlebniswarte heraus. Als erste CD dreht sich Memories Of An Arabian Princess (winter&winter) im CD-Spieler, die wir zuvor bereits mit anderen Anlagen gehört haben. Während wir bei einer sehr guten Kombination vorher genau hören konnten, wie die verschiedenen Schichten im Studio kombiniert worden waren, ist genau diese Information über die Voxativ zwar auch irgendwie vorhanden, gleichzeitig aber komplett nebensächlich. Mehrere Ambience-Spuren und diverse Instrumental- und Gesangstracks verschmelzen zu einem akustischen Film, den man greifbar und plastisch vor sich zu sehen meint. Die Räume, in denen aufgenommen wurde, werden nicht nur vorstellbar, was ja schon eine Leistung wäre. Man taucht in die exotische Szenerie ein, weit entfernt von der schnöden Mitteilung technischer Fakten. Diese Fähigkeit, mit leichter Hand glaubwürdige Räume aufzuspannen, kann anderen Aufnahmen zum Verhängnis werden. Bei einer überproduzierten Jazz-CD, die wir im Regal finden, will sich der auf die Posaune gelegte Hall (eindeutig Lexicon) nicht zum weit trockener klingenden Rest der Band gesellen …
Der schon häufig erwähnte Parsifal der Wiener Staatsoper (Thielemann, DGG) sorgt seinerseits für große Augen und offene Münder. Die Präzision und Natürlichkeit, mit der die Wege der Sänger auf der Bühne nachgezeichnet werden, definiert eine ganz eigene Liga. Nicht zuletzt, weil die Schallereignisse nicht nur räumlich genau platziert sind, sondern über eine ganz besondere Griffigkeit oder Körperlichkeit verfügen. Man meint, sie berühren zu können, so stofflich wird immer wieder der Klang.
Da die Voxativ auch bei massiveren Einsätzen des Orchesters hier im Parsifal und auch bei einer schnell zu Rate gezogenen Salome (Sony) nicht wirklich einknickt, bietet sie wohl endlich das, was ich vor über 20 Jahren hoffte und nie fand: einen Breitbänder, der bruchlos über den ganzen Frequenzbereich spielt, aufgrund seines Wirkungsgrads am Gas hängt, wie es eben nur ein solches Konzept kann, der den Raum definiert, wie es auch nur ein Lautsprecher mit einem Chassis zuwege bringt, und der dann auch noch bei großen Besetzungen und Lautstärken im Spiel bleibt. Somit ist die 9.87 ein echter Gegenentwurf zu gängigen Lautsprechersystemen. Wohl in ihrer Kompromisslosigkeit für manche nicht das Richtige, für andere dafür die einzige Möglichkeit. Grandios.
Info
Lautsprecher Voxativ 9.87
Konzept: teilaktiver Standlautsprecher mit Breitbandtreiber und Ripol-Subwoofer. Das Basismodell Pi lässt sich in mehreren Stufen zur 9.87 aufrüsten
Frequenzgang: 20 Hz bis 20 kHz
Treiber: Voxativ AC-4NP (verschiedene Alternativen im Sortiment)
Wirkungsgrad (1 W/1 m): 110 dB
Ausführung: Klavierlack schwarz oder weiß
Maße (B/H/T): 40/120/40 cm
Gewicht: 67 kg
Garantiezeit: 5 Jahre
Paarpreis: um 50 000 €
Kontakt
Voxativ GmbH
Schmiedestraße 2
15745 Wildau
Telefon +49 179 2924224