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Ruhestörung Vervorgeführt

Vervorgeführt

Vervorgeführt

Kein Hobby ohne selbst ernannte Heilsbringer, die einem auch gleich das dazu passende Weltbild liefern. Das gilt leider auch für den HiFi-Bereich. Dabei ist der Gebrauch der eigenen Ohren eigentlich doch jedem vertraut.

Illustration: Ralf Wolff-Boenisch

Wie ich solche HiFi-Vorführungen hasse! Da gebe es neue Boxen, sagte man mir. Genau dein Ding, versprach man mir, die musst du einfach hören. Also habe ich meine müden Knochen zum Ort der Begierde geschleppt, wo ich nun seit einer gefühlten Stunde (zehn Minuten Echtzeit) im Vorführraum darauf warte, dass es endlich losgeht. Musik, zwo, drei, vier! Wenn doch wenigstens ein Eisverkäufer herumginge. Stattdessen erzählt uns ein Mensch da vorne von „neu gestalteten Bassreflexöffnungen“ (Löcher im Lautsprecher), durch die „der Performancelevel nochmals gesteigert werden konnte“. Nun ja, von Performance kann noch keine Rede sein, noch immer sind nur die bedeutungsschwangeren Worte des Einpeitschers zu vernehmen. Wieso lässt der die Lautsprecher nicht einfach für sich selbst sprechen? Alle Anwesenden haben doch ihre Ohren dabei, mit deren Umgang sie seit frühestem Babyalter vertraut sind. Stattdessen will er uns mit den neuen „Meisterwerken der Technik“ vertraut machen. Indem er darüber redet? Genau – aber nur kurz, wie er auf Nachfrage betont. Das ist ja wie fliegen wollen, indem man sich Fotos von Flugzeugen ansieht …

Kennen Sie die Sketche, in denen der Protagonist mit einem Musikinstrument die Bühne betritt und permanent den Eindruck erweckt, als würde er jetzt endlich mit seinem Musikvortrag beginnen, was er dann aber nie tut? – Genauso kommt mir das hier vor. Versteckte Kamera? Glaube ich nicht, der Zinnober ist außerhalb der HiFi-Szene ohne jedes Interesse. Apropos, meines lässt gerade rapide nach. Zu allem Überfluss wird jetzt auch noch die Tür geschlossen, „damit wir nicht gestört werden“. Vermutlich soll einfach verhindert werden, dass jemand davonläuft. Ich verspüre einen deutlichen Fluch(t)reflex. Nun aber noch ein paar Hinweise, wann, wie und wo welcher klangliche Mikrokosmos gleich in „überragend natürlicher Darstellung“ zu erhören sein wird. Was wird das hier, eine Gehirnwäsche? Überhaupt: Wofür habe ich meinen Kopf mitgebracht, wenn eine Prospekttasche eigentlich auch gereicht hätte?

Eine ähnliche Anmaßung habe ich zuletzt bei einem der in der Branche verbreiteten „Workshops“ (was wird da eigentlich erarbeitet?) erlebt. Aber nur nicht aufregen … Dann plötzlich: Musik – wie kann der mich so erschrecken? Kaum vier Minuten später ist der Spaß dann auch schon wieder vorbei und, oh Wunder, auf Nachfrage haben alle Anwesenden alles genau so gehört, wie zuvor beschrieben. Es lebe die Psychologie! Die paar Unbelehrbaren, bei denen das nicht der Fall ist, trauen sich gegenüber der Masse der Einsichtigen natürlich nicht zu opponieren. Ein Hoch auf den Herdentrieb! Was für ein Erfolg: einhundertprozentiger Konsens der Besucher, einhundertprozentige Selbstzufriedenheit des Vorturners. Leider ohne jeglichen Nutzen für das Publikum. Vertane Zeit, vertane Chance.

Mein persönliches Urteil? Ich bin mir nicht sicher. Ich höre sonst keine Klassik in einem überfüllten Raum ohne Sauerstoff, nachdem mich vorher jemand genervt hat.

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