Vein – Vote For Vein
Virtuose Satire
Im Jazz steckt viel Amerika. Aber zu Amerika gehört eben auch noch ganz anderes: NSA, Guantanamo, Tea Party, Homeland Security … und immer wieder: Politik als Show. Dass man in der basisdemokratischen, NATO-fernen Schweiz den US-amerikanischen Wahlkampftrubel besonders seltsam findet, verwundert nicht. Das virtuose Schweizer Klaviertrio Vein hat die Verpackung seiner neuen CD wie einen amerikanischen Wahlkampf-Flyer gestaltet. Die Farben Rot-Weiß-Blau dominieren. Die Stücktitel zitieren – satirisch verfremdet – amerikanische Wahlkampf-Slogans wie „Vote For Change“ oder „Yes We Can“. Das Erbe amerikanischer Standard-Songs geistert – ebenfalls verfremdet – durch die Musik: Immer wieder klingt da dieser Gershwin-Tonfall an. Aber Gershwin ist nicht nur ur-amerikanisch, er gibt auch ein gutes Rollenmodell ab: Seine Shows „Of Thee I Sing“ (1931) und „Pardon My English“ (1935) waren einst freche, satirische Kommentare zur Politik.
Das Album Vote For Vein startet – bei Vein schon fast die Regel – deftig, bizarr, temperamentvoll, mit frenetischem Humor. Das Stück „Appearance And Speech“ nimmt die hohle Prätention mächtig auf die Schippe. Es beginnt als schräg-dissonanter Marsch, wie von Strawinsky ersonnen, und mündet in eine hochvirtuose Ragtime-Parodie. Die politische „Ansprache“ hält der Bass, erst gestrichen, dann gezupft, Charleston und Hymne geistern dazwischen, das Trio improvisiert mit rhythmischen Widerhaken, eine Hochgeschwindigkeits-Coda setzt dem Ganzen die Krone auf. „Appearance And Speech“ ist eines der spannendsten, dichtesten, unterhaltsamsten Stücke der neueren Jazzliteratur. Man möchte es immer wieder hören.
Der Rest des Albums ist weniger überdreht, aber immer ultimativ originell. Da gibt es eigenwillige tonale und rhythmische Erkundungen zu entdecken, gewitzte Feature-Stücke für jedes Instrument, viele dynamische Brüche oder auch die still-exotische Klangbildskizze „Clear Light“ mit Daumenklavier und Flageolett-Tönen vom Bass. Ein Titel wie „No Change Is Strange“ spielt nicht nur auf politische Parolen an, sondern auch auf die Harmoniewechsel im Stück, in dem nicht zufällig Coltranes Komposition „Giant Steps“ nachhallt, berühmt für ihre Terzfortschreitungen. Zum Schluss legen die Arbenz-Brüder (Michael und Florian) und ihr Bassist Thomas Lähns noch einmal richtig los: Der Fetzer „No We Can’t – Vote For Us Anyway!“ ist der ideale Theme Song für das Ende eines lustvoll-humorigen, fast theatralischen Sets. Überraschungsreicher und unkonventioneller kann Klaviertrio-Jazz nicht sein. Vote for Vein!