Dieser Ofen ist einen halben Meter tief, wiegt satte 27 Kilo und verbraucht verdammt viel Strom, um ein Zimmer zu heizen. Aber wenn man Lautsprecher an ihn anschließt, wird das alles völlig nebensächlich.
Röhre oder Transistor? – Diese Frage hat wohl fast jeden Audiophilen auf der Suche nach einem neuen Verstärker schon einmal beschäftigt. Gewöhnlich entwickeln die meisten bereits nach wenigen Hörvergleichen eine klare Präferenz für eine der beiden Optionen, womit die Sache für sie dann ein für allemal entschieden ist. Es würde mich allerdings sehr interessieren, wie viele von den überzeugten Röhren-Freaks oder Transistor-Jüngern das aus ihrer Sicht jeweils klar unterlegene andere Konzept tatsächlich jemals unter optimalen Bedingungen gehört haben. Ich kann mir jedenfalls gut vorstellen, dass ihre vermeintliche Abneigung gegen ein verstärkendes Bauteil bei genauerem Hinsehen oftmals nur auf dessen Beschaltung, das Netzteil des Verstärkers oder das Zusammenspiel mit gewissen Lautsprechern zurückzuführen ist.
Gerade so, wie mir wiederholt Exemplare aus der transistorisierten Zunft untergekommen sind, bei deren Klang ich mir absolut sicher war, dass irgendwo im Gehäuse Glaskolben versteckt sein müssten, kann ich mich an Röhrenverstärker erinnern, die sich viel eher nach dem anhörten, was man Transistoren üblicherweise nachsagt. Mit Class-D-Schaltverstärkern kommt seit geraumer Zeit sogar noch eine dritte Variante ins Spiel, die für etliche Hörer das Beste aus den beiden altbekannten Welten darstellt, mit der ich selbst aber noch nicht genug Erfahrungen sammeln konnte.
Unter den von mir favorisierten (Voll-)Verstärkern der letzten etwa zwanzig Jahre finden sich jedenfalls sowohl röhren- als auch transistorbestückte Geräte, und sie alle – Naim Nait 2, EAR 859 SE, Lavardin IS Reference, Almarro A318B SE, Audia Flight Three – sind mir in positiver Erinnerung geblieben.
Wenn ich mir die chronologische Reihenfolge der Integrierten so anschaue, fällt mir erstmals auf, dass ich mir stets abwechselnd Röhren und Transistoren angeschafft habe. Wollte ich diesen Rhythmus fortsetzen, wäre nun wieder eine Röhre an der Reihe. Eilig habe ich es mit dem Austauschen meines Audia Flight freilich nicht, denn obwohl er in Teilbereichen von einigen der genannten Konkurrenten übertroffen wird, beherrscht er das Wesentliche fürs Geld ausnehmend gut: Er ist wunderbar ausgewogen, musikalisch und zudem überaus universell einsetzbar.
Besonders mit dem letzten Punkt tun sich Röhrenverstärker oft schwer. Da beeindruckende Stromlieferfähigkeit und unnachgiebige Kontrolle nicht gerade ihre Domäne sind, kommt bei ihnen der Wahl eines passenden Lautsprechers erhöhte Bedeutung zu. Prangt auf einem Kandidaten mit glühenden Gläsern wie dem Unison Research S6 Mk II obendrein stolz der Satz „Single ended class A stereo amplifier“, spalten sich die eingangs beschriebenen Gemüter noch stärker in zwei Lager. Während die Hardcore- Röhrenfraktion mit Eintaktern höchste Reinheit und Musikalität assoziiert, halten Fans leistungsstarker Transistoren einen solchen Feingeist für eine „Lusche“, die sich ängstlich wegduckt, wenn sie mehr als betörende Stimmen an 100-dB-Hörnern abliefern soll.
Dass sie in diesem speziellen Fall danebenliegen könnten, dämmert den Skeptikern möglicherweise, wenn ihr Blick von der zentralen Haube des S6 Mk II mit besagter Aufschrift seitwärts schweift: Oha, der steigt ja mit einem durchtrainierten Sixpack in den Ring! Drei parallel geschaltete EL34-Pentoden pro Kanal verschaffen diesem 27-Kilo-Wonneproppen, in dessen Eingangs- und Treiberstufe Doppeltrioden vom Typ ECC82 werkeln, die für seinesgleichen ungewöhnlich hohe Leistung von zweimal 35 Watt an sechs Ohm. Huch, sechs Ohm? Der Italiener macht etwas, das man „konsequenten Kompromiss“ nennen könnte: Anstelle der von anderen Röhrenverstärkern bekannten separaten Übertrager-Abgriffe für Vierund Acht-Ohm-Lautsprecher findet sich bei ihm nur ein einzelnes Paar Anschlussbuchsen. Einerseits ist seine Ultralinear-Schaltung also auf einen einzigen Wert hin optimiert, andererseits liegt dieser genau zwischen den vier und acht Ohm, mit denen die allermeisten Boxen spezifiziert sind.
Es dürfte nunmehr klar geworden sein, was der Unison sein will: Ein Röhren-Eintakter für die Massen, der auch etwas kritischere Lautsprecher gut im Griff hat. Ob er diesem Anspruch wohl gerecht wird? Das soll er mir an der Xavian XN 270 Evoluzione beweisen. Diese Kompaktbox kommt ihm von der Papierform her zwar mit ihrer nominellen Sechs-Ohm-Last durchaus entgegen, möchte als geschlossene 87-dB-Kiste aber tendenziell eher an der kurzen Leine eines kräftigeren Verstärkers wie des Audia Flight Three mit Stromgegenkopplung geführt werden.
Festhalten ist allerdings bereits nach wenigen Takten von „Witch Hunt“ angesagt, dem ersten Stück auf Zombys famosem Album Dedication: Der S6 Mk II klingt bemerkenswert schnell, direkt und sauber. Wer bei Eintaktern sanfte bis rundliche Gemütlichkeit erwartet, wird beim Hören des Unison kaum glauben können, dass er einer ist.
Legen Sie gesteigerten Wert auf anspringende Lebendigkeit und rhythmische Präzision, empfinden Ihren englischen Timing-Spezialisten jedoch gelegentlich als etwas kantig und blass? Vorausgesetzt, Sie brauchen keinen Schraubstock von Verstärker, um Ihre Box zu bändigen, wäre hier eine Alternative für Sie.
Es ist natürlich ein wenig fies von mir, dem Italiener gleich zu Beginn mit einer Platte auf den Zahn zu fühlen, deren teils brutal tief ausgedehnte, synthetische Bässe selbst stramme Kraftprotze überfordern können. Zugegeben, hier weicht er untenherum leicht auf, schlägt sich aber dennoch beachtlich substanziell durchs Getöse. Auf einer Härteskala, die von schlaff bis unerschütterlich reicht, würde ich seinen Tiefton eindeutig auf der richtigen Seite ansiedeln, zwar nicht ganz bei „knallhart“, aber sagen wir mal in etwa bei „fest“.
Ginge es freilich darum, die geschlossene Homogenität seiner Wiedergabe über den gesamten Frequenzbereich hinweg qualitativ einzustufen, stünde der 3800-Euro- Brummer in seinem Preissegment ziemlich konkurrenzlos da. Ein „akustisches Sieb“ müsste beinahe unendlich feine Öffnungen besitzen, um überhaupt irgendeine Körnigkeit in seiner unglaublich flüssigen Performance detektieren zu können.
Neuerdings höre ich gerne klassische Arien in modernisierter Form. Damit die eisernen Fans „echter“ Klassik aber nicht gleich entsetzt davonrennen, sehe ich lieber davon ab, näher auszuführen, wie sich das konkret anhört, und verrate zur Beruhigung nur, dass die Grundstruktur von Sologesang mit Orchesterbegleitung erhalten bleibt. Via Unison und Xavian ertönen die stimmungsvollen Stücke zutiefst emotional ergreifend und die Stimmen einfach wunderbar natürlich.
Seine Geschmeidigkeit erschummelt sich der Italiener ebensowenig mit vagen Konturen, wie er sich seine Direktheit durch eine flächige Abbildung erkauft: Alles gleitet und strömt, wird aber trotzdem klar differenziert; alles involviert unmittelbar, entfaltet sich aber dennoch dreidimensional im Raum.
Geschmeidig finde ich übrigens auch das neue Outfit des S6 in der Mark-Two-Version. Der Designer des alten S6 möge mir verzeihen, aber auf mich machte die asymmetrische Holzapplikation auf seiner Front ein wenig den Eindruck von überflüssigem, wahllos aufs Gehäuse gepapptem Zierrat. Wie wunderbar ins Gesamtbild integriert wirken dagegen die Einfassungen der Bedienelemente aus Kirschholz auf der schwarzen Fassade seines Nachfolgers! Für Ihren Geschmack sollte ein echtes Unison-Research-Gerät trotzdem mehr nach Holz aussehen? Kein Problem: Front und Inlays sind auch in exakt umgekehrter Farbgebung erhältlich. Der beigepackte hölzerne Handschmeichler, mit dem sich die Lautstärke aus der Ferne regeln lässt, wird übrigens passend zur Ausführung des Verstärkers ebenfalls in Schwarz oder Kirsche geliefert. Nachdem insgesamt vier Inbus-Schrauben gelöst sind, gibt der S6 Mk II die beiden Metallkäfige über seinem Röhren-Ensemble frei und sieht prompt noch eine ganze Ecke besser aus – zumindest in meinen Augen.
Einzig die Beleuchtung der beiden Zeigerinstrumente zur Ruhestrom- Kontrolle der sechs Endröhren hätte ich mir abschalt- oder zumindest dimmbar gewünscht, da sie im abgedunkelten Raum beinahe das herrliche Glimmen in den Gläsern dahinter überstrahlt. Der Unison arbeitet mit einer Mischung aus automatischem und festem Ruhestrom – der „Fixed Bias“-Anteil jeder Pentode lässt sich bei Bedarf durch die kleinen Potentiometer neben der Anzeige nachregeln.
„Made in Italy“ ist auf der Rückseite dieses Prachtkerls zu lesen, der nur wenige Kilometer nördlich von Venedig gefertigt wird. Man könnte meinen, die Schönheit der Stadt mit dem Beinamen „Die Durchlauchtigste“ färbe auf seinen Klang ab, so edel wirkt die Vorstellung des Unison Research S6 Mk II bisweilen. Er besitzt allerdings die seltene Gabe, gleichzeitig äußerst temperamentvoll zu musizieren. Und obwohl er beispielsweise die grandiosen Soundtracks der Herr der Ringe- und Transformers-Spielfilme von Howard Shore respektive Steve Jablonski durchaus noch etwas rigoroser darreichen dürfte, behält er auch im dichten sinfonischen Gewühl stets die Übersicht. Ich finde es höchst erstaunlich, wie souverän dieser feurige und farbstarke Eintakter selbst dynamisch überaus anspruchsvolle Aufgaben wie diese meistert. Bitte mehr davon!