Und ewig singt das Universum
Irgendwo hinter der Milchstraße singt ein Schwarzes Loch. Genau genommen singen alle Schwarzen Löcher.
Sie lassen dafür Sterne, Planeten oder ganze Galaxien explodieren. Die so entstehenden Druckwellen sind Schallwellen, die nur niemand hört, weil sich Schallwellen im Vakuum des Universums nicht ausbreiten können. Dieses Schwarze Loch nun aber, das sich in der Nähe des Perseus-Spiralarms befindet, ist das erste Schwarze Loch in der Geschichte des Universums, dessen Stimme erhört wird. Jedenfalls von uns Menschen. Wissenschaftler der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA haben die Druckwellen berechnet und festgestellt, dass sie einen durchgängigen Ton bilden: ein b, allerdings 57 Oktaven unter dem mittleren c, insofern sehr schwer zu hören. Sie haben die Frequenz also hochgebeamt um 58 Oktaven, sodass der Ton nun gut für menschliche Ohren wahrzunehmen ist: ein dröhnendes, dezent psychedelisches, ja ziemlich gespenstisches Rauschen. Aber vermutlich sollte man nicht die üblichen Maßstäbe der Musik- und Kunstkritik anlegen bei jemandem, der in 250 Millionen Lichtjahren Entfernung seine Stimme erhebt – und diesen Ton bereits seit zwei Milliarden Jahren konstant hält. Erstmal besser machen, wie man so sagt.
Aber erzeugt ein Schwarzes Loch überhaupt Kunst, wo es doch eigentlich vom Charakter her sehr introvertiert ist und alles in sich reinfrisst, Licht inklusive? Was ist denn Kunst überhaupt? In der Namib-Wüste in Namibia zum Beispiel steht seit zwei Jahren eine Installation aus sechs Lautsprechern und einem von Solarstrom betriebenen MP3-Player. Aus den Boxen klingt „Africa“ von Toto, und zwar, wenn es nach dem Künstler Max Siedenkopf geht, „bis in die Unendlichkeit“. Wie es mit der Unendlichkeit so ist, der Gedanke daran ist recht abstrakt. So eine „ultimative Hommage“ an Totos Welthit bzw. die erstrebte Unendlichkeit kann recht schnell vorbei sein, wenn zum Beispiel ein Kamel den MP3-Player umrempelt oder ein Wüstennomade über die Installation stolpert. Denn das hat die Vergangenheit uns gelehrt: Nicht jedem ist Toto heilig. So verhunzte der US-kubanische Rapper Pitbull „Africa“ vor ein paar Jahren für den Soundtrack des Films Aquaman in so besonders fantasieloser Art, dass man ihn am liebsten mitsamt seinem Mikrofon in ein Schwarzes Loch geworfen hätte.
Vielleicht wäre die beste Variante, „Africa“ im Sinne des spanischen Künstlers Salvatore Garau ein Denkmal zu setzen. Der hat sich nämlich auf unsichtbare Skulpturen spezialisiert. Vor kurzem verkaufte er eines seiner Kunstwerke für 15 000 Euro, versehen mit dem Hinweis, es „aufzustellen in einem Privathaus, in einem Raum frei von Hindernissen auf 150 x 150 cm“. In Teilen der Kunstwelt ist er nun als Scharlatan verschrien, der sich auf billige Weise bereichere. Ist denn aber Kunst nur das, was man sieht? Zu sehen glaubt? Zu hören vermeint? Wäre „Africa“ noch „Africa“, wenn man es lautlos abspielte? Muss man überhaupt alles hören? Einen in die Jahre gekommenen Hit aus den Tiefen der achtziger Jahre, mit Autorepeat verdammt bis in alle Ewigkeit? Einen b-Ton aus den Tiefen des Universums? Zum Glück ist die Evolution weit fortgeschritten. Die Antwort lautet nicht, wie im Weltraum-Kunstwerk Per Anhalter durch die Galaxis: 42. Sondern: Mute.
PS: Unnützes Wissen, Teil 27: Die US-amerikanische Weltraumbehörde NASA hat ein Projekt namens „Sonify the Universe“ ins Leben gerufen. Dabei werden nicht nur in Schwarzen Löchern entstehende Druckwellen akustisch dargestellt, sondern auch die Geräuschkulissen in Galaxiewirbeln wie dem Perseus-Cluster oder in Gasgemischen wie im Carinanebel der Milchstraße in orchestrale Sinfonien übersetzt. Wer mal reinhören mag, kann das hier tun.