TW Acustic Raven 9.5
Die Tonarmfamilie von TW Acustic hat Nachwuchs. Kann der TW Raven 9.5 an die erfolgreiche Karriere seiner größeren, oder besser: längeren Brüder anknüpfen?
In aller Kürze:
Der TW Acustic Raven 9.5 ist in der Lage, die besten Tonabnehmer zu führen und lässt sich überdies mit den meisten Tonabnehmern und Laufwerken kombinieren.
Entwickler Thomas Woschnick und Vertriebsleiter Jan Sieveking kam 2020 die Idee, die Tonarmreihe TW 10.5 und TW 12 um ein weiteres Modell zu ergänzen. Der neue Tonarm sollte mit möglichst vielen Laufwerken kompatibel sein. So fiel die Entscheidung, einen 9,5-Zöller mit „Rega-Geometrie“ zu entwickeln, erklärte mir Jan Sieveking. Also: Einfach das Tonarmrohr des 10.5ers um ein Zoll kürzen und fertig … wenn da nicht auch der Wunsch nach einem deutlich preiswerteren Modell gewesen wäre. Diese Anforderung mit Woschnicks Qualitätsanspruch (jeder, der ein Produkt von TW Acustic in den Händen gehabt hat, weiß, was ich meine) in Einklang zu bringen war die eigentliche Herausforderung bei der Entwicklung des Raven 9.5.
Bereits 2021 war Woschnick mit dem Ergebnis zufrieden, jedoch verzögerte sich die Markteinführung durch Zulieferengpässe bis 2022. Der fast fertiggestellte Prototyp, auf den ich während eines mehr oder weniger unfreiwilligen Besuchs in Woschnicks Werkstatt einen Blick werfen durfte, gefiel mir schon sehr gut. Umso erfreuter war ich, den 9.5 nun näher begutachten zu dürfen.
Seit einigen Jahren drehen meine Vinylscheiben auf dem „kleinsten“ TW-Laufwerk Raven GT2 ihre Runden. Immer wieder begeistert mich die Verarbeitung der konsequent durchdachten Konstruktion. Jegliche Tonabnehmermontagen, Veränderungen der Aufstellung etc. und die damit verbundenen Justagen lassen sich zügig und eindeutig bewerkstelligen. Klanglich hält sich der Dreher aus dem Geschehen. Die Einflüsse unterschiedlicher Tonabnehmer, Tellerauflagen, Tonarmkabel etc. werden deutlich aufgezeigt. Diese Eigenschaften und die Möglichkeit, zwei Tonarme gleichzeitig zu betreiben, boten die besten Voraussetzungen für den Test.
Der Raven 9.5 ist ein statisch ausbalancierter Tonarm mit Löfgren-B-Geometrie nach IEC-Norm, kardanischer Lagerung und einer magnetischen Antiskating-Vorrichtung. Optisch unterscheidet er sich, obwohl sofort als „Raven“ erkennbar, recht deutlich von seinen Geschwistern. Das schwarz eloxierte Aluminium-Tonarmrohr hat einen größeren Durchmesser von zwölf Millimetern. Zum einen wird dadurch die gewünschte effektive Masse von ca. zwölf Gramm erreicht, zum anderen erhöht sich die Steifigkeit des Arms, so der Hersteller. Die Headshell ist etwas länger, was den Einbau der Tonabnehmer erleichtert. Sie ist fest mit dem Armrohr verbunden. Auf die Möglichkeit, den Azimut durch Verdrehen der Headshell zu korrigieren, wurde verzichtet. Ich halte das nicht für einen Nachteil, sehe hier eher die Hersteller von Tonabnehmern in der Pflicht, Produkte mit einwandfreier Geometrie in den Handel zu bringen.
Die neue Gegengewichtskonstruktion zog meine Aufmerksamkeit unmittelbar auf sich. Das Hauptgewicht besteht aus einer Edelstahlscheibe, die durch eine asymmetrisch angeordnete Bohrung auf das Tonarmende aufgesteckt wird. Der dadurch nach unten verlagerte Schwerpunkt verbessert die Laufruhe, besonders bei welliger Plattenoberfläche. Der hintere Teil des Arms ist aus anti-magnetischem Rundstahl gefertigt. Die Beeinflussung der Antiskating-Vorrichtung wird so ausgeschlossen. Durch Verschieben des Gewichts wird die Auflagekraft eingestellt, eingearbeitete Markierungen dienen als Orientierungshilfe. Mit einer Madenschraube, die in eine entsprechende Rille greift, wird das Gewicht festgesetzt. Das kleinere Zusatzgewicht, das über ein Gewinde axial mit dem hinteren Ende des Tonarms verbunden ist, dient zur Feineinstellung.
Die kardanische Lagerung erfolgt über hochpräzise selektierte Kugellager; der Arm wird auf diese Weise rigide geführt. Geschützt wird die Lagerkonstruktion durch ein elegant gestaltetes Alugehäuse, dessen Oberseite ein weißer „TW-Rabe“ ziert. Bei genauer Betrachtung erkennt man im Raben eine Vertiefung, die das Lagerzentrum markiert und bei der Montage auf „Fremdlaufwerken“ hilfreich ist. Direkt unterhalb des Lagers befindet sich ein geschwungener Alu-Ausleger, der den Lift, die Tonarmablage und den Antiskating-Mechanismus trägt. Die Tonarmverkabelung besteht aus Cardas-Kupferlitzen, die 5-Pol-SME-Anschlussbuchse befindet sich im Schaftende.
Nachdem ich die Bestandteile des Tonarms aus der Verpackung entnommen und mich mit ihrer Funktion vertraut gemacht hatte, konnte die Montage beginnen. Eine Tätigkeit, die mir, vor allem wenn es sich um hochwertige, makellos verarbeitete Bauteile handelt, durchaus Vergnügen bereitet. Zunächst verschraubte ich das Edelstahl-Inlet mit der Tonarmbasis meines GT2. Durch Verdrehen der Basis lässt sich jeder Montageabstand einstellen, die Zapfen/Bohrung-Konstruktion, die für viele gängige Tonarmgeometrien den passenden Abstand vorgibt, macht es zum Kinderspiel. Bei der Verwendung auf anderen Laufwerken hilft ein mitgeliefertes Kunststoffteil, das auf die Tellerachse aufgesetzt wird. Eine in der Headshell befindliche Bohrung wird darauf gesteckt und gibt so präzise den Montageabstand vor. Nach der Tonarmmontage folgt üblicherweise die oft recht aufwendige Justierung des Tonabnehmers mithilfe von Schablonen. Das muss auch einfacher zu handhaben sein, dachte Woschnick, und überlegte sich etwas …
Hier tritt die Zweittätigkeit der Schaumverpackung als Montagehilfe in Aktion: Den Tonarm legte ich rücklings in die Aussparungen des Schaumstoffblocks, sodass er stabil gehalten wurde und die Headshell frei auskragte. Durch den so sicher gehaltenen Tonarm gestalteten sich die folgenden Arbeitsschritte bequem und weitgehend gefahrlos für die empfindlichen Preziosen. Den Tonabnehmer verschraubte ich locker mit der Headshell und drückte diese in die zum Lieferumfang gehörende Justagevorrichtung, ein Winkelteil aus Delrin mit abklappbarer Acryl-Lehre. Klick und passt!
Nachdem ich den Tonabnehmer anhand der eingravierten Hilfslinien ausgerichtet hatte, entfernte ich die Justagevorrichtung und zog die Schräubchen vorsichtig fest. Die Installation des Tonarms gestaltete sich denkbar einfach. Über den 23 Millimeter durchmessenden Schaft konnte ich die Höhe des Arms und somit die horizontale Ausrichtung in Bezug zum Plattenteller einstellen. Mit der im Inlet der Basis befindlichen Inbusschraube setzte ich den Arm mit mäßiger Kraftanwendung fest. Gespannt prüfte ich mit meiner Schablone die Einstellung. Und Tusch: Tatsächlich passten Überhang und Kröpfung genau.
Mit dem zweiteiligen Gegengewicht ließ sich die Auflagekraft feinfühlig einstellen. Das große Gewicht verschob ich auf dem Tonarm, bis die geforderte Auflagekraft erreicht war, und fixierte es mit der Madenschraube. Über die Feineinstellung mit dem Zusatzgewicht ließen sich Anpassungen im 0,01-Gramm-Bereich mühelos vornehmen. Hierzu wird eine Tonarmwaage benötigt (gehört nicht zum Lieferumfang). Nach den ganzen Trockenübungen war ich neugierig auf das akustische Ergebnis. In diesem Zusammenhang von Klangqualität zu sprechen, widerstrebt mir, ist es doch die Aufgabe eines Tonarms, die Nadel möglichst unbeeinflusst durch die Rillen vibrieren zu lassen und eben nicht zu klingen. Genau das gelingt dem Raven TW 9.5 mit Bravour. Unbestechlich bringt er die Klangsignaturen der ihm anvertrauten Tonabnehmer zu Gehör.
Der erste Mitspieler war das Excalibur Platinum, dessen straffe und impulsfeste Wiedergabe der TW 9.5 auf den Punkt brachte. Das Cadenza Blue glänzte mit wuchtiger, aber definierter Basswiedergabe und der für Ortofon typischen Natürlichkeit.
Zum Abschluss wechselte das Clearaudio Concerto V2 von meinem 10.5 auf den 9.5. Das ermöglichte einen relativ direkten Vergleich. Auf beiden Armen wurden das Auflösungsvermögen und die dynamischen Reserven des Tonabnehmers bestens unterstützt. Der 9.5 spielte vielleicht etwas direkter, der 10.5 öffnete die Klangbühne etwas weiter. Die Unterschiede waren marginal und weniger eine Qualitäts- als Geschmackssache. Im Laufe der ausgedehnten Musikabende gefiel mir die Performance des Raven 9.5 immer besser. Er befähigte die Tonabnehmer zu einer nie ins Diffuse kippenden Räumlichkeit und über alle Register realistischen Tonalität. Die Wiedergabe heftiger Impulse und dynamischer Musikpassagen ließen mich zufrieden grinsen. Weather Reports Tale Spinnin’ mit vielschichtigen Keyboard-Klangstrukturen und treibendem Rhythmus von Bass und Schlagzeug wurde zum audiophilen Fest. Mithilfe des 9.5 gelang es dem Tonabnehmer auch bei derart komplexen Anforderungen, ein übersichtliches Klangbild darzustellen.
Nach diesem tadellosen Testparcours fragte ich Woschnick, wie der im Vergleich günstigere Verkaufspreis realisiert werden konnte. Der Qualitätsstandard der Materialien und Verarbeitung sei im Vergleich zu den größeren Tonarmen unverändert, allein die Erhöhung der Stückzahl und der Verzicht auf den aufwendigen VTA-Riser halfen bei der Preisgestaltung, so seine Antwort.
In einem abschließenden Telefonat deutete Sieveking an, dass sich weitere Tonarme und eine günstigere Version des GT-Laufwerks in der Entwicklungsphase befinden. Anhand meiner durchweg positiven Erfahrungen mit den TW-Acustic-Tonmaschinen bin ich neugierig, was der Raven-Magier an Neuem hervorzaubern wird.
Info
Tonarm TW Acustic Raven 9.5
Konzept: 9,5“-Aluminiumtonarm
Montageabstand: 222 mm
Effektive Masse: 12 g
Überhang: 17,25 mm
Kröpfungswinkel: 22 Grad
Material: Aluminium schwarz eloxiert, Headshell nicht abnehmbar
Besonderheiten: Antiskating-Vorrichtung magnetisch, stufenlos einstellbar; Gegengewicht 2-teilig, Edelstahl; Tonarmlift, hydraulisch gedämpft; Cardas-Innerverkabelung
Zubehör: Edelstahlbasis zum Einbau in TW-Acustic-Laufwerke (für andere Hersteller optional auf Anfrage), Tonabnehmer-Justagehilfe, 5-Pol-SME-Anschlussbuchse für Phonokabel, Montageset (Schrauben, Inbusschlüssel), optional VTA-Lifter (gegen Aufpreis)
Garantiezeit: 2 Jahre | Preis: um 2900 €
Kontakt
Sieveking Sound
Plantage 20
28215 Bremen
Telefon +49 421 6848930
E-Mail: kontakt@sieveking-sound.de
Mitspieler
Plattenspieler: TW Acustic Raven GT2
Tonarm: Raven 10.5
Tonabnehemer: Clearaudio Concerto V2, Excalibur Platinum, Ortofon Cadenza Blue
Verstärker: Lab 12 Melto2, Electrocompaniet EC 4.8, Electrocompaniet EC AW250R
Lautsprecher: Audio Physic Spark auf Solidsteel SS-5
Stromversorgung, Kabel: IsoTek Aquarius, AudioQuest Yukon, Zavfino Gold Rush, 2 x Kimber 8T BiWire, WBT
Zubehör: Audio Physic VCF V Magnetic plus, Lehmannaudio Stage 1, TW Turntable Mat, Sonic Voice, bFly-audio Octopus, Nessie Vinylmaster