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Toleranz ist gut – vor allem für Jitter

Hand aufs Herz: Haben Sie jemals Jitter gesehen?

Toleranz ist gut – vor allem für Jitter

Hand aufs Herz: Haben Sie jemals Jitter gesehen? Wie er um die Zimmerecke lugt, sich flink wie ein Wiesel einen Weg in Ihren D/A-Wandler bahnt, um dort die Digitalwiedergabe zu versemmeln? Nein? Dann befinden Sie sich in bester Gesellschaft.

Illustration: Ralf Wolff-Boenisch

Merkwürdig, nicht wahr? Dabei treiben nur wenige Phänomene die digital denkende Hälfte der HiFi-Community so um wie der kleine Jitter. Jeder hat Angst vor ihm. In Artikeln und Datenblättern wird er bisweilen allein verantwortlich gemacht für Klangunterschiede zwischen verschiedenen Streamern und DACs. Und wenn Hersteller X die neueste Generation seines Y vorstellt, zielen fast alle Optimierungen in der Digitalsektion auf seine Reduzierung. Das finden wir kollektiv gut, denn Jitter ist ein Fehler. Weniger von ihm muss besser sein. Und trotzdem weiß niemand so recht, wer Herr J. ist, wie er aussieht und woher er kommt.

Man nehme etwas Grundlage …

Jitter (engl. für „Zittern“) ist ein interessanter Fehler. Interessant deshalb, weil er uns vergegenwärtigt, wie analog integrierte Schaltungen funktionieren. Mathematiker wie Alan Turing erkannten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dass sich die Welt in Binärketten abbilden lässt. Physik, Geologie, Bilder, Musik, ja sogar der Wechsel Ihrer Gesichtsfarbe beim Luftanhalten – alles lässt sich in Nullen und Einsen ausdrücken, berechnen, in mathematischen Modellen vorhersagen und speichern. Artig hintereinander gereiht können Binärinformationen unvorstellbar hohe Zahlenwerte und schier endlose Zahlenketten repräsentieren. Da man zur Abbildung lediglich zwei Parameter benötigt, „ja und nein“, „an und aus“ oder eben „0 und 1“, lässt sich das erstaunlich einfach elektrifizieren: Man nehme einen steuerbaren Schalter, der die Stromzufuhr unterbricht (die binäre „0“) oder aktiviert (die binäre „1“). Heraus kommt eine Rechteckspannung, die sich wunderbar durch Kabel und Platinen leiten lässt.

Jitter
So soll es aussehen! Die Flanken des Rechtecks (rot) sind steil wie die Eiger Nordwand. Einem D/A-Wandler oder Streamer fällt es kinderleicht, Timing-genau am voreingestellten Schwellenwert (hellblau) zu schalten.

Da uns die Abläufe in Computern, Prozessoren und Wandlern unbegreiflich komplex erscheinen, ziehen wir in unseren Köpfen trotzdem eine Trennlinie zwischen Analog und Digital. Dabei fließt in einem Chip derselbe Strom, der auch Verstärkern Leben einhaucht – mit sehr viel geringerer Leistung, versteht sich. Freilich sieht sich der magische Saft aus der Steckdose auch im Rechner mit den vertrauten Problemen konfrontiert: Impedanzen, Widerstände, Übersprechen, Bauteiltoleranzen und der Rest der Rasselbande verzerren die Rechteckwelle (siehe Grafik). „Völlig egal“, mag da der eine oder andere einwenden. Selbst wenn sie etwas verformt wird, bleibe die Information erhalten. Das ist grundsätzlich nicht verkehrt: Wenn man „10011“ durchs Kabel scheucht, kommt am anderen Ende „10011“ heraus. Der D/A-Wandler kann sein Werk verrichten, wo bitte soll also der Unterschied entstehen?

… schüttele sie gut durch …

Allerdings ist diese Denkweise eindimensional. Denn neben dem „Was“ zählt auch das „Wann“. Ein Up- und Oversampling-fähiger D/A-Wandler muss immerhin hunderttausende Binärdaten verarbeiten. Jede Sekunde. Und das schon bei der Wiedergabe einer vergleichsweise niedrig aufgelösten Audio-CD. Das mag keine Herausforderung sein für Chips und Prozessoren der aktuellen Generation. Für absolut unverfälschten Klang muss aber jedes Bit korrekt im Timing bleiben. Und hier kommen uns die geschilderten Phänomene in die Quere.

Im theoretischen Ideal sind die Flanken eines Digitalsignals unendlich steil, eine sprichwörtliche Mauer. Der Übergang von einer „0“ zur „1“ erfolgt abrupt. In der Praxis klappt das leider nicht ganz. Da Verzerrungen die Flanken abflachen, wird der exakte Punkt, an dem ein Wert in den anderen übergeht, zur Interpretationssache. An sich ist das noch kein Problem, denn schließlich diktiert der Taktgeber den DAC- und DSP-Chips einer HiFi-Komponente, wann die Übergänge stattzufinden haben. Doch dummerweise übermittelt die Clock ihre Timing-Information ebenfalls mit ultrakurzen Rechtecken, sogenannten Nadelimpulsen – und auch die werden verzerrt. Aus dem exakt definierten Zeitpunkt, an dem der folgende Takt den vorherigen ablöst, wird ein vergleichsweise undefinierter Zeitraum, Fakten werden zu Möglichkeiten.

Und noch fieser: Da wir mehrere Protagonisten haben – Digitalsignal, Clock und Übertragungswege –, weichen die Verzerrungsgrade voneinander ab. Das sorgt dafür, dass der Zeitversatz nicht statisch ist, sondern leicht auf der Zeitachse taumelt. Daher stammt auch die Analogie zum Zittern. Umgebungsvariablen und Eigenheiten der Bauteile tun ihr Übriges dazu: Eine kalte Schaltung, die ihre Betriebstemperatur noch nicht erreicht hat, verhält sich beispielsweise anders als eine warme. Das Maß der Schwankungen kann sich deshalb über die Zeit verändern.

… et voilà: ein Jitter!

Jitter im ureigenen Sinn ist also nicht die Fehlerursache, wie gern angenommen wird, sondern ein Resultat physikalischer Unausweichlichkeiten. Angegeben wird der Grad der Timing-Abweichung in Nanosekunden (ns). Und das illustriert zugleich die theoretische Absurdität des Problems: Wie um alles in der Welt sollen Schwankungen, die so winzig sind, dass man dafür neun Nachkommastellen zu Rate zieht, den Klang eines Wandlers beeinflussen? Darüber wollen wir an dieser Stelle nicht streiten. Tatsache ist, dass man bereits kleinste Änderungen des Jitter-Verhaltens bemerkt. Am einfachsten kann man das an Komponenten studieren, die sich extern takten lassen.

Jitter
Und so sieht die Wirklichkeit aus: Verzerrungen flachen die Flanken ab. Der Schaltpunkt wird dadurch auf der Zeitachse verschoben – und das Digitalsignal gerät minimal, aber hörbar aus dem Takt.

Und damit sind wir auch schon bei der Frage, welches Kraut gegen Mr. J. gewachsen ist. Grundsätzlich ist Jitter ein ebenso hoffnungsloser Fall wie elektrische Verzerrungen – man kann ihn minimieren, wird ihn aber nie vollständig los. Die einfachste Methode liegt in höherwertigen Schaltkreisen und Bauteilen mit niedrigeren Toleranzen. Ehe Sie als unverbesserlicher Highender dabei an dicke Trafos und satte Leiterquerschnitte denken – effektiver wäre es, die verwendeten Ströme und die zu überbrückenden Distanzen zu reduzieren. Um eine integrierte Schaltung Timing-stabiler zu machen, sollte man sie noch weiter integrieren.

Mancher Hersteller wählt bewusst den anderen Weg und separiert die Baugruppen – DAC, DSP, Taktgeber etc. –voneinander. Die Logik dahinter: Mit je einer diskreten, maßgeschneiderten Stromversorgung und auf die jeweiligen Bedürfnisse angepassten Platinen-Layouts kann man nichts verkehrt machen. Und liegt damit oft genug richtig. Die erwähnte externe Clock ist nur das augenscheinlichste Beispiel dafür.

Weg Nummer drei ist vollständige Resignation: Binäre Datenpakete haben den wundervollen Vorzug, dass man sie zwischenlagern kann. Jitter-Killer wie Mutecs MC3+ oder Lake Peoples DAT RS 05 machen genau das. Sie nehmen S/PDIF-Datenströme entgegen und speichern sie kurzfristig ab. Anschließend werden die Signale nach dem Takt einer hochpräzisen Clock wieder in Fluss gebracht, ehe sie an den D/A-Wandler durchgereicht werden. Auch in verschiedenen DACs und Streamern wird dieser Kniff angewendet.

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