Thiele TT01 mit TA01 – Über die Quadratur des Kreises
Oder: Wie Thiele einem Drehtonarm mit raffinierter Feinmechanik tangentiale Tugenden beibringt
In aller Kürze
Der raffinierte Tonarm TA01 und das stylish-solide Laufwerk TT01 bieten die Basis für Musikwiedergabe auf höchstem Niveau. Die Bedienung des Thiele-Spielers ist trotz spannender Mechanik unkompliziert. Das ist High End, allürenlos und im Detail durchdacht.
Helmut Thiele zeigt mit seinen analogen Erstlingswerken TT01 und TA01, dass man ohne größere Umwege in die Top-Liga einsteigen kann. Andererseits ist der Begriff „Erstlingswerk“ bei einer Koryphäe wie ihm nur bedingt anwendbar. Um mir das Testobjekt zu überreichen, lud mich der studierte Designer in seine Firma nach Duisburg ein, wo mich auch Armin Kern vom Audiotrade-Vertrieb begrüßte. In den vergleichsweise nüchtern gestalteten Räumlichkeiten, bestehend aus einem kombinierten Büro- und Hörraum sowie einer Werkstatt für die Herstellung von Prototypen, taucht man als Besucher sofort in eine Atmosphäre kreativen Schaffens ein. Zahllose Ausstellungsstücke und Produktmuster in Regalen sowie auf gerahmten Fotografien zeugen nicht nur von der langjährigen Tätigkeit Thieles, sondern auch von enormer Vielseitigkeit. Neben Tonarmen und Plattenspielern entdecke ich Aktivlautsprecher, All-in-one-Anlagen und Hornsysteme unterschiedlichster Marken. Wie ich erfahre, entstand hier auch das Design des Röhrenverstärkers Magnat RV2, der mir jahrelang gute Dienste leistete.
Der erste funktionsfähige Prototyp des Tonarms entstand bereits 2009. Jedoch war die Performance im Tieftonbereich nicht zufriedenstellend, sodass Thiele das Projekt vorübergehend auf Eis legte. Erst die Erkenntnisse bei der Entwicklung von Thorens-Tonarmen brachten die zündende Idee: Bei Messungen zum Schwingungsverhalten fand der Designer heraus, dass Alurohre bei tiefen Frequenzen stark resonieren (deshalb auch der Dämpfungsring am Thorens TP 92). Um das zu unterbinden, erhöhte er beim nächsten Prototypen des TA01 die Masse und Steifigkeit des Tonarmlagers. Das Aluminiumrohr ersetzte er außerdem durch ein doppelwandiges Carbonrohr. Diese Maßnahmen brachten 2020 das gewünschte Ergebnis und den Tonarm schließlich zur Serienreife. Da der TA01 allein noch keine Musik macht, kombinierte ihn Thiele abschließend mit einem massiven Laufwerk, zu dem ich später noch mehr erzählen werde.
Doch ehe Helmut Thiele technische Fragen zulässt, wird der Designer erstmal zum Discjockey. Mit Erleichterung stelle ich fest, dass wir einen ähnlichen Musikgeschmack haben, sodass mir die üblichen Demo-LPs erspart bleiben. Den Anfang machen Weather Report mit Tales Spinnin’, deren furioser Jazzrock uns mit seiner unglaublichen Intensität begeistert. Aufgrund der realistischen Klangfarben und erfrischenden Dynamik gerät der Ritt durch diesen wüsten Jazzrock der Siebzigerjahre zum reinsten Vergnügen, was mir auch das genüssliche Grinsen der übrigen Anwesenden bestätigt. Nach weiteren brillanten Titeln dürfen wir an einer aufschlussreichen Demonstration teilhaben: Mithilfe eines an einen Schwingungsaufnehmer angeschlossenen Kopfhörers macht Thiele die vom Tonabnehmer erzeugten Töne an allen mechanisch mit dem Plattenspieler verbundenen Bauteilen hörbar. Die krassen Unterschiede zwischen einlagigen Drehern und solchen in Sandwichbauweise mit absorbierenden Füßen verdeutlichen uns, dass der Umgang mit Resonanzen schon bei der Entwicklung alles andere als eine Kleinigkeit ist. Und nur um das abtastende Kind beim Namen zu nennen: Zur Abrundung des Drehers steuert Armin Kern den im ATR-Portfolio befindlichen Ortofon-Tonabnehmer Anna Diamond sowie den superben Phonoentzerrer Model 42von Blue Amp bei, die uns auch beim späteren Test zur Verfügung stehen sollten.
Nachdem der Plattenspieler – ein extrem robustes Flightcase gehört zum Lieferumfang – im Kofferraum verstaut war, ging es heimwärts. Dort verlief die Installation des Plattenspielers trotz der komplexen Konstruktion problemlos. Man könnte sogar sagen, dass es die reinste Freude war, die perfekt gefertigten Bauteile wieder zum vollständigen Dreher zusammenzufügen. Der Korpus des Thiele TT01 besteht aus drei Schichten unterschiedlicher Holzwerkstoffe, die über dämpfende Verklebungen miteinander verbunden sind („Constrained Layer Damping“). Die obere Schicht bildet dunkel lasierter Bambus. Seitlich wird das Chassis mit schwarz glänzendem Acryl und einem matten Alustreifen verblendet, was den Schichtaufbau nach außen sichtbar macht. Très chic! Über drei von oben verstellbare massive Alufüße und -spikes lässt sich der Plattenspieler präzise ausrichten.
Bezugsebene ist hierbei der relativ leichte, aus Aluminium mit Acryleinlage bestehende Plattenteller. Der Antrieb erfolgt per Synchronmotor, der den Subteller mittels Flachriemen in Drehung versetzt. An der Rückseite befinden sich die Anschlussbuchsen für das externe Netzteil, die Drehzahlfeinregulierung, zwei XLR-Abgriffe sowie ein Masseterminal. Die Bedienung ist links vorne auf dem Chassis angeordnet, in komfortabler Distanz zum Tonabnehmer. Unwichtig? Nach dem ersten durch eine kleine Ungeschicklichkeit zerstörten Nadelträger nicht mehr. Als Tellerauflage dient die ebenfalls von Helmut Thiele entwickelte PM01. Die aus relativ steifem Schaumstoff bestehende Scheibe zeigte sich gegenüber meiner sonst favorisierten Ledermatte auf dem TT01 als überlegen.
Der Star des Ensembles ist jedoch zweifelsohne der Tonarm Thiele TA01. Zum einen wegen seiner einzigartigen Methode, den Spurfehlwinkel gegen null zu halten, zum anderen wegen seiner durchdachten und alltagstauglichen Bedienung bei Betrieb und Justage. Die einem Parallelogramm ähnliche Lagerkonstruktion aus Metall und Ebenholz führt den Tonarm mit rechtem Winkel zum Plattenradius. Auf diese Weise kommt der Abtastvorgang dem Herstellungsprozess einer LP mit ebenfalls tangential geführtem Schneidstichel nahe. Die Kompensation der Skatingkraft erübrigt sich bei so einem Tonarm natürlich. Dass diese komplexe Mechanik nur dann richtig funktioniert, wenn extrem geringe Fertigungstoleranzen eingehalten werden und die Lager äußerst präzise arbeiten, ist offensichtlich.
Der mittelschwere Tonarm besteht aus zwei ineinander liegenden, mittels Gelschicht verbundenen Carbonrohren. Die mit Ebenholz bedämpfte Aluminium-Headshell ermöglicht die Azimut-Justage, die Auflagekraft wird mit dem Gegengewicht über ein Feingewinde eingestellt. Für die Innenverkabelung verwendet Thiele Zavfino-Strippen (Solid Pure Silver 34 AWG). Basis der Tonarmkonstruktion ist ein schnittig geformtes Metallteil, das den Lift, den Stecker und die VTA-Justage beherbergt. Über zwei unterseitige Bohrungen, die die auf der Tonarmbasis befindlichen Zapfen aufnehmen, kann die Armkonstruktion problemlos montiert werden. Die Tonarmhöhe lässt sich sogar während des Betriebs feinfühlig verstellen. Kontakt der Tonarmbasis zum Chassis wird durch eine einzelne Lagerkugel, die auf einer Bohrung aufliegt, hergestellt. Vier Torx-Schrauben auf der Basisplatte des Tonarms ermöglichen mit Hilfe einer eingelassenen Libelle die Fixierung und Nivellierung. Thiele justiert die kleine Wasserwaage bei der Montage: Steht das Chassis gerade auf seinem Untergrund, muss man die Tonarmbasis mit den vier Schrauben einfach in die Waage bringen. Das dauert keine zwei Minuten und ist eine pure Freude – verglichen mit all den Konzepten, bei denen Montage und Ausrichtung des Arms eher einem Glücksspiel gleichen. All dies zeugt von der bis ins Detail durchdachten Konstruktion des TA01.
Nachdem der beeindruckende schwarze Dreher auf dem Rack Platz genommen hatte, verwarf ich meine anfängliche Idee, die morgens gehörten Jazzrock-Scheiben zum direkten Vergleich noch einmal aufzulegen. Mein Gemütszustand verlangte nach etwas Ruhigerem. So füllten bald Bachs Brandenburgische Konzerte (Münchener Bach-Orchester, Karl Richter) mit einer selten erlebten Selbstverständlichkeit den Raum. Das vom Testmodus abverlangte analytische Hören wich einem genussvollen Bad in barocker Musik. Die Klangfarben, die Räumlichkeit, die dynamischen Abstufungen stehen in einem Zusammenhang, der einfach vollkommen stimmig erscheint … Diese Gedanken kamen mir in den Wochen, die ich mit dem Testobjekt verbringen durfte, immer wieder in den Sinn. Über alle Musikgenres hinweg klingt das Thiele-Gespann einfach richtig. Die Atmosphäre auf dem Livealbum 4 Way Street von Crosby, Stills, Nash & Young wurde authentischer ins Wohnzimmer geholt, die Stimmen facettenreicher wiedergegeben, als ich es von vielen meiner bisherigen Plattenspieler gewohnt war. Ein besonders sympathischer Charakterzug des TT01/TA01 ist die Fähigkeit, gerade auch durchschnittlich aufgenommenen LPs den bestmöglichen Klang zu entlocken. Um diese Eigenschaft zu verifizieren, landete das Debütalbum der Einstürzenden Neubauten (Kollaps) auf dem Teller. Selbst diese brachiale Aufnahme profitiert von den Tugenden des Thiele. Man mag es kaum glauben, doch dröhnten die teils absurden metallischen Geräuscherzeuger („Instrumente“ wäre wohl die falsche Bezeichnung) der Berliner nun noch etwas realistischer und mit einer bislang ungekannten räumlichen Tiefe durch meinen Hörraum.
Durch Weather Reports Tales Spinnin’, die wir schon in Duisburg gehört hatten, wurde der Unterschied zu Helmut Thieles Setup deutlich. Dort erklang der Dreher über eine Vor-/Endstufen-Kombi nebst Acapella-Boxen. Bei mir bewirkte der etwas sanftere Charakter meiner Kette (Electrocompaniet/KEF) eine bislang selten erlebte Natürlichkeit hinsichtlich Tonalität und räumlicher Darstellung. Der TT01 verkneift sich jede tonale Einmischung und gibt dem Tonabnehmer die bestmögliche Grundlage, seiner Aufgabe nachzugehen. Und Letzteres gelingt dem Anna Diamond hervorragend. Als marginaler Kritikpunkt bliebe noch festzustellen, dass die Verarbeitungsqualität unseres Laufwerks nicht in jeder Hinsicht die exzellente Verarbeitungsqualität des Tonarms aufweist. Klanglich harmoniert es allerdings hervorragend mit dem Arm. Außerdem sollten wir erwähnen, dass es sich um eins von Thieles Entwicklungsmustern handelt, das vermutlich schon einiges gesehen und mitgemacht hat. Die Basis reagiert zudem recht sensibel auf Erschütterungen, sodass man eventuell mit dämpfenden Plattformen oder Spike-Untersetzern (Lehmann, Levar, Stillpoints …) experimentieren sollte. Zusätzliche RCA-Anschlüsse, obwohl tendenziell zweite Wahl, wären wünschenswert, um bei unsymmetrischen Eingängen nicht auf Adapter angewiesen zu sein. Der auch einzeln erhältliche Tonarm bietet diese Möglichkeit.
Für die Kombination TT01/TA01 wird ein gehobener Preis gefordert. Da der klangliche Auftritt jedoch vollkommen souverän und das Handling unkompliziert ist, könnte diese Kombination zum sprichwörtlichen „letzten Plattenspieler“ werden. Das gilt besonders, wenn eine effektfreie und natürliche Wiedergabe mit Sinn für Finesse gefordert ist. Die schlichte Eleganz, mit der sich der TT01 in ein modernes Wohnambiente einfügt, rundet das Ganze ab.
Info
Tonarm Thiele TA01
Konzept: Kombination aus Drehtonarm und Tangentialtonarm, doppelwandiges Tonarmrohr aus Kohlenstofffaser, mit Gel bedämpft, Headshell und Gegengewicht mit Ebenholz bedämpft
VTA: stufenlos verstellbar, auch während der Wiedergabe möglich, Arbeitshöhe des Tonarmlifts stufenlos einstellbar
Anschlussterminal: XLR-Buchsen
Maximaler Spurfehlwinkel: 0,036°
Kompatibel zu Tonabnehmern von 4 g bis 12 g, mit Zusatzgewicht bis 20 g
Innenverkabelung: Zavfino Solid Pure Silver 34 AWG
Sonstiges: Tonarm auch einzeln erhältlich, dann wahlweise mit RCA-/Cinchbuchsen und 5-poliger Tonarm-Normbuchse
Gewicht: 800 g
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: um 9500 € (ohne Tonabnehmer)
Laufwerk Thiele TT01
Chassis: dreilagige Konstruktion nach dem Constrained-Layer-Prinzip aus verschiedenen Hölzern, Montage der Komponenten Motor, Tonarm und Plattenteller auf jeweils eine eigene Ebene
Antrieb: Synchronmotor und Flachriemen auf Subteller, Synchronmotoren auf höchstmögliche mechanische Laufruhe selektiert
Tellerlager: gehärtete Stahlachse in Laufbuchse aus Bronze, axiale Lagerung mit Keramikkugel auf ringförmigem Delrinlager
Umdrehungszahl: elektronische Geschwindigkeitswahl zwischen 33 und 45 U/min, Umdrehung feinjustierbar
Drehzahlfeinregulierung: ±5 %
Gleichlauf (bewertet): < ±0,07 %
Stromaufnahme in Betrieb: 12 W
Zubehör: Record-Mat PM01 im Lieferumfang
Maße (B/H/T): 51/20/40 cm
Gewicht: 17 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: um 19 500 Euro (TT01 nur im Bundle mit TA01 erhältlich, Tonabnehmer nicht im Lieferumfang)
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