The Wilson Audio Family in Vienna – Closer to the real thing
Dunkel ist’s. Die mehrstündige Heimreise wird bis weit nach Mitternacht dauern, ist aber erst fünf Kilometer alt, als das Telefon klingelt. Kollege Ingo Schulz hält mir für „morgen früh“ einen Platz als Kopilot frei. Wir würden „mal kurz nach Wien rüberfahren“ – und, ja, er wäre sich ziemlich sicher, dass ich mitkommen wollte … Das Zauberwort für meine Blitzzusage heißt: Wilson Audio – für viele Audiophile das absolute Nonplusultra, wenn es um High-End-Lautsprecher geht.
2000 Light Years From Home
Unbestritten gehört Wilson Audio zu den renommiertesten Top-Marken überhaupt. Nur: Die Firma ist in den USA beheimatet, im Bundesstaat Utah, in der Stadt Provo. Was, bitt’schön, macht Wilson Audio in Wien, rund 9000 Kilometer von Provo entfernt?
Nun, es soll hier keineswegs um die Firma Wilson Audio gehen, sondern vielmehr um die Familie Wilson. Denn wir sind mit David & Sheryl Wilson, Tochter Debbie und Sohn Daryl verabredet. Ganz entspannt. Privat. Exklusiv. Vermutlich wird sich aber – wie bei allen „Berufenen“ – Privates und Berufliches nicht immer strikt trennen lassen. Daher sind wir schon gespannt, ob – oder besser: wann – wir auf eventuelle Verquickungen von Privatleben und Job stoßen werden.
Ingo Schulz und ich sehen der Verabredung aus völlig unterschiedlichen „Richtungen“ entgegen. IS ist seit Jahrzehnten bekennender Wilson-Audio-Fan, ein WAInsider, blickt auf intensive Erfahrungen mit etlichen Modellen zurück, hegt im privaten HiFi-Fuhrpark die eine oder andere Wilson Audio, und so soll es bleiben. Zudem kennt er die Historie des Unternehmens derart gut – er könnte damit bei Wetten, dass brillieren.
Ich bin HiFi-technisch „very british“ sozialisiert, konnte lange Zeit mit US-HiFi nur wenig anfangen, habe überhaupt erst vor ein paar Jahren das Klangpotenzial von Wilson Audio für mich entdeckt: bei IS zu Hause, wo mich eine WATT/Puppy tief beeindruckt hat. Und vor ein paar Wochen schließlich haben mich gleich zwei „Originale“ aus dem WA-Kosmos begeistert: zum einen das neue Modell Alexia, das bei den HiFi-Profis in Frankfurt seine Europa-Premiere feierte, zum anderen Peter McGrath, ein echtes Wilson-Audio-Urgestein. Er hat mich nicht nur als Repräsentant der Firma, sondern auch als begnadeter Recording Engineer mit eigenen Aufnahmen mitgerissen. Und wenn es jemand schafft, mich – mit zuvor unbekannter Musik auf einem zuvor unbekannten System – derart mitzureißen, dann will ich einfach wissen, wer dahinter steckt. Ich werde gerne Kopilot nach Wien sein.
Wach nach Wien
Es ist „morgen früh“ und der Winter hat wieder zugebissen. Die Straßen sind glatt, die Streudienste überfordert, und ein paar ordentliche Staus haben sich auch schon angekündigt. Trotzdem ist die Stimmung beim FIDELITY-Racingteam gut, die Vorfreude groß – und durchaus berechtigt. Was wir zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht wissen können. Wer ahnt denn schon, dass wir einen Blick hinter die Kulissen der Wiener Staatsoper werfen werden – und damit zugleich bis zum innersten Kern von Wilson Audio vorstoßen … Erstaunlich pünktlich erreichen wir Downtown Vienna. Die Wilsons residieren standesgemäß im ersten Haus am Platz. Tochter Debbie – blond und groß und überaus freundlich – kommt uns schon in der Lobby entgegen, nur einen Augenblick später begrüßen uns auch Sheryl & David Wilson sowie Bruder Daryl. Nach dem großen Hallo geht’s zum kleinen Plausch, ein bequemer Platz ist schnell gefunden. Und innerhalb weniger Minuten sind wir auch schon bei ein paar entscheidenden Fragen angelangt: Was genau macht Familie Wilson in Wien? Warum sind die Wilsons schon mittags so schick gekleidet? Und, quasi als Bonusfrage möglichst unverdächtig und ganz beiläufig gestellt: Wer hat eigentlich High-End-Audio erfunden?
Sightseeing for music lovers
David Wilson muss ein klein wenig ausholen, um zu erklären, warum das Wilson-Quartett in Wien weilt. Er selbst liebt Live-Musik, insbesondere Klassik, hat viel Musik aufgenommen und produziert. Als er vor langer Zeit erstmals Wien besuchte, haben ihn vor allem das riesige Angebot an klassischer Musik, all die besonders gut klingenden Häuser und Orchester vollkommen begeistert. Seitdem muss er einfach immer mal wieder Wien besuchen, allein schon „to fine tune the ears“. Denn – und damit ist schon die erste Verknüpfung zum Job hergestellt – wie sollte er seine Schallwandler in puncto Klangbalance und Präzision richtig abstimmen können, wenn er das Original nicht im Ohr hat. Wobei „das Original“ natürlich nicht ein einziger Platz in einem einzigen Konzertsaal sein kann, sondern möglichst viele (gute) Plätze in möglichst vielen (guten) Konzertsälen bedeutet, beispielsweise der Goldene Musikvereinssaal oder die Wiener Staatsoper. Wann immer möglich, begleitet ihn seine Frau Sheryl Lee, die gute Seele der Familie (und auch der Firma). Sheryl, ausgebildete Sängerin und Schauspielerin, ist sagenhafte 46 Jahre mit ihrem David verheiratet, teilt seine Leidenschaften, natürlich auch für die „best seats in the house“, auch da kennt sie sich bestens aus. Wie man an die Karten kommt? Nun, es hilft bisweilen, wenn man nicht unbedingt auf jeden Euro schauen muss. Und da Wilson Audio nicht nur einen Weltklasse-Namen hat, sondern auch erfreuliche Umsätze generiert, gönnen sich Sheryl & David alljährlich ein paar Tage „holidays in Vienna“. Sie sind bereits das siebte Jahr in Folge hier. Aber auch Daryl, der nach seinem Diplom 2006 „in die Firma hineingerutscht“ ist und längst virtuos in Vaters Fußstapfen wandelt, kennt sich mittlerweile gut in Österreichs Hauptstadt aus. Debbie wiederum, bei WA vor allem für „communication“ zuständig, feiert in diesem Jahr ihre Wien-Premiere. Die studierte Historikerin genießt sowohl die Stadt als auch den Urlaub sichtlich. Wobei „Urlaub“ im städtischen Umfeld natürlich nichts mit Nichtstun zu tun hat, und erst recht nicht in Wien: Die Musikszene hier ist unfassbar lebendig, sogar an ganz normalen Tagen buhlen mehrere attraktive Events um Publikum. Also mussten die vier Wilsons (David & Sheryl haben noch zwei weitere Kinder und ein rundes Dutzend Enkel) ihre tagtägliche Kultur-Tour (wirklich jeden Abend ein Konzert- oder Opernbesuch!) noch um regelmäßige Nachmittagsveranstaltungen erweitern. Wann immer möglich, stehen zusätzlich Generalproben, die oft tagsüber stattfinden, und musikalische Matinees auf dem Programm. Das ist im Übrigen auch der Grund für die moderate Gala-Garderobe zur Mittagszeit. Wer Hochkultur genießt (und, nebenbei bemerkt, auch verkörpert), darf auch angemessen gekleidet sein.
From basics to backstage
Apropos Kleidung: David Wilson hüllt seine Lautsprecher in die vermutlich aufwendigsten und resonanzärmsten Gehäuse der HiFi-Geschichte. IS möchte nun wissen, wie er eigentlich darauf gekommen ist – und ob der Start von Wilson Audio nicht auch den Beginn von High-End-Audio markiert.
Um es etwas abzukürzen: Die extrem aufwendigen Gehäuse ergeben sich aus dem völlig kompromisslosen Anspruch von David Wilson an seine Kreationen quasi von selbst. Nachdem ihm in jungen Jahren ein etwas lässig zusammengesetzter Verstärker-Bausatz abfackelte, entschloss er sich, alle zukünftigen Projekte methodisch und mit wissenschaftlichem Anspruch anzugehen. Außerdem wollte er von Anfang an „die richtigen Fragen stellen“ – und nicht, wie unter technikfixierten Lautsprecherentwicklern üblich, lediglich „die richtigen Antworten auf die falschen Fragen“ abliefern. Daher die unvergleichlichen Gehäuse, daher diese Kompromisslosigkeit in allem, daher auch die regelmäßigen Konzertbesuche in Wien zur „Feinabstimmung der Ohren“. Und damit noch einmal zurück zu seinen Lautsprechern: Die endgültige Feinabstimmung seiner technisch ohnehin tadellosen Lautsprecher erfolgt immer durch endlose Hörtests. Denn es sind die magischen Momente in der Musik, die er reproduzieren will, das, was ihn im Innersten berührt. Dass dabei die Preise seiner Lautsprecher seit jeher oberhalb des Üblichen liegen, sei eine logische Folge der extrem kostenintensiven Fertigung: „Ich habe noch nie einen Lautsprecher auf einen Preis hin konstruiert. Jedes Modell kostet, was es kosten muss.“ Wer will, darf in dieser Aussage – und dem zum Start von Wilson Audio Anfang der 1980er noch neuartigen, weil bis ins kleinste Detail absolut kompromisslosen Entwicklungsprozess – den Ursprung von High-End- Audio erkennen. Wer hat High-End-Audio erfunden? Wir meinen: David Wilson war’s.
Access all areas
Während wir noch gespannt den Ausführungen des Chefs lauschen, organisiert Daryl derweil ein kleines, für den weiteren Verlauf dieses Tages entscheidendes Treffen: mit Dr. Peter Poltun. Er ist Musikarchivar der Staatsoper Wien, besitzt also Zugang zu den heiligen Hallen, und ist zugleich „a hi-fi nerd from Chicago“, eine seltene Mischung aus Musik- und HiFi-Experte! Ein paar Minuten später betreten wir – Dr. Poltun als Autorität des Hauses vorneweg – die Wiener Staatsoper via Bühneneingang. Enge Gänge, Stufen, Winkel, Wandvorsprünge, es herrscht emsiges, konzentriertes Treiben: „Die Techniker bereiten schon Aida für heute abend vor, wir dürfen heute leider nicht mehr auf die Bühne.“ Aber wir dürfen gemütlich im ansonsten abgesperrten „Teeraum“ Platz nehmen und dort plauschen, wo dereinst der König zum Empfang bat, bevor es dann zur Vorstellung in die königliche Loge ging. Wir dürfen auch im Originalmanuskript von Giuseppe Verdis Aida blättern, das Dr. Poltun aus gegebenem Anlass mit sich trägt und das vor allem Sheryl Lee Wilson geradezu verzaubert. Die Wilsons werden heute abend auf erstklassigen Plätzen die Aufführung verfolgen.
Dann führt uns der knorrig-quirlige Chefarchivar zum hier ausgestellten Reiseklavier von Gustav Mahler (hinter Glas, was mich kurz und unpassenderweise an das Prinzip „Hard Rock Café“ erinnert). Die gleich neben dem Klavier platzierte Büste, angefertigt von einer Mahler-Tochter, erinnert an den berühmten Dirigenten und Komponisten. Gustav Mahler war zehn Jahre lang (ab 1897) Direktor des damaligen „k.k. Hof- Operntheater“ und hielt hier, in einem kleinen Nebensaal, gerne die Bewerbungsvorspiele für das Orchester ab. Dr. Poltun, der highendige Musikarchivar, scheint nicht nur alles zu wissen, was die Geschichte um und das Geschehen an der Staatsoper betrifft. Er fühlt sich auch den Wilsons seit ein paar Jahren freundschaftlich verbunden, hat aber – darauf legt er großen Wert – definitiv schon vor dem Kennenlernen WA-Schallwandler besessen. Auch weiß Dr. Poltun in diesem Zusammenhang so manche Story über Musikprominenz zu berichten. So soll etwa Thomas Hampton, der hünenhafte Starbariton, nach einer kleinen Privatvorführung von Dr. Poltuns High-End-Anlage kurzerhand dessen Wilson- Audios „unter die Arme“ genommen haben – mit dem lockeren Spruch, er möge sich doch einfach ein neues Paar bestellen, die Rechnung schicke man bitte an Mr. T. Hampton …
Musik im Herzen
Als Dr. Poltun noch ein paar dringende Dinge wegen der abendlichen Aida-Vorstellung zu erledigen hat, bleibt uns noch Zeit für ein paar Erinnerungsfotos. Ganz offensichtlich fühlen sich alle Beteiligten in diesem historisch aufgeladenen, akustisch äußerst vorteilhaften Haus sehr wohl. Absolut verständlich, dass David Wilson regelmäßig (auch) an diesem Ort sein Urteilsvermögen für musikalische Aufführung und Interpretation schärft, für die Klangentfaltung von Orchester und Sängern und deren Interaktion mit Raum und Publikum: „You are closer to the real thing!“ Keine Frage: Es wird der Perfektionierung seiner Produkte hörbar zugute kommen.
Wir verabschieden uns herzlich und bedanken uns für einen wunderbaren Tag. Noch während wir im Schnee zurückfahren, öffnet sich in der Wiener Staatsoper der Vorhang für Aida.