Tonarm Thorens TP 92 OEM – Unscheinbarer Klassenprimus
Thorens’ großer Name verpflichtet zu zeitgemäßem Analogequipment für Normalverdiener
Ein historischer Exkurs böte sich an, aber ich verzichte darauf. Die Marke Thorens weckt auch so Erwartungen. Dennoch möchte ich die Frage aufwerfen, warum TD 124, 125, 126, 150, 160 und meinetwegen auch 320 so überwältigende Erfolge wurden? An der schieren Materialqualität wird es nicht gelegen haben, obwohl die Dreher bei liebevoller Pflege auch heute noch ohne Weiteres konkurrenzfähig laufen können. Aber man fertigte auch damals schon quasi industriell, die Kosten immer im Blick, um dem Kunden ein sowohl technisch als auch preislich attraktives Produkt anbieten zu können. Man könnte die polemische Frage stellen, was genau eigentlich einen TD 160 vom Linn LP12 unterscheidet und ob ein EMT928 tatsächlich so viel besser als ein TD 125 ist, und zu dem Schluss kommen, dass Thorens sowohl die Entwicklung von HiFi-Plattenspielern als auch von Studio-Laufwerken entscheidend beeinflußt hat.
An dieser Innovationskraft hat sich auch nach der Wiederbelebung des Traditionsherstellers nichts geändert. Thorens-Plattenspieler sind keine in liebloser Massenauftragsfertigung produzierten Konsumartikel, sondern im Detail optimierte HiFi-Wiedergabegeräte zum fairen Preis. Natürlich gibt es auch bei Thorens eine State-of-the-Art-Linie, aber um die soll es jetzt nicht gehen. Thorens wurde zur analogen Legende nicht durch Exklusivität, sondern durch Volksnähe. Es geht hier nicht einmal um Plattenspieler, obwohl der TP 92 originär für den TD-309-Dreher entwickelt wurde und dessen fester Bestandteil ist. Im umfangreichen Portfolio markiert jener die Klasse für den ambitionierten Analog-Aufsteiger, wo sich auch die OEM-Version des TP 92 einordnen sollte. Chefdesigner Helmut Thiele ist Gesicht und Kopf hinter dem kardanischen Neunzöller, den es mit Erscheinen dieser Ausgabe auch in zwölf Zoll Länge geben wird.
In vielen neuen Thorens-Produkten finden sich pfiffige und kuriose Details wie Lautsprechermembrane als Subchassisfederung, Zentrierspinnen für die Motoraufhängung oder ungewöhnliche Zargenformen. Dagegen wirkt der TP 92 mit seinem geraden Armrohr aus kalt verdichtetem, achtfach geschichtetem Spezialaluminium geradezu schlicht. Aber nur für den oberflächlichen Betrachter – Analog-Theoretikern fällt sofort auf, dass man das Messing-Gegengewicht am Vertikallager und nicht am Tonarmrohr platzierte. Damit hängt es tiefer und sein Schwerpunkt ändert sich nicht durch VTA-Einstellungen außerhalb der Waagerechten, sondern bleibt (in etwa) auf Höhe der Plattenoberfläche und bildet mit dem Horizontallager eine Linie. Es wird über eine Gewindestange bewegt und weist keine Skalierung auf. Mir ist das so lieber, weil es schöner aussieht und sich über meinem Tonarm eine im darüberliegenden Rackwinkel verkeilte Federwaage befindet, die ich lediglich herunterklappen muss. Dann hängt sie am Band genau neben dem Plattenteller. Tja, gewusst wie! Aber Neueinsteiger müssen beim Kauf an eine Waage denken.
Obgleich es reduziert und puristisch wirkt, hält auch das Tonarmlager ein paar konstruktive Leckerbissen bereit. Es ist zweigeteilt, wobei japanische, sehr eng tolerierte Kugellager sowohl für die torrodiale als auch vertikale Bewegungsfreiheit zuständig sind. Antiskating wird wie bei den klassischen Thorens-Armen berührungs- und reibungsfrei über den Annäherungsgrad zweier Ferritmagnete forciert. Dazu dient eine kleine Stellschraube unten am Lagerblock, eine nummerierte Skalierung findet sich auch hier nicht, über eine weiße Markierung lässt sich lediglich ein relativer Wert ablesen. Die korrekte Einstellung erfordert also Hilfsmittel wie eine Testschallplatte. Der TP 92 liegt nicht nur mit lediglich gut 300 Gramm sehr leicht in der Hand, auch seine effektive Masse von elf Gramm weist ihn als Vertreter der mittelschweren Art auf. Damit ist er circa ein Drittel schwerer als die klassischen Thorens-Arme, was darauf hindeutet, dass er sich auch mit härter aufgehängten MC-Systemen ganz gut vertragen könnte.
Etwa in der Mitte des Armrohres befindet sich ein entkoppelter metallener Ring, von dem man zunächst vermuten würde, damit ließe sich die effektive Masse verändern. Dem ist aber nicht so, er dient ausschließlich der Bedämpfung des Alurohres, dessen mit einem Laservibrometer ermittelte Resonanzfrequenz die genaue Lage des Dämpfungsrings bestimmt. Die Kröpfung der Headshell orientiert sich an der Geometrie nach Löfgren A und ihre Führungsschiene bietet einen Spielraum von fünf Millimetern zur Überhang-Justage. Sollte das nicht reichen, hat man wiederum am Armlager die Möglichkeit, das Rohr um zusätzliche drei Millimeter nach hinten zu schieben. Bevor Sie das tun, überprüfen Sie jedoch bitte den Montageabstand, denn die große Mehrheit aller Systeme sollte sich bei korrekter Geometrie problemlos einpassen lassen. Die eigentliche Bestimmung dieser Inbusschraube liegt in der Azimutkorrektur durch Verdrehen des Armrohres. Sie merken schon, mit seinen Optionen, alle wichtigen Parameter individuell justieren zu können, weist der anfänglich so unscheinbar wirkende TP 92 immer mehr Merkmale echter High-End-Tonarme auf. Schlussendlich erlauben zwei Muttern am Armschaft (eine davon leider unterm Tonarmbrett bzw. der Zarge) eine sagen wir relativ komfortable VTA-Einstellung.
Wer genau hinschaut und dann heimlich seine Finger durchzählt, stellt fest, dass an der Spitze des TP 92 genauso viele Anschlussdrähtchen herausragen. Das fünfte, schwarze, das am Tonabnehmer keinen Platz findet, steckt man auf einen Pin an der Headshell. Ein ungewöhnliches Feature, das eventuell vagabundierende Potentialspannungen ausgleichen soll. Auch wenn es vielleicht nur in 0,1 Prozent aller Fälle wirksam werden muss, bedeutet das doch, dass auch der tausendste ein zufriedener Kunde ist. Gute Idee. Ich hatte sogar den Eindruck, dass der TP 92 mit dieser Masseverbindung etwas konturierter klang als ohne. Eine Beobachtung, die mir der Vertrieb später am Telefon bestätigte. Eine fundierte Erklärung dafür konnte er aber auch nicht liefern.
Auf dem freien hinteren Platz des Firebird wirkt die genial einfache Headshell des TP 92 wie eine spöttisch und angriffslustig hochgezogene Augenbraue, mit der er den nebenan montierten Referenzarm Mørch DP-8 von der Seite taxiert. Gewiss ein übermächtiger Gegner, aber der TP 92 wirkt nicht sehr eingeschüchtert. Untergehakt trägt er das Ortofon MC Quintet Bronze, das ich in den letzten Monaten lieb gewonnen habe, weil es so vortrefflich die Balance zwischen vollmundig und hochauflösend hält. Das zeigt es auch im TP 92 sogleich eindrücklich. Aus der Ferne kündigen die simulierten Marching-Drums die große Parade an („One More Parade“), langsam schleicht sich Phil Ochs’ Gitarre ein, bevor sie kraftvoll in ebenjene des Militäraufmarsches fährt. Das Album All The News That’s Fit To Sing von 1964 hat die Zeit nicht so unbeschadet überstanden, wie ich dachte, dennoch bleibt der Opener schon aufgrund seines dialektischen Textes einer der besten Antikriegs-Songs. Der Gesang wiegt zunächst im fröhlichen oder doch eher schon bedrohlichen Marschrhythmus mit, bevor in vergleichsweise nüchternem Duktus auch die Folgen zur Sprache kommen, die so ein prächtiger Uniformumzug nach sich zieht. Musikalisch einfach, aber in der Wiedergabe nicht ohne Stolperfallen. Nuancen der Stimmlage müssen deutlich werden, denn sie künden das Kippen des Songs an, die Melodie der akustischen Gitarre muss sich frei vom Marschrhythmus absetzen, damit sie darüber hinwegfegen kann. Das macht der TP 92 mit viel mehr Kraft, als man ihm haptisch zutraut, und tangiert gleichzeitig nicht die Auflösung und die eher helle Signatur des Ortofon Quintet. Ein Quervergleich mit dem im Grundton wärmeren 2M Black, dem nahezu gleichwertigen MM-System der Dänen, zeigt auch gleich die vorbildliche Neutralität des Thorens auf. Sehr beeindruckend, wie er die feinen tonalen Unterschiede der beiden Systeme aufzeigt. Das Quintet spritziger, das 2M Black verbindlicher, aber nicht ganz so auf Zack. Diese Unbestechlichkeit qualifiziert den TP 92 ohne Zweifel für höhere Aufgaben.
„Ich komme davon“, Industrial-Ambient aus dem Neubauten-Experimentalalbum The Jewels, läuft zunächst mit dem Lyra Kleos SL am Mørch. Die Referenz-Kombi macht ihren Status unmissverständlich deutlich. Das wird unerreichbar bleiben, aber man wächst ja mit seinen Aufgaben. Parallel habe ich ein AT50ANV im TP 92 justiert. Im direkten Vergleich zum Mørch fehlt nicht wahnsinnig viel: Die Struktur ist nicht ganz so dicht gewoben, Bässe tragen ein bisschen auf. Nichtsdestotrotz ist die Kompromisslosigkeit, mit der der TP 92 das deutlich teurere und überdies eher zu schweren Armen tendierende Audio-Technica führt, mehr als beachtlich.
Das elektronische Säuseln, das wie die Rückkopplung aus einer anderen Wirklichkeit über dem Song liegt, wirkt plastisch und exakt moduliert, während die brachialen, federnden Maschinen-Beats wie ausgestanzt im Raum stehen. Diese Stabilität lässt durchaus Rückschlüsse auf die hervorragende Lagerkonstruktion zu, da auch geringstes Spiel bei so heftigen Schlägen leichte Unsauberkeiten produziert. Übrigens wandert bei diesen Vergleichen das Kabel des DP-8 immer mit, den TP 92 gibt es entweder mit fixem Kabel oder, wie beim Testexemplar, mit 5-Pol-Buchse, aber ohne Kabel.
Auch in der Gegenprobe, also AT am Mørch und Lyra am TP 92, bestätigt sich zum einen der marginale Unterschied zwischen den japanischen Edelabtastern. Das AT etwas prägnanter im Hochton, das Lyra „tiefer“, transparenter in der Darstellung, zum anderen auch, was sich vorher schon angedeutet hatte: dass der symphatische Underdog von Thorens auch diese Feinheiten darzustellen vermag. Nicht so deutlich und frei von jeder Einmischung wie der DP-8, aber das darf man ihm nicht vorwerfen. Er muss sich mit den Platzhirschen seiner Klasse von Jelco, Rega oder Pro-Ject messen. Und denen scheint er mir momentan eine etwas kundigere Feinabstimmung vorauszuhaben. Auch wenn man es dem Thorens TP 92 nicht auf den ersten Blick ansieht: analoges Understatement für Musikliebhaber, die zuhören.
Tonarm Thorens TP 92 OEM
Prinzip: kardanischer Drehtonarm
Effektive Länge: 9″ (230 mm), 12″(k. A.)
Effektive Masse: 11 g
Montageabstand: 215 mm
Montagebohrung: 18 mm
Geometrie: Baerwald/Löfgren A
Antiskating: magnetisch, berührungsfrei
Ausführungen: mit festem Anschlusskabel oder 5-Pol-DIN-Buchse
Gewicht: 360 g
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 1000 €
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