Swissonor AM 6441 – Watt is en Dampfmaschin? Da stelle mer uns ma janz dumm …
Diese unvergessliche Szene aus der Feuerzangenbowle mit Physiklehrer Bömmel (natürlich zu finden auf YouTube) nehme ich jetzt mal zum Anlass, ein kleines Hobby von mir zu reiten: Steampunk. Genauer gesagt „elektrischen“ Steampunk – den man im Jargon gerne mal als „Teslapunk“ bezeichnet. Dazu gehören auch ziemlich verrückte elektrische Spielereien sowie – und jetzt wird es spannend – eine ganz bestimmte Art und Weise, Röhrenverstärker zu bauen oder besser: aussehen zu lassen. Eine kleine, noch ziemlich verschwiegene Gemeinschaft von Retro-orientierten, röhrenfanatischen Bastlern ist nämlich an dem Thema dran, natürlich mit jenem kleinen Augenzwinkern, das bedeutet: Hier geht es mindestens ebenso sehr um ein bestimmtes Aussehen wie um den Klang. Und es geht um den Spaß am Bauen! Wie ich jetzt überhaupt auf das ziemlich freakige Thema komme? Nun, die Single-Ended 300B von Swissonor passt mit ihrer „Dampfmaschinen“-Optik (wie ich das gerne nenne) schon recht gut in diese spezielle Stilrichtung, wenn ihr auch einige „Alterungseffekte“ fehlen – Steampunker bauen ihre Sachen ganz gerne mit rostigen Eisenplatten, korrodierten Kupferrohren und Uralt-Anzeigeinstrumenten. Die Bedienknöpfe und das schwarze Gusschassis kämen allerdings schon hin …
Vintage-Infektion?
Doch das alles liegt selbstredend nicht vollends in der Absicht des Schweizers Urs Frei, der zwar offenkundig genussvoll mit einer heftigen Vintage- Infektion zu kämpfen hat, dabei aber topmodern ans Werk geht. Was einst als Zulieferer mit einem speziellen nichtmagnetischen Gusseisen- Teller für den Reibrad-Klassiker Thorens TD124 begann, mauserte sich ab 2006 zu einem eigenen Unternehmen, genauer formuliert zu einem Manufaktur-Betrieb, der eigene, alles andere als alltägliche Lautsprecher sowie ein modulares (Röhren-) Verstärkersystem produziert.
Von dem ich jetzt gleich einmal frech behaupte, dass es seinesgleichen wohl vergebens sucht, berücksichtigt man die Ausführung und die Güte der verwendeten Bauteile. Unter modular ist hier übrigens zu verstehen, dass ein Verstärkerset kundenspezifisch zusammengestellt und in einen schweren, ebenfalls nichtmagnetischen Gussrahmen eingebaut wird. Bei der AM6441 handelt es sich – und damit ist die kryptische Bezeichnung erklärt – um ein Netzteil namens AM1, zwei Eintakt-300B-Endstufen namens AM4 sowie um eine dazu passende Phonostufe AM6, die zwei Phono-MC- und drei Hochpegel-Eingänge besitzt. Statt der Phonostufe könnte man etwa auch ein Modul mit einer passiven Hochpegel-Vorstufe (AM5) einsetzen. Mit Hilfe der Vorstufen-Module wird aus der 300B samt Netzteil also ein Vollverstärker. Zur sprichwörtlich modularen Verfügung stünden darüber hinaus Push-Pull-Endstufen mit 6V6-Tetroden oder Eintakter mit der Triode 6B4G.
Jedes der Module baut auf einer fünf Millimeter starken Aluminiumplatte auf, die federnd entkoppelt mit recht wuchtigen Schrauben im Gussrahmen sitzt; schiere Masse ist hier der Garant dafür, dass sich weder Trafo- noch Elko-Vibrationen breitmachen könnten. Sogar die Röhrenfassungen sind gummigelagert montiert, erfahrungsgemäß eines der besten Rezepte gegen Mikrofonieprobleme. Wer ganz genau hinschaut, entdeckt auch, dass Netztrafo und Übertrager nicht einfach direkt auf das Chassis geschraubt, sondern vielmehr isoliert montiert wurden, eines der vielen kleinen Geheimnisse brummfreier Auslegung (Trafos sollten nur an einer Stelle respektive Schraube Masse- oder Erdkontakt haben). Und weil das Thema insbesondere beim Teamwork mit „lauten“ Lautsprechern so wichtig ist, bleiben wir gleich mal beim „signal-to-noise ratio“ – dem sogenannten Geräuschspannungsabstand. Der ist beim Swissonor nämlich Ehrfurcht gebietend gut. Selbst an einem 96-dB-Lautsprecher ist nicht der geringste Brumm zu hören, nicht einmal bei voll aufgedrehtem Pegelsteller im Phono-MC-Betrieb! Hinzu kommt noch extrem geringes Restrauschen. Das soll den Schweizern erst mal einer nachmachen!
Vorstufe statt Phonostufe
„Phonostufe“ trifft es in Bezug auf die AM6 übrigens nicht so ganz: Vielmehr dreht es sich hier um einen kompletten Vorverstärker, dessen Eingänge alle via Relais unmittelbar am Buchsenfeld geschaltet werden. Gleich zwei Paare Phonobuchsen sind ebenfalls via Schalter anwählbar, in der MC-Version kommen feine Hashimoto-Übertrager zum Einsatz, bevor eine im Stil der legendären Marantz-7-Schaltung gebaute Phonostufe die RIAA-Entzerrung übernimmt. Dafür zuständig sind offenkundig erstklassige Doppeltrioden ECC803S (JJ) sowie eine 12AX7WS von Sovtek. Der Hashimoto ist wahlweise in zwei Versionen erhältlich, eine davon hervorragend geeignet für niederohmige, „leise“ Abtaster vom SPU-Typ. Optional ist natürlich auch ein MM-Eingang machbar. Unter Deck gibt’s, vielleicht entgegen den Erwartungen an diese Maschine, keine Freiverdrahtung, sondern vielmehr Platinen mit Zink/Gold-Leiterbahnen, die mittels Cardas-Silberlot verarbeitet werden. Stabilisierte Anodenspannung und geregelte Heizspannungen sind selbstverständlich, ebenso hervorragende Bauteile, etwa jede Menge Mundorf-Kapazitäten. Die Verbindung zum Endstufen- Trakt erfolgt „unterirdisch“, womit die Eingangsbuchsen der beiden 300B-Module arbeitslos bleiben.
Full Music
An oder besser auf diesen fallen sofort die beiden mächtigen 300Bs auf – es sind 300B/n „Full Music“ von TJ mit Mesh-Anoden und „Birnen“-Glaskolben, prächtige Stücke, die hier von einer 12BZ7 angesteuert werden. Und ja, gerne zugegeben, so rein schönheitstechnisch können Western-300Bs da erst mal nicht mithalten. Urs Frei entschied sich bei der 12BZ7-Treiberstufe für eine sogenannte „μ-follower“-Schaltung, die niedrige Verzerrungen, hohe Bandbreite und niedrige Ausgangsimpedanz gewährleistet. Diese Technik trifft man bei serienmäßig gefertigten Eintaktern beileibe nicht alle Tage an … Was den Übertrager angeht, so setzt der Schweizer auf einen neunfach verschachtelten Wickel auf einem M102-Kern, konsequenterweise nur mit einer Sekundärwicklung ausgestattet. Im Klartext heißt das, dass lautsprecherseitig lediglich eine Acht-Ohm-Anzapfung zur Verfügung steht, andere Impedanzen können ohne Aufpreis bestellt werden. Konsequent ist das deshalb, weil Ausgangsübertrager mit mehreren Sekundäranzapfungen keineswegs besser, sondern durchaus kompromissbehaftet sind. Ähnlich große Aufmerksamkeit genoss die bekannt kritische direkte Heizung der 300B; hier kommt eine über Darlington-Transistoren geregelte, diskret aufgebaute Gleichspannungsheizung zum Einsatz. Die Anodenspannung für den Treiber-Trakt ist ebenfalls geregelt, auch die Heizspannung ist stabilisiert – elektronisch eine „moderne“ Herangehensweise an einen 300B-Amp, durchaus im Gegensatz zu den zahlreichen Retro-Konzepten, deren Vertreter beispielsweise Spannungsstabilisierung als reine Blasphemie ächten. Erfahrungsgemäß sollte man aber aus den unterschiedlichen Ansätzen bitte schön nicht gleich Religion machen, sondern den Einzelfall betrachten. Eine weithin unbestrittene audiophile Gemeinsamkeit sind freilich ganze Batterien hochwertiger Polypropylen-Kondensatoren an neuralgischen Punkten des Verstärkerzuges, da macht die Swissonor-Röhre keine Ausnahme. Oft zu Unrecht hochgelobte Retro-Bauteile sind in dem Amp übrigens nicht aufzuspüren. Außer den schönen schwarzen „Chickenhead“-Drehknöpfen, jawoll!
Neumodisch?
Der neumodischen Regelungstechnik wie zum Trotz sitzen im Versorgungsmodul AM1 ein guter alter Trafo mit fünf Sekundärwicklungen, eine Gleichrichterröhre vom Typ 5U4G sowie eine klotzige, vergossene 14-Henry- Siebspule nebst Mundorf-„Tube Cap“ als Ladekondensator. Die CLC-Siebung im Netzteil (sie besteht aus hochwertigen, temperaturfesten Elkos mit langer Lebensdauer) wird in den jeweiligen Modulen selbst noch einmal durch Folienkondensatoren unterstützt. An der – wie die Schweizer formulieren – „aus subjektiven Gründen“ eingesetzten Röhre vom Typ 5U4G zu „fummeln“ wäre keine gute Idee; weniger leistungsfähige Gleichrichter hätten mit der Versorgung des mächtigen Geräts womöglich Probleme. Der „Ground Lift“- Schalter hinten auf dem Netzteilmodul dient noch dazu, etwaig auftretende Brummschleifen zu beheben – benötigt wurde er in der Praxis allerdings nicht.
Subjektive Eindrücke
Magisches Potenzial
Auch dieser Klang birgt magisches Potenzial, wirkt in sich völlig selbstverständlich, zeitlos, und er zieht den Zuhörer in seinen Bann, ohne gleich mit der Süßigkeiten- Schüssel zu winken. Dabei bleibt die Schweizer Konstruktion so geschmeidig wie geölte Seide. Die durchaus stellenweise perfektionistisch angehaucht herüberkommende Darbietung ginge nur dann über eine imaginäre Kante, wenn schon die (Ton-)Konserve dürr und schwächlich sein sollte. Solche Sensibilitäten müssen wir einer Künstlerin wie der AM6441 aber freimütig zugestehen, insbesondere im Teamwork mit womöglich ohnehin sehr schlank auftretenden Lautsprechern. Die bitte, bitte – wie immer bei 300B-Eintaktern – mehr als 94 Dezibel pro Watt und Meter aufweisen sollten, um das arme Kerlchen nicht an Krücken humpeln zu lassen. Dass es auch mit weniger Wirkungsgrad gehen soll, ist zwar immer wieder zu hören und zu lesen, richtiger wird es damit jedoch nicht. Was mit genug Effizienz auch wunderbar geht, ist leises bis sehr leises Hören, ein Thema, dem viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Eher nur hingetupfter Klang besitzt mit der Swissonor immer genug Strahlkraft und Spannung, der Verstärker büßt nicht – wie so oft – Intensität und Schnelligkeit ein. Anrührend spielen kann er dann immer noch, das Bild wird sogar eher breiter und tiefer, da geht keine Definition verloren, selbst wenn es schließlich flüsterleise wird. Der konzentrierte Genießer lernt dabei, schließlich die Stille mehr zu schätzen als den Sturm … Doch dafür brauchen Sie einen echten Laut-Sprecher, vielleicht sogar einen bretthart eingespannten Papp-Konus, der schon bei einem Hauch elektrischer Spannung verzögerungslos reagiert und so mit alten Erfahrungen und Vorurteilen aufräumt. Auch das sind Hör-Gefilde, in denen sich die 6441 hörbar wohl fühlt, Fledermausohren und Erbsenzählern die Musik unangestrengt förmlich hinziseliert. Dennoch, wer es schonungslos analytisch bis diamanthart glänzend braucht, der findet hier – Gott sei Dank, sage ich – nicht seine Befriedigung. Ein guter Schuss Wärme und Freundlichkeit sind in der – oder jeder – 300B eingebaut, selbst wenn sie, wie in diesem Fall, dazu angehalten wird, nicht als Bass-Synthesizer auf der Kellertreppe zu werkeln, sondern sich weit intensiver als sonst um jeden einzelnen Ton zu kümmern. Letztlich und wie immer bestimmt der Lautsprecher, in welche Richtung diese Reise geht: Einem rasanten, beweglichen, aber weniger durchzeichnenden Breitbänder könnte dieser Verstärker das Singen beibringen, einer ohnehin hochauflösenden, aber knochentrockenen Horn-Kombination mit hartem 38er-Tieftöner Eleganz, Emotion und Farbe zumischen. Ich würde im Fall der Swissonor auf Lautsprechersuche gehen, bis die Füße abfallen, wohl wissend, dass es sich lohnt.
Roland Krafts Musik-Tipp
Renée Fleming schenkt uns mit „Homage – The Age Of The Diva“ den Anlagen-Check zum Niederknien. (DECCA CD 475 8069). Eine schier überirdische Stimme, die trotz höchster Energie in Mitten und Höhen weder nerven noch zerren sollte – und ein echter Prüfstein für jeden Lautsprecher!
Swissonor AM 6441
Röhren-Vollverstärker in Modulbauweise
Leistung: 2 x 7 W
Eingänge: 2 x Phono MC (Cinch), 3 x Hochpegel (Cinch)
Ausgänge: 1 x Lautsprecher 8 Ω (Bananenbuchse)
Röhrenbestückung: 1 x Sovtek 12AX7WC, 2 x JJ ECC803S, 2 x RCA 12BZ7, 2 x TJ 300B Mesh, 1 x C Logo 5U4G
Besonderheiten: modulares Konzept aus Swissonor AM1/AM4/AM6, Phono bestückbar mit Hashimoto Übertragern HM-3 oder HM-X, zwei Phonoeingänge schaltbar, Installation von alternativen Entzerrungskurven und Ausgangsübertrager- Anzapfungen auf Wunsch
Maße (B/H/T): 48/25/35 cm
Gewicht: 20 kg
Garantiezeit: 3 Jahre