Primare PRE60/A60 – Swinging Sixties
Es gibt wieder Großes von Primare. Die aktuelle schwedische Verstärker-Referenzklasse wirft neben eigener Endstufentechnik auch vollwertige Streaming-Kompetenz in die Waagschale.
Als der dänische Architekt Bo Christensen 1985 gemeinsam mit einem Partner Primare gründete, machte die junge High-End-Schmiede vom Fleck weg mit bis dato ungesehenen Designs Furore. Die Verstärkerkombi der Serie 928 schaffte es umgehend in die Sammlung des Dänischen Designmuseums in Kopenhagen. Die Geräte der darauf folgenden Serie 200 wirbelten mit spektakulärem „Star-Wars-Look“ kaum weniger Staub auf. Christensens letzter Streich, bevor er das Unternehmen verließ – mit der Neugründung Bow Technologies blieb er der Audio-Welt aber erhalten –, war der Vollverstärker 301. Ein vergleichsweise erschwingliches Gerät, dessen originelle Formensprache mit abgesetzter Front und schlanken Aluminium-Drehknöpfen sich als Volltreffer erwies. Von dezenten Anpassungen abgesehen wurde an Christensens Design bis heute nichts verändert.
Dem Erfolg der schwedischen Marke hat das nicht geschadet, ganz im Gegenteil. Testerfolg reiht sich an Testerfolg, als Krönung gab es 2011 den renommierten internationalen EISA-Award für das Duo aus CD-Player CD32 und Vollverstärker I32. Spätestens dann hatte sich Primare als verlässliche Größe in der Klasse „Vernunft-High-End“ etabliert.
Womit irgendwann die naheliegende Frage im Raum stand: Wozu wäre man nun, ein gutes Vierteljahrhundert nach Christensens spektakulären Kreationen, fähig? Wie könnte eine zeitgemäße Interpretation des Themas „Referenzverstärker“ aus dem Hause Primare heute aussehen?
Die Antwort geben die Vorstufe PRE60 und der Endverstärker A60. Der erste Eindruck, aus Sicht des Pessimisten: Die sehen ja auch nicht anders aus als ihre günstigeren Geschwister! Aber Hallo, erwidert der Optimist: Das elegante Bicolor-Design im klassischen Primare-Stil verkörpert doch just den derzeit schwer angesagten Gedanken von „Lagom“ – diesen spezifisch schwedischen Ausdruck für „genau richtig, nicht zu viel und nicht zu wenig“. Wie zur Bestätigung fällt das Wort in einem Interview mit Chefingenieur und Primare-Urgestein Bent Nielsen. Für ihn steht Lagom für Harmonie und ist damit integraler Teil seiner Umwelt und seines Lebens – und als solcher selbstverständlich auch in den Früchten seiner Arbeit zu finden.
Die Vorstufe PRE60 ist ein veritables analog-digitales Media-Center. Sechs Analogeingänge stehen zur Verfügung, zwei davon als symmetrisch beschaltete XLR-Buchsen. Digitale Quellen docken an insgesamt vier S/PDIF-Inputs (1 x koaxial, 3 x optisch) an. Je eine als Typ A und Typ B ausgeführte USB-Schnittstelle steht für die Kommunikation mit Computern und Speichermedien zur Verfügung. Schließlich gibt es noch zwei Antennen (WLAN und Bluetooth) und einen Netzwerkanschluss. Zum vollkommenen Glück fehlt im Grunde nur ein Phonoeingang. Wobei dieser Verzicht angesichts der Hochfrequenz-Umgebung sicher eine weise Entscheidung war.
Die PRE60 ist, ebenso wie die A60, vollsymmetrisch konzipiert. Unmittelbar hinter den analogen Cinchbuchsen der Vorstufe symmetrieren Operationsverstärker die eintreffenden Signale. Die Quellenwahl erfolgt mittels Relais, danach durchlaufen die NF-Signalstränge auf besonders kurzem Signalweg ein Widerstandsnetzwerk zur Lautstärke- und Balanceregelung, bevor sie in den vier (Symmetrie!) separaten MOSFET-Ausgangsstufen landen. Die Audioschaltung ist gleichstromgekoppelt, der Signalweg frei von Kondensatoren.
Für die Digitalisierung der PRE60 musste man bei Primare nicht von Null an beginnen. Als Ausgangspunkt diente die Hardware der „Digital-Option“ für den Vollverstärker I32 und die Vorstufe PRE32, eine aufwendige D/A-Wandler- und Streaming-Platine. Sie wurde einer gründlichen Überarbeitung unterzogen und fest in das neue Konzept integriert. Den Kern bilden einerseits das Gespann aus hochintegriertem D/A-Wandlerchip CS4398 von Cirrus Logic und dem Abtastratenwandler SRC4392 von Texas Instruments, der dafür sorgt, dass sämtliche Digitalsignale den Wandler in 24-bit/192-kHz-Qualität erreichen, andererseits ein für bitgenaue Bewegung von HD-Musikmaterial zuständiges USB-Interface aus dem Hause XMOS. Die Streaming-Funktionalität verantwortet mit dem UPnP/DLNA-kompatiblen Modul SeDMP3 von Audivo Audio übrigens Hardware aus Deutschland.
Für das Benutzerinterface gebührt Primare großes Lob. Ein fein auflösendes OLED-Display an der Front, ein Drehregler und drei Knöpfe (Pegelsteller und Einschaltknopf zählen nicht) genügen, um alle Funktionen diesseits von Streaming auch ohne installierte Steuer-App einwandfrei unter Kontrolle zu haben. Das beginnt bei der Möglichkeit, die genutzten Eingänge individuell zu benennen und die ungenutzten zu deaktivieren und damit aus der Quellenwahlfolge auszublenden, und umfasst selbstverständlich auch alle Netzwerk- und WLAN-Einstellungen.
Die Stromversorgung der PRE60 ist zweigeteilt: Im Hörbetrieb versorgt ein maßgefertigter C-Kern-Trafo diskret aufgebaute separate Netzteile für die analogen und die digitalen Abteilungen. In Standby übernimmt ein kleines Schaltnetzteil mit minimalem Stromverbrauch.
Dass die mit heftigen zweimal 500 Watt (an vier Ohm) spezifizierte Endstufe A60 keine sichtbaren Kühlkörper aufweist, lässt den korrekten Schluss zu, dass es sich hier um ein Class-D-Konzept handelt. Bei Primare ist man sehr stolz, hier mit UFPD (Ultra Fast Power Device) eine Eigenentwicklung parat zu haben. Das ist keineswegs selbstverständlich. Voller Stolz verweist man auf Vorzüge gegenüber der Konkurrenz wie extrem kurze Signalwege und eine stark reduzierte Bauteilzahl. Die UFPD-Technik soll eine für Class-D-Konzepte außergewöhnliche Bandbreite von bis zu 70 Kilohertz ermöglichen und dabei keine den Rest der Anlage beeinträchtigenden Rückinduktionen in das Stromnetz generieren.
Der Schlüssel zum Erfolg ist laut Primare die Entkopplung der Leistungsverstärkung von den Einflüssen der prinzipiell stetig variierenden Last, die insbesondere Mehrwege-Lautsprecher darstellen. Zu dem Zweck setzt die UFPD-Endstufe auf einen hohen Gegenkopplungsanteil. Um eine besonders schnelle Gegenkopplungsschleife zu erreichen, haben die Entwickler üblicherweise separate Baugruppen zusammengefasst und eine „adaptive“ Gegenkopplung geschaffen, die jegliche Lautsprecher gleichmäßig über den gesamten Frequenzbereich fest im Griff haben soll.
Die große Schweden-Kombi hat sich in meine konservative Anlage – Plattenspieler, CD-Player, eine Festplatte mit HD-Musik und ein iMac – geschmeidig integriert. Fünf Meter Viablue KR-2 Silver USB-Kabel verbinden den Mac mit der Vorstufe, die sofort als Ausgabegerät erkannt wird. Die Einbindung ins WLAN braucht etwas Vorbereitung. Erst geht’s per Ethernet-Kabel zur Fritzbox, dann kommt die Primare-App aufs iPhone, von dort aus werden die WLAN-Zugangsdaten eingerichtet, dann heißt es Kabel abziehen und Vorstufe aus- und wieder einschalten, und voilà: Ich bin drin. Auf den Anschluss meiner Musik-Festplatte per USB reagiert die PRE60 auf die beste mögliche Art: Innerhalb von Sekunden erscheint die Ordnerstruktur unter der entsprechenden Quellen-Option der App. Ich kann sofort loslegen.
In Sachen Klangqualität sind die Primares klassische Transistor-Zicken und spielen am besten – also mit plastischster, unmittelbarster Modellierung der Klangbühne – erst nach Tagen des Warmlaufens. Dann aber gelingen insbesondere Luftigkeit und Dreidimensionalität zum Niederknien. Swing und Groove können sie auf Anhieb, das Timing stimmt eigentlich immer. Aber auch da sind feine Fortschritte mit jedem Betriebstag unüberhörbar. Nach Wochen des Zusammenlebens mit den eleganten Schweden – deren Optik ausnahmslos von allen Besuchern gelobt wird – sind sie mir mit ihrer warmen Musikalität, den unbestechlichen Fähigkeiten in Sachen Auflösung und Dynamik und dem immer angenehmen Bedienerlebnis glatt ein wenig ans Herz gewachsen.
Streaming, egal ob von Tidal und Konsorten, mit Minimalauflösung als Internetradio oder als schlichtes Abspielen von Speichermedien, macht dank der sauber programmierten Apps Freude. Tidal, Deezer und TuneIn sind integriert, für Spotify soll man Bluetooth bemühen oder über App-Umwege (Remoteless oder Musicflow) gehen – zur Begründung wird die mindere Qualität von Spotify angeführt, weswegen man sich die Mühe (und die Kosten) der Vollintegration sparte.
Kann die topmoderne Digitalsektion einem hochwertigen CD-Player alter Schule das Wasser abgraben? Es ist noch nicht allzu lange her, dass ich in das norwegische Digital-Monument EMC 1 UP aus dem Hause Electrocompaniet investiert habe. Der Player begeistert über den symmetrischen Line-Eingang auch an der Primare-Vorstufe mit glasklaren, weiträumigen Klanglandschaften. Über die D/A-Wandler der PRE60 scheint die Bühne einen Schritt nach vorn zu machen. Man ist spürbar näher am Geschehen. Gleichzeitig gerät der Hochton bei komplexen Klängen wie einer harsch angestrichenen Geigensaite glatter, ohne aber an Information einzubüßen. Ich sage: eine zufriedenstellende Patt-Situation. Was angesichts des immensen Aufwands, der im Electrocompaniet steckt, ein Riesenkompliment an die Primare ist.
Mit den HD-Tracks von Festplatte, das meiste im 24/96- oder gar 24/192-Format, bestätigt sich der im Vergleich mit dem CD-Player gewonnene Eindruck: Die Primare-Kombi spielt aus sich heraus ungemein fein, detailreich und hochmusikalisch. Den dynamischen Grenzbereich lote ich unfreiwillig bei einem Versehen mit dem Pegelsteller in der Streaming-App aus – da knallt mir Billy Cobham einige Trommelschläge um die Ohren, dass mir Hören und Sehen vergeht. Danke für das Erlebnis, die Beschleunigungsprüfung ist mit Auszeichnung bestanden.
Die Endstufe hält Lautsprecher wirklich an der kurzen Leine. Im Bass macht sich das durch eine selten erlebte Durchhörbarkeit bemerkbar, in den höheren Lagen durch ein von den angeforderten Pegeln komplett unbeeindrucktes „Durchspielen“ ohne Stresssymptome. Die tonale Abstimmung ist neutral, aber niemals asketisch.
Wenn es so etwas wie Vernunft-High-End gibt, dann zeigt die Top-Kombi von Primare, wie man’s macht. Statt ausufernder Show-Physis ist dezente Eleganz angesagt, die komplexe integrierte Streamer-Technik funktioniert wie am Schnürchen, und das Versprechen, mit PRE60 und A60 Komponenten mit Endgültigkeitsanspruch präsentiert zu bekommen, denen so schnell nichts am Lack kratzen kann, wird ohne Wenn und Aber eingelöst. Das ist, wenn mich mein Schwedisch nicht täuscht, Lagom auf höchstem Niveau.
Stereo-Vorverstärker mit DAC, Streamer, Bluetooth
Primare PRE60
Funktionsprinzip: vollsymmetrischer analoger Vorverstärker mit integriertem D/A-Wandler, Streamer und Bluetooth
Eingänge digital: 4 x S/PDIF (3 x optisch, 1 x koaxial), USB-A, USB-B, WLAN, LAN, Bluetooth
Ausgänge digital: S/PDIF (koaxial)
Eingänge analog: 4 x Line unsymmetrisch (Cinch), 2 x Line symmetrisch (XLR)
Ausgänge analog: 2 x Pre Out symmetrisch (XLR), 2 x Pre Out unsymmetrisch (Cinch), 1 x Tape (Cinch), 1 x RS232, 1 x Remote (Klinke 3,5 mm)
Kompatible Formate: WAV, LPCM, AIFF, FLAC, ALAC, MP3, MP4 (AAC), WMA, OGG, max. Auflösung 24 bit/192 kHz
Besonderheiten: Upsampling aller digitalen Zuspielungen auf 24/192, Apps für Steuerung und Streaming (Deezer, Tidal, TuneIn integriert), aptX Bluetooth, Systemfernbedienung
Ausführung: Titan/Schwarz
Maße (B/H/T): 43/14/38 cm
Gewicht: 9,5 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 7500 €
Stereo-Endverstärker
Primare A60
Funktionsprinzip: Class-D-Stereoendstufe mit Schaltnetzteil
Leistung (8/4 Ω): 2 x 250 W/2 x 500 W
Eingänge: 1 x symmetrisch (XLR); 1 x unsymmetrisch (Cinch), 1 x RS232
Ausgänge: 2 x Lautsprecher, 1 x Remote (Klinke 3,5 mm)
Ausführung: Titan/Schwarz
Maße (B/H/T): 43/14/40 cm
Gewicht: 10 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 7500 €