Piega Coax 120.2 – Gut? Nein – einfach unglaublich gut!
So manches große Lautsprecherprojekt geht schief. Oder es mündet in Mittelmäßigkeit. Zwei Schweizer jedoch schaffen tatsächlich Großes
Okay, machen wir es diesmal ganz kurz und schmerzlos. Die Frage, ob die Piega Coax 120.2 „etwas taugt“, kann ohne Umschweife und ruhigen Gewissens mit Ja beantwortet werden. Die taugt – und wie! Kaufempfehlung? Unbedingt! Vorausgesetzt natürlich, entsprechende finanzielle Mittel sind verfügbar … Damit wären wir also durch.
So einfach kann das sein, wenn die Hausaufgaben gemacht werden. Nur, was waren eigentlich die Hausaufgaben? Dem Ergebnis nach zu urteilen nichts weiter, als einen Flagship-Lautsprecher zu entwickeln, der die Grenzen der aktuellen Lautsprechertechnik im Bereich passiver Schallwandler auslotet. Ankündigungen und Aussagen dieser und ähnlicher Art haben wir natürlich schon oft gehört. Trotzdem gibt es immer wieder schier magische Produkte, die solchen Marketing-(An-)Sprüchen tatsächlich auch gerecht werden. Die Piega Coax 120.2 ist in vielerlei Hinsicht ein ungewöhnlicher Schallwandler. Damit meine ich nicht seine Herkunft wir haben schon viele wunderbare Produkte erleben dürfen, die aus der Schweiz kamen. Es ist vielmehr die ungewohnt kompromisslose Umsetzung des technischen Konzepts, die ins Auge sticht oder besser: ins Ohr geht. Man könnte es auch „schmerzfrei“ nennen, was Piegas Masterminds, die Herren Greiner und Scheuch, hier realisiert haben: schmerzfrei im Hinblick auf wirtschaftliche Zwänge, schmerzfrei im Hinblick auf den technischen Aufwand, schmerzfrei beim stringenten Durchhalten bis zu einem guten Ende. Sicher, „mutig“ wäre auch eine durchaus passende Charakterisierung. Doch Mut allein reicht nicht; es muss schon eine gewisse Portion Verrücktheit dabei sein, wenn man ein solches Projekt realisieren will. Und verrückt im positiven Sinn sind die zwei sympathischen Schweizer schon, von denen der eine immer die schönsten und der andere immer die besten Lautsprecher bauen wollte. Gut, dass sie sich zusammengetan haben.
Die Coax 120.2 ist tatsächlich ein Ganzmetall- Lautsprecher: Sowohl das Gehäuse als auch Frontplatte und Gehäusedeckel oben und unten bestehen aus massivem Aluminium. Das macht das Gehäuse im Vergleich zu anderen Materialien extrem steif und stabil. Dem Nachteil ausgeprägter Materialresonanzen im oberen Frequenzbereich setzt Piega strategisch platzierte Auskleidungen mit Bitumen entgegen. Damit werden die Resonanzen kontrolliert, ohne die Vorteile des Metallgehäuses zu schmälern. Die große Stabilität dieses aufwendigen Kabinetts ist aber noch aus einem anderen Grund von Bedeutung: Bei gleichen Außenabmessungen weisen Lautsprecher aus Metall in der Regel ein größeres Innenvolumen auf, da ihre Wandstärken im Vergleich etwa zu einem Holzgehäuse deutlich geringer ausfallen können. Und so darf sich der Lautsprecherdesigner bei dieser Bauweise über mehr konstruktives Volumen für den Bass und der Hörer über einen ausgedehnten Frequenzbereich freuen.
Wer nun glaubt, dass sich Leo Greiner und Kurt Scheuch gleich nach der Konzeption dieser ungewöhnlich aufwendigen Gehäusekonstruktion befriedigt zurückgelehnt hätten, der irrt. Denn das Gehäuse ist nur die logische Verpackung dessen, was im Inneren der Coax 120.2 zu finden ist. Und das ist vor allem eins: sehr, sehr raffiniert.
Jeder Lautsprecherentwickler steht am Anfang eines neuen Projektes vor einem Berg von Problemen. Soll und Haben sind schwer ins Gleichgewicht zu bekommen, denn Lautsprecherbau ist immer die Suche nach dem bestmöglichen Kompromiss im Rahmen eines angestrebten Konzeptes. Viele, teils sich widersprechende oder sich gegenseitig sogar ausschließende Punkte müssen unter einen Hut gebracht werden. So geht ein linealgerader Frequenzgang meist zu Lasten des Wirkungsgrades, ebenso ein unkritischer, oft „bereinigter“ Impedanzverlauf. Des Weiteren hängen Ein- und Ausschwingvorgänge unmittelbar zusammen: Ein im Sinne der Transientenwiedergabe angestrebtes schnelles Einschwingen bedeutet nicht automatisch auch ein günstiges Ausschwingverhalten, von möglichen Überschwingern ganz zu schweigen. Außerdem: Schalldruck und Grobdynamik sind leicht mit großen Membranflächen zu realisieren, leider bleibt dabei aber die für die Musik so wichtige Feindynamik auf der Strecke. Nicht zuletzt geht es auch um das Abstrahlverhalten: Ein direkt strahlender Schallwandler sollte einen definierten Isobarenverlauf auf allen Achsen haben. Er sollte also mit einem gleichmäßigen Öffnungswinkel in den Raum einstrahlen, um Raumreflexionen möglichst gleichmäßig im Spektrum anzuregen und keine frequenzabhängigen Anomalien zu erzeugen. Und das alles ist bitteschön in wohnraumfreundlichen Abmessungen unterbringen – und so weiter und so fort …
Spätestens jetzt fragt man sich, was Lautsprecherentwickler eigentlich antreibt. Warum sie sich das antun. Scheitern ist eigentlich vorprogrammiert, und trotzdem sind Selbstüberschätzung und große Egos an der Tagesordnung. Glücklicherweise gibt es da auch noch „die Sehenden“. Diejenigen, die es wirklich draufhaben. Die keine Monster-Marketingwelle vor sich herschieben und in der Lage sind, kraft ihres Know-hows reife Produkte zu entwickeln. Zu ihnen zählt zweifelsfrei auch der Lautsprecherhersteller Piega mit seinen zwei Hauptakteuren Leo Greiner und Kurt Scheuch.
Eine Spezialität von Piega war schon immer der selbst entwickelte und im Hause gefertigte Bändchenhochtöner. Bändchenhochtöner sind für ihre unnachahmliche Art der Hochtonwiedergabe bekannt und geschätzt. Sie sind in der Lage, feine und feinste Details zu reproduzieren. Ein Bändchen leuchtet die Musik auf magische Weise tiefer aus, als es die meisten Kalotten können. Das hängt mit drei Dingen zusammen: 1.) dem überaus geringen Gewicht der bewegten Masse, 2.) dem über die gesamte Fläche gleichmäßigen Antrieb der Membrane, der Partialschwingungen konzeptbedingt weitestgehend ausschließt, und 3.) einer im Hochtonbereich durchaus sinnvollen Bündelung des Schalls.
Aber wo viel Licht ist, ist auch Schatten. Ein Bändchenhochtöner ist ein schwieriger, ja fast schon unfairer Partner für einen normalen dynamischen Treiber, denn ein Bändchen ist erst bei vergleichsweise hohen Frequenzen (ab etwa zwei bis drei Kilohertz) sinnvoll einsetzbar. Das verlangt dem dynamischen Treiber des darunterliegenden Frequenzbereichs sehr viel, um nicht zu sagen alles ab. Sogar dann, wenn die Übertragung von drei Kilohertz für den dynamischen Treiber kein Problem darstellt, er dabei nicht schon in Partialschwingungen aufbricht und seine Bündelungseffekte bei dieser hohen Frequenz halbwegs zum Bändchen aufschließen, ist ein solches „Teamwork“ ein eigentlich sinnloses Unterfangen. Denn das Ein- und Ausschwingverhalten der beiden Chassis wird nicht zueinander passen. Und das kann man sehr deutlich hören. Wohl jeder von uns kennt Lautsprecher, die inhomogen klingen, die „untenrum“ deutlich langsamer arbeiten und bei denen die Tieftonwiedergabe nicht sauber an die Hochtonreproduktion anschließt – oder umgekehrt. Was also tun, um dieser Zwickmühle zu entkommen?
Die konsequente Lösung wäre, dem Bändchen tiefe Töne „beizubringen“. Und genau das ist Piega gelungen. Heraus kam eine koaxiale Zweiwege- Bändchenkonstruktion, 15 mal 15 Zentimeter groß, mit einer nutzbaren unteren Grenzfrequenz von rund 400 Hertz. Mit diesem einzigartigen Koaxialtreiber schlägt Piega gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Die Ankopplung zwischen Mittel- und Hochton ist nun kein Problem mehr. Der Mitteltonbereich wird, wie der Hochton auch, von einer extrem leichten Folie wiedergegeben. Die Folge: ungewohnter Detailreichtum und eine Leichtigkeit, die an das Auflösungsvermögen eines guten Kopfhörers erinnert. Auch die Ankopplung an die dynamischen Basschassis gelingt nun bruchfrei. Zudem führt die geschickte Anordnung der Bändchen zu einem koaxialen Abstrahlverhalten, bei dem das Ganze zu übertragende Spektrum einer einzigen virtuellen Quelle zu entspringen scheint. Und es kommt noch besser: Die unterschiedlichen Schallquellen des koaxialen Treibers liegen räumlich in einer Ebene. Dieser konstruktive Kniff führt geradewegs zu einer zeitrichtigen Wiedergabe, die sonst nur mit einem aufwendigen aktiven Konzept machbar wäre.
Den Bassbereich decken zwei 22-Zentimeter-Treiber in Reflextechnik ab. Das hört sich zunächst nach einer Standardlösung an, etwa nach dem Motto „Zwei kleine Membranen haben die gleiche Fläche wie eine große, lassen sich aber besser kontrollieren und weisen ein besseres Verhalten zu hohen Frequenzen hin auf “. Alles sattsam bekannt. Doch Piega wäre nicht Piega, wenn nicht mehr dahinterstecken würde. Und genauso ist es. Die Reflexabstimmung ist nämlich extrem tief gewählt. Dadurch zeigt der Lautsprecher ein Verhalten im Tiefbass, das eher an einen geschlossenen Lautsprecher als an einen Bassreflexlautsprecher erinnert. Das Ergebnis ist ein sanft und sehr sacht abfallender Frequenzgang.
Natürlich könnte sich nun die Frage aufdrängen: „Warum bauen die nicht gleich einen geschlossenen Lautsprecher? Ist doch ohnehin einfacher.“ Das stimmt – aber der geschlossene Lautsprecher würde im Tieftonbereich mehr Verzerrungen produzieren. Piega setzt also das Bassreflexprinzip ganz gezielt ein, um Verzerrungen im Bass clever zu minimieren, und eben nicht, um den Tieftonfrequenzgang nach unten hin auszudehnen oder gar einen „Mörderbass dank Reflextunnel“ zu erzielen. Das haben die verwendeten Chassis nämlich gar nicht nötig.
Hört man das auch? Und ob! Wenn es um perfekte Bass-Performance geht, stellen Titel wie „Roxanne“ von DubXannes Album Police In Dub, „Flesh for Fantasy“ von Billy Idol (in der Live-Version aus der Reihe VH-1 Storytellers) oder auch „Aero Dynamik“ von dem Kraftwerk-Album Tour de France richtig harte Nüsse dar. Doch das ist alles kein Problem für die Coax 120.2. Überhaupt scheint rein gar nichts für die Piegas irgendein Problem zu sein …
Die Vorurteilsfreiheit, mit der sie an jede Art von Musik herangeht, legt mitunter den Verdacht nahe, sie sei einer Waldorfschule entsprungen und könne sogar ihren Namen tanzen! Aber Spaß beiseite: Die große Piega zählt ohne jede Frage zu den herausragendsten Vertretern ihrer Zunft. Sie entpuppt sich als relativ aufstellungsunkritisch, und selbst akustisch ungünstige Räume können der Schweizerin dank ihres guten Richtstrahlverhaltens nicht viel anhaben. Insbesondere die koaxiale Mittelhochton-Einheit ist ein Juwel der Lautsprechertechnik und stellt eine Klasse für sich dar. Dieser aufwendige Treiber erzeugt ein Schallfeld, das selbst in mehreren Metern Entfernung die Präzision, Durchhörbarkeit und Luftigkeit eines exzellenten Kopfhörers besitzt. Und dafür sind erstaunlicherweise nicht einmal Riesenverstärker nötig, denn dank des Wirkungsgrads von knapp 90 Dezibel harmonieren sogar kleinere Röhrenverstärker mit der Coax 120.2, wie wir gleich mehrfach feststellen durften. Jazzliebhaber werden an ihr die unverfälschte, direkte Live-Atmosphäre schätzen, Rock- und Pop-Freunde ihre Fähigkeit lieben, de facto unkomprimierte Pegel produzieren zu können. Klassikfans wiederum genießen einen schier unbegrenzten dynamischen Reichtum und den Klangfarbenreichtum sinfonischer Werke. Für den Autor dieser Zeilen verliert sogar „Die Tänzerin“ von Ulla Meineckes Album, Wenn schon nicht für immer, dann wenigstens für ewig endlich seinen Schrecken.
Auf einen Punkt müssen wir aber dennoch eingehen: Die mitgelieferten Kabelbrücken für das Bi-Wiring und Bi-Amping-taugliche Doppelterminal sind – vorsichtig ausgedrückt – wenig standesgemäß. Sie sind vielmehr bestens geeignet, den Humor des womöglich verwunderten Käufers auf den Prüfstand zu stellen: einfache Litzendrähtchen, ohne Kabelschuhe, ohne Stecker, von der Rolle geschnitten, abisoliert und angeklemmt.
Das ist für ein solches Lautsprecher- Kunstwerk, wie es die große Piega darstellt, natürlich völlig unangemessen. Wir haben stattdessen ordentliche Kabelbrücken eingesetzt, und siehe da, es tat sich etwas. Zwei interessante Effekte vielen dabei sofort auf: Nicht nur ist der klangliche Unterschied zwischen einer Vier- und einer Sechs-Quadratmillimeter- Kabelbrücke wahrnehmbar, sondern auch, ob das Lautsprecherkabel am Mittelhochton-Terminal oder am Bass-Terminal angeschlossen wird. Das alles spricht Bände über die enormen Fähigkeiten der Coax 120.2. Also hier bitte nicht unnötig Klangpotenzial verschenken. Übrigens bevorzugten wir die Variante mit Vier-Quadratmillimeter-Kabelbrücke und Anschluss des Lautsprecherkabels am Mittelhochton- Terminal.
Die Piega Coax 120.2 ist ein Schallwandler mit ausgeprägter Souveränität und großer Raffinesse, ein wirklich reifes Produkt, meisterlich gefertigt und sowohl messtechnisch als auch klanglich über jeden Zweifel erhaben. Mit seinem Koax-Mittelhochtöner ist Piega dabei einen höchst aufwendigen und sicherlich streckenweise auch steinigen Weg gegangen. Doch das hörbare Ergebnis gibt Leo Greiner und Kurt Scheuch recht und ist so überzeugend, dass die Mehrzahl herkömmlich bestückter Lautsprecher im Vergleich dazu ziemlich alt aussieht. Insbesondere in Sachen Feindynamik katapultiert sich die Piega hier weit nach vorne.
Warum man diesem Traumlautsprecher nicht häufiger begegnet, dürfte in seinem Preis begründet sein. Denn am Klang kann es wirklich nicht liegen. Würde es sich bei der Coax 120.2 beispielsweise um ein US-Produkt mit großem Namen handeln, dann wäre sie womöglich – nein, sie wäre ganz sicher der Klassenstandard. Daher zum Schluss mein klarer Appell: Wenn sich dieser Lautsprecher im Rahmen Ihrer Finanziellen Möglichkeiten befindet, dann sollten Sie ihn unbedingt einmal in Ruhe anhören. Die Chancen stehen gut, dass die hier aufgerufene stolze Summe durch das zu erlebende klangliche Vergnügen stark relativiert wird!
Piega Coax 120.2
3-Wege-Standlautsprecher, Bassreflex
Wirkungsgrad (1 W/1 m): 92 dB
Nennimpedanz: 4 Ω
Frequenzgang: 22 Hz–50 kHz
Bestückung: 2 x 22-cm-tieftöner, 1 x Koaxial-Bändchen
Ausführungen: Gehäuse Pianolack schwarz, Schallwand und top Aluminium Silber, Lochgitter Silber; optional Gehäuse aluminium Silber oder Schwarz eloxiert
Maße (B/H/T): 113/28/38 cm
Gewicht: 78 kg
Garantiezeit: 6 Jahre