Nubert nuLine 244 – eine verlässliche Begleiterin
Ein offener Brief von Hans von Draminski
Liebe Nubert nuLine 244,
jetzt, da sich unsere Wege in absehbarer Zeit trennen müssen, ist es Zeit, dass ich mich bei Dir in aller Form entschuldige. Und dass ich Dank sage für Dinge, die gerade dann nicht selbstverständlich sind, wenn man bedenkt, wie gedankenlos ich in den letzten Wochen und Monaten mit Dir umgegangen bin. Wenn ich ganz ehrlich bin – und das will ich von jetzt an sein –, hatte ich an manchem Tag völlig vergessen, dass Du auch noch da bist. Und dass Deine Familie sehnsüchtig darauf wartet, dass ich mich Dir widme, dass ich Deine Talente und Deine Stärken lobe. Und dass ich in gebührender Form auch anderen mitteile, wie sehr Deine schlanke, kleine Gestalt darüber hinwegtäuscht, wie groß Du sein und vor allem klingen kannst.
Denn im Vergleich mit mancher aufgebrezelten Boxen-Tusse, vor allem mit einer aus der elitären High-End-Snobiety, wo die Hochtöner aus Splittern des Hope-Diamanten bestehen und die Membranen in Geheimlaboren der NASA hergestellt werden, bist Du halt auf den ersten Blick nur die nette Kleine von nebenan. Die, die freundlich grüßt und immer ein fröhliches Lied auf den Lippen, pardon, den Membranen hat. Und die man gleichwohl nur dann mit Attributen wie „putzig“ oder „niedlich“ belegt, wenn man sie nicht näher kennt.
Kommst Du doch aus einem guten Haus, das Dir nicht nur tadellose Manieren anerzogen hat – Du wirst nie vorlaut, drängst Dich nie in den Vordergrund, machst praktisch immer das, worum man Dich bittet – , sondern auch etwas von jener Kämpfernatur und jenem Stolz mitgegeben hat, die bei den Nuberts in den Genen liegen.
Und das bedeutet, dass Du, die Du nur 85 Zentimeter hoch bist und Dich dank Deiner lieblichen Schlankheit (15 Zentimeter breit und 27 Zentimeter tief) dennoch „Standbox“ nennen darfst, bei Bedarf wie eine Löwin brüllen kannst. Dass Du Tiefton-Impulse in den Raum stemmst, bei denen man unwillkürlich nach einem versteckten Subwoofer sucht (und keinen findet) und dass Du zu einer Geschlossenheit der Wiedergabe fähig bist, wie ich sie früher allenfalls einer gut gemachten Zweiwege-Beauty zugetraut hätte, die oft wunderbar räumlich „können“, dafür aber spätestens dann in Schönheit sterben, wenn ich ihnen – ein Schuft, wer mich darob für einen Sadisten hält – die Wiedergabe großer Sinfonik zumutete.
Eine Übung, die Du so klaglos absolviertest, dass ich Deine Anwesenheit irgendwann gar nicht mehr wahrnahm. Wofür ich ebenfalls um Verzeihung bitten muss. Wenn ich Gustav Mahlers riesengroße, weltumspannende, das Potenzial fast jeder Stereoanlage auf die Kante treibende Achte Sinfonie in den Player steckte, kräuselte sich bei Dir nicht eine Zehntelsekunde lang das edle Schleiflack-Antlitz. Und das, obwohl dieses gigantische Werk für ganz großes Orchester und ganz großen Chor den Beinamen „Sinfonie der Tausend“ gewiss zurecht trägt. Dem Team von Reference Recordings ist es 2017 gelungen, die prototypisch inspirierte und beseelte Interpretation von Thierry Fischer mit dem Utah Symphony Orchestra und dem Mormon Tabernacle Choir so stimmig wie selten für die Nachwelt festzuhalten. Da passen die räumlichen Verhältnisse ebenso wie die tonale Balance, da gibt es eine werkadäquat großzügige Ausdehnung in Breite wie Tiefe und kraftvolle Stimmen, die ohne Schwanken auf dem Grat zwischen Opern-Emotionen und sakraler Transzendenz balancieren. Vorzüge jener US-amerikanischen Aufnahme, die Du, liebe Nubert nuLine 244, so unverfälscht, unverzerrt und unangestrengt, ja lässig an mich weiter reichtest, dass ich mich mit der Musik auseinander setzen konnte und es nicht nötig hatte, über Limitierungen der Wiedergabekette nachzudenken.
Dass Du so etwas kannst, dass Du punktest, wo manche äußerlich spektakuläre Schönheit im wahrsten Wortsinn krachend scheitert, hat vielleicht damit zu tun, dass Du ein Wunschkind bist, dem seine Eltern – in Deinem Fall sollte ich vielleicht lieber „Schöpfer“ sagen, schließlich bist Du „nur“ ein ebenmäßig geformter Schallwandler – nicht nur viel Liebe, sondern auch einige ihrer besten Ideen mitgaben. Die immer heikle, alles andere als triviale Wiedergabe der hohen Frequenzen wurde dem neu entwickelte nuOva-Hochtöner übertragen, der über eine besondere Schallführung verfügt und auf eine eigene, gesondert bedämpfte Volumenkammer arbeiten darf, um sich nicht um die eher bodenständigen Angelegenheiten Deiner Tiefton-Abteilung kümmern zu müssen. Weil man bei Familie Nubert nicht wollte, dass ihre Kleinste fett wird, spendierte man Dir für Deinen ungemein erwachsen, mächtig und dennoch sauber klingenden Bass gleich drei sogenannte 12-Zentimeter-Longstroke-Tieftöner mit Polypropylen-Membranen, die von Bassreflexrohren unterstützt werden – mit Doppelmagneten ausgerüstete Hightech-Chassis, denen Deine Schöpfer „ein optimales Verhältnis von großem Membranhub, maximalem Tiefgang und verstärkerfreundlichem Wirkungsgrad“ attestieren. Wunderchassis mithin, von denen das oberste ganz selbstverständlich auch noch den so sensiblen Mittentonbereich übernimmt, ohne sich je zu übernehmen, sich aus dem homogen agierenden Team auszuklinken, das im Rahmen einer sorgsam abgestimmten Zweieinhalbwege-Konstruktion ganz viel Charme und Feinsinn zu entwickeln versteht. Was auch auf das Konto einer durchdachten Weichenkonstruktion geht, bei der in Deinem Elternhaus nichts dem Zufall überlassen wurde. Mit soliden kleinen Kippschaltern kann man sogar Hochton und Bass an die Raumakustik anpassen, Deinen geradinigen Charakter in Nuancen verbiegen.
In Verbindung mit Deiner wundervollen Anspruchslosigkeit – Du kannst ohne Murren und Knurren schon mit Hilfe einer 25-Watt-Class-A-Endstufe ansprechend und mitreißend Musik in den Raum beamen, der gerne ein bisschen größer sein darf – bist Du, liebe Nubert nuLine 244, das Urbild einer anspruchslosen Gefährtin, die gleichwohl auch einen anspruchsvollen Partner glücklich machen kann und dabei niemals die Contenance verliert.
Was habe ich Dich gequält. Du musstest mir meine schlechte Laune mit auf Ghettoblaster-Tauglichkeit gebürstetem Italo-Pop von Zucchero vertreiben, musstest mit mir vor den Rother Bluestagen einen ganzen Stapel streckenweise sowohl klanglich wie musikalisch höchst zweifelhafter Silber- und Vinylscheiben vom Plattenbau-Punker Andi Valandi bis zum Bigband-Bluesrocker Danny Bryant abarbeiten und zwischendurch sogar als Cinema-Box an der TV-Anlage herhalten. Aufgaben, vor denen manche kapriziöse Boxendiva kapituliert hätte. Während Du nur, wie das so Deine Art ist, lakonisch die Achseln hobst und dann einfach weitermachtest. Ohne Deinen Senf dazu zu geben, ohne zu schönen und weich zu zeichnen. Denn eines der ganz wenigen Dinge, die Du nicht beherrscht, ist die Kunst der Lüge, und sei sie manchmal noch so angebracht. Haben Toningenieure von ihrem Handwerk nicht viel verstanden oder haben sie, schlimmer noch, im Dienste einer fragwürdigen Massenkompatibilität so an den Reglern gedreht, dass sich Dynamik und Räumlichkeit dauerhaft ins Jenseits verabschieden mussten, dann kehrt mein grundehrliches Nubert-Mädel das nicht unter den Teppich, sondern spricht klar und deutlich aus, was hier schief gelaufen ist.
Auch zwischen uns hätte freilich manches besser laufen können. Ich hätte Dir beispielsweise wirklich bessere Kabel als die eher billigen Retrostyle-Strippen gönnen können, mit denen ich Dich verkabelte und dabei – ganz Macho – ignorierte, dass Du von daheim ja an sich ein sehr gut gemachtes Bi-Wiring-Terminal mit richtig stabilen, für blanke Kabel, Kabelschuhe und Bananenstecker gleichermaßen geeigneten Klemmen mitbekommen hast. Selbst bei Deiner Aufstellung ließ ich nicht unbedingt jene Sorgfalt walten, die Deinem Potenzial angemessen gewesen wäre. Schuld daran hat nicht zuletzt, dass manches Tuning zum Einen bei Dir nur von geringer Wirkung ist (was für Deine überaus gelungene Gesamtabstimmung spricht) und zum Anderen Deinen Einstandspreis locker überschreitet. Haben Deine Schöpfer doch bei der Summe, die sie für Dich aufrufen, so gnadenlos den Rotstift angesetzt, dass es schon beinahe respektlos wirkt. Für nur 1250 Euro wechselt ein Paar von Deiner Art den Besitzer. Dafür gibt es zwei Lautsprecher mit eindeutiger, auch auf dem rückwärtigen Typenschild vermerkten Rechts-Links-Zuordnung, sauber verarbeitetem Schleiflack in schwarz, weiß oder sogar Echtholzfurnier – und einem Klang, für den man anderswo ein deutlich größeres Loch ins Konto sprengen muss. Noch stehst Du hier in meinem Wohnzimmer, aber bald musst Du die Heimreise antreten. Und ich weiß jetzt schon, dass ich Dich vermissen werde. Mach‘s gut, Kleine! Und bringe anderen ebenso viel Freude an der Musik wie mir!
Info
Nubert nuLine 244
Prinzip: 2,5-Wege-Standlautsprecher, Bassreflex
Wirkungsgrad: 83,5 dB
Nennimpedanz: 4 Ohm
Bestückung: 1 x Hochtöner mit 26-mm-Seidengewebekalotte, 3 x 12,3-cm-Tiefmitteltöner mit Polypropylenmembran
Maße mit Standfüßen (B/H/T): 21,5/87,3/28,5 cm
Ausführungen: Schleiflack schwarz oder weiß, Echtholzfurnier, farblich passende Gitter
Gewicht: 15 kg
Garantiezeit: 5 Jahre
Paarpreis: 1250 €