Living Voice Avatar IBX-R2 und OBX-R2 – Die beiden sind zu dritt
Man muss schon ganz schön abgedreht sein, um Unterschieden zweier Paar Lautsprecher mit der gleichen Modellbezeichnung auf den Grund gehen zu wollen. Und möglichst kein Ingenieur. Klingt nach einem Fall für FIDELITY.
Nein, ich beginne den Vergleich der Living Voice Avatar OBX-R2 mit der günstigeren Zwillingsschwester IBX-R2 nicht mit heruntergeklappter Kinnlade und wortreich sprachlosem Erstaunen über das Klangvolumen dieser leichten und schmalen Pressspan-Kisten. Nicht etwa, weil das nicht angebracht wäre, sondern weil ich darauf schon vorbereitet war. Besonders eindrücklich ist mir die Vorführung der, wenn ich mich recht erinnere, nächsthöheren OBX-RW auf der letztjährigen High End in Erinnerung. Neben der in jeglicher Hinsicht Superlative sprengenden Living Voice Vox Olympian spielte sie zwar nur die zweite Geige, aber für den einfachen Audiophilen mit Monatsgehalt war sie der heimliche Star. Auf einen Vergleich der qualitativ theoretisch gleichwertigen Schallwandler mit dem tausend Euro schweren Unterschied, dass die Frequenzweiche einmal wie üblich integriert ist – IBX für Inboard-Crossover – beim anderen Modell dagegen in zwei separaten Gehäusen steckt – OBX gleich Outboard-Crossover – war ich dementsprechend so gespannt, dass ich einfach nicht nein sagen konnte.
In den letzten Jahren haben die nur äußerlich identischen Lautsprecher der Auditorium-Serie in der Fachpresse für gehörigen Wirbel gesorgt – weshalb ich auf umfangreiche Vorarbeit aufbauend, nicht jedes Detail würdigen werde –, obwohl sie es optisch nicht Wert scheinen, Ihrer Frau Gründe für Ihre Entmündigung zu geben. Sie sind sehr ordentlich verarbeitet und ihr Furnier ist nicht weniger perfekt als das von 1000-Euro-Surroundsystemen, aber unaufhaltsame Gier löst es nicht aus. Auch ihre Gehäuse aus sehr groben Spanplatten in nur 18 Millimetern Stärke strahlen nicht das aus, was Marketingabteilungen gerne inhaltslos „Wertigkeit“ nennen. Darüber hinaus stelle ich es mir schwierig vor, einem Kunden, der mit High-End massive Qualität verbindet, zu vermitteln, dass seine neuen Lautsprecher mit Knetmasse zusammengeklebt werden. Wobei gerade der hohle Vierkant-Rahmen, worauf die Lautsprecher mit vier Klecksen BluTac in Position gehalten werden, eine praktische Idee ist: Man positioniert zunächst den Sockel, nivelliert ihn über M8-Spikes und setzt erst anschließend den Lautsprecher-Korpus obenauf. Gemäß ihrem Entwickler Kevin Scott sind die lückenlos lackierten Podeste aber auch klanglich essentiell. Die IBX ohne Unterbau auf je drei Dämpfungsfüße von bFly zu stellen, war eine Sache von Augenblicken – Scott hat Recht. Sie büßte sofort an Schmiss ein. Nur eines von vielen unscheinbar anmutenden, aber mit enormer Wirkung betrauten Konstruktionsmerkmale.
Wir dürfen uns über die preiswerte Haptik lustig machen, aber für Kevin Scott, einem wie ich aus eigener Erfahrung bezeugen kann sehr humorvollen Engländer, hört spätestens da der Spaß auf. Es hätte ihm eine jahrelange Odyssee eingebracht, bis er adäquaten Ersatz gefunden hatte, als der britische Lautsprecher-Hersteller Castle einst die Gehäuseproduktion einstellte. Spanplatte klingt nicht gleich Spanplatte. Und dicker ist nicht besser. Dies wissend, erinnere ich mich wieder sehr gut an eine Castle Conway, die ich vor über zehn Jahren gebraucht erwerben hätte können. Eine famose kleine Box, wie die Living Voice in exzentrischer D’Appolito-Bauweise, die mir wie für Klassik-Hörer gemacht schien. Dies und ihr Standort in London sorgten damals dafür, dass ich mich für eine Lua Con Fuoco entschied.
Letztlich erzählt so jedes Detail der R2 seine Geschichte, die sich fundamental von gängiger Entwickler-Meinung – teuer ist besser – und effizienter Vermarktungs-Strategie – billiger ist lukrativer – unterscheidet. Kevin Scott ist verdammt oft der Überzeugung, „billiger“ sei klanglich weit überlegen. Die Gehäuse müssen resonieren, um Energie abzuführen, aber nicht unkontrolliert, sondern sehr spezifisch, was eine akribische Zusammensetzung von Holz und Leim sowie hohe Serienkonstanz des Ausgangsmaterials erfordert. Auf diese Weise kommen einen im Grunde preiswerte Spanplatten teuer zu stehen. Jene Pingeligkeit Scotts setzt sich in der Frequenzweiche fort. Dort finden sich selbstgewickelte Luftspulen und Hovland-Musicaps, die nach einem in mühsamen Hörsitzungen eruierten Lageplan, der selbstverständlich auch die Einbaurichtung berücksichtigt, weiträumig auf Holz aufgebaut sind. Schließlich bescherte diese manische Akribie Scott das Glück des Tüchtigen: Es kam zu einer Kooperation mit Kondo, deren Elektronik und Kabel ihm größere Möglichkeiten bei der Abstimmung nach Gehör eröffneten. In der Folge präsentiert sich Kondo bisweilen mit Living Voice, obwohl die Japaner auch eigene ganz ordentliche Lautsprecher führen. Im Zuge dieser Information wird vorliegender Test natürlich umgehend gegenstandslos. Falls ich Positives zur R2 zu sagen hätte, fügte es diesem Ritterschlag nicht mehr hinzu als ein Möwenschiss dem Ozean. Falls nicht, hätte es ungefähr die gleichen Auswirkungen. Ich erlaube mir nichtsdestotrotz meine kleine Meinung: Die beigelegten Kondo-Lautsprecherkabel sind ein Traum! Obwohl es sich nur um die kupfernen KSL-SPc handelt, transportieren sie schon dieses Kondo-Feeling des unverstellten Blicks in die Aufnahme, wie nach einer speziellen Oberflächenpolitur, die alle Haarrisse auffüllt. An genau diesem Punkt treffen sich Kondo und Living Voice. Im Aufstellungs-Wettlauf hatte die IBX aufgrund geringerer Kabelage einen theoretischen Vorteil, weshalb sie als Erste den Platz der SP1.1 von Steinmusic einnahm. Schließlich war ich neugierig und es ging schon auf 22 Uhr zu.
Die Boxen sind kaputt, der Plattenspieler gibt keinen Ton von sich! Merkwürdig, der Rechner streamt unbeirrt – never touch a running system! –, da muss doch irgendwo … Ist das ein Dylan-Bootleg? Das Gedudel aus dem PC klingt plötzlich räumlich tief und erstaunlich klar, „Sugar Man“, fürwahr. Rodriguez, das hör’ ich mir an, dann such’ ich den Fehler. Danach Robyn Hitchcock, „The Crystal Ship“. Was ist mit seiner dünnen Stimme geschehen? Sie hat Untertöne bekommen, mal fauchend, mal kurz angedeutet grollend, ein wenig Zungenschlag, Körper und Charakter oder so, jedenfalls stehe ich jetzt nicht auf. „Funky Dollar Bill“, Thornetta Davis’ Stimme wie Donnerhall, der Funk-Rhythmus elektrisierend. Da hält es niemand im Sitz – bis auf mich, ich stehe jetzt garantiert nicht auf. Es sei denn – Schostakowitsch Streichquartett Nr. 1 op. 49, dargeboten vom Brodsky Quartet – es geht nicht anders. Ach was! Das ist einfach zu lieblich, die schwere russische Seele trifft im ersten Moderato auf pure, ausgelassene Lebensfreude, im zweiten schwellen die Violinen an, als ob ewig Frühling wäre, um schließlich in einem einzigen, hölzern, definiert und transparent sich manifestierenden Pizzicato zu gipfeln. Dimitri, der alte Schwerenöter, in C-Dur. Diese Viertelstunde Klassik sitze ich mit Vergnügen aus. Um es kurz zu machen, als ich das nächste Mal auf die Uhr sehe, ist es kurz nach Mitternacht und der Feickert Firebird immer noch stumm.
Etwas ist geschehen am nächsten Tag, aber vorerst kann ich es nur in einer schwebend-wiegenden Handbewegung ausdrücken. Zuvor hatte ich IBX zu ORB (Out of Room Box) und OBX zu IBR (In Room Box) gemacht und den Moerch-Arm, der das Lyra Kleos SL führte, statt des parallel montierten Kuzma Stogi Reference mit der Lehmann Decade verbunden, was ein grundsätzliches Problem des Vorabends löste. So wie die OBX den der IBX, nahm Baden Powell den Platz der sonntäglichen Stille ein und füllte ihren Raum mit beschwingtem Bossa Nova von Solitude On Guitar (Speakers Corner). Ab „Bassambra“, der vierten Nummer auf Seite zwei, wird die Veränderung für mich greifbar. Die Melodie der akustischen Gitarre löst sich vom knorrigen, gezupften Bass. Sie wird unterfüttert, herausgehoben wie das nächtliche Münchner Straßennetz vom Olympiaturm aus betrachtet. Ihre Saiten stehen ohne Zittern im Raum, reine, unverfälschte Energie. Natürliches Ein- und Ausschwingen ohne Stufen, ohne Stolpern im Übernahmebereich der Chassis und eine Tonfülle, die ich weder als dünn noch als besonders mächtig bezeichnen möchte, sondern einfach als normal, als etwas, das wie ein guter Jazz-Drummer registriert wird, aber dem unbedarften Hörer keine besondere Aufmerksamkeit abverlangt. Wer dagegen selbst trommelt, erkennt den Meister allein an der Besenführung.
Der Lokalisation der Frequenzweiche wird meines Erachtens viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Aber im Grunde liegt es sehr nahe: Im Inneren einer Box geht es zu wie in einem Geschirrspüler, ein einziges Tohuwabohu aus verschiedenen Kraftvektoren, Druck und Konterdruck, nur ein dünnes Bassreflex-Rohr auf der Rückseite verhindert, dass die Treiber aus der Schallwand springen wie Zeichentrick-Augen – kein idealer Aufenthaltsort für eine Schaltung mit seismisch sensiblen Bauteilen.
Einerseits ist es schade, dass die R2 für den Test des Genuin Straight (ebenfalls in dieser Ausgabe) zu spät kam, andererseits auch ein vom Zu- bedingter Glücksfall, denn sie hätte auch anderswo landen können. Jedenfalls bilden beide Paare mit dem nur 15 Watt kräftigen Hybrid-Verstärker sofort eine symbiotische Einheit. An der Kombination mit meinen Verstärkern gibt es nichts auszusetzen, sie ergänzen sich mit den Living Voice so gut wie ich es erwartet hatte, aber der Genuin Straight zeigt ein zweites, sanfteres und weicheres Gesicht. Beide R2 nehmen seinen unromantischen, direkten Zugang, paaren ihn mit ihrem Willen zum Wohlklang, der auch weniger guten Aufnahmen alles abringt, und bringen hervor, was wirklich dahinter steckt: bezaubernde Anmut. Diese Paarung motiviert sich gegenseitig und vermählt sich in selten gehörter harmonischer Ausgewogenheit. Living Straight – so sieht die Anlage des modernen Gentleman alter Schule aus. Irgendwie wünschte ich, ich wäre einer, dann bekäme jede Dame, die eine Rechnung über diese Kombination vorweisen kann, eine Blume aus der Vase, die im Straight-Test keinen Platz fand, und einen Handkuss.
Später Vormittag gegen 15 Uhr, draußen ist Frühling und während der Stille des Rückbaus registriere ich, dass auch ohne Living Voice die Sonne scheint. „In the Light“ und „Bron-Yr-Aur“ (Led Zeppelin, Physical Graffiti) – wabernde progressive Keyboards und psychedelische Gitarren im ersten, akustische Landschaftsmalerei im zweiten Stück. Die R2 mit integrierter Weiche macht ersteres irgendwie lustvoller mit, sie gibt dem Wah-Wah Bonus-Twang, freut sich über die verfremdete Stimme und Feedback. Eine Beobachtung, die sich öfter bestätigt. Sobald die Musik blueslastig, „schmutzig“ wird, spielen beide Lautsprecher Kopf an Kopf, aber doch mit unterschiedlichem Fokus. Bei der IBX liegt er auf dem leidenschaftlichen, „fetzigen“ Feeling, die OBX ist stärker bemüht, trotzdem ein klares, übersichtliches Bild zu malen. Die IBX ermöglicht dem Hörer in die Melodie einzutauchen, ihr Gegenüber lässt ihm keine andere Wahl, als mit ihr zu schweben. Mit ihr klingt „Bron-Yr-Aur“ reiner und offener.
Das Bottleneck auf Chris Whitleys „Altitude“ schnarrt über die IBX lebhafter, dafür tritt der Körper der Halbakustischen etwas zurück. Wieder zieht die R2 mit externer Weiche den Hörer unmittelbarer in die Melodie, öffnet ihm die Songs, von denen sich auf Dirt Floor mehr erstklassige Befinden, als Clapton in seiner Karriere geschrieben hat, während ihre Kontrahentin aus der kargen Musiker-Musik (man muss sich die Hälfte dazudenken) auch noch das letzte Quäntchen Fülle herausquetschen will. Whitley klopft mit seinem Fuß bisweilen ganz leise den Rhythmus. Über die R2-IBX findet das auf gleicher Ebene statt, es ist eingebunden und klingt richtig, während derselben nur knapp halbstündigen CD über die OBX schrecke ich zweimal kurz auf, weil sie diesem Ereignis solche Tiefe verleiht, dass ich denke, es hätte jemand die Wohnung betreten. Hier tritt natürlich gegen wahrhaftig an und Sie verlangen ausgerechnet von mir, diese Differenz in Worte zu fassen. Beide R2 bestätigen ihre Ausnahmestellung, wobei der Hype, sie wären allein auf weiter Flur, auch mit Vorsicht zu genießen ist. Analytisch geprägte Hörer legen vielleicht weniger Wert auf Musikalität, dafür mehr auf perfekte Linearität, andere werden die unterste Oktave mehr vermissen, als sie die transparente Durchzeichnung darüber begrüßen. Für Klassik- und Jazzliebhaber ist mein Urteil eindeutig: An der externen Weiche führt kein Weg vorbei. Wer im Blues und Rock zuhause ist, sollte sich unvoreingenommen auch der IBX widmen.
Living Voice Avatar R2-OBX und R2-IBX
Standlautsprecher mit externer/integrierter Frequenzweiche
Prinzip: 2-Wege-Standlautsprecher, Bassreflex
Wirkungsgrad: 94 dB
Nennimpedanz: 6 Ohm
Bestückung: 2 x Scan Speak Tief-Mitteltöner, Scan Speak Revelator Kalotten-Hochtöner
Ausführungen: verschiedene Furniere
Maße (H/B/T): 103/21,5/27 cm
Gewicht: 21 kg (IBX), 19 kg (OBX) + 3,5 kg (ext. Weiche)
Garantie: 2 Jahre