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Genuin Straight Vollverstärker

Test: Genuin Straight Vollverstärker

Genuin Straight – Tanz der sieben Schleier oder Die nackte Wahrheit

Wie viel darf ein Verstärker zeigen, bevor es unanständig wird, und wann? Oder muss er Manches verschleiern? Was heißt das eigentlich, neutral?

„Aus irgendeinem Grund hatten … alle … angenommen, dass der erste Schleier von oben fallen würde … Doch irrten sie. Als der Schleier schließlich zu Boden schwebte …, entblößte er nicht ihr Gesicht, sondern ihre Lenden.“ Sehen Sie, das ist unkonventionell, damit scheint die Luft raus aus der orientalisch angehauchten Erotik, aber lassen Sie mich Ihnen versichern, damit geht der Tanz der sieben Schleier, wie ihn Tom Robbins in Skinny Legs And All (dt.: Salomes siebter Schleier) beschreibt, erst los. Er ist die denkbar unzüchtigste Variante, sich zu entblättern, und wirkt nicht eben romantisch, aber er ist zugleich die ehrlichste wie auch geheimnisvollste. Zwar hat man mit dem nackt sich wiegenden Hintern alles Wesentliche schon gesehen, aber sobald sich der erste Schreck wieder gelegt hat, weckt das Neugier und verschiebt die Einordnung dessen, was wirklich von Interesse ist.
Mit den ersten Tönen, die der Hybrid-Amp an die Steinmusic-Lautsprecher, die Akustik-Mikroskope wie ich sie liebevoll nenne, im strengen Wortsinn weiterleitet, scheint schon alles gesagt und gezeigt, die Fakten liegen auf dem Tisch: Das ist ein verstärkender Draht. Was soll jetzt noch kommen, nachdem der innere Kern von Tom Waits „Dirt In The Ground“, der sich in einer scheinbar zufällig im Atemzug liegenden, sehr holzigen Bassklarinette findet, offen und bar liegt? Bone Machine von 1992 halte ich für Waits existenziellstes, richtungsweisendstes und wirkungsvollstes Album, vorher war er ein beileibe nicht alltäglicher Songschreiber, aber mit konventionellem Handwerkszeug, danach Kunstschaffender. Auf Bone Machine war er der Poltergeist des Blues, er spricht nicht durch Musik, sondern sie durch ihn. Und sie klingt nicht gut: Heiser krächzend, winselnd, flüsternd und heulend vollführt sie einen Danse Macabre, einen Abgesang auf die Rockmusik, deren Zeit als unmittelbarer Ausdruck irrationaler Gefühlswelten gerade zu Ende ging. Plötzlich wurden alle, die in keiner Band mitmachen durften, Techno-DJs. Den Rest der Geschichte erzähle ich ein andermal, sie gehört gar nicht hierher, das ist dieser silbern-schwarze Integrierte mit seiner Fähigkeit, einen ohne Umwege, die ungeteilte Aufmerksamkeit einfordernd, in die Aufnahme hineinzuziehen und Assoziationsketten anzubieten. Gleichermaßen fördert er aber auch diese ungewöhnliche, mich selbst überraschende Eindeutigkeit im musikalischen Urteil ohne vielleicht und möglicherweise.

„Neutral wie Studioelektronik“, nennt das Thomas Wendt, Vertrieb und Gründer der Handelsmarke Genuin. Aber sollte das wirklich schon alles sein, gibt es keine Geheimnisse, nichts Unentdecktes? Ich will keinen neutralen Verstärker, sondern ich möchte bitte einen loyalen, der auf meiner Seite steht, einen, der mich bedient, befriedigt und aufklärt. Auf die Gefahr hin, das schon mehrmals erwähnt zu haben: Will man Studio-Sound, greift man zu professionellem Equipment, so wie man fürs exakte Längenmaß einen Zollstock nutzt und nicht die Elle. Um es gleich vorweg zu schicken, ich halte den Genuin Straight nicht für neutral, sondern für radikal. Sowohl hinsichtlich des puristischen und alles andere als alltäglichen Single-ended-Konzepts mit Röhrenvorstufe und lediglich einem Leistungstransistor pro Kanal, als auch seines extrem drahtigen, entschlackten und nüchternen Klangbilds. Romantik und das, was man bei Kleinleistungsverstärkern mit Röhren gemeinhin schummrig als Flair bezeichnet, entsprechen nicht seiner Mentalität, dennoch liefert er auch mit im übertragenen Sinne weithin sichtbar entblößtem Unterleib eine emotional sehr ansprechende, je nach Aufnahme auch anrührende, Vorstellung ab.
Für aufmerksame Beobachter der nationalen Röhrenszene ist es nur unzureichend verschleiert, sie erkennen am Gehäuse, dass Reinhard Thöress hinter dem Straight steckt und reiben sich verwundert die Augen: War nicht eben von einem Hybrid-Amp die Rede? In der Tat, mit dem Straight macht Röhren-Liebhaber Thöress seinem undogmatischen Ruf alle Ehre. Obgleich, im Gegensatz zur Elektronenröhre, längst noch nicht zu Ende entwickelt, qualitativ zweifelhaft und generell schlecht beleumundet, wagt er sich mit eigener Schaltung an Halbleiter. Immerhin haben ja auch andere Entwickler, seit die Germanium-Typen modernen Silizium-Transistoren gewichen sind, ganz passabel klingende Verstärker damit gebaut. Man sollte aber nicht den Fehler machen, den Straight als ad hoc ausgeführten Lap-Dance anzusehen. Die ungewöhnlich kurze Schaltung mit insgesamt nur zwei Verstärkerstufen liege schon eine Weile in einer Schreibtischschublade, beteuert Reinhard Thöress offenherzig und lässt damit unbeabsichtigt einen weiteren Schleier fallen: Nach meinem unbestätigten Dafürhalten lag sie dort nicht vergessen oder unbeachtet, sondern versteckt. Ich glaube, dass, hätte ihm Thomas Wendt den Verstärker nicht als passenden Partner zur Gate-1.0 (Test FIDELITY Nr. 13, Ausgabe 3/2014) aus den Rippen geleiert, Reinhard Thöress diesen ebenso unscheinbar anmutenden wie fantastisch vielschichtig klingenden Verstärker der Welt mit Absicht und aus kühlem Kalkül vorenthalten hätte. Schließlich sägt er damit auf jenem Ast, auf dem er es sich mit Röhrenverstärkern aus dem „Goldenen Zeitalter“ kommod eingerichtet hat.
Der vierte sich zu Boden wiegende Schleier legt einen schlanken und drahtigen Körper frei, der alle Hoffnung auf einen Harems-Bauchtanz, während dessen man als Pascha feist im Sessel versinkt und sich kühlende Luft zufächeln lässt, enttäuscht. Knackiger Ausdruckstanz wird dargeboten. Aus nur einem MosFET pro Kanal generiert der Straight überaus lässig und kräftig wirkende 15 Watt, die an empfindlichen Schallwandlern einen geradezu athletischen Eindruck machen. Sparsam eingesetzte, aber außergewöhnlich differenzierte und präzise Klangfarben lenken die Aufmerksamkeit auf Rhythmus und Timing, auf die Unmittelbarkeit der wie vom technischen Ballast befreiten Wiedergabe. Im Fokus steht die vollendet fließende und mühelos erscheinende Bewegung, welche die Kraft und Körperspannung, die diese Schwerelosigkeit kostet, nicht erahnen lässt.
Für mein Empfinden ist das der signifikanteste Unterschied zum Thöress-Vorverstärker mit 300B-Monos, wie ich sie ebenfalls schon in der Kette hatte. Die ungleich teurere Kombi hat einen festeren Stand, spielt mit ausladenderer Gestik und nimmt ihren Schwung mit den Hüften mit, wodurch sie weniger Kraft aufwenden muss und im Vergleich zum sehnigen Straight griffiger und sonorer klingt. Sensationell ist dagegen die Feinauflösung des Straight, der selbst in der höchsten Oktave noch dynamische Abstufungen vermittelt, die sogar bei meiner DNM-Endstufe, welche insbesondere feindynamisch sehr vieles mit Rang und Namen alt aussehen lässt, in einer heftigen Spitze untergehen. Außerhalb des roten Bereichs agiert meine Kombi ebenfalls mit Röhren in der Vorstufe mit größerem Lungenvolumen ein wenig gefälliger, der Straight bleibt über den gesamten Frequenzbereich, auch bis in erstaunliche Tiefen, asketisch und drahtig, aber höchst kontrolliert und durchlässig. Beispielsweise arbeitet er das in meiner Anlage leider existente Qualitätsgefälle zwischen CD-Player und Rechner exemplarisch heraus und betont es so explizit, dass ich gerne aufstehe und nach der jeweiligen CD krame. Meine Verstärker sind eher bereit das hinzunehmen und diese Differenz zu kaschieren.
Seinem puristischen Image zum Trotz, besitzt der Straight eine Fernbedienung. Das Testexemplar als Vorserienmodell zwar noch nicht, aber das Standard-Motorpoti ist schon da. Eine bittere Pille für einen Entwickler, der Stereopotis generell zugunsten kanalgetrennter Regler ablehnt. Aber gerade deshalb, weil er suboptimale Ansätze nicht akzeptiert, kann man Reinhard Thöress diesbezüglich vertrauen. Er setzt nicht auf das blaue Alps, das in der Branche unhinterfragt als Nonplusultra gilt, sondern auf eine ebenfalls japanische Maßanfertigung der Profi-Ausrüster von TKD. Das lineare Leitplastikpotentiometer glänzt von Haus aus schon mit hervorragenden Gleichlaufwerten, die Reinhard Thöress nochmals verbessert zu haben glaubt, indem er ihm mithilfe zweier Widerstände einen Quasi-Logarhythmus aufzwingt. In der Praxis wirkt sich das in einem schnellen Anstieg des Pegels auf den ersten beiden Zentimetern aus, danach reagiert es nicht mehr so sensibel. Der schwarz glänzende Kunststoffregler mit grau geriffeltem Rand läuft definiert, aber nicht überkultiviert sahnig, wie die beiden anderen zur Rechten und Linken wird er von oben in oranges Licht getaucht, das an glühende Röhren erinnert. Jedoch nicht mit modernen, praktischen und effizienten LEDs, sondern mit kleinen Glimmlämpchen – Anspruch, Haltung und Design bilden hinter dem fünften fallenden Schleier eine perfekte Symbiose.

Ein Genuin Straight entsteht in Aachen komplett in Handarbeit – inklusive Netztrafo! – und wird innerhalb mehrerer Tage von nur zwei Händen zusammen gelötet: Beide gehören Reinhard Thöress. Die Vorstufe ist in selten anzutreffender Qualität auf Lötleisten aufgebaut. Oben lugen zwei NOS-PC86 durchs Gehäuse wie zwei Schlümpfe im Schützengraben. Das hat den Vorteil, dass sie auch im schlumpfigsten Schlumpfgewitter noch einen sicheren Unterschlumpf haben, aber den Nachteil, dass man keine Plattencover auf den Straight legen kann und erst recht keine Häkeldeckchen mit Blumenvasen. Schleier Nummer sechs legt den Rücken mit drei Line-Eingängen, die für den Erst-, Zweit- und Drittplattenspieler reichen, und einem als „Quelle“ bezeichneten fixen Hochpegel-Ausgang frei. Nicht eben üppig, aber das muss als Gegenentwurf zu überfrachteten Schaltzentralen mit Bluetooth und W-LAN betrachtet werden. Überdies stellt für Reinhard Thöress jedes Bauteil, das nicht unmittelbar der Signalverstärkung dient, einen potentiellen Störenfried dar. Deshalb – und weil sie nicht nötig sind – gibt es im Straight auch keinerlei Schutzschaltungen wie Einschaltverzögerung oder sofortige Stummschaltung bei Kurzschluss. Im Ausgang befindet sich lediglich ein stabiler Kondensator, der einen eventuellen DC-Offset auffängt. Trotzdem fährt der Verstärker bis auf gelegentliches Rascheln in den ersten Sekunden geräuschlos hoch, der Entwickler behauptet sogar, man könne Lautsprecher bedenkenlos auch im Betrieb anstecken. So etwas würde mir allerdings im Traum nicht einfallen! Der Kniff der Schaltung, sowie ich das verstehe, tastet das Wesen eines Vollverstärkers an sich an: Durch die lediglich zweistufige Verstärkung mit Röhren-Treibern, die schon genug Spannung liefern, um Lautsprecher auch direkt versorgen zu können, und diskreter Halbleiterschaltung, die lediglich als Impedanzpuffer fungiert und einen niederohmigen Ausgangswiderstand von maximal einem halben Ohm gewährleistet, ist der Straight nicht ohne Weiteres in Vor- und Endstufe auftrennbar. Deshalb bietet er auch keinen Vorverstärkerausgang. Je ein MosFET und ein Sensor-Widerstand pro Kanal bilden eine Stromsenke für das von den beiden PC86 verstärkte Signal und bieten dem Single-Ended-Leistungs-MosFET seinen optimalen Arbeitspunkt – selbstverständlich in reinem Class A. In dieser Betriebsart, die zwingend aus der SE-Schaltung resultiert, sind schwerlich mehr als die gegebenen 15 Watt verzerrungsfrei herauszuquetschen, darüber hinaus funktioniert die Minimal-Schaltung auch nur mit kleiner Leistung. Andernfalls bräuchte es wieder Schutzschaltungen, um Betriebssicherheit zu gewährleisten. Für Straight-Besitzer ist Purismus eben mehr als bloß ein Schlagwort.
Manche genießen zum Striptease, denn um nichts anderes als eine kunstfertige Striptease-Tänzerin handelt es sich beim Genuin Straight, Bourbon mit Cola, weil sie den Hauch weicher Vanille schätzen, andere bevorzugen fassstarken Single-Malt mit einigen Tropfen Wasser, weil er damit bekömmlicher wird und seine Blume entfalten kann, so wie es viele High-End-Verstärker mit schwierigen Aufnahmen machen, aber den Genuin gibt es nur „Straight“ – verwässern muss ihn der Konsument selbst mit Tonabnehmern, Lautsprechern oder Kabeln. Nur noch ein einziger seidiger Schleier entzieht das Gesicht der Tänzerin, und damit das letzte, allein wichtige Geheimnis des Straight, den Blicken. Man bekommt es zu sehen, sobald man sich beruhigt hat, sobald man nicht mehr vor Neugier platzt, sobald „Almost Persuaded“ keine blumigen Überredungskünste mehr braucht. Wenn der pure Drink und das gewinnende Lächeln überzeugen. Dann windet sich Nancy Wilsons dunkles Timbre lasziv durch hinweg schmelzende Membranen, zarte, saftige, aber nicht zusätzlich kandierte Geigen füllen den Raum zu ihrer Linken und ein wie schwebend swingendes Schlagzeug jenen zu ihrer Rechten. Dann findet die Kompromisslosigkeit des Straight ihre Erfüllung und man blickt in ein nicht umwerfend schönes, aber hübsches und freundliches, ebenmäßig geformtes Antlitz, welches offenbart, dass sich nicht nur der Straight entblättert, sondern vielmehr der Hörer während der Vorführung seine wahrhaftige Erwartung freigelegt hat, und dessen feurige Augen geradewegs in die Unendlichkeit schauen lassen. Es ist keines jener leblosen Gesichter, die einen von Hochglanz-Magazinen herab anlächeln, sondern eines, das man auch Morgen noch spannend findet. Gleichermaßen ist der Genuin Straight auch kein Produkt für den schnelllebigen Massenmarkt, sondern eines für Individualisten, die Chrom und Gloria sowie Watt pro Kilo schon hinter sich haben. Aus diesem Grund habe ich auch keine Bedenken, er könnte in die falschen Hände oder unpassende Anlagen geraten. Stellt man ihn neben drei massive Alu-Boliden, wird vermutlich nicht der Straight ausgesucht, sondern er ist es, der seine Hörer erwählt. Ob Sie darunter sind, hören Sie am besten selbst.

Genuin Straight
Vollverstärker

Funktionsprinzip: Class-A Hybrid-Trioden-Verstärker
Ausgangsleistung (8Ω): 2 x 15 Watt
Eingänge: 3 x Line (Cinch)
Ausgänge: 1 x Lautsprecher (Polklemmen), 1 x Line (Cinch)
Besonderheiten: Single-Ended-Hybrid-Schaltung, Fernbedienung
Ausführungen: Bi-Color (silber-schwarz)
Maße (B/H/T): 43,4/13,4/43,4 cm
Gewicht: 15 kg
Garantiezeit: 2 Jahre

www.genuin-audio.de

 

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