Looking for the English FIDELITY Magazine? Just click here!
Focal Aria 936

Test Focal Aria 936 Lautsprecher

Focal Aria 936 – Erneuerbare Energien

Naturfaser statt Plastik? Focal entdeckt Flachs als Werkstoff und bietet mit der Aria-Serie nachhaltigen Musikgenuss – und schlachtet das Portemonnaie sehr schonend

Heutzutage ist vieles möglich: Man kann Currywürste essen, die kein Gramm Fleisch enthalten, sondern aus Tofu bestehen. Man kann auf die Autobahn fahren, ohne einen Liter Benzin zu verbrauchen. Man könnte sogar ökologisches Bier aus der Region trinken, das keinerlei Rückstände von Pestiziden enthält und noch nicht einmal Alkohol. All das nennt sich „Nachhaltigkeit“ – und hat oft mit Verzicht zu tun. Mit dem Elektromobil beispielsweise sollte man nur dann auf die Autobahn fahren, wenn man an der nächsten Abfahrt runter muss – sonst ist der Akku leer.
Wenn es um HiFi geht, ist Verzicht allerdings keine Lösung. Gut, auf die Anschaffung einer Focal Grande Utopia werden die allermeisten eingedenk eines deutlich sechsstelligen Preises gezwungenermaßen verzichten müssen. Dafür bekäme man aber auch keine Boxen im eigentlichen Sinne, sondern einen Meilenstein der Schallwandelkunst. Da ist die Aria-Serie die in vielerlei Hinsicht nachhaltigere und praxisgemäßere Lösung.
Focal Aria 936Die Aria- ist der Chorus-800-V-Serie nachgefolgt. Sie wurde komplett neu entwickelt und bietet auch Nicht-Millionären die Möglichkeit, sich High-End-Lautsprecher ins Haus zu holen. Die 936 ist die zweitgrößte Standbox der Aria-Reihe, stattliche 115 Zentimeter groß und 30 Kilo schwer. Für rund 2500 Euro ist die Drei-Wege-Box in schwarzem Pianolack-Finish erhältlich, die „Nussholz“-Variante (eine verdammt gute, wirklich täuschend echte Folierung!) ist für 2200 Euro zu haben. Dafür gibt es ausgefeilte Technik und, wie sich zeigen soll, einen ausgezeichneten Sound.
Doch zunächst will ein solch hochgewachsener Schallwandler artgerecht gehalten werden. Ein Berliner Altbauzimmer erwies sich als ein geeignetes Gehege, das gerade genug Auslauf bot: 25 bis 30 Quadratmeter sollten es schon sein, um der freistehenden Aria 936 in gemessenem Abstand gegenüberzutreten. Denn das Dreieck der Stereohörposition sollte nicht zu klein gewählt werden, damit die Standboxen auf großer Bühne aufspielen respektive eine solche erzeugen können. Und wer sich zu nah an die fünf Chassis – drei Tieftöner und ein Tiefmitteltöner von jeweils 16,5 cm Durchmesser sowie ein Hochtöner mit Focal-typischer Inverskalotte – begibt, muss schon auf seine Sitzhöhe achten, um ein ausgewogenes Klangbild zu erhalten. Dann aber entfalten die Focal ihre gesamte Wucht und beschallen gern auch mehrere Personen in einer Sitzgruppe gleichermaßen gut.
Zum Lieferumfang der rundum stabil und hochwertig verarbeiteten Aria 936 gehört eine Bodenplatte, die mit der Box verschraubt wird, eingelassene Spikes sorgen für einen kippelfreien Stand. Die Justage erfolgt kinderleicht, die Lautsprecher kommen sicher zu stehen. Besagte Bodenplatte fällt oben zu den Seiten hin ab und leitet den Luftstrom aus einem unterseitig „downfirenden“ Bassreflexrohr ab. Zudem finden sich zwei kleinere Reflexkanäle an der unteren Vorderseite. So soll eine gleichmäßige Bass-Diffusion im Raum gewährleistet werden.
Focal Aria 936Die Front der Aria sorgt für einen ausgesprochen wohnlichen Eindruck. Denn wo früher Lautsprechermembranen aus Kevlar oder Carbon gewesen sein mögen, entfaltet nun ein eher ungewöhnlicher Werkstoff seinen (keineswegs nur optischen!) Reiz: Flachs. Eigentlich macht man aus Flachs Leinen und aus Leinen schicke Anzüge. Der natürlich nachwachsende Rohstoff findet allerdings auch als Kompositwerkstoff Verwendung, im Autobau beispielsweise. Und so war es weniger der Nachhaltigkeitsgedanke, als vielmehr der Ingenieursgeist, der die Wahl auf diesen Werkstoff fallen ließ.
Flachs hat hervorragende mechanische Eigenschaften und teilt einige Eigenschaften von Kevlar und Carbon. Es besitzt eine hohe Steifigkeit, ist reißfest und extrem resonanzarm, was im Lautsprecherbau von großem Vorteil ist: So reagieren die Membranen schnell und verzerrungsarm. Bei der Aria-Serie wird eine dünne Schicht Flachs zwischen zwei Glasfasermatten von nur 0,4 Millimeter verbacken, was zu einer hervorragenden Dämpfung führt. Dieses „Sandwich“-Prinzip ist von Focals Utopia-Serie bekannt, bei der allerdings aufgrund der verwendeten Materialien teure Handarbeit erforderlich ist. Flachs hingegen, angebaut in Flandern, der Normandie und der Picardie, erlaubt die industrielle Fertigung – die übrigens vollständig in Frankreich erfolgt. Halt finden die Konusmembranen in einem Korb aus Zink, Alu, Magnesium und Kupfer, eine sogenannte „Zamak“-Legierung.
Focals TNF-Hochtöner ist von einem „Waveguide“ umgeben, der für eine gleichmäßige Abstrahlung in den Raum sorgt. Die invertierte Kalotte besteht aus einer Legierung aus Aluminium und Magnesium. Die Membran ist in eine Schicht aus Poron eingelassen, dieser Polyurethanschaum übernimmt hier die Aufgabe einer dämpfenden Sicke.
Fünf Schallquellen pro Box – das ist schon eine beeindruckende Sicht, die sich bietet, wenn man die Blenden entfernt. Was übrigens kinderleicht geht: Die Blenden werden von Magneten gehalten, Löcher finden sich also auf der Frontseite ebensowenig wie Schrauben. Das Flachsgewebe zeigt eine interessante Textur, die von Membran zu Membran verschieden ist und für eine sehr lebendige, individuelle Erscheinung sorgt – ein sehr tageslichttauglicher Eindruck. Wie tageslichttauglich die Aria tatsächlich ist, sollte sich während eines nächtlichen Besuchs eines erbosten Nachbarn erweisen. Denn die Focal sieht nicht nur nach mächtig Wumms aus. Sie löst das Versprechen bei Bedarf auch locker ein.
Begrüßen wir die Aria 936 aber zunächst recht freundlich mit Musik aus ihrer Heimat. Getreu ihrem Fertigungsort würde sich namentlich die Band St. Etienne anbieten. Doch die stammt aus England, also versuchen wir es mit dem Album Vanessa Paradis der gleichnamigen Künstlerin. Produziert wurde das Werk ohne Rücksicht auf Verluste von Lenny Kravitz: Der Retrosound sorgt für gute Beschäftigung beim Mitteltöner. Das letzte Stück, „Gotta Have It“, hat interessante Auffälligkeiten zu bieten: Zum einen preisen die Lyrics die Manneskraft von Lenny Kravitz, zum Aufnahmezeitpunkt der Lebensgefährte von Vanessa Paradis. Den entsprechenden Text („And he does it like a good man should“) hat er der Einfachheit halber gleich selbst geschrieben. Zum anderen sind alle Instrumente auf den rechten Kanal gemischt, der linke gehört einzig und allein den Lead Vocals. Während des Gitarrensolos wurde der linke Kanal komplett heruntergezogen. Allerdings kann man – und das arbeitet die Aria 936 hübsch heraus – hören, wie der Kanal wieder geöffnet wird: Nun hört man die letzten Töne des Gitarrensolos auch links, weil sie vom Monitorkopfhörer von Vanessa Paradis auf das offene Gesangsmikro abgestrahlt werden.
Die Abbildung naturbelassener Instrumente meistert der Schallwandler mit großer Leichtigkeit. „Cherry Oh Baby“, die Reggae-Coverversion der Rolling Stones auf dem Album Black And Blue, gibt der 936 Gelegenheit, eine ausgezeichnet konturierte Basswiedergabe unter Beweis zu stellen: klar, definiert und analytisch, gleichzeitig aber spielfreudig und mit Schmackes. Mittel- und Hochtöner zeichnen derweil ein sehr realistisches Abbild vom mäandernden Spiel von Charlie Watts auf der HiHat: Der Stick wandert über alle Bereiche der Becken, vom Rand bis zu Glocke, mal geöffnet, mal geschlossen, das alles mit schwer vorhersehbarer Schlagstärke. So klingt es auch real hinter einem Drumset.
Wagen wir also den perkussiven Härtetest: Scott Walker, The Drift. Das vermutlich verstörendste Album der gesamten Musikgeschichte setzt nicht nur eine stabile Psyche voraus, sondern auch eine ordentliche Musikwiedergabe. Mit großer Akribie wurden hier auch problematische Schallquellen aufgenommen. So kommen auf „Clara“, eine Totenklage für die Geliebte von Benito Mussolini, wenig erprobte Percussioninstrumente zum Einsatz: Schweinehälften. Das Klatschen der Fleisch- und Knochenstücke erledigt der in einem beeindruckenden Spektrum operierende Mitteltöner nahezu im Alleingang, die drei Bässe zeichnen die klatschenden Attacks mit einem nahezu subsonischen Echo nach. Keine leichte Kost für Mensch und Wiedergabekette, aber offenbar ein Leichtes für die talentierte Aria 936.

Die Focal geben alle Geschmacksrichtungen von Musik nicht nur sehr präzise wieder. Dank eines sehr ordentlichen Wirkungsgrads stellen sie kaum Anforderungen an die Verstärkerleistung. Schon einen Creek Evo 50 A akzeptieren sie freudig als angemessenen Spielgefährten. Den ungleich stärkeren Alleskönner CS 2.2 von AVM begrüßen sie mit einem kraftvollen und wohldefinierten Bassfeuerwerk. Und, ja, man kann sich die 936 auch als Monitore in einer Studioumgebung vorstellen.
Doch die Boxen brauchen nicht immer das volle Pfund. Sie eignen sich auch sehr gut für Leisehörer. Den „Liebestraum No. 3“ in As-Dur von Franz Liszt, dargeboten in der Gassenhauer-Version von Lang Lang, bringen sie auch in ihrem ruhigen Anfang spritzig und mit klarer Zeichnung der Klangfarben gekonnt zur Geltung. Die Auflösung der Triller-Verläufe – selbst bei Kaffeetafel-Lautstärke – zeigt, wie sehr ihnen Rhythmus liegt.
Das macht die Aria 936 aus: Sie lügen nicht. Höhen werden fein aufgelöst, Bässe bei Bedarf druckvoll in den Raum gepumpt, ohne Transparenz vermissen zu lassen. Sie weiß, wo vorne und hinten ist und staffelt Instrumente klar und deutlich in der Tiefe des Raumes. Sie meistert hohe Pegel, tritt bei Bedarf aber auch zurückhaltend auf und musiziert weiterhin mit Liebe zum Detail. Man wird lange suchen müssen, ehe man zu einem so attraktiven Kurs so viel audiophile – und nachhaltig wirksame – Talente geboten bekommt.

 

Focal Aria 936

Prinzip: 3-Wege-Standlautsprecher, passiv, Bassreflex
Wirkungsgrad (2,83V/1m): 92 dB
Nennimpedanz: 8 Ω
Bestückung: 3 x 16.5-cm-Tieftöner, 16,5-cm-Tiefmiteltöner, Inverskalotte aus Aluminium und Magnesium
Besonderheiten: Tief- und Mitteltöner mit Flachs-Sandwich-Membranen; Kopfplatte aus Glas
Ausführungen: Walnuss (Folierung) oder Hochglanzlack Schwarz (300 € Aufpreis)
Maße (B/H/T): 115/29,4/37,1 cm
Gewicht: 29 kg
Garantiezeit: 10 Jahre
Paarpreis: ab 2200 €

 

Music Line Vertriebs GmbH
Hainbuchenweg 14–18
21224 Rosengarten
Telefon 04105/77050

 

www.music-line.biz

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.