Dynavector P75 Mk3 Phono-Vorverstärker- Mauerblümchen mit inneren Werten
Auf den ersten Blick nichtssagend, verführt diese kleine Kiste von Dynavector selbst gestandene Mannsbilder zu langen Nächten, deren Himmel voller Geigen hängt.
Es gibt imposantere Geräte als die Dynavector P75 Mk3, eine kleine australische Phonovorstufe, die sich seit ein paar Wochen unauffällig im heimischen Rack versteckt wie ein Mauerblümchen im Rosenbusch. Mit der in freundlichem NVA-Grau lackierten Blechkiste in Butterbrotdosengröße lässt sich beim Treffen der örtlichen Selbsthilfegruppe Anonymer Audiophiler kein Blumentopf gewinnen. Dazu ist die mausgraue P75 zu unprätentiös, zu klein, und es ragen auch keine Glaskolben aus dem Gehäuse. Optisch versprüht bereits die Fernbedienung meines Einstein-Verstärkers deutlich mehr Charme als der kleine australische Phonoentzerrer. Eingeweihte Kenner dürfen ihre Augenbrauen wieder senken: Die formidablen Tonabnehmer von Dynavector werden weiterhin in Nippon produziert.
Dabei lohnt sich ein genauerer Blick auf die kleine Kiste. Neu ist, im Vergleich zu älteren Versionen, die Frontplatte aus gehärtetem Glas mit dem grün-orange illuminierten Firmenlogo. Sie mag an der akustischen Darbietung keinen direkten Anteil haben, verleiht dem trüben Grau des Stahlblechgehäuses aber einen Hauch von Eleganz. Daneben findet sich im Lieferumfang noch ein Überdimensionierung geschickt vermeidendes Netzteilchen, das unterschwelligen Zweifeln an der Ernsthaftigkeit audiophiler Höhenflüge Futter gibt. Naja, solange das Logo sanft vor sich hin leuchtet, scheint es seinen Zweck irgendwie zu erfüllen. Decken wir den Mantel des Vergessens über die Optik der P75 Mk3 und wenden uns ihrem Innenleben zu. Hier gibt es deutlich einiges mehr zu entdecken, das den Blutdruck in die Höhe treiben kann.
Die Steckplätze zur Einstellung des Eingangswiderstands und des Verstärkungsfaktors sind wohl für kleinwüchsige Yogameister konzipiert worden, was das Setup für mittelprächtig gewachsene Durchschnittsgermanen zur Geduldsprobe werden lässt. Sollten Sie auf theoretische Hilfe der Bedienungsanleitung hoffen, legen Sie sich einfach flach auf den Boden und rufen nach einem Therapeuten, denn die zur korrekten Einstellung nötige Jumperbestückung lässt sich anhand der Anleitung höchstens erahnen. Zwischen der gedruckten Darstellung und der Realität auf der Platine lassen sich, selbst im Kopfstand, nur periphere Ähnlichkeiten feststellen. Clever wie wir Autoren meist sind, habe ich mir kurzerhand eine „richtige“ Version der Steckplätze auf einen zufällig anwesenden Bierdeckel skizziert. Nicht highendig, aber funktional. Für Besitzer mehrerer Tonabnehmer bleibt das Gefrickel mit den kleinen Jumpern ein Nervenkitzel, da die latente Gefahr besteht, die kleinen Pins abzubrechen. Ein von außen zugängliches Mäuseklavier wäre für mein Empfinden die elegantere Lösung gewesen. Das weitere Innenleben der P75 Mk3 dagegen ist eine Freude für Liebhaber sauber konzipierter Schaltungen. Klein, fein und trotz großzügigem Materialeinsatz absolut aufgeräumt. Das Ding ist innen eindeutig hübscher als außen.
Es beruhigt mich zu wissen, dass das eingangs erwähnte Netzteil mit der Spannungsversorgung der analogen Abteilung nur entfernt zu tun hat. Die vom Netzteil gelieferte Gleichspannung wird sofort nach Ankunft auf ein Mehrfaches der üblichen 50-Hertz-Netzfrequenz hochtransformiert. Eine Maßnahme, die auftretende Störungen in unschädliche Bereiche verschieben soll. Somit steht ein breiteres Spektrum zwischen Nennpegel und technischem Maximalpegel zur Verfügung, was Verzerrungen des Musiksignals vermindert. Generell wurde auf resolute Unterdrückung aller denk- und hörbaren Umwelteinflüsse geachtet. Die Verwendung einer mehrlagig gedruckten Platine sorgt für kurze Signalwege und soll sich positiv auf das Signal-Rausch-Verhältnis auswirken. Bestückt wurde das Innere der Dynavector in platzsparender SMD-Bauweise, was trotz der kompakten Abmessungen für eine aufgeräumte Optik sorgt. Ob man aus Platzgründen oder wegen ihres exzellenten Klangs auf ein Paar schon länger auf dem Markt erhältliche integrierte Operationsverstärker von Linear Technologies setzt, kann hier nur vermutet werden. Quasi nebenbei erledigen die beiden ICs die nötige Entzerrung der Schneidkurve nach RIAA-Standard in einem Aufwasch mit. Verfechter diskreter Schaltungen mögen mich steinigen, aber ich kann mir vorstellen, dass wenige, winzige Bauteile in Verbindung mit möglichst kurzen Signalwegen weniger anfällig für elektromagnetische Umweltverschmutzung sind als eine technisch adäquate Version aus Einzelteilen.
Anscheinend ist mir mittlerweile eine vielversprechende Grundeinstellung der Steckbrücken gelungen. Also Deckel auf die Dose schrauben und endgültig ab ins Rack damit! Bei der Wahl der Kabel ist der Faktor Flexibilität nicht zu unterschätzen. Sind die Signalkabel zu steif, heben die 500 Gramm des Verstärkerleins ab, bevor es einen Ton von sich geben konnte. Der erste Funktionstest am angedachten Platz im Rack erfolgt ohne den Tonabnehmer in die Rille zu schicken, denn es gibt einige Phonovorstufen, die auf periphere Geräte mit mal mehr, mal weniger starkem Brummen reagieren. Da Vorsicht (Lautsprecher-)Leben retten kann, gebe ich zunächst bei geringster Lautstärke den passenden Eingang frei und erhöhe langsam den Pegel, um frühzeitig zu hören, falls die Dynavector kritisch auf ihre neue Umgebung reagieren sollte. Aber es bleibt ruhig. Kein Brummen, kein Rauschen, absolut nichts kommt aus den Lautsprechern. Schon vor den ersten ernsthaften Tönen entwickelt sich bei mir Respekt vor der stoischen Ruhe der kleinen Australierin. Selbst der kurzzeitige Versuch, die P75 zum Brummen zu bewegen, indem sie direkt auf dem Verstärker platziert wurde, zeigte keine Wirkung. Normalerweise brummt in dieser Aufstellung jede Vorstufe wie ein Bienenstock, doch die kleine graue Kiste lässt sich von keinem meiner Störversuche aus dem Konzept bringen und bleibt still wie ein Internatsflur während der Sommerferien. Der passende Hintergrund, um komplexe, mit vollen, warmen Klangfarben gemalte Werke wie Opeths Heritage (LP, Roadrunner Records, RRCAR 7705-1) ins passende Licht zu setzen. Es ist unerhört sexy, mit welch präziser Eleganz das Nachschwingen der Saiten unbedämpft in den Hörraum transportiert wird und einen dreidimensionalen Blick in den Aufnahmeraum ermöglicht. In den komplexeren Minuten des Albums, etwa bei „Slither“, dividiert die Dynavector die ineinander verwobenen Strukturen klar nachvollziehbar auseinander, ohne dass man Gefahr läuft, vom reinen „Genusshören“ in einen die Musik sezierenden Modus zu wechseln.Das ist gut, das ist sogar sehr gut, was die Dynavector so alles aus der schwarzen Rille zaubert. Die klanglichen Meriten stehen offensichtlich in umgekehrt proportionalem Verhältnis zum unscheinbaren Äußeren.
Den ersten Durchgang mit meinem eigenen Scheu MC hat die P75 Mk3 also mit Bravour bestanden. Es steht hiermit fest, dass sie nicht auf Stallgefährten angewiesen ist, um sich richtig in Szene zu setzen, sondern sich dank ihrer Flexibilität mit so ziemlich jedem Abnehmer bestens verträgt. Um mich etwas eingehender mit den Konfigurationsmöglichkeiten zu beschäftigen, legte mir Herbert Schleicher vom deutschen Vertrieb SWS-Audio freundlicherweise ein schniekes MC-System DV-20X2 L mit ins Paket. Der Ruf der Abnehmer aus dem japanischen Mutterhaus kam auf unserem Kontinent nie wirklich über den Status eines Geheimtipps hinaus. Was mich insofern wundert, da die dynamisch-zackige, großzügig den Raum öffnende Spielweise bei mir voll ins Schwarze traf und sich vorzüglich mit der Vorstufe ergänzt. Zusammen ergeben die beiden schon im Alleingang exquisit aufspielenden Kollegen ein explosives Team wie Nitro und Glyzerin. Die in der Rille konservierten Informationen addieren sich mühelos zu einem plastischen Gesamtbild, gemalt mit einer breiten Palette warmer Klangfarben, ohne auf die Mithilfe beschönigender Weichzeichner zu setzen.
So unscheinbar ihr Äußeres auch sein mag, klanglich stellt die Dynavector einige um ein Vielfaches teurere Phonovorstufen in den Schatten. Wobei sie im Standardbetrieb noch einiges von ihrem Potenzial zurückhält. Ein weiterer fummeliger Eingriff in die Innereien wird fällig, wenn man die P75 Mk3 wirklich von der Leine lassen will. Normalerweise fungiert die Dynavector im Spannungsverstärkerbetrieb, aber der Nutzer hat die Möglichkeit, sozusagen einen „Nachbrenner“ (korrekt „Phono Enhancer“ genannt) zu zünden. Bei dieser Betriebsart wechselt die Schaltung vom regulären Spannungsverstärker- in einen Pseudo-Stromverstärkermodus, in dem der Spulenwiderstand des Systems als Bezugsgröße dient. Durch den so erhöhten Stromfluss soll das Magnetfeld des Systems positiv verändert werden. Jetzt zieht die kleine Vorstufe richtig durch, sie spielt mit einer frappierenden Detailfreude auf, leuchtet noch ein wenig heller bis in den letzten Winkel der imaginären Bühne. Der Tiefton kommt noch satter, noch swingender ans Ohr. Das klingt so verdammt gut, dass der „Normalbetrieb“ über den restlichen Zeitraum, in dem mir die Dynavector P75 Mk3 zur Verfügung stand, in Vergessenheit geriet. Mein Musikgeschmack ist und bleibt halt dem ehrlichen Rock ’n’ Roll immer näher als der Kammermusik oder diesen eruptiven Tonfolgen für Hyperintellektuelle, Jazz genannt.
Was bleibt, ist die erfreuliche Erkenntnis, dass es weder bei Vollmond mundgewickelte Übertrager noch Frontplatten aus Tropenholz braucht, um auf allerfeinstem Niveau Musik lebendig werden zu lassen. Das hier ist kein Gerät für Menschen, die es nötig haben, ihren Kontostand im Wohnzimmer zu demonstrieren. Dies kleine unscheinbare Kistchen ist vielmehr die perfekte Lösung für Hörer, denen Prunk und Protz nichts, nackte Emotionen dafür alles bedeuten. Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster, doch ich halte es für möglich, dass es auch für viel mehr Geld keine ähnlich flexible, dabei so unverschämt gut klingende Phono-Lösung gibt.
Phono-Vorverstärker Dynavector P75 Mk3
Funktionsprinzip: Phono-Vorverstärker für MM und MC
Eingänge: 2 x unsymmetrisch (Cinch)
Ausgänge: 2 x unsymmetrisch (Cinch)
Verstärkungsfaktor: 40/46/60/63 dB
Eingangswiderstand: 30,60,100,220,470 Ω
Eingangskapazität: 560 pF
Besonderheiten: Phono Enhancer
Ausführungen: Stahlblechgehäuse in Schwarz/Grau
Maße (B/H/T): 17/5/10 cm
Gewicht: 0,5 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 700 €
Tonabnehmer Dynavector DV-20X2 L
Funktionsprinzip: Moving Coil System
Schliff: Micro Ridge
Compliance: 12 µm/Nm
Gewicht: 9,2 g
Frequenzgang: 20–20 000 Hz
Ausgangsspannung: 0,3 mV
Preis: 800 €
Mitspieler:
Plattenspieler: Scheu Cello, Acoustic Signature WOW XL
Tonarme: Scheu Classic Mk II, Acoustic Signature TA 1000
Tonabnehmer: MC Scheu S, Ortofon 2M Black, Soundsmith Carmen
Phono-Vorverstärker: Acoustic Solid Phonovorverstärker
CD-Player: Marantz CD 17, CD 62, CD 50
Vollverstärker: Einstein The Tune, NAD C 390DD, NAD 302, Cambridge Azur 640A
Endverstärker: Lehmann Black Cube Stamp
Lautsprecher: Audio Physik Seemon, Opera Seconda Mk II
Kabel: German Highend, Kabelmanufaktur, Audioquest, Black & White, Accuphase, T+A
Zubehör: Sun Leiste, Steinmusic, Millenium, bFly-audio, Meisel Audio