Burmester 101 / 102 Vollverstärker / CD-Spieler – Erwachsen!
Die Burmester 101 und 102 zeigen‚ wie erwachsenes High End funktioniert: klanglich erstklassig‚ ohne technische Schwächen und sauber verpackt.
Natürlich, die mit satt laufenden Potis übersäte Referenzvorstufe 808 des Berliner Herstellers Burmester, damals ein aktueller Traum und mittlerweile längst zum Klassiker gereift, wollte fast jeder haben. Ich auch. Allerdings befand sich dieses feinmechanische und klangliche Spitzenprodukt so weit außerhalb meiner finanziellen Möglichkeiten, dass ich keinen einzigen Gedanken daran zu verschwenden brauchte. Auch die Möglichkeiten, die mir ein regelmäßiger Ferienjob in einem HiFi-Laden bot, halfen nicht. Ich erlebte diesen Vorverstärker bei diversen Gelegenheiten, war jedes Mal begeistert, vergoss angesichts des Preises einige stille Tränen und hakte die Firma Burmester zukünftig für mich ab. Ich wollte mich ja nicht unnötig nervös machen.
Einige Jahre später – ich ging nicht mehr zur Schule, sondern war jetzt stolzer Musikstudent in Berlin – war ich auf der Suche nach Lautsprechern. Also besuchte ich einen der örtlichen Händler, um mir einige Modelle der anvisierten Preisklasse vorspielen zu lassen. Allerdings verlagerte sich mein Interesse schon nach dem zweiten oder dritten Lautsprecherpärchen auf CD-Player und Vollverstärker der Vorführanlage. Diese beiden flachen Geräte entlockten jeder der angeschlossenen Boxen einen so lebendigen, gleichzeitig jedoch geerdeten und farbigen Klang, dass es eine reine Freude war. Da ja nicht alle Lautsprecher so ähnliche Charaktere haben konnten, musste es an den Zuspielern liegen. Und das in dieser Preisklasse! Ich war begeistert.
Die Wege des Lebens sind oft verworren, und so unterließ ich, was ich hätte tun sollen: Ich behielt meinen Verstärker und meinen CD-Player und suchte weiter nach Lautsprechern. Damit verlor ich die kleinen Rondo-Komponenten (so hieß die Einsteigerlinie) von Burmester wieder aus den Augen.
Später kreuzten noch ein großer CD-Player, ein Phonoverstärker und ein großes Boxenpaar meinen Weg – allesamt über die Maßen begeisternd und ebenso weit von meinem Budget entfernt. Manchmal – und jetzt blase ich einmal ganz kurz Trübsal – ist es schon bitter, mit welch unerreichbaren Schätzchen man als HiFi-Autor regelmäßig in Versuchung geführt wird. Denn die fetten Jahre der opulenten Geschenke und des Dauerparkens bester Gerätschaften bei den Journalisten, liebe Leser, waren schon längst vorbei, bevor ich mit dem Schreiben begann. Fluch der späten Geburt.
Nun ist es natürlich besonders interessant, dass jetzt die Nachfolger genau jener mich damals so begeisternden Geräte zu Besuch kommen. Und überhaupt ist es in der Regel viel spannender, die Einstiegsofferten etablierter Manufakturen ausprobieren zu dürfen. Zum einen profitieren sie meist deutlich von den Qualitäten der größeren Geschwister. Zum anderen verwundert es nicht, wenn bei einem Gerät, das für einen deutlich fünfstelligen Betrag den Besitzer wechselt, alles stimmt, an alles gedacht wurde. Und dass es tadellos klingt. Wir alle wissen zwar, dass auch das nicht immer der Fall ist, derlei Ausfälle sind in meinen Augen allerdings inakzeptabel. In den „irdischeren“ Preisregionen wiederum ist es schon deutlich schwerer, bei höherem Kostendruck ein ähnlich vollständiges Paket zu schnüren. Dennoch habe ich immer wieder beobachten können, dass gerade die Basisgeräte renommierter Firmen auch deren „best buy“ darstellen. Ich bin also gespannt.
Über die Qualität des reinen Materials und der Verarbeitung muss man sich bei Burmester niemals Sorgen machen, und das trifft auch hier zu. Die Oberflächen der massiven Geräte schimmern tadellos, sämtliche Schalter fühlen sich massiv an und, noch wichtiger, haben einen klar definierten Druckpunkt.
Heimlicher Star des Duos ist der Vollverstärker 101, markiert er doch Burmesters Hinwendung zur Class-D-Technologie. Freilich in Verbindung mit einem konventionellem Netzteil, denn alle Versuche mit digitalen Stromversorgungen seien, so Dieter Burmester, klanglich unbefriedigend verlaufen. Also habe man lieber ein herkömmliches, wie gewohnt besonders niederohmig ausgelegtes Netzteil eingesetzt. Das Hauptargument für die Class-D-Technologie liegt auf der Hand: hohe Leistungen in einem kleinen Gehäuse, so lautete der Wunsch vieler Kunden und Vertriebe. So schwer kann es nicht sein, dachte man sich und ging das Projekt an. „Wir haben das Thema maßlos unterschätzt“, gesteht Burmester ganz freimütig. Nachdem man sich durch alle verfügbaren Module gehört hatte, stand fest, dass es so nicht gehen könne. Also wurde ein vollständig eigenes Class-D-Modul entwickelt, das nun, um temperatur- stabile Arbeitsverhältnisse zu schaffen, in einem penibel auf Maß gefrästen Aluminiumblock sitzt. Burmester ist auf dieses Modul, das so viel Zeit fraß, reichlich stolz, denn so sei der 101 einer der wenigen Digitalverstärker, der wirklich allen Sicherheitsrichtlinien entspräche. „Wir haben erst einen richtig gut klingenden Verstärker gebaut, dann alle nötigen Filterungen implementiert. Und dann musste der zuvor erreichte Klang wieder geholt werden.“ Eine Eigenheit habe diese Endstufe allerdings, so Burmester: Sie müsse ordentlich angewärmt sein. Dann aber würde ihn der 101 eher an Röhrenverstärker als an traditionelle Transistordesigns erinnern. Ganz konventionell geht es dann wieder bei der Lautstärkeregelung zu, die per Schleifbahn kontrolliert wird. „Wir wollten nicht noch mehr Digitales im Verstärker haben“, so der Firmengründer. Und daher kommt ein selbstverständlich selektiertes Motorpotentiometer von Alps zum Einsatz. Im CD-Player 102 arbeitet tatsächlich noch ein echtes CD-Laufwerk von TEAC. Groß ist das Angebot an diesen Bauteilen nicht mehr, und so suchte man sich das für diese Zwecke beste Modell heraus, um es dann noch in einigen Punkten an die eigenen Wünsche anzupassen. So residiert das Laufwerk jetzt in einem stabilen Aluminiumrahmen, der klangschädigende Vibrationen zuverlässig unterdrücken soll. Auch der alten Motorsteuerung ging es an den Kragen: Sie wird nun durch eine Eigenentwicklung aus Berlin ersetzt. Ein Upsampling ist immer aktiv, allerdings hat man die Wahl zwischen 96 und 192 kHz. Mir persönlich gefällt die niedrigere Variante ein wenig besser. Sie wirkt zwar nicht so flüssig wie die doppelt so hohe Frequenz, dafür bietet sie etwas mehr Biss und Kern. Damit wir uns richtig verstehen: Wir sind hier im Bereich der absoluten Feinheiten unterwegs.
Wichtiger ist laut Dieter Burmester die DC-gekoppelte Ausgangsstufe. Koppelkondensatoren sind ihm ein Graus, und daher sucht man sie in seinem gesamten Geräteprogramm vergeblich. Die unabhängig von der Dimensionierung des Kondensators auftretenden Phasenverschiebungen addieren sich in einer mehrstufigen Anlage. „Sie würden sich wundern“, so der Musiker und Techniker, „was da hinten noch rauskommt, wenn Sie vorne einen sauberen Sweep reingeben“.
Aufgebaut und angeschlossen kommen die beiden Berliner erfreulich schnell auf den Punkt. Lange Warmlauf- und Einspielzeiten sind ihre Sache nicht, was ich ausdrücklich begrüße. Es war mir schon immer ein Rätsel, wie man schon Stunden im Voraus wissen soll, wann man denn Musik hören möchte. Nur um den heiligen Konstrukten rechtzeitig die nötige Spannung zukommen zu lassen und sie auf diese Art sanft und hoffentlich klangfördernd wachzuküssen. Über die Stabilität der Arbeitspunkte einer solchen Schaltung möchte ich mir lieber keine weiteren Gedanken machen. Nein, bei den Modellen 101 und 102 herrscht schon diesbezüglich eitel Sonnenschein. Nach ein oder zwei etwas verhangenen Minuten nach dem Einschalten klingt alles ganz fix, genauso, wie es soll. Die von Dieter Burmester erwähnte Warmlaufzeit für den Vollverstärker empfinde ich als lange nicht so dramatisch wie angekündigt. Nach einer Weile agiert der 101 gerade in den Ober- tönen noch etwas lockerer – entscheidend ist das allerdings nicht, da die klangliche Entwicklung wirklich minimal ausfällt. Ein logisches Bedienkonzept – ab einem gewissen Preis unverzichtbarer Bestandteil eines solchen Pakets – sorgt dafür, dass man ohne Studium der Bedienungsanleitung loslegen kann. Auch nicht in der Wolle gefärbte HiFi-Freaks werden mit 101 und 102 aus dem Stand zufrieden Musik genießen. Dafür sorgt auch der Klang vor allem des 101, der mit „unkompliziert“ leider unzureichend beschrieben und zudem mit negativen Konnotationen behaftet ist. Dabei ist es genau dieses Wort, das mir zuerst in den Sinn kommt, als ich den ersten Tönen lausche. Denn die hier gewählte Mischung aus Dynamik und Akkuratesse sowie erfrischender Lebendigkeit und Differenzierung lässt die übliche HiFi-Suche nach dem virtuellen Haar in der (Abbildungs-)Suppe gar nicht erst aufkommen. Der 101 spielt seine ersten Töne an kleinen Spendor-Monitoren so vollständig und mitreißend, dass ich einfach zufrieden Musik höre. Kabel, Aufstellung, Zuspieler ausprobieren? Nein, diese Wünsche bleiben zum Glück stumm.
Erst nach und nach fällt die beträchtliche und eher unterschwellig servierte Kraft des Verstärkers auf. Denn die kleinen Spendors lassen sich nicht von jedem Zuspieler zu einem lockeren, differenzierten und federnden Bass überreden. Hören Sie einmal in den Beginn des Vorspiels zu Tristan und Isolde mit Herbert von Karajan und den Berliner Philharmonikern (EMI LP-Box) hinein. Zuerst der berühmte Akkord, dann die hohen Streicher und Holzbläser, die Ton um Ton schichten, den Satz verdichten. Und dann das erlösende erste Pizzicato der Kontrabässe, ab dem die Musik an Fluss gewinnt. Burmesters 101 zwingt die kleinen britischen Monitore, das sonst übliche „Plopp“ irgendwo rechts zu einem saftigen Ton mit weitem Ausschwingen und klarer räumlicher Zuordnung zu differenzieren – und dabei noch locker und frei zu klingen. Viele Verstärker mit ordentlich Kraft ließen die Spendor 3/5 in der Vergangenheit zwar präzise, nicht aber charmant klingen. Dieses Kunststück gelingt nun dem 101. Zwar nicht als erstem Verstärker überhaupt, aber doch als erstem in dieser Preisklasse. Beim Umstieg auf die leichter zu treibenden Marten Django L oder Geniun Audio Gate 1.0 bleibt dieser Charakter erhalten – offensichtlich zeigt sich der Burmester weitgehend unbeeindruckt von der zu treibenden Last.
Aber abgesehen von seiner offensichtlichen Leistungsfähigkeit: Wie klingt er denn nun? Nach zwei Räumen und drei unterschiedlichen Lautsprecherpaaren kann ich ihn einigermaßen einkreisen: „Lockere Dynamik“ ist ein Stichwort, das auf meinem Block immer wieder auftaucht. Dazu kommt eine beachtliche Detailfülle, die jedoch stets im angenehmen Bereich bleibt, weil sich der 101 eine minimal warme Färbung gönnt. Das geht nicht so weit, dass er weich klingen würde, keineswegs. Laute Blecheinsätze beispielsweise lässt er – ich hoffe, Sie können mit diesem Bild etwas anfangen – eher golden denn silbern erstrahlen. Eine Wärme also, die allzu Hartes entschärft und dennoch nicht den Detailreichtum verrundet. Die räumliche Abbildung geht in allen Dimensionen in Ordnung, tendiert aber eher in die griffige, kompakte Richtung. Jeder Ton hat Fleisch auf den Knochen, allerdings keine Aura, zeigt sich also scharf umrissen.
Kommt der CD-Player ins Spiel, wendet sich das Blatt ein wenig, denn seine klangliche Ausprägung gestaltet sich etwas anders. Der Burmester 102 liebt freie und funkelnde Obertöne sowie eine weitere und fließendere Raumgestaltung. Im Vergleich mit einem Mark Levinson 390s wirkt er frischer und energiereicher, allerdings auch weniger definiert. Einzelne Instrumente bekommen vom 102 eine funkelnde Aura, im Verbund mit dem 101 ergibt sich dann – idealerweise symmetrisch verkabelt – ein Gesamtklang, der alle genannten Tugenden bestens miteinander vereint.
Ein Wort bin ich Ihnen noch zu einem Detail schuldig, das der Highender gewöhnlich scheut wie der Teufel das Weihwasser: eine zuschaltbare Funktion namens „Smooth“, mit der Bass und Grundton ein klein wenig angehoben werden. Wer wie ich Kinder hat und dennoch abends gerne Musik hört, diese aber nicht mehr in voller Lautstärke realisieren kann, der freut sich, wenn er seine Rücksichtnahme nicht mit einem ausgemergelten und fundamentfreien Klangbild erkauft. Ich habe die „Smooth“-Funktion in einigen ruhigen Abendstunden jedenfalls ausgiebig genossen.