Test: Auris Audio Poison 3
Little Creatures
Haben die bei Auris Audio noch alle Latten am Zaun? Offensichtlich fehlen mindestens zwei, denn breiter als zwei Zaunlatten sind die niedlichen Standlautsprecher Poison 3 nicht.
Ach, herrlich, ich könnte mich stundenlang über die kleinen Giftzwerge lustig machen. Von „Na, was wollt ihr denn werden, wenn ihr groß seid?“ bis „zu heiß gewaschen“, hätte ich ein paar Brüller-Pointen auf Lager. Aber Vorsicht, die Poison 3 von Auris Audio sind nur ihrer Statur nach klein, treten jedoch auf wie ausgewachsene Standlautsprecher. In den lediglich 12 Zentimeter breiten, 80 hohen und 20 tiefen Säulen steckt ein vollwertiges Drei-Wege-System, das sich um einen Drei-Zoll-Breitbänder mit Alumembran von Fountek gruppiert. Den Bass von Peerless findet man auf der Seite, sein Reflexrohr strahlt nach unten, und auf der Rückseite verbirgt sich ein kleiner Tang-Band-Kalottenhochtöner (Obacht beim Tragen!), der handwerklich einwandfrei in Form eines Waveguides ins Leder eingelassen ist und den Raum erweitert, sofern die Lautsprecher nicht in direkt an der Wand stehen oder in die Ecke gequetscht werden.
Vor diesem Schicksal sollte sie allerdings schon ein ästhetisch motivierter Blick auf ihr Design und ihre Fertigungsqualität bewahren: Solche Schönheiten aus Walnussholz und – in unserem Fall – weißem Leder will man nicht verstecken! Wer es gern dezenter mag, kann sie auch im schwarzen Lederkleid ordern, ohne dass sie damit an Eleganz verlören. Unter drei Standpucks, die mit ganz freundlicher Gewalt zu lösen sind, befinden sich M8-Gewinde zur Aufnahme von Spikes. Aus Gründen der Stabilität empfehle ich wärmstens die beiliegenden Aluprofile zu nutzen, die die Standfläche am Heck erweitern, so dass die Poison 3 auch eine Kollision mit Stubentigern oder Kleinkinder übersteht, ohne sich gleich flachzulegen.
Der zentrale Breitbänder auf der Front wird von einer massiven Alublende mit Hornfortsatz fixiert und übernimmt zwischen 300 Hertz und 17 Kilohertz einen Großteil der zu leistenden Arbeit. Der kleine Alu-Fountek fällt unter 150 Hertz rapide ab, glänzt ansonsten aber mit einem für einen Breitbänder sehr linearen Frequenzgang bis 10 Kilohertz, darüber steigt der Graph – typisch für solche Chassis und relativ unbedenklich – zum Superhochton hin leicht an. Bauartbedingt und ziemlich offensichtlich können solche Mini-Breitbänder keine Bassgewitter veranstalten, ihre Stärken liegen in Schnelligkeit und holografischer Raumdarstellung innerhalb eines relativ weiten Frequenzbandes. Und genau das, unmissverständliche Feinstinformationen sind die große Domäne der Poison 3: mit kleinen Jazzbesetzungen, Singer-Songwriter-Material und akustischer Musik wachsen die Winzlinge unglaublich weit über sich hinaus. Sie spielen zwar schlank und fühlen sich in Räumen zwischen 15 und 20 Quadratmetern am wohlsten, zeigen aber eine verblüffend mitreißende Präsenz und geradezu greifbar scheinende Räumlichkeit, ohne ins Überanalytische eines reinen Nachrichtendienstes abzudriften.
Kennern der Szene wird diese Assoziation vermutlich schon gekommen sein: Auris Audio pflegt eine enge Freundschaft mit dem Schweizer Entwickler Sven Boenicke und das Design der Poison 3 darf ruhig als anerkennende Hommage an dessen Massivholzkunstwerke mit ebenfalls schmaler Schallwand und Ambient-Tweeter auf der Rückseite betrachtet werden. Ihre schmale Bauform erleichtert einerseits die Integration der Poison 3 in moderne, urbane und “junge” Wohn- bzw. Lebensräume, was auch erklärte Absicht von Auris Audio ist, bringt aber auch gewisse Einschränkungen im Tieftonbereich mit sich. In diesem Zusammenhang muss man es dem serbischen Audiounternehmen, das auch wunderschöne Röhren-, Kopfhörer- und Class-D-Verstärker sowie D/A-Wandler produziert hoch anrechnen, dass es keine schmutzigen Tricks anwendet, der Tieftöner sitzt im oberen Drittel der Box und liefert somit sauberen und knackigen Tiefton ab nominell 28 Hertz, ohne über Bodenreflexionen auf dicke Hose zu machen – ein ansonsten durchaus beliebter Kniff, unter dem aber meistens der Eindruck realistischer Größenverhältnisse leidet. Das Reflexrohr befand sich bis vor kurzem noch auf der Rückseite unter den WBT-Terminals, inzwischen ist es an die Unterseite der Box gewandert, wo es laut Auris Audio ebenfalls keinen messbaren Schaden anrichtet.
Dank ihres gutmütigen Impedanzverlaufs versteht sich die Poison 3 ungeachtet ihres verhältnismäßig niedrigen Wirkungsgrades auch mit schönklingenden Kleinleistungsverstärkern. Dennoch plädiere ich für etwas kräftigere Transistoramps, vor allem bei komplexer klassischer Musik, aber auch bei einfachen Pianoläufen, profitieren die niedrigen Säulen von abrufbereiten Leistungsreserven. Man verzichtet eventuell auf ein wenig Glanz und Magie im mittleren Spektrum, erhält dafür aber ein gestochen scharfes und umwerfend detailliertes Stereopanorama; wenn ich hier von Verzicht spreche, darf man das nicht der Poison 3 anlasten, vielmehr gereicht es ihr zu Ehren, dass sie dezidiert rückmeldet, ob die angeschlossene Elektronik das hohe Tempo halten kann.
Im saftigen Teil dieses kleinen Gutachtens, in dem es um das geht, was einen Lautsprecher ausmacht, nämlich die Wiedergabe von Musik, möchte ich das Talking-Heads-Album aufgreifen, dessen Titel ich mir für die Überschrift ausgeborgt habe. Little Creatures erschien nach der kreativen Hochphase dieser vielleicht intelligentesten Band des New Wave und konnte vor allem deshalb massiven kommerziellen Erfolg einheimsen. Aber auch auf dieser verglichen mit dem Gesamtwerk schwächeren Platte, die eine intensivere Auseinandersetzung mit Americana und Popmusik einleitete, war die Kombo um David Byrne ihren Mitstreitern noch weit voraus.
Außerdem zeichnet sich Little Creatures durch eine sehr saubere, vielleicht etwas glatte, aber handwerklich sehr hochwertige Produktion aus. Genau das richtige also für die “giftigen kleinen Kreaturen” von Auris Audio, die auch ohne Umschweife offenbaren, dass wir es hier nicht mit blutschwitzendem Blues oder Kautabak-Country zu tun haben, sondern mit sehr distinguierter Popmusik. Schon im Opener “And She Was” begeistern sie mit klarer und transparenter, der Melodie auf dem Fuß folgenden Linienführung. Nie hat man als Hörer das Gefühl, selbst im Kopf korrigieren zu müssen, weil die Wiedergabe verschleppt oder undifferenziert ist. Die Poison 3 zeigt sich jederzeit quicklebendig und hellwach, sie leuchtet die Aufnahme aus, wie das sonst nur Kompaktmonitore vermögen und liefert doch wohligen Tiefton, der den Spaßfaktor hochhält. Lassen Sie mich zum Ende des Albums und dieses Hörberichts springen: “Road To Nowhere”, der größte Hit der amerikanischen “Nachrichtensprecher” (die umgangssprachliche Bedeutung von “Talking Heads”), hat auch nach über 30 Jahren nichts von seiner ansteckenden Lebendigkeit verloren. Sofort beginnt in meinem Kopf das Video anzulaufen, das man damals auf MTV sehen konnte, und unmittelbar fühle ich mich zurückversetzt in die pubertäre Gefühlswelt, die an jener fröhlichen Ambivalenz der Lemminge, die sich Menschheit nennen, an dieser Hurra-wir-rennen-mit-Karacho-gegen-die-Wand-Haltung fast verzweifelt wäre. Es ist kaum zu glauben, wie sehr diese kleinen Lederzwerge auf zack sind. Ich muss mich förmlich dagegen wehren, dass sich der stolpernde Rhythmus nicht in unkontrollierten Zuckungen von Armen und Beinen fortsetzt. Und das ist doch recht betrachtet das schönste Kompliment, das man Kompaktlautsprechern, die die großen Jungs geben, machen kann: Es ist nahezu unmöglich, sich dem Charme der Poison 3 zu entziehen.
Auris Audio Poison 3
Funktionsprinzip: 3-Wege-Standlautsprecher
Nennimpedanz: 4 Ohm
Wirkungsgrad (1W/1m): 86 dB
Frequenzumfang: 28 Hz–22 kHz
Ausführungen: schwarzes oder weißes Leder, Walnussholz
Maße (B/T/H): 120/203/804 mm
Gewicht: 20 kg (Paar)
Garantiezeit: 2 Jahre
Paarpreis: 4998 Euro