Audiovector SR 1 Avantgarde Arreté – Optimal aufgerüstet
Die Vorlage ist zu gut, um sie nicht zu verwenden: „Arreté ist für Audiovector, was AMG für Mercedes und M für BMW ist.“
Aufrüstbare Lautsprecher? Ganz offiziell, als Upgrade-Konzept des Herstellers? Gute Idee! Aber wie soll das in der Praxis aussehen? Ein Lautsprecher ist kein Lego-Baukasten. Blauer Baustein raus, grüner Baustein rein, das funktioniert nicht. Zumindest nicht in unserem High-End-Biotop, wo erfahrene Ohren unverzichtbar sind, wenn aus dem datenblattgerechten Zusammenspiel von Gehäusevolumen, Treiberdaten und Frequenzweichentopologie mehr werden soll als ein Audio-Objekt nach DIN-Norm.
Deswegen verzichten auch die mir geläufigen Aufrüstoptionen wohlweislich auf tiefere Eingriffe in die Box. Für den Umbau auf Aktivbetrieb genügt ein Austausch der passiven gegen eine aktive Frequenzweiche (Beispiel: Naim Audio). Modulare Konzepte beginnen mit einem „Kernlautsprecher“, typischerweise einer Zweiwege-Kompaktbox, und umgeben diesen sukzessive mit Tiefton-Erweiterungen (Beispiel: Sehring). Alles andere führt eher in die Irre als ans Ziel. Außer es handelt sich um einen kompromisslosen Neuaufbau. Aber will sich wirklich jemand diese Mühe machen?
Ja, einer wagt es: der dänische Familienbetrieb Audiovector. IUC nennt sich das im Marketing-Haussprech, „Individual Upgrade Concept“. Dahinter steckt tatsächlich ein kompletter Neuaufbau. Jeder Versionssprung bedeutet neue Treiber, neue Gehäusebedämpfung, neue Weiche. Selbst die Innenverkabelung wird angepasst. Die Umbauten finden in den Audiovector-Werkstätten in Kopenhagen statt, wo jedes alte Gehäuse zum Abschluss noch eine kosmetische Aufarbeitung erhält.
Seit 1979 gibt es die Manufaktur, die in meinem Unterbewusstsein noch bis vor kurzem als „der andere dänische Lautsprecherhersteller“ gespeichert war. Mittlerweile habe ich alle Klischees von gemütlich schmirgelnden, lederbeschürzten Schreinermeistern restlos begraben. Audiovector anno 2016 ist voll auf der Höhe der Zeit. Wer ein schickes klingendes Möbel sucht, dem bieten die Dänen aktive Versionen jedes Lautsprechers (keine externen Verstärker!), gerne per Funksignal angesteuert (weniger Kabel im Wohnzimmer!!), sowie eine Palette an Farboptionen, die Ihresgleichen sucht. Wer technische und klangliche Höchstleistung fordert, den erwarten neben IUC noch LCC, SEC und NES. Und als Bonbon: tiefgekühlte Kabel – pardon: NCS.
Womit wir bei der Audiovector SR 1 Avantgarde Arreté wären.
Etwas Namenskunde: SR 1 ist die Bezeichnung für den Typus „Zweiwege-High-End-Box im Regalformat“ auf Basis eines zeitgemäßen Bassreflexgehäuses mit gebogenen Seitenwänden. Die SR-1-Familie umfasst vier Mitglieder. Sie unterscheiden sich in allem außer den Gehäusen. Es ist problemlos möglich, jedes der einfacheren Modelle auf jede der aufwendigeren Versionen aufzurüsten. Unser Proband mit dem langen Namen stellt das Spitzenmodell dar: an sich die dritte Evolutionsstufe Avantgarde, die durch weitere gezielte Eingriffe zur Spitzenversion Arreté (vom altgriechischen ἀρετή/arete – „hervorragende Qualität“ sagt Wikipedia) hochgezüchtet wurde. Oder eben, weniger erklärungsbedürftig: zu AMG/Quattro/M.
Ein genaueres Studium der Verwandschaftsverhältnisse der vier SR-1-Familienmitglieder lohnt sich. Selbst schon beim Einstiegsmodell SR 1 Super zu 2000 Euro das Paar finden sich einige der hauseigenen Dreibuchstaben-Klangtüfteleien wie SEC und LCC – „Soundstage Enhancement Concept“ und „Low Compression Concept“. Und natürlich gibt es auch schon zum Basiskurs die volle schicke Optik ohne Abstriche.
Dank U-förmig gebogener Korpusse ist der Auftritt angenehm „unboxig“. Im schmalen Rückgrat finden sich oberhalb des Bi-Wiring-Terminals zwei Öffnungen, von denen die untere der Bassunterstützung dient und die obere ein Schallaustritt für den Hochtöner mit rückwärtig offenem Antrieb ist. Letzteres ist eben jenes „Soundstage Enhancement Concept“, das Audiovector mit allen Tweetern in allen Versionen der SR 1 praktiziert.
In die gleiche Kerbe schlägt LCC: Minimierung von elektrischen und mechanischen Verlusten, keine Energiespeicherung. Das Ziel lautet: schnelle und impulsgenaue Ansprache. Firmengründer und Seniorchef Ole Klifoth demonstriert das gerne am Beispiel des Schwingspulenträgers eines der hauseigenen Basstreiber. Der besteht aus einer dünnen Titanfolie. Mitsamt aufgebrachter Kupferschwingspule fällt er ungebremst in den Magnetspalt von Klifoths Vorführchassis. Ganz anders als ein Vergleichsexemplar mit Aluminiumträger, das beim Fall stark gebremst wird: Wirbelströme.
Ebenfalls in allen Audiovector-Lautsprechern zu finden ist NES – „No Energy Storage“. Die damit bezeichnete Entkopplung der Treiber vom Gehäuse habe ich so noch nicht gesehen: Nur drei Schrauben halten jedes Chassis. Sie bilden eine echte Dreipunktlagerung, denn der größte Teil der Montageringe bzw. -platten liegt auf einer Schaumstoffzwischenlage. Die Wirkung, in Ole Klifoths Worten: „Der Treiber trägt nicht das Gehäuse und wird weniger von ihm beeinflusst.“
Beide Chassis in der SR 1 Avantgarde Arreté sind eigene Konstruktionen und finden sich fast identisch auch in der SR 1 Avantgarde eine Stufe tiefer. Der Tweeter mit seiner ziehharmonikaartig gefalteten Membran arbeitet nach dem Prinzip des von Dr. Oskar Heil erfundenen AMT (Air-Motion-Transformer). Audiovector baut ihn in einer zum SEC-System passenden rückwärtig offenen Ausführung, was gegenüber einer geschlossenen Bauweise eine höhere obere Grenzfrequenz und niedrigere Verzerrungen ermöglichen soll. Der Basstreiber mit einer Sandwichmembran aus Glas- und Kohlefaser und Nomex entsteht exklusiv nach Bauplänen von Audiovector beim Chassisspezialisten Scan-Speak.
Was letztendlich die Avantgarde Arreté ausmacht, das sind zahlreiche feine Eingriffe. Ein größerer Magnet beim Tieftöner, ein Phaseplug. Andere Innenbedämpfung. Kältebehandelte Innenverkabelung. Dämpfungselemente. Nichts wirklich Aufregendes. Aber Ole Klifoth sagt: Den Unterschied muss man hören, um ihn zu glauben.
Dass die Däninnen bei mir auf Naim-Elektronik stoßen, ist kein Fehler; Audiovector war lange Naim-Vertrieb.
Noch immer erfolgt das „Voicing“, die klangliche Feinabstimmung, an einer großen Verstärkerkombi aus England. Meinem Gespann aus Vorstufe NAC 202 und Endstufe NAP 200 gibt Ole Klifoth freudig seinen Segen und fügt hinzu: „Eine Audiovector ist immer leicht anzutreiben. Fast jeder Verstärker, von der Eintakt-Röhre mit 7 Watt bis zu den stärksten Transistor-Amps, ist geeignet. Solange er nur gut genug klingt.“
Das mit der 7-Watt-Röhre schockiert mich. Ich werde Klifoth beim Wort nehmen.
Kompaktboxen können auf zweierlei Art beeindrucken. Sie können so tun, als seien sie Standboxen. Oder sie können – und das ist, finde ich, die größere Kunst und seltener zu erleben – einfach ihr Kompaktboxen-Ding machen, aber auf einem neuen, Kinnladen herunterklappenden Level.
Die Arretés stellen sich mit auffallend durchhörbaren Interpretationen bekannter Platten vor. Frisch von meinen Standboxen kommend, tönt mir das fast asketisch. Strategisch auf gewissen Frequenzen platzierte Fettpölsterchen gibt es jedenfalls nicht. Stattdessen klare Ansagen: über die Raumaufteilung im Stereomix; über die Anzahl von Chorstimmen und die Disposition am Aufnahmetag; zwischendrin ein unmissverständlich formulierter Befehl: Stell mich näher an die Rückwand! Noch 10 Zentimeter! Noch 3! Passt!
Die Däninnen sind fordernd. Aber nicht zickig. An meinen Naims spielen sie sofort luftig-leicht los, mit angenehmer Attacke und einer Präzision in der Wiedergabe von Klangfarben, dass diese meine sensibelste Seite gar nicht erst über Kritteleien nachdenken muss.
Bis hierher machen die SR 1 Avantgarde Arreté ihr Kompaktboxen-Ding schon mal verdammt gut. Das heißt: Die kleinen Gehäuse verschwinden akustisch hinter der Musik, regen den Raum nicht sinnlos mit problematischen Bassresonanzen an, bieten stattdessen Finesse, Farben und eine ganz erstaunliche dynamische Bandbreite. Sie sind auch keine Klassik-Mimöschen – ein cooler Ambient-Jazz-Titel wie „Mélange Bleu“ von Lars Danielsson (ACT 9604-2), mit seinen träge die Eingeweide massierenden Tiefbässen, kommt sehr lässig und federnd und ohne jede Anzeichen, dass hier etwas ungebührlich aufgebläht wird.
Ole Klifoths Behauptung, eine klassische High-End-Kompaktbox mit 87,5 dB Wirkungsgrad könne an sieben Triodenwatt auch nur ansatzweise realitätsnah Musik produzieren, begegnen wir erfahrenen HiFi-Spezis mit einem mitleidigen Lächeln – nicht wahr? Aber der Mann weiß, was er sagt. Wie auch immer der Audiovector-Chef das hinbekommen hat: Was ein Silbatone JI300B Mk III bei moderaten Pegeln an feinstgewobener Musikalität, an betörenden Farben, an grenzenloser Raumdarstellung und, ja, an lustvoller Dynamik diesen der Papierform nach vollkommen ungeeigneten Wandlern entlockt, das ist schlicht Weltklasse. Fantastischer Amp, grandiose Lautsprecher. Ich gebe mir den abgenudelten Showcase-Sampler des legendären Stockholmer Labels Opus 3 und bin für 59 Minuten und 47 Sekunden der glücklichste Audiophile Berlins.
Die Audiovector SR 1 Avantgarde Arreté ist fraglos ein Topmodell. Wie spannend wäre es aber jetzt, den übrigen Familienmitgliedern auf den Zahn zu fühlen! Wie viel Arreté steckt in einem Modell eine, zwei, drei Stufen unter der größten Schwester? Mit seinen bald 40 Jahren Erfahrung könnte Klifoth da durchaus Überraschungen parat haben.
Was war ich anfangs doch skeptisch! Die Aufrüstbarkeit, dachte ich, muss doch mit Kompromissen verbunden sein. Dabei geht das dänische Mehr-Sein-als-Schein-Konzept, das bis zum Ausbau zur kabellosen Aktivbox wirklich alle Wünsche bedienen kann, zu einhundert Prozent auf. Ich könnte nicht beeindruckter sein!
Audiovector SR1 Avantgarde Arreté
Funktionsprinzip: Zweiwege-Kompaktlautsprecher, Bassreflex
Wirkungsgrad: 87,5 dB/W/m
Nennimpedanz: 8 Ω
Bestückung: 1 x AMT-Bändchenhochtöner, 1 x 16-cm-Konus-Tiefmitteltöner
Ausführungen: Rosenholz, Kirsche, Esche schwarz, Weiß, zahlreiche Lackfarben
Besonderheiten: „kleinere“ SR1-Modelle upgradefähig bis zu dieser Variante; optionale Stative lieferbar (Paarpreis 1200 €)
Maße (B/T/H): 19/28/37 cm
Gewicht: 7 kg
Garantiezeit: 5 Jahre
Paarpreis: 5000 €