Audia Flight 3S – Grandezza, Eleganza e Energia
Wenn ich ein Mädchen wär‘, ich könnte mich seiner Anziehungskraft wohl kaum entziehen. Dieses unverschämte Grinsen. Diese Lockerheit. Diese unbändige Kraft. Ein italienischer Sonnyboy eben. Wie der junge Eros. Oder wie Dean Martin. Seine Eleganz könnte allerdings dazu verleiten, ihn zu unterschätzen. Und das wäre ein riesiger Fehler. Denn der Audia Flight 3S hat die Gene seiner Vorfahren und nahen Verwandten. Ein seriöser Partner, auf den man zählen kann und der auch unter Druck seine guten Umgangsformen nie vergisst.
Ein Vollverstärker-Bolide aus Bella Italia, gute 16 Kilo schwer, in noblem Alu-Finish oder neutralem Seidenmatt-Schwarz, verarbeitet wie die sprichwörtliche Tresortür und damit ganz weit entfernt vom hartnäckigen „Fehler-in-allen-Teilen“-Klischee. Man darf ihm auch getrost unter den Deckel schauen und findet, was im modernen Transistor-Verstärkerbau der höheren Klassen längst State of the Art ist: einen sauberen Doppelmono-Aufbau ohne digitale „Kraftwaffeln“. Dennoch kitzelt der Audia Flight 3S, evolutionäre Weiterentwicklung der „kleinen“ Audia-Dreierreihe, aus seinen Endstufen jeweils 100 Watt an acht und 160 Watt an vier Ohm. Und zeigt sich dabei auch noch als ausgesprochen strompotent. Damit empfiehlt sich der sympathische Ragazzo Italiano im gängigen 45-Zentimeter-Format als Spielpartner für etwa 98 Prozent der Lautsprecher des Weltmarktes. Auch an heiklen, weil niederohmigen Schallwandlerkonstruktionen dürfte der durchtrainierte Schönling nicht so schnell in die Knie gehen. Sein Dauerlächeln verdankt er dem wie ein menschlicher Mund geschwungenen Display – eine hübsche Design-Idee.
Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass muskulöse Verstärker bisweilen an typischen Bodybuilder-Problemen leiden: Power geht gerne mit einer gewissen Behäbigkeit einher, die Steroide im Blut machen träge. Der Audia Flight 3S ist aber zum Glück kein Anabolika-gedopter Koloss, sondern ein wieselflinker Sportler, der Impulse gedankenschnell verarbeiten kann. Zum Beispiel die nervös trommelnden Computerbässe und die zahllosen anderen Synthesizer-Spielereien auf dem 1989er Batman-Filmmusikalbum des kürzlich verstorbenen Musikgenies Prince. Diese Scheibe quillt förmlich über von Soundexperimenten und eingestreuten Dialogschnipseln inklusive der bissigen Sprüche des damals von Jack Nicholson gemimten Superschurkens Joker. Der Audia Flight 3S hält es mit dem schwarz gekleideten Fledermausmann: Er stellt sich mutig dem kriminellen Treiben – und siegt auf ganzer Linie. Mit partytauglichen Pegeln knallt er den federnden Funk-Soundtrack knochentrocken in den Raum und vermittelt sogar die rein am Mischpult hergestellte Studio-Räumlichkeit erstaunlich glaubwürdig. Mit ein Verdienst der – im Vergleich zu externen Phonoverstärkern sehr preisgünstigen und zugleich richtig guten – Phonoplatine, die man ebenso als Option dazubestellen kann, wie ein DAC-Board, mit dem der Dreier hochaufgelöstes Digitalfutter von der Computerfestplatte direkt versteht.
Wer wie der Schreiber dieser Zeilen meist konventionellere Quellen bevorzugt, findet vier Hochpegel-Eingänge mit Cinchbuchsen sowie einen symmetrischen Anschluss vor, die per Relais umgeschaltet werden und von der Verstärkerelektronik erst dann grünes Licht bekommen, wenn die Verhältnisse am Eingang stimmen – unangenehme Ploppgeräusche gehören mit dem Audia Flight 3S ein für alle Mal der Vergangenheit an. Dazu passt, dass er beim Ausschalten automatisch das motorgetriebene Lautstärke-Potentiometer herunterfährt. Dieses signalisiert in seiner Endstellung wiederum mit einem kurzen Relaisklicken, dass die Lautsprecher-Ausgänge nun stummgeschaltet sind. Das alles geschieht ausgesprochen höflich und geschmeidig.
Dem 3S rüde den Mund zu verbieten fällt daher doppelt schwer, denn seine schon angesprochenen guten Umgangsformen machen ihn geeignet für praktisch jede Art von Musik. So wandert die für Barockfans sehr empfehlenswerte Produktion German Baroque Cantatas des von dem Schotten Stephan MacLeod gegründeten und geleiteten Schweizer Ensembles Gli Angeli Genève in den großen Marantz-SACD-Player. Eine schon 2007 entstandene, sehr sauber gemachte Aufnahme (erschienen bei Sony), die auch ohne HD-Weihen ganz viel Räumlichkeit und eine breite Palette von Valeurs mitbringt. Wer schon einmal MacLeod und seine Mitstreiter, allen voran der in Sachen Historische Aufführungspraxis sehr gewandte Tenor Jan Kobow, live erlebt hat, wird die aparten Stimmfarben des Genfer Vokalensembles auf dieser Silberscheibe eins zu eins wiederfinden. Der Audia Flight 3S zeichnet diesen zart getönten Klang-Regenbogen mit höchster Akribie und einem spürbaren Faible für feinste Details durch, leistet sich keine Nachlässigkeiten und besticht darüber hinaus durch höchst exaktes Timing. Da darf sogar Johann Sebastian Bachs bekannte Kantate Ich habe genug (BWV 82) frei von Erdenschwere swingen und fromme Heiterkeit in Leuchtturmhelligkeit ausstrahlen. Und was über den Cinch-Anschluss bereits mehr als ordentlich und im besten Wortsinn aufgeräumt wirkt, legt per XLR-Verbindung noch einmal erstaunlich zu: Der Raum wird nochmals breiter und tiefer, die Abstände zwischen den Musikern wachsen auf annähernde Originalgröße und die vorher schon luftig schwebende Musik löst sich vollends von den Schallwandlern. Grandios!
Zeit für einen Genrewechsel. Nun kommt die erst Anfang dieses Jahres erschienene Blues-, Jazz- und Soulplatte Bright Lights, Big City der 2011 verstorbenen Ausnahmesängerin Jeanne Carroll auf den Plattenteller des Clearaudio Innovation. Ein Dokument der langjährigen Zusammenarbeit des Neumarkter Bluesgitarristen und -sängers Wolfgang Bernreuther mit einem Urgestein der US-amerikanischen Jazzszene. Jeanne Carroll (Jahrgang 1931) arbeitete unter anderem mit Duke Ellington, Count Basie, Muddy Waters und Buddy Guy zusammen. Nachdem Europa zu ihrer zweiten Heimat wurde, war der virtuose Oberpfälzer Saitenzauberer Wolfgang Bernreuther einer der Musiker, mit denen Jeanne Carroll regelmäßig auftrat und mit denen sie auch so satt wie ehrlich klingende Aufnahmen realisierte. Bright Lights, Big City kam auf Initiative des Fürther Plattenladen-Bosses und Labelchefs Bernd Kammerer auf DaCapo Records heraus und ist ein Paradebeispiel dafür, wie berückend eine minimal gehaltene Studioaufnahme (deren Bänder übrigens jahrelang verschollen waren) auf Vinyl klingen kann. Der Audia Flight 3S bewahrt das immense Gänsehaut-Potenzial einer leicht brüchigen Gesangsstimme, die ihren Zenit zwar an sich längst hinter sich gelassen hat, aber mit dem Mehr an Jahren auch ein Mehr an Ausdrucksstärke gewinnen konnte. Knackpunkt dieser Aufnahme ist die frappierend deutlich definierte Räumlichkeit, die zentimetergenaue Positionierung Carrolls und ihrer Begleitmusiker, die der italienische Vollverstärker mit geradezu preußischer Präzision an die Schallwandler zu schicken vermag.
Wie gut der Audia Flight 3S die ihm anvertrauten Lautsprecher zu kontrollieren versteht, wird klar, als sich eine ausgesprochene „Angstscheibe“ im Player dreht: die SACD-Version von Viaticum des Esbjörn Svensson Trios (ACT Records). Auch über richtig gute Ketten wird es hier schnell dröhnig und schepperig, weil Klavier, Kontrabass und Schlagzeug seinerzeit extrem nah und präsent aufgenommen und zudem mit sehr hohem Pegel in Nullen und Einsen gebannt wurden. Entsprechend versenkt man die Scheibe mit eingezogenem Genick in der Schublade, drückt den Abspielknopf – und wird von dem lässigen Italiener erneut angenehm überrascht, denn er gestattet den Membranen meiner Standlautsprecher von Mordaunt-Short keinerlei Eigenleben, zwingt sie nachdrücklich auf Linie und enthüllt damit, dass das musikalische Vermächtnis eines der größten europäischen Jazzpianisten nicht nur musikalisch, sondern auch aufnahmetechnisch über alle Zweifel erhaben ist.
Trotz seines unbestreitbaren Talentes für schier überbordende Detailfülle ist der Audia Flight 3S keine akustische Lupe, er bleibt stets Charmeur und ist lieber ruhig, bevor er lügen müsste. Ganz viel Freude bereitet er mit großen Orchestern, die er im Rahmen der Physik äußerst durchlässig darstellt, ihnen auch „unter Druck“ ihren Streicherglanz und ihre Bläserpracht in ganzer Fülle belässt. Christoph Eschenbachs mit dem Philadelphia Orchestra eingespielte Mahler-Sinfonie Nr. 6 (Ondine) bleibt trotz des groß besetzten Klangkörpers transparent. Die massiven Tutti dividiert der Audia Flight in Instrumentengruppen, wie es auch ein guter Konzertsaal vermag, ohne das von Eschenbach sehr sorgsam ausbalancierte Stimmgeflecht auseinanderzureißen. Spannungsbögen werden nachvollziehbar, Akzente kommen haarscharf auf den Punkt, das dramatische Geschehen gewinnt Form und Inhalt. Verstärkerentwickler pflegen ihre Kreationen ja oft auf den eigenen Hörgeschmack abzustimmen. Bei Audia Flight jedoch muss ein ganzes Geschwader von echten Musikfans unterschiedlichster Couleur an einem Strang gezogen haben, denn der S-Dreier hat keine eindeutigen Präferenzen, sondern kommt mit praktisch jedem Stil souverän zurecht.
Deshalb ertappt sich der Autor auch schnell dabei, dass er den Analyse-Algorithmus im Kopf abschaltet, LPs und CDs mit großem Genuss von vorn bis hinten durchhört und manche schon in die Schublade mit der Aufschrift „unerträglich“ geworfene Scheibe plötzlich wieder gut findet. Was freilich auch der Audia Flight 3S nicht retten kann, sind überproduzierte Tontechnik-Orgien, bei denen selbstbesoffene Schieberegler-Jongleure den Versuch unternahmen, aus einer mittelmäßigen Aufnahme einen Kandidaten für den nächsten Schallplattenpreis zurechtzumixen. „Amico tedesco, ich spiele dir das jetzt vor, aber du kannst von mir nicht verlangen, den Mist zu mögen“, scheint mir der 3S zuzuraunen. Und ich wundere mich wieder einmal, dass auch und gerade von den großen Labels Neuproduktionen in geradezu unterirdischer Klangqualität auf den Markt geworfen werden.
Das Beste habe ich für den Schluss aufgehoben: den Preis. Angesichts der durchweg positiven Hörerfahrungen bin ich durchaus geneigt, den Audia Flight 3S in die 6000-Euro-Klasse einzuordnen. Denn er ist nicht nur gespickt mit netten Zugaben wie frei benennbaren Eingängen und einem ausgesprochen soliden Anschlussfeld, dessen Buchsen auch dickere Kabel sicher und bruchfrei halten, sondern in erster Linie ein klanglicher Überflieger, der sich auch in sehr kostspielige Anlagen geschmeidig einfügt. Aber nein, der Musikus aus der Heimat von Vivaldi und Puccini kostet überaus erschwingliche 2600 „Eh-Uh-Roh“ und macht nicht nur in seiner Preisklasse viele Mitbewerber ganz nonchalant platt – ohne dabei das Lächeln zu verlieren.
Audia Flight 3S
Vollverstärker
Leistung (8/4 Ω): 2 x 100/160 W
Eingänge: 4 x Line unsymmetrisch (Cinch), 1 x Line symmetrisch (XLR)
Besonderheiten: optional mit anpassbarem Phonoboard MM/MC (330 €) und/oder USB-Digitalboard (360 €) bestückbar
Ausführungen: Frontplatte Alu natur oder Schwarz
Maße (B/H/T): 46/11/44 cm
Gewicht: 16,5 kg
Garantiezeit: 5 Jahre
Preis: ab 2600 €
Sieveking Sound
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