AMG Giro / 9W2 / Teatro – Giro Di Bavaria
Auf einer Rundfahrt geht es in erster Linie rund. Und das möglichst schnell. Doch wer gewinnt die Gleichmäßigkeitsprüfung?
Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Das ist nicht nur platt, das ist auch verdammt richtig. Im konkreten Fall haben sich offenbar die richtigen Leute zur richtigen Zeit die richtigen Gedanken gemacht und einen richtigen Plattenspieler entworfen, der sich keinen einzigen Fehler erlaubt. Auch das ganze Drumherum – Verpackung, Anleitung und Werkzeug – ist schlicht perfekt, beinahe schon unheimlich gut durchkomponiert. Selbst das Preisschild scheint dann kaum einen solventen Interessenten mehr abzuschrecken. Nun, feinste Mechanik, edle Materialien, beste Verarbeitung und innovative Ideen kosten Geld.
Zusätzlich kommt dann auch noch eine gewisse emotionale Komponente ins Spiel. Als bekennender Autofan spricht mich das Firmenkürzel AMG natürlich direkt an. Die Langversion „Analog Manufaktur Germany“ hingegen irritiert mich schon ein bisschen. Immer dieses shraege Denglish.
Also bleiben wir bei „AMG“. Plattenspieler wie Automobile mit diesem Kürzel stehen für handwerkliche Perfektion aus Deutschland. Und dann auch noch dieses „V12“. Sehr gut und sehr teuer. Werde ich mir sicherlich nicht leisten können. Gibt’s denn nicht vielleicht doch noch eine zweite Chance? Vielleicht sogar eine günstige Gelegenheit?
Genau an dieser Stelle kommt jetzt der AMG Giro ins Spiel, der kleine Bruder des V12. Und der Giro bietet tatsächlich eine günstige Gelegenheit – für einen zweiten ersten Eindruck! Zuvor war nämlich die Rede vom großen AMG Viella V12. Haben Sie’s gemerkt? V12, das dicke Ding von AMG aus Bayern, das Vorzeigemodell der jungen Firma, die 2012 wie aus heiterem Himmel zur Analoggemeinde hinabstieg und seither erstaunliche Verkaufserfolge feiert. Der Viella V12 wird übrigens praktisch immer im Verbund mit dem V12-Tonarm verkauft – Anteil an Fremdarmen beim V12: unter 3 Prozent! Wer einen AMG V12 standesgemäß fahren will, kauft offenbar immer gleich das komplette Paket …
Merken Sie was? Wo ist denn der Kleine hin? Schon wieder dreht sich alles um das große AMG-Modell. Der kleinere Giro kommt wieder nicht zum Zug. Das war übrigens auch auf der letzten CES in Las Vegas so. Da trug der V12 das sensationelle „Moving-Light“-System DS-W1 vorne in seinem Zwölfzöller – und schon knipsten alle, alle, alle wieder nur den Großen. Der kleine AMG Giro, der extra angereist war, um seine eigene Premiere zu feiern und dafür auch gleich noch das brandneue MC-System Teatro am Arm spazieren führte, der stand sozusagen im Schatten des Großen und seinem leuchtenden System.
Ja, man hat’s nicht leicht als kleiner Bruder. Sagt mein kleiner Bruder. Der mich längenmäßig ein ganzes Stück überragt. So weit würde es AMG, im übertragenen Sinne, natürlich nie kommen lassen: Bei der Analog Manufaktur Germany ist der Kleine der Kleine, und zwar sowohl beim Laufwerk als auch beim Tonarm. Immerhin sind etliche Grundkonstruktionen und somit auch entscheidende Bauteile des Giro mit denen des großen Bruders absolut identisch. Der Tonarm darf sogar als direkter Ableger des großen Modells durchgehen, er wurde hauptsächlich von zwölf auf neuneinhalb Zoll verkürzt. Und weil wir jetzt schon mal beim Arm sind, können wir doch gleich mal ein zünftiges Armdrücken veranstalten …
Scherz! Natürlich wird hier nix gedrückt, sondern nur vorsichtig und umsichtig bewegt. Ein Tonarm ist schließlich kein Sportgerät, sondern ein empfindsames Präzisionwerkzeug, insbesondere dieser hier. Übrigens heißt der V12-Arm in seiner kurzen Version leider nicht V10, was cool gewesen und angesichts der offiziellen Länge von 9,5 Zoll durchaus erlaubt wäre – Kaufleute runden „kommafünf“ ja auch immer auf. Aber nein, der kurze Arm heißt ganz profan „9W2“. Wobei die „9“ sich hier wohl von selbst erklärt, die „2“ wiederum für die zweite Variante dieser Länge steht. Es gibt nämlich auch einen 9W1. Dieser unterscheidet sich nur marginal in einigen Bemaßungen vom 9W2 und wird seit seinem Erscheinen anno 2013 vorrangig auf abtrünnige Linn LP12 geschraubt. Wofür jedoch das „W“ steht, wollte mir der deutsche Distributor nicht verraten. Man bot mir diesbezüglich ein paar scherzhafte Unverschämtheiten zum Aussuchen an. Vermutlich steht das „W“ für „Wersion“ …
Den Tonarmen von AMG gemeinsam ist, dass sie keine klassischen Kugel-, Messerschneiden- oder Einpunktlager besitzen, sondern in der Horizontalen von einem Rollenlager, in der Vertikalen – und das ist der Clou – von zwei Edelstahl-Federstäben geführt werden. Für diese spezielle, sehr direkte Art der „Lagerung“ hatte sich Werner Röschlau – einer der ursprünglichen Entwickler und bis zu seinem überraschenden Tod 2014 begeisterter Pilot – von seinen geliebten Hubschraubern und deren verstellbaren Rotorblättern inspirieren lassen, zudem das innovative Tonarm-Lager mit null Spiel und extrem guter Energieableitung zum Patent angemeldet.
Exakt solche Innovationen wie das Federstab-Lager sind es übrigens, die vor ein paar Jahren zur Gründung des Unternehmens AMG geführt hatten. Und das kam so: Zu den üblichen Messetagen saßen wieder einmal diejenigen beim Dinner zusammen, die nicht nur beruflich, sondern auch menschlich auf einer Wellenlänge reiten: Garth Leerer – in den USA als Importeur von Benz, Clearaudio, Graham und Transfiguration auch als „Mr. Analog“ bekannt – und die Fraktion vom High Fidelity Studio (Vertrieb von Benz Micro, Sumiko, Aesthetix etc.). Man war sich einig, die Analogwelt mit einem Plattenspieler nach eigenen Vorstellungen überraschen zu wollen. Zauberhafte Ideen und konkrete Vorstellungen verdichteten sich schließlich zum Konzept einer kleinen, feinen Modellreihe von selbstredend sehr guten, vor allem aber auch „innovativen“ Plattenspielern. Damit rückte automatisch die Manufaktur Röschlau & Lorenzi in den Fokus der tatendurstigen Analog-Runde. Das Spezialunternehmen hatte sich zuvor als äußerst zuverlässiger und exakt arbeitender Zulieferer für andere durchaus renommierte Marken einen exzellenten Ruf erarbeitet. Und nun setzten Werner Röschlau und Julian Lorenzi einige neue Ideen unter der neu gegründeten Marke AMG um. Gleich das erste Modell Viella V12 entpuppte sich nach seiner Premiere im Jahre 2012 als voller Erfolg. Mittlerweile beschäftigt AMG fünf Spezialisten und wird seit dem überraschenden Ableben von Werner Röschlau von Sohn Julian Lorenzi alleine geführt.
Nach rund vier Jahren war die Zeit reif, dem Erstling einen mindestens ebenso erfolgreichen zweiten Spross folgen zu lassen. Der Giro nutzt für AMG die zweite Chance für einen ersten Eindruck.
Und der ist, Sie ahnen es bereits, rundum vorzüglich. Wie aus dem Ei gepellt präsentiert sich das ruckzuck zusammengesetzte Laufwerk. Die Formensprache des Giro ist noch radikaler und minimalistischer als die des großen Bruders und gefällt mir in seiner absolut durchschaubaren Klarheit wirklich ausgezeichnet. Das Laufwerk selbst besteht aus einer kreisrunden, 33 Millimeter starken Basis aus schwarzem Aluminium. Sie steht auf drei Spikes, von denen einer am äußeren Rand unterhalb des großen Lagergehäuses fix montiert ist, während die beiden rechterhand von der Oberseite aus feinjustiert werden können. Man achte beim Aufstellen also auf eine möglichst kratzfeste und – so viel sei schon jetzt verraten – resonanzarme und schwere Stellfläche, etwa aus Granit.
Vom gravierten AMG-Logo ausgehend befindet sich am linken „Rand“ der runden Basis das Tellerlager samt „Flywheel“-Subteller und nahezu „mittig hinten“ der Präzisionsmotor aus der Schweiz. Um dessen Pulley ist der Antriebsriemen zu legen – eine lustige Angelegenheit, bei welcher der Riemen von der Riemenscheibe des Plattentellers unterseitig mit zwei Fingern herangeführt und über die Nut des Motorpulleys bugsiert wird, während gleichzeitig der Plattenteller aufgesetzt wird. Das hört sich komplizierter an, als es tatsächlich ist; der Wechsel eines Fahrradreifens ist deutlich aufwendiger.
Wie auch immer. Die Montage des AMG Giro ist ein Klacks – zudem bestens geeignet, eine Verbundenheit zwischen Mensch und Maschine herzustellen. Alles, was man anfasst, vermittelt diese extrafeine Uhrmacher- und Feinmechaniker-Qualität, die man angesichts des Preises wohl erwarten darf, aber häufig nur „unvollständig“ bekommt. Auch die Inbetriebnahme des Giro macht gute Laune. Sämtliche beweglichen respektive justierbaren Teile, von der ausgefuchsten Plattenklemme bis zum Lift, laufen wunderbar geschmeidig und klar definiert. Selbst die beiden Sensortasten zur Geschwindigkeitswahl finde ich (ausnahmsweise) gut, da sie mit grüner oder roter Korona eindeutige Rück- und Statusmeldungen liefern. Belässt man den Finger auf dem gewünschten Geschwindigkeitsfeld für etwa fünf Sekunden, erlaubt die Steuerung des Giro zudem eine Feineinstellung der jeweiligen Geschwindigkeit. Wen wundert es, dass es hier nichts nachzujustieren gibt?
Ich finde im Umfeld des Giro nur ein einziges unstandesgemäßes Detail: Das externe Netzteil haust in einer schnöden, billigen Plastikhülle. Aber es soll ja ohnehin außer Reichweite positioniert werden. Trotzdem ist hier noch Optimierungspotenzial erkennbar.
Optimieren sollte der glückliche Giro-Besitzer auch den Stellplatz für sein neues, kleines Schätzchen. Es lohnt sich. AMG empfiehlt – die Spikes deuten es ja an – eine „harte Ankoppelung“, beispielsweise auf einer Granitplatte oder einem ähnlichen soliden Untergrund. Für ihren V12 bieten die Bayern zwar auch eine spezielle Plattform an, made by HRS. Doch die schraubt mit weiteren 3000 Euro den Komplettpreis des Giro ins Fünfstellige – und damit langsam in Richtung des großen Bruders.
Übrigens hat der Vertrieb auch für den Giro attraktive Komplettpakete geschnürt. So kostet die systemfreie Kombi aus Laufwerk und Arm 7200 Euro, doch schon für 700 Euro extra ist ein Grado Reference Master (eigentlich 1100 Euro) im Arm montiert. Für einen weiteren Tausender ist dann auch das hier abgebildete und wirklich vorzügliche AMG Teatro – als Einzelkämpfer mit immerhin 2400 Euro in der Preisliste – mit von der Partie.
Ich stelle den Giro zur Sicherheit auf meinen luftgelagerten Spezialtisch von LignoLab (TT-100), probiere wechselweise aber auch eine Composant S von Subbase aus. Auf beiden Stellfächen fühlt sich der Giro sofort hörbar wohl. Und er beweist sonore Statur, indem er praktisch keine eigene Signatur offenbart. Was ich damit meine? Er lässt die Musik (respektive die Schallplatten) sprechen und hält sich selbst aus allem raus, was mit Sound oder Einflussnahme zu tun hat. Motto: „Ich drehe hier nur ein paar Runden und ziehe präzise meine Bahnen.“ Das Spektakel, das so mancher Konkurrent gern um sich selbst macht, ist ihm völlig fremd. Er ist vielmehr der perfekte Chef im Hintergrund – so viel zum ersten Eindruck des AMG Giro in der audiophilen Praxis.
Damit entspricht der Giro ziemlich genau der Definition von „High Fidelity“. Seine klangliche Nichteinmischung ist nicht nur ein äußerst sympathischer Zug allen Musikern gegenüber. Diese mit Könnerhand abgestimmte Laufwerk-Tonarm-Kombi bietet jedem experimentierfreudigen HiFianer auch eine hervorragende Plattform, um in der nachfolgenden Kette die klangliche Feinabstimmung vorzunehmen, nämlich bei der Auswahl des Tonabnehmers und der Phonostufe.
Auf Anhieb zeigen mir einige mehr oder weniger zufällig ausgesuchte Vinylklassiker aus meiner Sammlung, was denn da so alles in ihren Rillen steckt. Die Offenheit in der Wiedergabe, der zivilisierte, zugleich zupackende Auftritt und ein blitzsauber ausgeleuchteter Raum sind selbstverständlich auch ein Verdienst des frisch eingespielten AMG Teatro. Tatsächlich entpuppt sich der türkis-mattmetallic schimmernde MC-Hingucker als so vielversprechend, dass ich das Teatro gerne in einer späteren Ausgabe einzeln und ausführlich vorstellen möchte. Denn der Giro zeigt sich auch mit moderater bepreisten Tonabnehmern – etwa mit besagtem Grado – als außergewöhnlich talentierte Führungskraft.
Als ich Walk That Walk, Talk That Talk, eine ziemlich livemäßige Studioaufnahme der Fabulous Thunderbirds von 1991 und sicherlich kein audiophiles Glanzstück, auflege, zeichnet der kleine AMG das vermeintliche Durcheinander derart griffig durch, dass ich plötzlich bisher verschleierte Verzierungen von Drums und E-Bass klar zuordnen kann. Derlei Offenheit gibt dann auch anderen Tracks, etwa dem Rumpelboogie „Feelin’ Good“ oder dem geradezu Rickie-Lee-Jones-haften Einstieg zu „Need Somebody To Love“ einen unerwarteten Extra-Live-Kick zurück. Das macht Lust auf mehr. Mehr!
Zum Beispiel auf die WDR Big Band, mit einem ganz feinen Duke-Ellington-Programm 1994 live in der Kölner Philharmonie aufgenommen (BHM-1022-1). Das sollte doch eigentlich ganz ordentlich klingen, sollte mit den Uptempo-Tracks sogar richtig abgehen … und das tut es auch! Sehr angenehm hierbei ist erneut, dass der puristische AMG sich durch nichts ablenken lässt, aber selber auch nicht ablenkt. Dadurch, dass er quasi unbeirrbar seine Runden dreht, spricht der quintessenzielle Groove direkt zu mir. Oder kürzer: That’s hi-fi, baby!
Der AMG Giro mit 9W2 gehört eindeutig zu den allürenlosesten, im täglichen Umgang angenehmsten und klanglich ehrlichsten HiFi-Komponenten, die je in meiner Anlage spielten. Jawohl, ein Plattenspieler!
MC-Übertrager: Audio Note S2
Phonoverstärker: Brocksieper Phonomax SE, EAR 834P, Pro-Ject Phono Box RS
Vorverstärker: Audia Flight Strumento #1, JE Audio Reference 1, T+A P 3000HV
Endverstärker: Audia Flight Strumento #8, JE Audio Dyas S400, T+A PA 3000HV
Vollverstärker: Soulution 530, Westend Audio Monaco
Kabel: Audio Note, HMS, Vovox
Netzfilter: IsoTek Aquarius EVO
Zubehör: Clearaudio Double Matrix Professional Sonic, LignoLab TT100 und „Die Bank“, Solidsteel HS, diverse Produkte von Harmonix und Subbase
AMG Giro / 9W2 / Teatro
Plattenspieler
Laufwerk Giro
Prinzip: elektronisch gesteuertes Laufwerk mit Riemenantrieb
Lieferumfang: Plattenklemme, komplettes Werkzeug
Ausführung: Aluminium-Basis, Plattenteller und Tellerlager aus Polyoxymethylen (POM)
Gewicht: 11 kg
Tonarm 9W2
Prinzip: Drehtonarm
Länge: 9,5″
Gewichtsklasse: mittelschwer
Besonderheiten: Federstab-Lagerung, integrierte Libelle
Garantiezeit: 2 Jahre
MC-Tonabnehmer Teatro
High Fidelity Studio
Dominikanergasse 7
86150 Augsburg
Telefon 0821 37250