Advance Paris AX1 / BX1 – Hübsche Französinnen mit inneren Werten
Der erste Eindruck zählt. Jedenfalls meistens. Dass Schönheit manchmal mit zweifelhaftem Charakter einher geht, lernen wir mit zunehmendem Alter. Und werden vorsichtiger. Auch bei verdächtig hübschen Verstärkern wie dem Duo AX1 / BX1 aus der neuen “Smart”-Linie der französischen Firma Advance Acoustic. Dabei gibt es hier für Misstrauen echt keinen Grund.
“Sind die schön”. Der erste Eindruck ist ein positiver. Aus den kleinen Kartons mit dem Aufdruck “Advance Paris” pellen sich edel wirkende Midi-Komponenten mit zentimeterdicken Acryl-Frontplatten, zu deren Hochglanz-Finish Lautstärkeregler und Standbyknöpfe aus gebürstetem Alu einen satten Kontrast geben. Der Firmenname steht nicht nur dezent im Acryl, er wurde auch in die massiven Gehäusedeckel geprägt. 43-Zentimeter-Komponenten gibt es bei Advance Acoustic schon länger, nun sind Midi-Modelle dran, damit auch Schreibtisch und Wochenendhaus beschallt werden können. Das Design ist schick, der Klang wird Durchschnitt sein. Denkt man vorab.
Ins Nachdenken kommt man allerdings schon beim Betrachten der Anschlussfelder: Der Advance Acoustic AX1 ist ein veritabler Vollverstärker, dessen Konstrukteure in das kleine Gehäuse eine vollwertige Transistor-Endstufe mit zweimal 65 Watt an vier Ohm gepflanzt haben. Auch einen brauchbaren Phonozweig gibt es. Signifikant und ein klares Indiz, dass dieses Verstärkerchen ein Produkt des 21. Jahrhunderts ist: Drei optische Toslink-Eingänge und eine Koaxbuchse warten darauf, dass Digitalquellen andocken. In Empfang nimmt die Signale ein Wolfson-DAC vom Typ WM8740. Der ist ein seit Jahren bewährtes Design und kann maximal 24 Bit mit bis zu 216 Kilohertz verarbeiten. Was sogar für die meisten High-Res-Dateien von der PC-Festplatte reicht, wiewohl modernere Wandler inzwischen noch deutlich höhere Datenraten beherrschen.
Der Klang scheint zunächst das Vorurteil zu bestätigen: Was aus dem AX1 kommt, ist ordentlich, nervt nicht, sorgt aber auch nicht für den erwarteten Aha-Effekt. Aber halt, da war ja noch ein zweiter Karton… In dem versteckt sich die Endstufe BX1 – und die ist mit ihren zweimal 150 Watt kein Booster für den AX1, denn der wird in der Kombination zur reinen Vorstufe degradiert, die das BX1-Kraftwerk über symmetrische Anschlüsse mit Signalen beliefern darf.
Im Verein spielt das französische Duo so frei, offen, luftig und dennoch profund auf, dass man sich eine Zeitlang verwundert die Augen reibt, zumal diese Vor-Endstufenkombi auf unter 1700 Euro kommt und die meisten Vollverstärker dieser Preisklasse nicht fürchten muss. Räumlichkeit und tonale Balance sind über alle Zweifel erhaben, AX1 und BX1 erschaffen bei guten Aufnahmen Räume von großer Breite und Tiefe, in denen jede Schallquelle ihren zugewiesenen Platz und annähernd auch die korrekte Größe hat.
Mit großorchestraler Klassik können die Smarts ein normal großes Wohnzimmer förmlich fluten und bleiben dank der ordentlichen Leistungsreserven völlig unangestrengt und souverän, selbst wenn sich zu massiven Streichertutti noch kraftvolle Bläsereinsätze und wuchtige Schlagwerk-Einwürfe gesellen. Ein Paradebeispiel für solche Klangmassen sind die Symphonien Gustav Mahlers, die über die schwarzen Verstärkerquader auch dann durchhörbar bleiben, wenn es so dick kommt, wie im “Veni, Creator Spiritus”-Beginn der großformatigen Achten.
AX1 und BX1 “können” allerdings auch intim und zurückgenommen, etwa dann, wenn “Friend & Fellow” zum Heimspielabend in Weimar bitten. Bei dieser feinen Liveaufnahme springt die gute Laune der samtstimmigen Sängerin Constanze Freund und ihres Gitarrenbegleiters Thomas Fellow unmittelbar auf das Publikum und damit auch auf den CD-Hörer über. Und dann lauscht man gut zwei Stunden gebannt, wie dieses Ausnahmeduo aus Popstandards Chanson-Kleinode formt, mit minimalsten Mitteln pure Magie schafft. Die nachtschwarze Kunststoff-Fernbedienung lässt den motorisch getriebenen Lautstärkeregler ein Stück über die Zehn-Uhr-Stellung surren, dennoch wird die Kombination nie vorlaut.
Genrewechsel: Der estnische Philharmonische Kammerchor unter Paul Hillier singt Sergej Rachmaninoffs orthodoxe Vesper Opus 37 (Harmonia Mundi). Kirchenakustik, ein Elite-Vokalensemble, aufgenommen extrem präsent und dicht. Kein Problem für die Midiverstärker, die ohne Probleme die Balance zwischen Delikatesse und Druck, zwischen Fortemacht und Pianissimo-Versenkung finden und dabei einen wunderbar großen, mühelosen Ton demonstrieren.
Jetzt muss ich sie doch einmal ärgern, mit profanerem Stoff aufs Glatteis führen. Landsfrau Jeanne Mas singt “Johnny, Johnny” von ihrsm 1985er Debütalbum. Keine audiophile Erleuchtung, ein Klangbild aus der Digitalsteinzeit, Blubber-Synthesizer und die immer etwas zerbrechlich wirkende Stimme einer Künstlerin, die in ihrer Heimat ein Star, in Deutschland nur ein “Two Hit Wonder” war. Dem Advance-Zweigespann sind solche Hintergründe sausage, also Wurst. Es teilt mir höflich mit, dass die Aufnahme tontechnisch nichts taugt und Mademoiselle Mas etwas verzischelt aufgenommen wurde – und groovt dann mit unbekümmert sonnigem Gemüt los, um meine Laune zu heben. Das muss man mögen, gegen so viel Charme kann man sich einfach nicht wehren. Ich habe den Widerstand folgerichtig aufgegeben und den beiden hübschen Französinnen bei mir Heimrecht eingeräumt. Gekommen, um zu bleiben…
Advance Acoustic Smart Paris AX-1
Vollverstärker mit DAC
Leistung (8/4Ω): 2 x 45/65W
Maße (B/H/T): 32,5/13,3/23 cm
Gewicht: 6,1 kg
Preis: 700 €
Advance Acoustic Smart Paris BX-1
Stereo-Endverstärker
Leistung (8/4Ω): 2 x 105/150W
Maße (B/H/T): 32,5/16/23 cm
Gewicht: 8,5 kg
Preis: 900 €