Tannoy Prestige Turnberry GR – Walnuss und Ende!
Die „Tannoy Prestige Turnberry GR“ kann ziemlich gemein sein. Ihr ist es völlig schnuppe, was aus der Paarbeziehung ihres Käufers wird, wenn dieser sich zwei 100-Liter-Walnussgehäuse in die Wohnung stellt. Aber sie versöhnt – durch andere Werte.
Mein persönliches Weihnachtsfest 2013 fand erst einige Tage nach Heiligabend statt. Am 27. Dezember nämlich fuhr FIDELITY-Chefredakteur Cai Brockmann persönlich bei mir in Berlin-Friedenau vor. Auf der Ladefläche seines Automobils, in Tetris-Manier mit dem restlichen Auto verkeilt: ein Paar Tannoy Turnberry Gold Reference. Nachdem wir die beiden 41-Kilo-Pakete schwitzend und stämmig in meine Wohnung gewuchtet und je einen Liter Wasser verinnerlicht hatten, ging es ans Auspacken. Erste Überraschung: Die Tannoys werden doch tatsächlich mit einer Dose Holzpflegewachs ausgeliefert. Schnell mal tiefer in die Schaumstoffelemente gelugt – findet sich da irgendwo vielleicht auch noch eine Barbourjacke? Nein, so weit geht die Großzügigkeit des schottischen Herstellers dann doch nicht. Das Auspacken selbst gestaltet sich erstaunlich schmerzfrei: An der richtigen Seite (freundlicherweise ist sie beschriftet) den Karton öffnen, das oben liegende Schaumstoffelement abnehmen, den Karton dann langsam seitwärts kippen und andersherum wieder aufrichten, Lautsprecher sacht heraussacken lassen, Karton hochziehen, fertig.
Und dann heißt es erst einmal durch die Zähne atmen. Ja, das Design polarisiert. Wir sprechen bei der Turnberry und generell bei allen Prestige-Lautsprechern von einem ausgewachsenen Trumm aus massivem Walnussholz, etwa doppelt so breit, wie man es von klassischen Säulenboxen kennt. Man muss das mögen, und zwar im Wortsinne, denn es gibt in Sachen Finish keinerlei Alternativen. Walnuss und Ende!
Wenn noch dazu die handwerklich sehr aufwendig gefertigte Bespannung angeschraubt ist, könnte man die Turnberry sofort für ein altertümliches Möbelstück halten. Mit abgenommener Bespannung hingegen macht sie eher einem Probenraum- oder PA-Lautsprecher alle Ehre. Wir sehen nämlich außer einer Menge Holz lediglich einen obszön großen Dual-Concentric-Treiber mit 25 Zentimeter Durchmesser sowie am unteren Rand der Box eine geheimnisvoll wirkende Metallapplikation mit fünf Bohrungen. Im Auslieferungszustand steckt eine entsprechende Schraube in der mittleren Bohrung. Doch dazu später. Während die „Drehbeeren“ eingespielt werden, gönnen wir uns vielleicht einen kurzen Exkurs zur Modellgeschichte.
Die Turnberry gehört zu Tannoys Prestige-Serie, deren erste Exemplare bereits 1982 aufgelegt wurden. Diese durchgängig auf einem Zweiwege-Koaxiallautsprecher basierende Produktlinie aus seinerzeit vier Lautsprechern (Stirling, Edinburgh, GFR Memory und die legendäre Westminster) stellte zu jener Zeit und heute mit ihrer – vorsichtig ausgedrückt – rustikalen Optik einen selbstbewussten Gegenentwurf zu den mittlerweile fast schon klassischen Säulenlautsprechern dar. Der Koax-Treiber selbst wurde in seiner Grundform sogar bereits um 1947 entwickelt und 1953 im berühmten Tannoy-Modell Autograph eingesetzt.
Im Jahr 2006 erhielt die Prestige-Serie unter dem Label „SE“ (Special Edition) ein erstes Upgrade; bereits existierende Modelle wurden weiterentwickelt, neue kamen hinzu, so zum Beispiel die Kensington SE, die das drittgrößte Modell der Prestige-Serie darstellt. Sieben Jahre später, anno 2013, stellte Tannoy nun mit der GR-Serie (Gold Reference) eine weitere Neuauflage dieser Produktlinie vor. Kleinstes Modell ist (so ist es zumindest zurzeit, wer weiß, was die Schotten sich noch alles einfallen lassen) die Stirling GR, es folgt die hier und heute näher beschriebene Turnberry GR, die Kensington GR, die Canterbury GR und zu guter Letzt das schon ins Monströse lappende Modell Westminster GR, das – um angemessen zur Geltung zu kommen – mindestens noch eine Hausbar und einen waschechten Kamin zur Seite gestellt bekommen sollte. Und einen Butler, der sie regelmäßig mit pflegenden Substanzen einreibt. Das Vorhandensein einiger Flaschen Ardbeg Mór und einer Zigarre kann auch nicht schaden. Doch genug davon.
Was ist neu an der GR-Serie? Gegenüber den Modellen der SE-Produktreihe wurden diverse Hauptmodifikationen vorgenommen. Zum einen erhielten die Chassis verstärkte Druckgusskörbe mit einer verbesserten, aus zehn Schrauben bestehenden Schallwandbefestigung. Erneuert wurde ebenfalls das Anschlussterminal, das nun auf einem schwingungsarmen Acryl-Panel montiert ist. Auch die Frequenzweiche wurde überarbeitet, sowohl hinsichtlich des Schaltungsdesigns als auch durch den Einsatz von Bauteilen mit noch geringerer Toleranz. Alle diese Bemühungen zeigen: Bei Tannoy denkt man offenbar langfristig – wer ein Modell der Prestige-Serie erwirbt, der bekommt einen „alten Hasen“, der konzeptionell bereits mehr als 60 Jahre Erfahrung auf dem Buckel hat und inzwischen mehrfach grundlegend optimiert wurde. Erfreulich! Und nun wollen wir mal sehen, was bei der Tannoy so alles geboten wird.
Fangen wir oben an. Der Dual-Concentric-Treiber ist ein koaxiales Zweiwege-Chassis, bestehend aus einem 10-Zoll-Tiefmitteltöner mit steifer Pappmembran sowie einem innen liegenden Eineindrittel-Zoll-Hochtonlautsprecher mit einer kurzen, tulpenförmigen Hornführung, der ab einer vergleichsweise niedrigen Trennfrequenz von 1300 Hertz übernimmt. Apropos Frequenzweiche– diese bietet mehrere Anpassungsmöglichkeiten: Über das im vorletzten Absatz erwähnte metallene Schraubfeld (so nenne ich es mal in Entsprechung zu dem im Tonstudio üblichen Begriff Steckfeld) kann die tonale Präsenz des Hochtonbereichs in je zwei 1,5-dB-Schritten angehoben oder abgesenkt werden. Hierzu wird einfach die Rändelschraube aus dem mittleren Loch – welches die lineare Einstellung repräsentiert – herausgedreht und dann in eines der anderen Löcher geschraubt. Ungewöhnliche Sache – und ob das im Sinne des störungsfreien Signalflusses so richtig optimal ist, möchte ich bezweifeln, schließlich muss man im Bereich der Schrauben und Gewinde mit Übergangswiderständen rechnen. Auch dürfte so eine ungeschirmte, „nackte“ Lösung gegenüber gekapselten Schaltern anfälliger für Einstreuungen aller Art sein. Aber hey – wir sprechen von einem schottischen Kultlautsprecher. Der darf das.
Vorteile des Dual-Concentric-Prinzips sollten in der Theorie zum einen die Annäherung an eine Punktschallquelle, aber auch eine zeitrichtige Abstrahlung beider Treiber sein. Im Verbund sollte sich auch angesichts der schieren Größe der Treiber eine sehr homogene, flächige Darbietung mit guter stereofoner Bühne ergeben. So weit die Theorie. Und die Praxis? Die bestätigt das. Schon nach wenigen Takten mit der Turnberry setzte unkontrollierbarer Speichelfluss und ein profunder Habenwollen-Reflex ein. Warum ist das so? Nun, wenn man quasi hauptamtlich HiFi-Komponenten und Lautsprecher testet, dann verfällt man mit den Jahren gerne ins Schema F: Man hat so seine dreißig bis vierzig in audiophiler Hinsicht bemerkenswerten Tracks, und die arbeitet man dann gerne am jeweiligen Testobjekt ab. Das hat nicht immer mit Genuss zu tun, sondern es ist Teil eines routinierten Kennenlernprozesses zwischen Rezensent und Gerät. Für mich gilt da die Analogie zur professionellen Weinprobe: Man nimmt einen Schluck, sprotzt den Wein ein wenig im Mund herum, schnäbelt, sögelt, inhaliert, macht Notizen – und spuckt dann den ar¬men Wein in einen Napf, auf dass der Alkohol nicht die Sinne für den nächsten Probanden verneble. Ist doch eigentlich furchtbar, oder?
Und genau das geschah bei der Turnberry nämlich nicht. Anstatt durch meine Tracks zu skippen (am Wein zu nippen), nahm ich gewissermaßen jeweils einen geziemenden Schluck und ließ jeden davon bestens gelaunt in meinen Magen gleiten. Und war am Ende ein bisschen besoffen vor Freude.
Aus folgenden Gründen: Zum einen ist die Turnberry ein echtes Brett, wie Musiker sich gern auszudrücken pflegen. Es wird unter anderem an der schieren Größe der Treiber liegen, dass sie eine echte Wall of Sound bietet – wobei Wall of Sound insofern irreführend ist, als es sich bei Wänden meist um etwas Zweidimensionales handelt; die Turnberry lässt hingegen richtig in die Tiefe hören. Es mögen der Klischees zu viele sein, aber wer diese Lautsprecher zum ersten Mal in der Wohnung stehen hat, der hat nur eine Wahl: Es muss jetzt Neil Young gehört werden, gerne zum Beispiel das aktuelle Album Psychedelic Pill. Was gefällt: der absolute Live-Effekt. Die Turnberry ist wie gemacht für solche Musik: Sie spielt erdig, ausgeruht, breitbandig, aber auch dynamisch und mit viel Feuer. Die Musik löst sich vollständig von den Lautsprechern, man muss nicht einmal die Augen schließen, um die Illusion einer livehaftigen Konzertbühne zu erhalten. Ihr Sound ist ungemein flächig, groß, raumfüllend.
Dieser Effekt stellt sich bei vielerlei Musik ein. Nehmen wir die amerikanische Band Ostinato und ihr Album Chasing The Form, das sehr spannenden, gitarrenorientierten Post-Rock bietet. Im Song „Latitude“ dominiert ein Schlagzeug, in dem viel auf den Hängetoms herumgedengelt wird, die mit einem gerüttelt Maß holzigem, warmem Raumhall versehen wurden. Auch kommen wuchtige, verzerrte Gitarren mit viel Delay zum Einsatz. Man kann es nicht anders sagen: Die Tannoy schiebt die Gitarrendelays wie Ozeanwellen in die Stube, flutet den Raum geradezu und lädt zu einem erfrischenden Vollbad ein. Macht Spaß!
Flut? Musikbad? Wall of Sound? Ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen. Nein: Die Turnberry spielt eben nicht unpräzise. Sie schafft es trotzdem, die einzelnen Schallquellen punktgenau aufzulösen, was an zwei Beispielen verdeutlicht werden kann. Nehmen wir die hochgradig empfehlenswerte Band Deerhoof. Es vereinen sich: ein Schlagzeuger namens Greg Saunier, der in Physiognomie und Ausdrucksweise dem legendären Muppet-Show-Schlagzeuger („Das Tier“) ähnelt, eine japanische Sängerin und Bassistin mit Elfenstimme sowie zwei ausgesprochen timingfeste und humorvolle Gitarristen. Im Track „Running Thoughts“ (auf dem Album Runners Four) kommt ein reichlich geisteskrankes 60er-Jahre-Pingpong-Stereo zum Einsatz: links außen eine Orgel, halblinks ein so gut wie mono abgemischtes Drumset, mittig und rechts je eine Gitarre, rechts außen Bass und Gesang. Bescheuert? Bescheuert. Aber eben auch ein Riesenspaß über die Turnberry, die jede dieser offenbar mit dem Zufallsgenerator ausgewürfelten Panoramapositionen millimetergenau in der stereofonen Bühne festnagelt. Da gibt es keine Zweifel, kein Wischiwaschi – das ist bestens aufgelöst.
Anderes Beispiel: Gustav Mahlers „Auferstehungssinfonie“ (die Zweite). Im fünften Satz gibt es eine Stelle, die so dermaßen ergreifend und mitreißend ist, dass einem schier das Herz brechen – oder wahlweise auch stillstehen – möchte. Nicht weniger als das Jüngste Gericht soll hier vertont sein. An einer Stelle wird es ganz still, wir hören nur eine Querflöte trällern, die bei Mahler den „Totenvogel“ repräsentiert. Als sie verebbt, beginnt leise, fast unhörbar, der Klopstock-Choral „Auferstehen, ja auferstehen wirst du“. Ein vielschichtiger Choral, mit tiefsten Männerstimmen, aus denen sich nach einigen Sekunden eine nachgerade geisterhafte Frauenstimme erhebt. Was an dieser Stelle erforderlich ist, das sind perfekte Feindynamik und Fähigkeiten zur ganz großen Raumdarstellung. Die Turnberry ist auch dieser Aufgabe gewachsen und bildet den Chor mit stupendem Realismus, großer Tiefe und feinsten Schattierungen ab. Es scheint, als könne man jede Einzelstimme genau herausgreifen.
Ich sehe hier und da im Auditorium Menschen mit den Hufen scharren. Es sind Menschen mit lederbetonter Kleidung und langem Haupthaar. Ja, bitte?
Nein, die Turnberry ist kein ausgewiesenes Bassmonster. Klar, man sieht den „dicken Oschi“ als Treiber und denkt sich, da müsste doch untenrum in erheblichem Maße was gehen. Tut es auch, aber mehr auf der flinken und dynamischen Seite. Als untere Grenzfrequenz werden im Prospekt 34 Hz angegeben, allerdings bei – 6 dB, das ist angesichts der Abmaße des Lautsprechers nicht das, was man im Fundamentbereich als amtlich bezeichnen würde. Und ja, ich hatte schon Lautsprecher zu Hause, die bei ähnlichen oder sogar geringeren Volumina im Bassbereich ein Pfund mehr drauflegten. In Erinnerung sind mir hier die Swans M6F oder die PSB Synchrony One. Beide erkaufen sich allerdings ihren profunderen Bassauftritt mit einer hörbar weicheren, unpräziseren Wiedergabe.
Nehmen wir die Band Ozric Tentacles und ihr psychedelisches Instrumentalstück „Space Between Your Ears“. Die Art und Weise, wie hier der Tieftonbereich produziert wurde, ist für mich Maßstäbe setzend. Die Bassdrum kommt sagenhaft fett, und der in Dub-Reggae-Manier spielende Bass lehrt Tieftöner und Hausmitbewohner zu gleichen Teilen das Fürchten. Die Tannoy überzeugt mit einer ungemein federnd-agilen Wiedergabe der Bassläufe und einer großartigen Feinauflösung aller Frequenzbereiche bei gleichzeitig stehenden langen Basstönen. Die oben genannten Vertreter sind da in meiner Erinnerung etwas anders herangegangen: Sie regten Magengrube und Wohnraum des Verfassers durchaus kräftiger an, gaben aber dann auch gewisse Kompressionseffekte zum Besten.
Wo wir gerade bei der Tonalität sind: Ich hatte den Eindruck, dass die Turnberry um die Trennfrequenz herum eine minimale Ungenauigkeit oder Verrundung hinlegt. Aufgefallen ist mir das bei Johann Sebastian Bachs Englischer Suite Nr. 2 in a-Moll, gegeben von Ivo Pogorelich, eine Solo- Klavieraufnahme. Wenn der Herr sich im Verlauf des Stückes mit seinen Katzenpfötchen in Richtung Diskant bewegte, schien mir dieser tonal zuweilen ein winziges bisschen uneinheitlich zu sein, wenn auch in einem begrenzten Rahmen von drei bis vier Tönen.
Was bleibt unterm Strich? Die Turnberry ist ein polarisierender Lautsprecher. Es erfordert gewisse Cojones, sich diesen Lautsprecher in die Wohnung zu stellen. Sie basiert auf einem 60 Jahre alten Treiberkonzept – man kann das zu gleichen Teilen altmodisch oder ausgereift finden. Sie ist nur in einem einzigen Finish erhältlich, das sich in viele moderne Wohnungen nicht gerade nahtlos integrieren lässt. Sie wirkt auf den ersten Blick nicht wie ein Feingeist. Sie folgt nicht dem allgemeinen Trend, dass technische Geräte immer unsichtbarer werden. Sie wirkt nicht entgegenkommend, sondern sie macht, was sie will. Sie hat etwas Monolithisches. Aber: Sie macht süchtig.
Wenn Sie ein erwachsener Mensch und der Spielereien und Experimente müde sind; wenn Sie im Zweifelsfall lieber auf ein schönes Besäufnis als eine pseudointellektuelle Weinprobe gehen, dann holen Sie sich diesen Glücksbringer nach Hause. Sie werden es vermutlich nicht bereuen.
Info
Tannoy Prestige Turnberry GR
2-Wege-Koax-Standlautsprecher‚ Bassreflex
Wirkungsgrad (2‚83 V/1 m): 93 dB
Nennimpedanz: 8 Ω
Besonderheiten: Koaxialtreiber‚ Anpassung des Hochtonbereichs
(0/± 1‚5/± 3dB) per Rändelschraube‚ Bi-Wiring-Terminal
mit zusätzlicher Erdungsklemme‚ Holzwachs im Lieferumfang
Ausführung: Walnussholz
Maße (B/H/T): 45‚6/95‚0/33‚6 cm
Gewicht: 30 kg
Kontakt
TAD-Audiovertrieb GmbH
Rosenheimer Straße 33
83229 Aschau im Chiemgau
+49 8052 9573273