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Sven Regener - credit Charlotte Goltermann

Sven Regener im Interview mit FIDELITY

ALLES WILL RAUS ...

Sven Regener: „ALLES WILL RAUS“

Fotografie: Charlotte Goltermann, Ingo Pertramer

Sven Regener hat zum ersten Mal eine Jazzplatte eingespielt. Auf Ask Me Now interpretiert der Schriftsteller und Sänger der Band „Element of Crime“ in Trio-Besetzung zwölf Instrumental-Klassiker. Ein Gespräch über den Sound von Miles Davis, den Klang von Wörter – und die Macht der Trompete.

Regener, Pappik, Busch - credit Charlotte Goltermann
Regener (Mitte), Pappik, Busch, credit Charlotte Goltermann

FIDELITY: Herr Regener, den Eröffnungs- und Titelsong von Ask me Now interpretiere ich als Einladung zu einem Gespräch. Allerdings irritiert mich Titel zwei etwas, „Don’t Explain“. Möchten Sie überhaupt über das Album sprechen?

Sven Regner: Das ist mir echt noch gar nicht aufgefallen. Natürlich beantworte ich gerne Ihre Fragen. Wir haben die Songs aber schon bewusst an den Anfang der Platte gesetzt, aus musikalischen Gründen. Man überlegt sich, wie man den Hörer hineinführt in so ein Werk. Ich arbeite da gerne mit Kontrasten. „Ask Me Now“ von Thelonius Monk ist ein brachiales Stück, richtig Monk-mäßig. „Don’t Explain“ dann ist entspannt und bluesig, Billie Holiday eben. Das fordert den Hörer. Ich glaube ja an das Prinzip Langspielplatte. An dieses Gesamtdings. Dass man vom ersten Song begrüßt wird: ‚Hallo, du hast gerade eine neue Welt betreten, halte die Ohren offen.‘

Sie haben zwölf Jazz-Instrumentals eingespielt. War es eigentlich erleichternd, nicht mit Worten zu arbeiten? Nicht zu texten und zu singen?

Das war toll! Ask Me Now ist ja meine erste Platte seit 1983, auf der vorne nicht „Element of Crime“ draufsteht. Seit Gründung der Band bin ich als Sänger verantwortlich für Wort und Text. Klar, ich spiele auch Gitarre und Trompete. Gerade der Trompete aber bleibt bei Element of Crime oft nur eine Nebenrolle. Da ist Ask Me Now jetzt mal eine schöne Abwechslung.

Wer Trompete spielt, kann nicht gleichzeitig singen.

Ganz richtig! Dazu kommt: Bei Element of Crime kann ich nicht in jeden Song ein Trompetensolo einbauen. Da würden die Fans sagen: ‚Der schon wieder …‘ Und es ist in erster Linie eine Rockband. Also musste ein Jazz-Projekt her. Ich liebe ja den Sound der Trompete. Sie kann so laut und mächtig sein. Und so leicht und weich. Mir war auch sofort klar, Jazz mache ich nur im Trio.

Warum das?

Trios haben diesen ganz speziellen Klang. Auch im Power-Pop, bei Police zum Beispiel. Da ist eine Wucht am Werk, fantastisch. Man kann sich auch nicht verstecken im Trio. Jedes Instrument ist immer klar zu hören. Ich kann die Trompete laut oder leise regeln im Studio, aber sie bleibt immer da.

Regener, Pappik, Busch - credit Charlotte Goltermann
Regener (Mitte), Pappik, Busch, credit Charlotte Goltermann

Man ist schon erstaunt: Sven Regener ist neuerdings Jazztrompeter.

Ich spiele Trompete, seit ich 15 bin, und eigentlich, um Jazz zu spielen. Ich habe damals auch Unterricht bei einem Jazzmusiker gehabt, Eckfrid von Knobelsdorff. Mein Vater hat viel Louis Armstrong und solche Sachen gehört. Das kommt also nicht aus dem Nichts, im Gegenteil.

Alle Songs auf Ihrer Platte sind Klassiker, von vielen interpretiert. Thelonius Monk hat „Ask Me Now“ selbst in vielen Versionen aufgenommen, solo, als Trio und im Quintett mit Thad Jones an der Trompete. Das sind große Fußstapfen …

Wir haben uns hingesetzt und einfach gespielt. Geschaut, was kommt. Das hat etwas Brachiales, etwas Reinschreitendes. So aber nähert man sich dem Kern eines Stückes an. Ich hatte dabei nicht Thad Jones im Kopf, Richard Pappik nicht Art Blakey und Ekki Busch sicher nicht das Piano von Monk. Das ist wie bei einem Dirigenten, der Beethovens Dritte macht. Der sagt sich auch nicht, jetzt hör ich mir erstmal an, wie das der Klemperer gemacht hat oder der Furtwängler. Das hat was mit Respekt zu tun. Man ehrt die Komposition, keine Interpretation.

„Chasin’ The Trane“ nimmt mit 16 Minuten die gesamte B-Seite von John Coltranes Live At The Village Vanguard ein. Bei Ihnen ist es gerade mal zwei Minuten lang …

Sehen Sie, das ist ein wichtiger Punkt. Das Verhältnis von Komposition und Improvisation ist bei uns, würde ich mal sagen, eins zu eins. Man hätte mit dem Hauptthema auch in fünf- oder siebenfacher Länge herumimprovisieren können. Nein, wir stellen das Thema vor, improvisieren etwas, kommen aber schnell zum Thema zurück.

Was auffällt: Sie spielen kein Stück von Miles Davis, dem vielleicht größten Jazztrompeter aller Zeiten. Aber drei Stücke von Pianist Thelonius Monk.

Miles Davis steht als Komponist nicht so im Vordergrund der Geschichte wie Thelonius Monk. Miles war ein grandioser Spieler mit einem unvergleichlichen Ton. Voller Macht, Kraft und Zartheit. Aber eben eher ein Interpret. Das darf man nicht vergessen. Und ganz ehrlich: Wir haben geschaut, wo wir gut sind. Da hatten wir bei Monk einfach mehr Treffer gelandet, für unser Verständnis. Wir spielen dann „Round Midnight“ von Thelonius Monk, das auch durch Miles Davis berühmt wurde.

Thelonius Monk ist nach dem Newport-Jazzfestival 1955 beleidigt aus dem Tourbus gestiegen, weil er fand, Miles Davis hätte „Round Midnight“ falsch gespielt. Vielleicht ist es ganz gut, dass er Ihre Version nicht mehr hören kann?

Ach, wer weiß. Ich finde, dass unsere Version sehr schön ist. Streits unter Musikern sind eine spannende Sache. Monk wird schon seine Gründe gehabt haben. Es ist auch nicht immer leicht, wenn andere deine Songs spielen. Ich kenn’ das.

Sven Regener mit seiner Band Element of Crime, credit Ingo Pertramer
Live-Auftritt mit Element of Crime, Regeners Ur-Band, 2009, credit Ingo Pertramer

Schauen Sie bei Youtube, wer sich alles an Ihrem „Delmenhorst“ versucht?

Nicht zwingend. Wenn man ein Stück auf die Welt bringt, dann gehört es gewissermaßen auch allen. Man muss damit leben, dass andere sich daran versuchen und das dann natürlich anders machen als man selbst. Das ist immer auch ein Kompliment, eine Hommage.

Fast alle Künstler, deren Stücke Sie jetzt spielen, haben im New York der 50er und 60er Jahre gelebt. Kann man als gebürtiger Bremer die Vibes von Harlems Jazzkellern wiedergeben?

Darum geht es doch gar nicht. Diese Stücke sind ewig gültig, gerade weil sie über ihre Herkunft hinausweisen. Musik ist eine Welt, die jenseits von Harlem und von Bremen existiert. Man gelangt quasi durch ein Wurmloch in eine neue Dimension, in der jeder willkommen ist. Man sagt ja auch nicht: Wieso ist da jemand in Amerika, der Beethoven dirigiert? Wieso ist der nicht aus Bonn?

Sie haben früher schon einmal „Last Christmas“ gecovert. Geht man an Monk oder Charlie Parker genauso heran wie an Wham!?

Ja, klar. Schon von Element of Crime zu Wham! ist es ein weiter Weg gewesen. So wie von „Last Christmas“ zu, ich sag mal, „Cool Blues“ von Charlie Parker. Ich mag beide Stücke, deshalb habe ich sie auch jeweils ausgewählt.

Sie mögen „Last Christmas“?

„Last Christmas“ ist total unterschätzt. Es ist eines der traurigsten Lieder aller Zeiten, mit einem ganz fantastischen Text. Es geht um die Einsamkeit eines verlassenen Menschen. Sehr interessant. Vom Sound her bei Wham! ganz anders … Das war seinerzeit natürlich eine Herausforderung für Element of Crime. Aber man kann den Weg finden. Wenn man den nötigen Respekt mitbringt.

Regener, Pappik, Busch - credit Charlotte Goltermann
Regener (Mitte), Pappik, Busch, credit Charlotte Goltermann

Hören Sie beim Schreiben Musik? Allen Ginsberg zum Beispiel, der Beat-Autor, hat beim Dichten immer Jazz gehört, heißt es.

Nein. Beim Schreiben höre ich keine Musik. Weil ich mich die ganze Zeit damit beschäftige, wie das eigentlich klingt, was ich da mit den Wörtern anstelle. Für mich ist Schreiben an sich etwas sehr Musikalisches. Es geht um einen Sound. Es gibt tausend Möglichkeiten, einen Satz zu bauen. Jedes Mal klingt er anders. Wie bei Camus’ Die Pest, wo einer zigmal versucht, den ersten Satz zu formulieren. Aber nur einer passt am Ende. Um den zu finden muss man genau hinhören.

Beim Jazz sind oft die Noten, die nicht gespielt werden, entscheidend, weil sie die Spannung erzeugen. Kennen Sie das auch als Schriftsteller?

Guter Gedanke. Ich sitze ja gerade an meinem neuen Roman. Die Kunst ist immer das Weglassen. Ich streiche meist sehr viel weg vom ersten Entwurf. Bestimmte Freiräume will der Leser sich selbst füllen. Wenn man alles erzählt, wird’s zum einen uferlos, zum anderen langweilig.

Sie bewegen sich bei Ask Me Now im Modern Jazz, im Cool Jazz. In welchem Stil schreibt denn Sven Regener seine Bücher? Wie ein Freejazzer vielleicht?

Weiß ich gar nicht. Aber eins kann ich sagen: Bei Lesungen gehöre ich zur schnellen Sorte. Ich mag es, wenn es beim Lesen so reinrattert. Da wird in einem hohen Tempo gespielt. Das wäre dann eher Bebop, oder Hard Bop, würde ich sagen. Ist ein spannender Effekt, weil man beim Zuhören gar nicht alles mitbekommt, aber gleichzeitig manche Dinge besonders rausspringen.

Ohne Ihnen zu nahe zu treten, aber Sie sprechen auch so. Sie beginnen einen Satz, biegen ab, fangen einen neuen an …

Da treten Sie mir nicht zu nah. Ich bin Schnellsprecher. Ist komisch, weil der Bremer an sich ein langsam sprechender Mensch ist. Es gibt nur sehr wenige Schnelle unter uns. James Last war so einer, ein unglaublicher Schnellsprecher. Hans Koschnick auch, der frühere Bürgermeister. Und ich bin auch ein Schneller. Man sabbelt halt. Alles will raus. Das Universum hat sich wohl gedacht, wenn die alle so langsam reden in Bremen, da braucht es einen Ausgleich. Das sind dann so Typen wie ich.

Ask Me Now - Regener, Pappik, Busch
Ask me Now – Regener, Pappik, Busch

www.regenerpappikbusch.de

Info
Sven Regener spielt Thelonius Monk und John Coltrane: Der berühmte Schriftsteller (u. a. Herr Lehmann, Wiener Straße) und Frontmann der Band Element of Crime („Delmenhorst“) hat mit zwei langjährigen Weggefährten die Instrumental-Platte Ask Me Now aufgenommen. Als Trio mit Schlagzeuger Richard Pappik und Pianist Ekki Busch interpretiert Regener an der Trompete Klassiker des Jazz wie „Chasin’ The Trane“ von John Coltrane, „Round Midnight“ von Thelonius Monk oder „Cool Blues“ von Charlie Parker. Sven Regener, 1961 in Bremen geboren, gründete Element of Crime 1985, 2001 veröffentlichte er mit Herr Lehmann seinen ersten Roman. Diesen Herbst soll der neue Roman Glitterschnitter erscheinen. Regener ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und lebt in Berlin.

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