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Spock's Beard - Their Names Escape Me

Spock’s Beard – Their Names Escape Me

Longtrack, 2010

Spock’s Beard – Their Names Escape Me

Zum Progrock gehören Tempowechsel, Klassik- und Jazzanklänge, umfangreiche Instrumentalteile und überraschende Instrumente. Weil das alles zusammen kaum in einen Drei-Minuten-Song passt, gibt es den Longtrack.

Schon in der Frühzeit der Schallplatte hat man teure Aufnahmeprojekte gelegentlich durch Subskription, also durch Vorkasse der Kunden, finanziert. Heute würde man das wohl „Crowdfunding“ nennen. Das Label His Master’s Voice zum Beispiel startete in den 1930er Jahren umfangreiche Subskriptions-Projekte wie die „Beethoven Sonata Society“, für die der Pianist Artur Schnabel sämtliche 32 Klaviersonaten Beethovens einspielte – auf 204 Schellackseiten.

Subskription ist auch für unabhängig produzierende Rockbands eine Möglichkeit geworden. Das amerikanische Progrock-Quartett Spock’s Beard appellierte 2009 an seine Fans in aller Welt, das nächste Album der Band (ihr zehntes) vorab zu kaufen und damit einen Teil der Produktionskosten zu übernehmen. Man versprach den Subskribenten nicht nur eine exklusive Deluxe-Version der CD, sondern noch ein ganz besonderes Dankeschön auf dem Album. Die Namen der Unterstützer sollten nämlich nicht nur im Booklet genannt, sondern auch musikalisch in einem speziellen Song gewürdigt werden. Spock’s Beard verkündeten (sinngemäß): „Dieser Song wird einen Vokalteil enthalten, in dem dein Name (oder der Fantasiename, den du wählst) von der Band gesungen wird. Es wird ein vollgültiger Song sein, dessen Lyrics eine lange Liste von Namen verlangen.“

War das eine gute Idee oder eher nicht? Das wurde in der Progrock-Gemeinde natürlich wild diskutiert. Mancher fürchtete, dass dieser Dankeschön-Song nur ein peinlicher Gag, ein überflüssiges Füllsel und ein künstlerischer Reinfall werden würde. Auch als das Album X erschien (nur die Erstausgabe enthielt den speziellen Song), dauerten die Diskussionen an. Die Meinungen gingen auseinander – aber ein dummer Gimmick war das Stück keinesfalls. Nicht wenige halten „Their Names Escape Me“ für den stärksten Song des Albums.

Spock's Beard - Their Names Escape Me

Das Besondere ist seine Stimmung: eine geheimnisvolle, magische Klangwelt, in die anfangs Bläser, Streicher, Vibrafon und mysteriöse Chorstimmen hereinspielen. Im Verlauf des Stücks gibt es mehrere instrumentale Episoden, auch mit E-Gitarre, Orgel und Synthesizer. „Stand! said the oracle, and speak the truth!“ – so beginnt der Songtext (bei 0:40) und versetzt uns sofort in eine mythische Welt. Ein Widerständler (oder ein Druide?) wird vor das Tribunal des Orakels gezerrt und soll die Namen seiner Mitverschwörer verraten. Der Wechselgesang und die magische Szene lassen kurz an Uriah Heeps „The Spell“ oder „The Magician’s Birthday“ denken. Der Angeklagte bittet Gott um Vergebung, dass er die Namen verrät – und dann (bei 3:39) beginnt er, sie alle aufzuzählen. Die Mitverschwörer sind – man ahnt es – die Subskribenten von Spock’s Beard.

Vier Minuten dauert die Litanei – Nick D’Virgilio singt sie mit beeindruckender Klarheit und Melodiosität. Erhebend zu hören: diese Menge an Widerständlern, an Progrock-Verschwörern! Und was sind da für verrückte Namen darunter, aus aller Welt! Ein Hörer schreibt: „Mich schaudert es heute noch wohlig an einigen Stellen, gerade in dem Wissen, dass hinter den Namen echte Fans stehen.“ Unterlegt ist die gesungene Aufzählung von einer wunderbaren Musik mit Klavier und Streichern, die sich hochdramatisch immer mehr steigert, mit immer mehr Instrumenten, in einer Mischung aus Verzweiflung und Triumph. Und dann der Abbruch, erschöpft (bei 7:42) – und ein psychedelischer Ausklang mit jazzrockigem Schlagzeug darunter. Wow.

www.spocksbeard.com

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