Sophie Hunger im Interview mit FIDELITY
Intelligente Moleküle von Sophie Hunger
Fotografie: Marikel Lahana
Die Schweizerin Sophie Hunger gilt als Chamäleon in der internationalen Singer-Songwriter-Szene. Mal mehr vom Jazz inspiriert, dann vom Blues gelenkt, dann wieder eher dem Bild des „lonely guitar hero“ entsprechend, erfindet sich Sophie Hunger immer wieder neu, mitunter sogar mehrmals auf einem Album. Wer die bisherigen Alben der Schweizerin verfolgt hat, wird womöglich über die Neuerfindung auf ihrem aktuellen Album Molecules erstaunt sein, kommt dieses doch im vollelektronischen Gewand daher – sie selber nennt es Minimal Electronic Folk. Unser Autor Roland Schmenner hatte in Berlin die Gelegenheit, ausführlich mit Sophie Hunger über ihr bislang ungewöhnlichstes und auch bestes Album zu sprechen.
FIDELITY: Von deinem neuen Album bin ich irritiert und begeistert zugleich. Es ist nicht die Sophie Hunger, die man von den vorherigen Alben kennt. Kaum mehr Singer-Songwriter, kaum mehr Jazz, stattdessen die geballte Ladung Elektronik.
Hunger: Das hörst du ganz richtig. Ich habe mich im letzten Jahr länger in den USA mit elektronischem Sounddesign und vor allem mit Proteus X beschäftigt. Ich wollte insgesamt unabhängiger werden und mit Drumcomputern und Synthies alleine arbeiten. Gleichzeitig wollte ich mir aber auch gewissermaßen ein enges Korsett anlegen, um zu einem wirklichen Konzentrat meiner musikalischen Ideen zu gelangen. Deswegen findest du auf dem neuen Album tatsächlich nur Drumcomputer, Synthies, Gitarre und Gesang.
FIDELITY: Aber dennoch hat man den Eindruck, dass du überwiegend noch klassisches Songwriting betreibst, also Melodie und Harmonik als Ausgangspunkt der Songideen stehen. Oder gibt es Songs, wo es primär um ein Sound- oder Beatkonzept geht?
Hunger: Ja, die Songs entstehen nach wie vor als traditionelles Songwriting auf der Gitarre. Dennoch gibt es einzelne Songs wie „Tricks“ etwa, bei denen mir schon eher ein spezifisches Beatkonzept vorschwebte, in diesem Falle so ein klassischer Krautrockbeat. Im Anschluss an die ersten Ideen und Probeaufnahmen habe ich einen Produzenten gesucht, der mich bei der Idee dieses engmaschigen Korsetts unterstützt, und mit Dan Carey den idealen Partner gefunden.
FIDELITY: Vor allem zu Beginn des Albums werden bei mir Kindheitserinnerungen an typische analoge Sounds der späten 1970er Jahre geweckt, ich muss da immer an „Magic Fly“ von Space denken. Wie bist du auf diese spezifische Soundsignatur gekommen?
Hunger: Der Großteil des Albums ist zwar in London aufgenommen worden, wir haben aber zwischendurch eine technische Schweiz-Exkursion unternommen. In Fribourg gibt es mittlerweile eine der größten Sammlungen analoger Synthesizer namens SMEM. Klemens Trenkler, ein Musikalienhändler und -sammler, hat in den letzten 50 Jahren alles an Synthies gesammelt, was nur möglich war. Nun hat er diese Objekte, definitiv eine weltweit einmalige Sammlung, dem SMEM übergeben. Und es sind eben keine toten Museumsstücke, sondern diese Geräte können aktiv genutzt werden. Dort gibt es beispielsweise den legendären Yamaha CS 80 aus den 70ern, den ich in die Produktion des Albums eingebaut habe. Das Spannende an der Arbeit mit diesen Geräten ist, dass sie einerseits eine gewisse Unberechenbarkeit mit sich bringen, andererseits aber mit einem Frequenzspektrum aufwarten, das unglaublich vielfältig gegenüber heutigen Geräten ist.
FIDELITY: Ich höre da eine ungeheure Begeisterung für diese analogen Geräte heraus. Wie sieht es bei dir mit der Faszination für analoge Musikwiedergabe aus? CD, Vinyl, HiRes-Files, MP3 – alles egal oder präferierst du ein Format, auf dem du am liebsten deine Musik reproduziert siehst?
Hunger: Nein, natürlich überhaupt nicht egal. In einer idealen Welt hätte es bereits die CD nicht gegeben. Wenn du einmal A Love Supreme von Coltrane auf Vinyl über eine wirklich gute Anlage gehört hast, dann musst du weinen, dann kommst du von diesem Klangideal nicht mehr weg, das ist pures Gold. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass viele Menschen mittlerweile mit einem weiten Dynamik- und Frequenzspektrum gar nicht mehr umgehen können, da ist nur gut, was viele Höhen hat und direkt aus dem Smartphone kommt. Dagegen ist die Rille die Maske der Frequenz, und die Vergänglichkeit der Rille löst Emotionen aus. Meine Faszination für Vinyl beruht aber auch auf einer ganz persönlichen Stimmerfahrung bei mir. Mein stimmliches Frequenzprofil hat in den höheren Mitten ein kleines Loch, da muss ich mir mitunter bei Aufnahmen mit einem Equalizer raushelfen. Das fällt bei digitalen Aufnahmen und digitaler Wiedergabe viel stärker auf als bei analoger Reproduktion, die da ganzheitlicher wirkt.
FIDELITY: Kommen wir nochmal auf das aktuelle Album zu sprechen. Diesmal alles in englischer Sprache, keine Ausflüge in unterschiedlichen Sprachen wie auf dem Vorgängeralbum. Hat das was mit dem Produktionsort London zu tun?
Hunger: Eigentlich nicht. Die Reduktion auf eine Sprache hat auch wieder mit der Beschränkung auf das Wesentliche zu tun. Es ist das erste Mal gewesen, dass ich mir vor der Produktion einige klare Regeln aufgestellt habe. Bislang waren ja meine Alben eher etwas eklektizistisch, sowohl musikalisch als auch sprachlich, und nun lag die Herausforderung in der Beschränkung. Natürlich spielen auch die englische Plattenfirma und der Aufnahmeort eine Rolle, letztlich sollte alles aus einem Guss sein.
FIDELITY: Gab es denn keinerlei Herausbrechen aus dem elektronischen Grundkonzept?
Hunger: Nur indirekt. Wir haben zunächst die Beats im Studio aufgenommen. Anschließend kam Julian Sartorius, der wahrscheinlich beste Drummer der Schweiz, dazu und hat allerlei ungewöhnliche Schlagwerke und Klangerzeuger auf dem Boden verteilt und zu den fertigen elektronischen Beats noch live improvisiert. Diese Aufnahmen haben wir dann mit den Ursprungsversionen zusammengeschnitten. In Teilen haben wir aber auch seine akustischen Sounds gesampelt und elektronisch verändert, bis sie wieder etwas Technoides hatten, wodurch der Gesamtcharakter des Albums erhalten blieb.
FIDELITY: Wie wird das Album auf der im Herbst stattfinden Tour präsentiert? Spielt ihr die Beats und die Sounds live, lasst ihr Samples und Loops zum Gesang laufen? Das Konzert wird doch sicherlich ein wenig anders aussehen als deine bisherigen?
Hunger: Wir haben natürlich den Ehrgeiz, alles live zu spielen. Wir werden vier Musiker auf der Bühne sein: zwei Drummer für die elektronischen Pads, dazu ein klassisches Drumset, alle Musiker spielen Keyboards und ich nehme die Gitarre und singe natürlich. Vielleicht kommt noch das ein oder andere akustische Instrument hinzu.
FIDELITY: Was wahrscheinlich auch Auswirkungen auf deine älteren Songs haben wird, die im Live-Set sicherlich auch vorkommen?
Hunger: Auf jeden Fall, wir sind momentan kräftig am Experimentieren und sind selber ganz überrascht, was dabei an erstaunlichen Ergebnissen zu Tage tritt.
FIDELITY: In einem High-End-Magazin darf natürlich die Frage nach der Klangqualität nicht fehlen – die auf deinem neuen Album in meinen Augen wirklich überdurchschnittlich gut ist. Wie sind generell deine Erfahrungen im Tonstudio, was die Klangqualität aktueller Produktionen angeht? Kannst du das Wehklagen bestätigen, dass angeblich die Klangqualität aktueller Aufnahmen immer schlechter werde?
Hunger: In Teilen gewiss. Mir kommt es mitunter schon so vor, als ob das Handwerk des Tonmeisters ein wenig verloren ginge, zumindest das differenzierte Hinhören und Ausbalancieren.
FIDELITY: Befreundete Künstler berichten mir immer wieder, dass zudem der Zeitdruck seitens der Plattenfirmen immer stärker zunehme, ist das bei dir auch so?
Hunger: Ich bin da in der komfortablen Situation, dass ich meine Produktion selber vorfinanziere und so autark über die Produktionsabläufe bestimmen kann. Und Klangqualität ist für mich als Musikerin auch ein Stück Ehrensache, weshalb ich in diesem Bereich womöglich mehr Zeit und Geld investiere als in der Branche üblich.
FIDELITY: Eine Aufnahmesituation, die nicht alltäglich sein dürfte.
Hunger: Auf jeden Fall. Aber ich bin überzeugt, dass sich der Einsatz auf lange Sicht auszahlt. Ich kann mir auch nichts Schlimmeres vorstellen, als ein altes Album von mir zu hören und den Eindruck zu erhalten, dass es billig gemacht ist. Wir machen ja Musik, weil es uns wichtig ist, und dazu zählt auch die Gesamtästhetik, zu der eben auch zwingend die Klangqualität gehört. Alles andere wäre unehrlich.
FIDELITY: Vielen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg bei der anstehenden Tour.
Info
Sophie Hunger
Molecules
Label: Caroline International
Format: CD, LP