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Sonny Rollins - Freedom Suite

Sonny Rollins – Freedom Suite

Heimliche Meisterwerke des Jazz, 1958

Sonny Rollins – Freedom Suite

Jazz ist unübersichtliches Gelände – leicht kann man da Bedeutendes übersehen. Hans-Jürgen Schaal präsentiert unbesungene Höhepunkte der Jazzgeschichte.

Schon 1956 galt Sonny Rollins als der führende Saxofonist des Jazz – und daran hat sich bis heute wenig geändert. Seine Karriere begann er als junger Sideman der Bebop-Pioniere wie Miles Davis, Dizzy Gillespie, Thelonious Monk, Bud Powell, Fats Navarro und J.J. Johnson. Danach machte er eine Reihe bedeutender Leaderplatten: Plus 4 mit der Brown-Roach-Band, Saxophone Colossus im Quartett, The Bridge mit Jim Hall oder Sonny Meets Hawk mit Coleman Hawkins. Auf keinem Album allerdings ist Rollins konzentrierter und essenzieller zu hören als auf Freedom Suite, nur begleitet von Bass und Schlagzeug. Seit dieser Platte gilt das klavierlose Trio als Sonny Rollins’ ureigenes Format.

Das Besondere an Rollins ist nicht nur sein kraftvoller, sonorer, lauter Ton am Tenorsaxofon, sondern vor allem die Art, wie er diesen Ton einsetzt, wie er ihn anbläst und absetzt – unorthodox und provozierend. Seine Themen sind grundsätzlich lakonisch einfach, sein Improvisieren hat etwas von einem vorsätzlich achtlosen Schlendern, dem Thema folgend, weniger den Akkorden. Dann wieder unterbricht er diese Nonchalance aber mit mutwilligen Motiven und Zitaten aus dem Nichts. Das zeugt von sardonischem Humor und großer Selbstsicherheit – dem Geist des Jazz.

„Freedom Suite“ – so heißt auch die A-Seite des Albums, ein Stück von fast 20 Minuten Länge, das „Herz der Platte“. Tatsächlich verbirgt sich darin eine fünfteilige „Suite“ – mit einem starken ersten Satz (7:55), einem Walzerthema mit Out-of-tempo-Schluss (1:05), einer Balladenimprovisation (6:12), wieder dem Walzerthema (1:05) und einem Uptempo-Finale (3:13).

Sonny Rollins - Freedom Suite

Alle Themen haben die typisch Rollins’sche Kürze und Schlichtheit und sind eng miteinander verwandt. Der Saxofonist nutzt die harmonische Offenheit der klavierlosen Besetzung und führt in jedem Takt vor, was improvisatorische Souveränität bedeutet. Seinen Nebenleuten gibt er Gestaltungs- und Solistenräume. Oscar Pettiford war der melodischste Bassist des modernen Jazz, Max Roach der feinnervigste aller Schlagzeuger. Ein Großwerk mit minimaler Ausstattung.

Der Stücktitel „Freedom Suite“ zielt natürlich auf die musikalische Freiheit des Jazz und speziell des klavierlosen Formats. Der Titel meint auch die innere Freiheit des Improvisators Sonny Rollins. Aber darüber hinaus – das macht Rollins im Begleittext deutlich – denkt er an die Freiheitsbestrebungen der Afroamerikaner. Seit der offiziellen Aufhebung der Rassentrennung („De-Segregation“) im Jahr 1954 nahm die schwarze Freiheitsbewegung kräftig Fahrt auf. Es gab den Busboykott von Montgomery, den Konflikt von Little Rock, Unruhen in Harlem und Prozesse um rassistische Gesetze in den Südstaaten. „Amerika ist tief verwurzelt in der schwarzen Kultur“, schreibt Rollins: „die Umgangssprache, der Humor, die Musik. Wie ironisch, dass der Schwarze dafür belohnt wird mit Inhumanität.“ Die Freedom Riders und der Free Jazz kamen erst ein paar Jahre später. Aber Freedom Suite kündigt beide an. Rollins’ Mitspieler Pettiford und Roach gehörten zu den politisch explizitesten Musikern des Jazz.

Der politische Albumtitel stieß damals in der weißen Jazzwelt auf Widerstand. Die Plattenfirma nahm die Scheibe schnell aus dem Verkehr und veröffentlichte sie neu unter dem Titel des letzten Stücks der B-Seite: „Shadow Waltz“. Auf dieser B-Seite handelt Rollins’ Trio vier Pop-Melodien vom Broadway ab, Stücke aus den Jahren 1930 bis 1957. Auch das ist typisch Rollins: diese unaufgeregt-nonchalante Art, wie er biedere (weiße) Musical- oder Filmsongs einfach mal in kernigen (schwarzen) Jazz verwandelt. Auch das war natürlich eine Botschaft.

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