Aus aktuellem Anlass – Dr. John verstarb am 6. Juni 2019 – haben wir unser Rockidelity XL zu seinem letzten Album hervorgeholt. Das Live-Album “The Musical Mojo Of Dr. John” kann als mitreißende Werkschau eines Ausnahmekünstlers verstanden werden.
Dr. Mojo
Eine Konzert-CD, die FIDELITYs Funk-Professor an das Gute in den Vergeigten Staaten von Amerika glauben lässt: Dr. John und Freunde zelebrieren eine Voodoo-Party in New Orleans.
Es ist ein heißer Tag, Freunde, so heiß, dass selbst der Mississippi schwitzt. Die Luft hängt an diesem Wochenende so schwül über der Stadt, dass man sie trinkt statt atmet. In den Sümpfen schnarchen die Zikaden im Fieberkoma und träumen die Alligatoren vom schönen Leben am Nordpol. Ja, der 3. Mai 2014 – einer dieser Tage, an dem Dinge geschehen, die geschehen sollen, hier in New Orleans, dem Atlantis der modernen Zeit, das jedes Jahr ein Stück tiefer im Delta des Ol’ Man Rivers versinkt. Auf der Pferderennbahn der Stadt vibriert seit dem Vormittag der Funk, brodeln Blues, Gospel, Zydeco, Jazz und Rock im großen Gumbo-Kessel des Jazz & Heritage Festivals. Bruce Springsteen spielt am Nachmittag, „When The Saints Go Marching In“ inklusive. Der Boss weiß, was sich gehört.
Dann senkt sich die Sonne hinterm Deich, der Mond steigt aus dem Bayou und Mac ruft zur Messe, downtown im Saenger Theatre. Dr. John, der einst als Malcolm John „Mac“ Rebennack durch die Gassen des Third Ward von N’Awlins stiefelte, der bereits als junge Mücke in dunklen Kaschemmen den Blues mit Boogie, Funk und Karnevalsbeats verhexte, haut in die Tasten.
Lila Anzug, dunkle Brille, Mojo-Ketten um den Hals, ein Mann mit Stil auch Mitte 70, auf dem Flügel schwarze Kerzen und ein Totenkopf – und an seiner Seite Bruce Springsteen. „Right Place Wrong Time“, der wohl bekannteste Song des Doc: Auftakt zu einem Konzert, das den Professor noch an das Gute in den United Steaks of Americano glauben lässt. Bis tief in die Nacht geben sich noch mehr als zwei Dutzend Gäste mit Dr. John die Ehre, viele Legenden des Südens wie die Neville Brothers, Mavis Staples oder Big Chief Monk Boudreaux im vollen Karnevals-Ornat seiner Mardi Gras Indians.
RockidelityXL: Ein bunter Reigen, auf CD und DVD gebannt
Der bunte Reigen wird unterstützt von einer Hausband unter Leitung des Bassisten Don Was. Dieser magische Abend zeigt, dass New Orleans weder durch Wirbelstürme, Korruption, Crack-Moskitos, Ku-Klux-Klan, Veganer und wohl auch nicht Trump final versenkt werden kann. Zum Glück wurde er auf CD und DVD gebannt. Und dafür bitte ich Euch, FIDELITY-Funkateers, um ein kurzes Gebet des Dankes. Euer liebster Beat-Vorkoster, the P. who’s me, tanzt jedenfalls vor Glück – Ihr kennt ja meine verzweifelten Versuche in diesem feinen Analog-Facebook hier, dem Südstaaten-Funk etwas mehr Beachtung zu verschaffen. In diesem Sinne poste ich hier und heute mal eine Abhandlung im Sinne des Crescent-City-Mottos „Let The Good Times Roll“, oder, wie man an den Gestaden des einst in Folge des siebenjährigen French and Indian Wars französisch geprägten Louisiana-Deltas auch sagt: Laissez les bons temps rouler.
The Musical Mojo Of Dr. John: Celebrating Mac & His Music gehört zu den wenigen Konzertmitschnitten, die ich mir gerne anhöre und – DVD liegt bei – sogar anschaue. Grundsätzlich ist der Professor ja skeptisch hinsichtlich sogenannter Liveaufnahmen. Er ist der Meinung: Entweder man war da beim Konzert oder eben nicht. Spätere Versuche, aus dem Echo der Vergangenheit herzerwärmende Audioerzeugnisse zu kreieren, zünden meist keinen Funken in des Professors von Sumpfzypressen bewaldeter Brust. Nur ein Mann wie Dr. John kann das, jemand also, der noch mit Piano-Teufeln wie James Booker und Professor Longhair vierhändig und vollgedröhnt mit Booze, Koks und Funk in neue Dimensionen des musikalischen Diskurses vordrang.
Wie er hier nun, gebeugt von Alter und dem Gewicht der Karnevalsketten, mit funky-funky Tastenanschlag musiziert, bisweilen einfach die anderen mit seiner Band machen lässt, das ist groß. Der Big Chief singt, natürlich, die Mardi-Gras-Hymne „Big Chief“. Cyril Neville, im weißen Anzug eine Lichtgestalt, rumpelt sich wunderbar durch „My Indian Red“, Mavis Staples, die große Gospelsoulkönigin, predigt „Lay My Burdon Down“.
Dr. John himself schnarrt mit jugendlichem Timbre seine alte, jedoch nie alt gewordene Hippie-Voodoo-Weise „I Walk On Guilded Splinters“. Als Zugabe dann, nur auf DVD zu sehen und leider nicht auf CD zu hören, betritt der Pate von New Orleans die Bühne, ein gutes Jahr vor seinem Tod im November 2015: Allen Toussaint singt „Life“, jenen Song, den Dr. John 1973 auf In The Right Place verewigte. Ja, das ist das Leben. Oder, um Dr. John zu zitieren mit einem Satz aus der bereits vor mehr als 20 Jahren erschienenen Biografie Under A Hoodoo Moon: “It ain’t no mystery. It’s just a little bit of history.”
Dr. John
The Musical Mojo Of Dr. John – Celebrating Mac & His Music
Label: Concord/Universal Music
Format: 2 CD + Konzert-DVD