Rockidelity: Porträt Dave Stewart – Elfpunkteins im Zirkuszelt
Dave Stewart ist nicht zu bremsen. Jetzt zieht er seinen eigenen Rock-’n’-Roll-Zirkus auf. Und das klingt nicht nur gut‚ das sieht auch gut aus
Auf das Dave-Stewart-Konzert in Frankfurt am Main hatte ich mich gefreut. Nach jahrelanger Pause kommt der Mann wieder auf Deutschlandtournee, doch ich verpasse den Circus-Tour-Gig dank endloser Autobahnstaus komplett. Wenigstens kann ich die langen Standzeiten nutzen, um noch ein paar Mal Dave Stewarts neue CD Lucky Numbers rauf und runter zu spielen. Ein mir bisher eher unbekannter Dave Stewart ist darauf zu hören.
Mal wieder. Denn der Mann erfindet sich einfach immer wieder neu, so scheint es. Und da ich ihn zwischendurch auch mal für einen längeren Zeitraum aus den Augen verloren hatte, bin ich jetzt um so erstaunter, was das Ex-Eurythmics-Mastermind in der Zwischenzeit so alles auf die Beine gestellt, nein, richtig zum Laufen gebracht hat.
Dave Stewarts Karriere ist beeindruckend: Sie umspannt mehr als drei Jahrzehnte, in denen sich deutlich über 100 Millionen Alben verkauften, an denen er meist als Songwriter („Sweet Dreams (Are Made Of This)“ – ein Jahrhundert- Popsong!), Gitarrist, Keyboarder, Produzent oder ganz allgemein als kreatives Mastermind mitgewirkt hat. Seine Credits lesen sich wie das Who’s Who der jüngeren Popkultur, von Mick Jagger, Bono und Sinead O’Connor über Jon Bon Jovi bis hin zu Katy Perry. Allerdings sorgten seine Soundexperimente schon in den Achtzigern für einiges Aufsehen, nicht nur bei den beteiligten und bisweilen irritierten Mitmusikern, sondern vor allem bei den wahlweise bedauerns- oder beneidenswerten Toningenieuren im Studio.
An der Experimentierfreudigkeit des vielseitig talentierten Herrn hat sich bis heute nichts geändert – ganz im Gegenteil. Stets gibt es einige Filmprojekte und zahlreiche Künstler zu entdecken, die Stewart produziert, mit Songs und Ideen ausstattet und am besten gleich multimedial unter seine Fittiche nimmt. Quasi zwischendurch hat er beispielsweise auch noch eine Künstlerbank gegründet sowie ein unterhaltsames Buchprojekt (The Business Playground) realisiert, das die Unterhaltungsindustrie durchleuchtet und im wahrsten Sinne spielerische Anregungen gibt, es doch immer wieder mit eigenen Ideen zu versuchen. Es wurde in zwölf Sprachen übersetzt und soll schon bald – na klar – als E-Book und App mit vielen Zusatzfunktionen erscheinen. Passenderweise heißt die Hauptfirma des Dave A. Stewart „Weapons of Mass Entertainment“, ihr Sitz ist in Los Angeles.
Den genialischen „Massenunterhalter“ treffe ich zum Gespräch im dezent-dunkel gehaltenen Hotelfoyer. Dave Stewart ist bestens darauf vorbereitet, dass sein Gesprächspartner vielleicht doch nicht alles exakt im Blick hat, nicht alles ganz genau verfolgt, was derzeit in seinem Umfeld geschieht. Und das ist wie gesagt eine ganze Menge. Sein aktuelles Lieblingsprojekt ist im Prinzip ein riesiger Zirkus. Den er mir jetzt nahebringt. Der rastlose Tausendsassa hantiert dabei abwechselnd und geschickt mit mehreren mitgebrachten Tablet-Computern, aber auch einem abgerockten Laptop herum. Als Highlight spielt er mir eine monstermäßig aufwendige Videoproduktion zur jüngsten Single-Auskopplung des Albums Lucky Numbers auf dem iPad vor: Als erstes Musikvideo überhaupt in sagenhaftem 11.1-Surroundsound produziert, verliert der eigentlich überwältigende Sound über Kopfhörer ein wenig an, sagen wir, räumlicher Überraschung. Doch ich ahne, was da in entsprechendem Umfeld passiert.
Im Gespräch über das neue Album gesteht Dave Stewart, niemals Demo-Versionen von neuen Songs vorzubereiten. Er liebt es, den beteiligten Mitmusikern einfach einen neuen Song zwei-, dreimal auf der Gitarre oder dem Keyboard vorzuspielen und dann spontan ans Aufnehmen zu gehen – am liebsten übrigens in den Blackbird Studios, die mit ziemlich viel Vintage-Equipment ausgestattet sind. Für die Produktion der neuen Scheibe verfrachtete er dann kurzerhand die wichtigsten Maschinen („the main stuff“) des Studios auf ein Schiff, nahm seine Band mit und spielte Lucky Numbers ganz entspannt im Südpazifik ein.
Apropos Vintage: Der Mann mit den auffälligen Outfits liebt es, gelegentlich mit seinem türkisfarbenen 1957er Studebaker – stilecht nur mit einem alten Mittelwelle-Radio ausgestattet – durch die Gegend zu cruisen oder auch Schallplatten, von denen er eine stolze Menge besitzt, auf einem alten „Röhrenplattenspieler mit eingebautem Lautsprecher“ zu hören. Nun denn, ich werde dem guten Mann wohl kein Vinyl ausleihen … Andererseits hört er Musik zu Hause über ein „Big System“, das der großen Abhöre in den Abbey Road Studios verblüffend ähnlich sieht. Na also, geht doch, Mr. Stewart.
Sein neues Album klingt übrigens ausgesprochen saftig, aber nicht unbedingt audiophil. Das Wichtigste aber ist: Dave Stewart schreibt immer noch Songs mit richtig guten Melodien!