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Christine Lakeland, Witwe und Gitarristin von JJ Cale

Rockidelity: Christine Lakeland, Witwe von JJ Cale

Interview mit Christine Lakeland, Witwe von JJ Cale – „Ein schöner Morgen, ein Kaffee, ein Song“

Als JJ Cale 2013 starb, hinterließ der Schöpfer von „Cocaine“ und „After Midnight“ einen Berg unveröffentlichter Lieder. Seine Witwe und langjährige Gitarristin hat die besten auf dem Album Stay Around versammelt. Im Interview erzählt Christine Lakeland von Aufnahmen in der Küche, vom Sound eines knarzenden Stuhles – und was sich JJ Cale von Britney Spears abguckte.

Fotografie: Paul Eric Felder, Stephane Sednaoui und privat

JJ Cale ALBUM - LEAD PHOTO - Credit Stephane Sednaoui

FIDELITY: Mrs Lakeland, Sie haben mit Stay Around ein neues Werk mit Songs von J.J. Cale herausgegeben. War die Recherche nicht eine schwierige Aufgabe, mit der Stimme, mit dem unvergleichlichen Sound Ihres verstorbenen Mannes im Ohr?

Christine Lakeland: Ja. Es gab Tage, da ging es nicht mehr. Meine Ohren und mein Herz brauchten eine Pause. Eigentlich bin ich ein Mensch, der nicht an der Vergangenheit hängt. Wichtig war immer nur das Heute. Die Arbeit an dem Album, die war genau das Gegenteil. Eine Reise zurück in eine vergangene Zeit, eine zwei, wohl eher drei Jahre lange Reise. Bisweilen eine Achterbahnfahrt der Gefühle, das kann ich Ihnen sagen. An manchen Tagen dachte ich: ‚Was für ein toller Song!‘ An anderen habe ich John einfach nur vermisst. Mit der Zeit aber wurde es zum Heilungsprozess. Die ersten Jahre nach Johns Tod wusste ich ja gar nicht, wohin mit mir. Wir waren so lange zusammen gewesen, mehr als 30 Jahre, auf der Bühne und privat. Und eines Morgens bin ich aufgewacht mit dem Gedanken: ‚Schau doch mal, was John da eigentlich hinterlassen hat.‘

FIDELITY: Alle Stücke waren bislang unveröffentlicht, auch wenn sie zum Teil schon vor Jahrzehnten aufgenommen wurden. Kannten Sie denn die Songs, oder haben Sie Lieder wie „Chasing You“ erst im Verlauf des Plattenprojekts entdeckt?

Christine Lakeland: Die meisten Stücke kannte ich überhaupt nicht. John hat ja immer viel mehr Songs aufgenommen, als letztlich auf seinen Platten Platz fanden. Eigentlich hat er ständig irgendwas gespielt und aufgenommen. Er konnte Ewigkeiten damit verbringen, aufgenommene Songs immer und immer wieder neu abzumischen. Es gibt unzählige Outtakes von Plattenproduktionen, und es gibt Songs, manchmal nur Fragmente von Songs, die er einfach so zwischendurch aufgenommen hatte. „Chasing You“ ist so ein Song. Den nahm er einfach als Fingerübung auf. Sein Aufnahmeequipment stand immer in einer Ecke im Wohnzimmer. Das schob er dann einfach in die Mitte des Raumes. Oder er machte es sich in der Küche gemütlich, je nach Stimmungslage.

Christine Lakeland und JJ Cale

FIDELITY: Man kennt dieses fast ikonografische Bild: Cale vor seinem silbernen Wohnwagen, in der Mitte der Wüste, Gitarre auf den Knien. Ein Recorder ist darauf nicht zu sehen …

Christine Lakeland: Ach, das Leben im Trailer, das ist so ein Cale-Mythos. Es ist zwar richtig, JJ lebte einige Jahre im Wohnwagen. Aber das ist ewig her. Als er starb, 2013, da war er seit Jahrzehnten sesshaft. Wir lebten 25 Jahre lang in unserem Haus in Kalifornien. Das war groß und behaglich, lud quasi dazu ein, ein paar gute Songs aufzunehmen. John saß gerne in der Küche, er fühlte sich dort wohl, und wenn ihm danach war, nahm er ein kleines Aufnahmegerät, ein paar Mikrofone, und fertig war die Session.

FIDELITY: Hatte das Auswirkungen auf den Sound? Können Sie heute hören, ob ein Song in der Küche oder auf dem Sofa im Wohnzimmer aufgenommen wurde?

Christine Lakeland: Ja, das kann ich tatsächlich heraushören. Ein Küchenstuhl zum Beispiel, Johns Lieblingsstuhl, der knarzte, wenn man darauf saß und sich hin und her bewegte. Das ist auf einigen Aufnahmen zu hören. Zum Glück aber hat John auch oft Notizen gemacht; Da steht dann das Datum, dass die Aufnahme in der Küche gemacht wurde, welche Gitarre und welches Mikrofon er benutzt hatte. Bei vielen Songs gibt es keine Informationen – aber ich kann’s hören. Und nicht nur wegen des Stuhls. In der Küche zum Beispiel gab es nur harte Oberflächen, die den Schall ganz anders reflektieren als ein Vorhang oder Teppich, so wie wir sie im Wohnzimmer hatten.

FIDELITY: Hatte die Wahl des Aufnahmeortes auch etwas mit dem Stil des Songs zu tun? Küche für Country, Wohnzimmer für warmen Folk?

Christine Lakeland: (lacht) Nein, so nun auch nicht. Es war nicht so, dass JJ morgens aufgestanden ist und sich vorgenommen hat, heute spiele ich den und den Sound. Die Küche hatte ein Fenster mit Blick auf die rückwärtige Terrasse, über das Land dahinter. Wir lebten ja etwas abseits, draußen in Kalifornien. Es war eher so, dass JJ dann dort mit seinem Kaffee saß und einfach etwas spielte, das seiner Stimmung entsprach. Es war sein Lieblingsplatz im Haus. Er las da auch Bücher oder seine Zeitung. Und spielte natürlich Gitarre. Das war so eine Art Grundbedürfnis, denke ich. Ein schöner Morgen, ein Kaffee, ein Song.

JJ Cale ALBUM Shot 3 - Credit Stephane Sednaoui

FIDELITY: John sei ein Technik-Freak gewesen, heißt es. Ein alter Haudegen des Blues und des Folks, der aber über jedes neue Recording-Gadget Bescheid wusste …

Christine Lakeland: … und vor allem alles gekauft und ausprobiert hat! John war immer neugierig. Er war ein Forscher, ein Entdecker. Er wollte immer wissen, wie er seinen typischen Sound auf verschiedensten Wegen einfangen konnte. Er konnte Tage damit verbringen, Mikrofone, Verstärker und Aufnahmegeräte hin- und herzustöpseln und die Auswirkungen auf seinen Sound zu vergleichen. Wie der Klang der Gitarre heller oder wärmer werden konnte mit verschiedenen Mikrofonen, wie sich die Präsenz seiner Stimme veränderte. Das war seine Welt. Was immer auch neu am Markt war, JJ musste es haben. Als Looping-Pedals das neue große Ding waren, da ging John in den Gitarrenladen und kaufte gleich drei verschiedene Modelle. Er hatte das auf dem neuen Album einer Countrysängerin gehört und war sofort angefixt.

FIDELITY: Cale soll sogar CDs von Britney Spears gekauft haben …

Christine Lakeland: (lacht) Nicht nur von Britney Spears. JJ hörte sich alles an. Nicht, weil er von allen Künstlern angetan gewesen wäre. Es ging ihm um den Sound von Aufnahmen, um bestimmte Effekte, um die Art und Weise, wie ein Werk abgemischt war. Kann sein, dass ihn der Sound bei Britney Spears beeindruckt hatte. Seine Lieblingslektüre waren die CD-Booklets mit den Credits: Wer hat einen Song geschrieben, wer hat ihn produziert, wer abgemischt, wer hat mitgespielt … Es war eine Art Weiterbildung für ihn.

FIDELITY: Am Ende aber swingte immer der berühmte Cale-Sound, eine Spielart des Tulsa-Sounds, jenes warmen, folklastigen Blues-Country-Swings. Ein früherer Drummer seiner Band hat mal gesagt, Cale konnte einfache Songideen in Geniestreiche verwandeln. Er hätte Songs zu Hause mit seiner „geheimen JJ-Sauce“ gewürzt. Kennen Sie das Rezept seines Sounds?

Christine Lakeland: Nun ja … jeder echte Künstler hat seinen eigenen Sound, denke ich. Johns Geheimnis bestand wohl vor allem darin, dass er sich selbst gegenüber immer ehrlich war. Er nahm nur Songs auf, von denen er wahrhaftig überzeugt war. Er mischte sie dann so lange im Studio, bis der Sound exakt dem entsprach, was er zuvor in seinem Kopf gehört hatte. Johns großes Talent war sein Rhythmusgefühl. Seine Phrasierung. Wie er einen Rhythmus anschlug, wie er manchmal hinter dem Beat zurückblieb. Und dann waren da seine Studiotricks. Er hatte seine eigene Vorstellung davon, wie man Songs abmischt. Welche Tonspur dominant, welche zurückgenommen klingen sollte. Ich weiß, er hat manchen Produzenten fast in den Wahnsinn getrieben, er hat ja nicht immer zu Hause aufgenommen. Immer hieß es: Seine Stimme sei zu leise, zu weit im Hintergrund, solche Dinge. Aber da konnte John sehr beharrlich sein.

Christine + JJ Cale 5

FIDELITY: Auf Stay Around ist auch ein Song aus Ihrer Feder. „My Baby Blues“ war Ihre erste gemeinsame Aufnahme 1977, die allerdings nie auf einer Platte erschien. Hier findet sich nun eine neuere Aufnahme. Warum ist dieser Song eigentlich nie veröffentlicht worden?

Christine Lakeland: Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich selbst habe den Song 1989 auf einem meiner eigenen Alben gespielt. „My Baby Blues“ ist tatsächlich eine Ausnahme auf Stay Around, es ist der einzige Song, den John nicht selbst geschrieben hat. Dass John ihn überhaupt aufgenommen hatte, um 1980 muss das gewesen sein, war für mich auch eine Überraschung. „My Baby Blues“ ist damit die älteste Aufnahme auf dem Album. Was mich auch erstaunt – und freut, muss ich gestehen: Er hat den Song mehrfach neu abgemischt, es gibt verschiedene Takes. „My Baby Blues“ muss ihm etwas bedeutet haben. Deshalb ist er auch auf diesem Album.

FIDELITY: Ich merke schon, das berührt Sie …

Christine Lakeland: Ja … Wenn ich den Song höre, dann denke ich an die frühen Tage mit John. „My Baby Blues“ gibt mir ein warmes, gutes Gefühl. Mit diesem Song schließt sich für mich ein Kreis: Mit „My Baby Blues“ fing alles an, und jetzt ist das Stück auf diesem Album.

Christine + JJ Cale 6

FIDELITY: Können Sie noch etwas über den Titelsong erzählen? „Stay Around“ – ein besseres Stück kann man sich als Spätwerk kaum vorstellen.

Christine Lakeland: Danke, dass Sie das sagen. Ja, das stimmt. Ich habe mich über mehrere Jahre durch all die Songs gehört, und dieses Stück stach sofort heraus. Nicht nur, weil es gut dokumentiert war, mit allen möglichen Notizen. Ich dachte auch sofort: ,Wow, das ist einer der besten Cale-Songs, die ich je gehört habe.‘ Wir haben das Stück nie live gespielt, es gab auch keine offizielle Aufnahme davon. Ich kannte es nicht, dabei hatte John ausgiebig an dem Song gearbeitet. Es gab verschiedene Gitarren-Parts, er hatte sogar bereits bestimmt, welcher Teil als Solo dienen sollte. Auch verschiedene Mixe sind noch da. Dieser hier entspricht, glaube ich, am ehesten dem, wie John den Song selbst veröffentlicht hätte. Irgendwann war auch klar, dass das Album so heißen würde. Musste. Was für ein toller Titel für ein neues Album! Perfekt.

FIDELITY: „Cocaine“, „After Midnight“, „They Call Me The Breeze“ – was fühlen Sie, wenn Sie einen dieser weltbekannten Songs im Radio hören? Sie selbst müssen diese Klassiker live auch Tausende Male gespielt haben.

Christine Lakeland: Oh, das ist immer ein ganz besonderer Moment. Du fährst den Highway lang, dann kommt so ein Song. ‚Ach‘, denke ich, ‚wie schön, das ist ja John!‘ Ich erkenne seine Songs mit dem ersten Ton. Seinen Sound. Sein Songwriting. Ich liebe den Sound, auch nach all den Jahren. Seine Musik erinnert mich an die guten Dinge. Man sollte nicht in Traurigkeit versinken. Wenn man nach so einem Verlust die größte Trauer überwunden hat, dann kann man zum Glück denken: ‚Hey, ein Cale-Song im Radio. Schön.‘

 

Zur Person JJ Cale

J.J. Cale war der vermutlich bescheidenste Superstar, den die Musikwelt je gesehen hat. „Ich muss nicht im Rampenlicht stehen“, sagte der amerikanische Gitarrist und Sänger einmal. „Mir reicht es vollkommen, wenn meine Songs berühmt sind.“ Und das waren Stücke wie „After Midnight“, „Cocaine“ oder „They Call Me The Breeze“, mit denen etwa Eric Clapton und Lynyrd Skynyrd Welterfolge feierten. Cale selbst, geboren 1938 als John Weldon Cale in Oklahoma und Mitbegründer des im Blues, Country und Folk aufblühenden, sanft-swingenden Tulsa-Sounds, wohnte zurückgezogen. Jahrelang in einem silbernen Wohnwagen, dann auf einer Farm in Kalifornien. Er lebte gut von den Tantiemen seiner weltbekannten Songs, und wenn ihm danach war, nahm er selbst eine neue Platte auf. Für The Road To Escondito, eine Kooperation mit Eric Clapton, erhielt Cale 2008 einen Grammy. Seit Mitte der Siebziger und bis zu seinem Tod 2013 als Lebensgefährtin immer an seiner Seite und als Rhythmusgitarristin mehr als 30 Jahre mit Cale auf der Bühne und im Studio: Christine Lakeland. Sie hat jetzt posthum bislang unbekannte Songs von Cale unter dem Titel Stay Around (Caroline) veröffentlicht. Das Vermächtnis eines großen Künstlers.

JJ Cale Stay Around

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