Rockidelity: Änglagård – Viljans Öga
Im Engelsgarten
Erst vor ein paar Monaten stellte das Rockmagazin Eclipsed eine Liste der 150 besten ProgRock-Alben zusammen. Da fand sich auf Platz 59 – noch vor ELPs Trilogy, Pink Floyds Meddle oder Genesis’ Nursery Cryme – ein Album der schwedischen Band Änglagård aus dem Jahr 1992. Von einem „fantastischen Werk“ war da die Rede, einem „ureigenen Sound“, sogar dem „Maß aller Dinge“. Dem Text war deutlich das Bedauern darüber anzumerken, dass man von diesen „blutjungen Schweden“ seitdem nicht mehr viel gehört hat. Tatsächlich löste sich das Sextett schon 1994 wieder auf. Die wenigsten haben den Namen dieser Band jemals gehört. In Deutschland spielte sie nur ein einziges Konzert.
Doch die Druckerschwärze dieser ProgRock-Liste war kaum getrocknet, als die Szene eine kleine Sensation vermeldete: Änglagård sind zurück! Zwar nicht mehr „blutjung“ und inzwischen geschrumpft zum Quintett, präsentieren die Schweden doch tatsächlich ein Comeback-Album: Viljans Öga. Monatelang haben sie daran gebastelt und dabei ein künstlerisches Statement geschaffen, das in seiner Geschlossenheit an eine viersätzige Sinfonie denken lässt. Alle vier Stücke sind rein instrumental, das kürzeste dauert zwölf Minuten. Querflöte, Glockenspiel, akustische Gitarre, gestrichener Bass und Klavier stehen auf der einen Seite der Klangpalette. Auf der anderen Seite siedeln rockige Gitarrenriffs, Hammondorgel, Rickenbacker-Bass, rhythmisch verzinkte Motive und heftige Ausbrüche. Als Brücke dazwischen ertönt viel Mellotron.
Es sind Ästheten am Werk bei Änglagård. Schmutzige Töne sucht man vergebens. Dafür blühen die Melodien: melancholisch, kammermusikalisch, folklorenah. In wundersamen Übergängen entwickelt sich Sanftes zu Heftigem und Heftiges wieder zu Verträumtem. So macht die Band ihrem Namen alle Ehre: Sie führt uns in einen Engelsgarten der Töne, einen verwunschenen Klangpark, ein skandinavisches Rock-Märchen. Statt sich in komplexen oder schrägen Episoden zu verlieren, strömt das Ganze – trotz rhythmischer und dynamischer Brüche – wie ein großer Gefühls- und Gedankenfluss. Und es sieht ganz danach aus, als bliebe uns der Engelsgarten diesmal etwas länger erhalten. Beim Festival „Night of the Prog“ im Juli an der Loreley steht endlich der zweite Deutschland-Auftritt an. Sogar eine Auffrischung des Personals soll gerade erst stattgefunden haben.