Record Store Day 2018 – Achtung! Suchtgefahr!
„Machst Du eigentlich was zum Record Store Day?“, fragte Cai Brockmann ganz harmlos und meinte damit, ob ich in meinem „anderen Leben“ jenseits der FIDELITY-Sphäre den alljährlichen Festtag der Vinylfreaks (oder der Vinylindustrie?) als Auftrag im Terminkalender stehen hätte.
Verdammt! Hatte ich nicht! Gott sei Dank! Denn eigentlich wollte ich das Datum geflissentlich „vergessen“. Um mich nachher über verpasste Gelegenheiten zu ärgern, aber mich im Gegenzug über eine nicht geplünderte Geldbörse zu freuen.
Verlorene Liebesmüh. Also schwang ich mich in meinen Roadster und rauschte am späten Samstagnachmittag rüber nach Erlangen zum „Schallplattenmann“. Der heißt bürgerlich Bernhard Sauer, ist Bassist in der Band eines guten Freundes und hat – logisch – per se ganz viel Ahnung von amtlicher Musik. In seinem kleinen Laden in der Fahrstraße unweit der Erlanger Uni-Bibliothek gibt es ganz viel schwarzes und buntes Vinyl, dazu eine mindestens ebenso satte Auswahl CDs – und die Möglichkeit, relativ schnell relativ viel Geld für feine Scheiben los zu werden, die es anderswo wohl nicht einmal auf Bestellung gäbe.
Zwei große Kartons voller LPs – auch ein paar 25-Zentimeter-EPs sind dabei – tragen an diesem Tag der Tage das aktuelle „Record Store Day“-Logo. Darin finden sich eigens für diesen Welttag der Schallplatte ausgegebene Pressungen, die oft nur in stark limitierten Stückzahlen eigens für den Record Store Day hergestellt wurden und entsprechend schnell wieder vergriffen sind. Kurz vor Ladenschluss sind auch beim „Schallplattenmann“ die Bestände schon ziemlich geplündert. Allerdings hat Bernhard Sauer in die magischen Kartons auch ein paar „Überlebende“ vergangener Aktionstage gestellt. Vom letzten „Black Friday“ beispielsweise stammen zwei Alben der blonden ABBA-Sirene Agneta Fältskog aus den Jahren, bevor sie mit ihrem Schlagerquartett Weltruhm einheimste.
Beim „Schallplattenmann“ berät der Chef übrigens selbst – und bewahrt mich vor einem Fehlkauf. Um ein Haar hätte ich ein obskures Bootleg der Kind of Blue-Sessions mitgenommen, doch Bernhard Sauer meint dazu kategorisch: „Lass es.“ Weil diese Scheibe nur Stoff für den beinharten Miles-Davis-Fan ist, der vom verstorbenen Trompeten-Zampano alles, aber auch wirklich restlos alles im Regal stehen haben muss und sich wenig um den Klang schert. Mir drückt Sauer dagegen eine regulär erschienene LP in die Hand, auf der sich jener Stockholmer Auftritt findet, der im Rahmen der letzten gemeinsamen Tour von Miles Davis und John Coltrane mitgeschnitten wurde. Und der auch und gerade angesichts des Aufnahmedatums – 24. März 1960 – grandios klingt.
Ein paar von den Sonderscheiben kommen freilich auch mit: Für kommende Heldentage die Queen-Single „We Are The Champions“ mit „We Will Rock You“ als B-Seite in sagenhaft guter Pressqualität. Eine Remix-EP mit Norah-Jones-Songs. Und das empfehlenswerte Debütalbum der Sängerin und Songschreiberin Sophie Zelmani, das es bis dato nur auf CD gab und das zum Record Store Day als Spezialedition auf 180 Gramm schwerem, halbtransparentem gelbem Vinyl zu haben war und mir gerade das Schreiben dieses Artikels akustisch versüßt. Da kommen bei mir Erinnerungen an Picture Discs vergangener Dekaden hoch, die durch die Einfärbung des Grundmaterials vor lauter Knacksern und Klicks kaum abspielbar waren. Soll noch einmal jemand sagen, dass die Presstechnik keine Fortschritte gemacht habe …
Am Ende bin ich um fast 100 Euro leichter, fahre aber mit dem Gefühl nach Hause, nicht nur ein paar besonders schöne Stücke für die Sammlung abgestaubt zu haben, sondern auch dem naturgemäß darbenden Einzelhandel unter die Arme gegriffen und mit „Schallplattenmann“ Bernhard Sauer einen Bruder im Geiste unterstützt zu haben. Was bei mir übrigens bestimmt nicht auf den Record Store Day beschränkt bleibt – ich komme wieder – und das nicht nur, weil ich ein Plattenjunkie bin …