Modifikationen von Großserientonabnehmern sind weit verbreitet. Insbesondere vom Denon DL-103 gibt es eine beinahe unüberschaubare Anzahl unterschiedlicher Varianten. Jo Soppa ist wohl der Erste, der sich an das ebenfalls weit verbreitete Audio Technica AT-95E wagt. Mit Erfolg?
Wenn man sich die Preisentwicklung bei Tonabnehmern ansieht, kann man mitunter nur noch mit dem Kopf schutteln. Dabei sind es beileibe nicht nur die exklusiven Angebote im Luxussegment, deren Preise Tranen in die Augen treiben. Auch gangige Grosserienprodukte haben zum Teil dramatisch im Preis angezogen, Steigerungen um 50 Prozent sind hier keine Seltenheit. Ein besonders drastisches Beispiel ist das Denon DL-103, das noch vor Jahr und Tag fur ungefahr 130 Euro bei diversen Anbietern zu erstehen war. Aktuell liegt sein Preis um die 250 Euro. Da ist es nicht verwunderlich, wenn sich eine Reihe von Anbietern seit geraumer Zeit gerade diesem System widmet und es durch umfangreiche Veranderungen – wie ein neues Gehause aus Aluminium oder verschiedene Holzsorten, gerne auch kombiniert mit aufwendiger geschliffenen Diamanten – aufzuwerten versuchen. Nichts ist unmoglich und alles wird ausprobiert.
Allerdings haben diese Modifikationen durchaus ihren Preis. Inklusive des Anschaffungspreises fur das Ursprungssystem summieren sich die Umbaukosten schnell auf mehrere Hundert Euro und sind oft nicht mehr weit von der „Schmerzgrenze“ 1000 Euro entfernt, vor der viele Analogfans zuruckschrecken. Ob das Geld letzten Endes gut investiert ist, hangt in erster Linie von den personlichen Praferenzen des Eigentumers ab. Es ist schlichtweg eine Geschmacksfrage, ob man ein umgebautes Denon DL-103 bevorzugt oder lieber bei einem der glucklicherweise immer noch zahlreichen Angebote etablierter Hersteller unterhalb der 1000-Euro-Grenze zugreift.
Unstrittig ist aber, dass ein stabileres Gehause fur mehr Prazision beim Abtastprozesses sorgt und dass ein Line-Contact-Schliff den Rillenauslenkungen einfach besser als eine Rundnadel folgen kann. Auserdem ist die Lebensdauer hochwertiger nackter und gegebenenfalls kunstvoll polierter Diamanten aufgrund des geringeren Nadeldrucks auf die Rillenflanken deutlich erhoht – hier sind langere Betriebszeiten also vorprogrammiert.
Maschinenbau
Jo Soppa geht einen anderen Weg. Der Herausgeber der Zeitschrift orig. – Klassiker und Originale liebt klassische Fotoapparate, Motorrader und HiFi-Gerate und ist als ausgebildeter Werkzeugmacher in der Lage, auch feinmechanische Reparaturen eigenstandig durchzufuhren.
Wahrend seiner Beschaftigung mit der analogen Wiedergabe muss ihm aufgefallen sein, dass gangige Nadeltragerkonstruktionen – aus welchem Material sie auch immer gefertigt sein mogen – immer nur aus einem geraden Werkstuck (typischerweise einem Aluminiumrohrchen oder einem Borstabchen) gefertigt sind. Vergleicht man diese Modelle mit ahnlichen Konstruktionen im angewandten Maschinenbau, dann fallt auf, dass dort eher selten nur ein einzelnes, gerades Bauteil verwendet wird. In aller Regel kommen leichte, steife und vor allem mehrfach verstrebte Ausleger zum Einsatz. Man sehe sich nur die Ausleger von Baukranen oder die Hinterachsen von Motorradern an. Es schien also nur logisch, dieses Grundprinzip auf Nadeltrager anzuwenden und diese durch zusatzliche Verstrebungen zu versteifen. Das soll bewirken, dass Biege- und Torsionsschwingungen deutlich reduziert werden und somit der Abtastvorgang praziser vonstatten gehen kann.
Es liegt nahe, zumindest fur die ersten Experimente auf ein preiswertes System zuruckzugreifen. Jo Soppa entschied sich fur das Audio Technica AT-95E, ein auserordentlich beliebtes und weit verbreitetes Moving- Magnet-System, das derzeit fur etwa 35 Euro zu haben ist. Ab Werk besitzt es einen geraden Nadeltrager aus Aluminium und einen gefassten, elliptischen Diamanten. Entfernt man den Nadeleinschub, sieht man auch die beiden zylindrischen Magnete, die im rechten Winkel zueinander schrag nach oben weisen, wo sie im eingesetzten Zustand in eine Armatur aus Spulen eintauchen. Offensichtlich lasst dieser Aufbau noch genugend Raum fur die von Jo Soppa eingesetzten zusatzlichen Verstrebungen. Zwei langere schwarze Stabchen (vermutlich aus einem Carbonmaterial) verbinden dabei die Spitze des Aluminiumnadeltragers mit den oberen Kanten der Magnete. Ein weiterer, deutlich kurzerer Stab verbindet noch die beiden Magnete untereinander, sodass sie zusammen mit dem originalen Nadeltrager ein Tetraeder (quasi eine „Pyramide“ mit dreieckiger Grundflache) bilden. Diese Art der Aufhangung nennt deren Schopfer „Raumnadel“ (engl.: „room cantilever“; Abk.: RC). Die Verstrebungen werden offenbar mit einem schwarzen Kleber befestigt, Spuren davon finden sich allerdings auch auf dem Dampfungsgummi und sogar am Diamanten selbst. Mit noch groserem Arbeitsaufwand ist die ebenfalls erhaltliche Holzversion gefertigt. Der ursprungliche Tonabnehmer wird von seinem Kunststoffgehause befreit und in einen passend gefrasten Holzkorper eingesetzt. Der giftgrune Nadeleinschub wird bis auf ein Minimum reduziert und wiederum mit dem schwarzen Kleber am Korper befestigt. Damit ist ein schneller Nadelaustausch, wie bei der Basisversion, nicht mehr moglich. Allerdings ist der Nadeltrager jetzt auch „bombensicher“ am Gehause befestigt und das sogenannte „Time Smearing“ – Beeintrachtigungen des Abtastsvorgangs durch minimales Verrutschen des Nadeleinschubs – wird wirkungsvoll verhindert.
Etwas Theorie
Zweifellos ist eine tetraedrische Gitterkonstruktion mechanisch stabiler als ein einzelnes gerades Rohrchen oder Stabchen. Das lernen Schuler im Technikunterricht in der achten Klasse, wenn sie genau jenes Prinzip der Querverstrebung anwenden sollen und dabei zum Teil verbluffend stabile Brucken aus Papier bauen.
Aber die Stabilitat ist keineswegs das einzige Kriterium, das fur den Aufbau eines Nadeltragers von Bedeutung ist. In der wissenschaftlichen Literatur wurde vor allem auch die bewegte Masse des Nadeltragers und des Diamanten messtechnisch untersucht und diskutiert. Wie entscheidend ein moglichst geringes Gewicht bei den bewegten Teilen sein muss, kann man sich leicht klar machen, wenn man sich die enormen Geschwindigkeiten der Diamantnadel in der Rille vor allem bei hohen Frequenzen in Abhangigkeit von den Auslenkungen vor Augen fuhrt. So betragt die Schnelle bei 1000 Hz und einer Auslenkung von 50 ?m knapp 10 cm/s. Dabei wird der Diamant tausendmal in der Rille hin- und herbewegt – pro Sekunde, wohlgemerkt! Die wissenschaftlichen, literaturbekannten Befunde sind sich da auch weitgehend einig. So hat bereits 1963 John Walton, ein technischer Mitarbeiter der Decca Company, auf die Bedeutung hingewiesen, die einer Reduzierung der aquivalenten Masse des Abttaststifts zukommt. Und Roger Anderson, ein Mitarbeiter von Shure, sah vor allem auch die Masse des Nadeltrager als limitierenden Faktor bei der Abtastung der Rille. Zweifellos wird die Masse des Nadeltragers durch die eingefuhrten Querverstrebungen deutlich erhoht.
Direkt wiegen kann man diese zwar nicht, ohne den Nadeleinschub zu zerstoren, aber die Schatzung, dass sich die Masse verdoppelt oder gar verdreifacht hat, durfte nicht zu hoch gegriffen sein. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil sich alle zusatzlichen Verstrebungen deutlich vom Drehpunkt entfernt befinden. Diese Masse-Erhohung sollte sich schon beim einfachen Abtasttest und Messungen der Resonanzfrequenz bemerkbar machen.
In der Praxis
Zum Vergleich standen ein herkommliches Audio Technica AT-95E und je ein modifiertes Exemplar mit und ohne Holzgehause zur Verfugung. Das Audio- Technica-Original und das Modell mit dem modifizierten Nadeltrager wurden in identische Headshells in einem Dynavector DV-507 Mk II eingebaut, wodurch ein Wechsel binnen Sekunden moglich war. Die Holzversion kam im SME Series IV zum Einsatz. Alle Systeme wurden mit 18 mN Auflagekraft betrieben und gleichzeitig am Monk Audio Phono Preamplifier (47 k?, 150 pF, Verstarkungsfaktor „high“) angeschlossen. Da der Monk mit drei Eingangen ausgestattet ist, war es moglich, jederzeit ohne lastige „Stopselei“ zwischen den Systemen umzuschalten. Bemerkenswerterweise tasten alle drei Tonabnehmer muhelos 70 ?m bei der genannten Auflagekraft ab. Noch erstaunlicher ist, dass sich auch die Resonanzfrequenz nicht oder nicht wesentlich verandert. Aufgrund der grosen Masse des Dynavectors liegt sie in der Horizontalen bei etwa 6 Hz, in der Vertikalen bei ungefahr 10 Hz, ist aber hier kaum wahrnehmbar. Im SME fiel das Maximum der Resonanzfrequenz in beiden Richtungen auf 10 Hz. Das zeigt nur, dass die Modifikationen die Bewegungsfreiheit nicht offensichtlich negativ beeinflussen und dass alle Varianten dieses Tonabnehmers idealerweise mit mittelschweren bis schweren Tonarmen (10 bis 20 g) kombiniert werden sollten.
Doch wie wirkt sich die Modifikation klanglich aus? Sie tut es, wie man sofort merkt, wenn man die Abtasttests der Image-HiFi-LP Essentials verwendet. Mit dem herkommlichen AT-95E gehort, wirkt die dort aufgenommene Stimme von Cai Brockmann etwas heller, aber offener. Das AT-95E RC gibt dem FIDELITY- Chefredakteur dagegen eine etwas tiefere Stimmlage. Dieser erste Eindruck bestatigt sich, wenn ich die wohlbekannten Stucke von Musik von einem anderen Stern (Manger Products) auflege.
So sehr das Audio Technica AT-95E fur seinen geringen Preis musikalisch bereits uberrascht – das RC klingt stets etwas runder, voller und harmonischer. Dafur verliert es aber auch einen Hauch seiner Lebendigkeit – gerade deswegen scheint doch Audio Technicas „Billigheimer“ so beliebt zu sein! – und bust etwas an Prazision ein. Wie man vor allem bei der Wiedergabe von „Ghazali“ von Renaud Garcia-Fons horen kann, scheint das original belassene AT-95E die Gitarre und die Nebengerausche einen Hauch starker umrissen und deutlicher herauszuarbeiten. In der raumlichen Darstellung nehmen sich beide Kontrahenten mit dem Standardgehause nicht viel; die Holzvariante verschiebt das Klanggeschehen mehr in die raumliche Tiefe, ist aber tonal kaum vom modifizierten Kollegen zu unterscheiden.
Überflieger?
Allem Anschein nach verandern die Versteifungsmasnahmen den tonalen Charakter etwas, wahrend das Holzgehause mehr Raum ins Spiel bringt. Dennoch hinterlasst das modifizierte AT95E RC einen etwas zwiespaltigen Eindruck. Mir personlich sagt die etwas lebendigere Gangart des Audio-Technica-Originals mehr zu, andere werden die etwas harmonischere Darbietung der Raumnadel sehr wohl als Verbesserung empfinden. Nur zu welchen Kosten? Ein offizieller Verkaufspreis wurde bisher nicht genannt, aber es ist anzunehmen, dass die in Handarbeit durchgefuhrten Modifikationen deutlich zu Buche schlagen werden. Das AT-95E RC im Standardgehause unter 200 Euro anzubieten erscheint mir unrealistisch, auch 300 Euro konnte man in Anbetracht des Arbeitsaufwandes durchaus plausibel erklaren. Das zusatzliche Holzgehause wird, wenn man ahnliche Konstrukte zum Beispiel fur das Denon DL-103 als Vergleichsmasstab zugrunde legt, mit weiteren 200 Euro zu bezahlen sein. Ein kurzlich bei Ebay angebotenes Vorserienmodell der Holzversion brachte es immerhin auf beachtliche 353 Euro. In dieser Preisregion konkurrieren aber beide Versionen mit vorzuglichen Systemen, die bereits serienmasig mit mehr Aufwand konstruiert sind und vor allem uber nackte und deshalb haltbarere Diamanten verfugen. Als Beispiele seien hier nur das Ortofon Vinyl Master Silver (MM, Fine Line, ca. 270 Euro) und Goldring Eroica (MC, Gyger II, 330 Euro) genannt, die meines Erachtens beide deutlich mehr Information aus der Rille holen als ein AT-95E. Wobei man aber erwahnen sollte, dass schon die Originalversion verbluffend gut und zum Preis von nur 35 Euro einfach nicht zu schlagen ist. Genau deshalb wurde es mich auch nicht uberraschen, wenn viele Horer sehr angetan waren, wenn man ihnen die Holzversion vorfuhren und dabei nicht erwahnen wurde, auf welchem System der Tonabnehmer eigentlich basiert. Dennoch sind sowohl die theoretischen (erhohte bewegte Masse der Raumnadel) als auch die offensichtlichen Nachteile (einfacher, gefasster Diamant und der sehr einfache Generator) sowie der wahrscheinlich deutlich erhohte Preis gegenuber dem Originalsystem nicht wegzudiskutieren. Die etwas vorschnell angekundigte analoge Revolution wird wohl noch etwas auf sich warten lassen. Fur die Zukunft ist allerdings geplant, die beschriebene Modifikation auch deutlich hochwertigeren Tonabnehmern angedeihen zu lassen.