Raumakustik, Teil II – Klatscht in die Hände!
Nachhall und Echos zählen zu den „beliebtesten“ Tummelplätzen der Raumakustik. Jeder kennt sie und weiß: Schon mit einfachen Hausmitteln lassen sich große Verbesserungen erzielen. Wenn das mal kein Trugschluss ist …
Illustration: Ralf Wolff-Boenisch
Vor Jahren habe ich mir angewöhnt, beim Betreten eines fremden Hörraums ein, zwei Mal in die Hände zu klatschen. Wenn man genau darüber nachdenkt, erscheint dieses kleine Ritual fast absurd – abgesehen davon, dass ich mir irritierte Blicke einhandle, besteht das erzeugte Geräusch eigentlich nur aus Mitten und Hochton. Wichtige Frequenzbereiche wie Grundton und Bass werden kaum beziehungsweise gar nicht angeregt. Und doch bilde ich mir ein, dass dieser Schnelltest exzellent funktioniert. Mit ein wenig Übung vermittelt das Klatschen augenblicklich einen rudimentären Eindruck, ob der Hörraum halbwegs angenehm tönt oder ob es sich um ein akustisches Sorgenkind handelt.
Sehen wir uns die Sachlage etwas genauer an. Mit meinem Klatschen erzeuge ich einen mehr oder weniger definierten, also reproduzierbaren Impuls, der als tonales Ereignis nicht viel ausrichtet – außer dass es eben kurz „patsch“ macht. Gerade weil er aber so kurz ist, lässt sich an so einem Impuls hervorragend beobachten, wie der Raum auf das Schallereignis reagiert. Der größte Teil dessen, was man beim Klatschen hört, besteht aus Nachhall und Echos, die in jedem Zimmer vorhanden sind. Das liegt daran, dass Wohnräume viele „schallharte“ Flächen besitzen. Damit sind all jene Oberflächen gemeint, die zu stabil und unnachgiebig sind, als dass ein Schallimpuls sie in Schwingung versetzen könnte. Ohne Anregung kann Schallenergie nicht absorbiert werden, sie prallt von den Oberflächen ab und wird in den Raum zurückgeworfen. Fachleute, Experten und alle, die es gern wären, sprechen dabei von „Reflexion“.
Und genau hier liegt der Grund, warum mein Klatschen zur groben Bewertung ausreicht: Tiefe Frequenzen transportieren enorme, bisweilen körperlich fühlbare Energie. Ein autoritärer Bass kann sogar Betonwände schwingen lassen. Die Schallenergie wird dabei zumindest teilweise in mechanische Energie umgewandelt und absorbiert. Seine Reflexionen können immer noch ein Dröhnen erzeugen; das ist gegenüber dem Direktschall aus dem Lautsprecher aber bereits merklich vermindert. Die oberen Mitten und Höhen verhalten sich da anders: Sie haben einfach nicht genug Power, um Oberflächen und Umgebungsmaterialien anzuregen. Jeder, der gern Billard spielt, weiß, was nun passiert: Da vor allem die Höhen stark gebündelt vom Lautsprecher abgestrahlt werden, verhalten sie sich wie die weiße Kugel auf dem grünen Tisch. Frei nach dem Motto „Einfallwinkel gleich Ausfallwinkel“ werden sie zwischen den Zimmerwänden und anderen schallharten Objekten in vorhersehbaren Mustern hin und her geworfen. Natürlich verlieren auch sie mit jeder Reflexion Energie. In normal eingerichteten Räumen endet ihre Reise nach etwa 500 (Höhen) bis 1200 Millisekunden (Bass). Bedenkt man, dass Schall pro Millisekunde knapp 30 Zentimeter zurücklegt, kann man sich ausrechnen, welche Strecke er hinter sich bringt, ehe er vollends ausklingt: Im (noch nicht mal wirklich) schlimmsten Fall rotiert er knapp 400 Meter durchs Hörzimmer.
Die zahllosen Überlagerungen bringen eine farbenfrohe Palette negativer Auswirkungen mit sich. Zum Beispiel die tonale Unwucht: Weil Bässe und Grundton gern durch Türen, Fenster und zu leichte Mauern das Weite suchen, wird die Klangbalance in Richtung der oberen Mitten und Höhen verschoben. Dieser Effekt verschlimmert sich noch, da die höheren Frequenzen nicht nur einsam im Zimmer bleiben, sondern vom Zuhörer durch das Nachklingen auch intensiver wahrgenommen werden. Das ist der Grund, weshalb wir hallende Räume meist als hell und harsch empfinden.
Nachhallereignisse lassen sich zudem in zwei Härtegrade einteilen, die freilich fließend ineinander übergehen: Je leerer und kahler ein Raum ist, desto geradliniger und ungestörter können sich die Reflexionen ausbreiten. Im schlimmsten Fall pendeln sie ungehindert zwischen zwei Wänden oder in Zimmerecken hin und her, was zu gefürchteten Flatterechos führt. Die klingen nicht nur widerlich metallisch, sondern verweilen auch länger als der übrige Schall. Da Impulse in „störungsfreier“ Umgebung relativ große Strecken zurücklegen, ehe sie zurückgeworfen werden, kann man ihre Reflexionen obendrein zeitlich auseinanderhalten. Unser Gehör kann Laufzeitunterschiede ab vier Millisekunden unterscheiden. Das entspricht einer Distanz von nur 1,2 Metern. In einem mittelgroßen Zimmer von 5 mal 6 Metern liegen die Reflexionen jedoch bereits 16 Millisekunden und mehr auseinander.
Möbliert man denselben Raum mit schallharten Möbeln – Tische, Stühle, Regale, Schränke – werden die Schallereignisse aufgebrochen. Obwohl der Hall genauso lange im Raum verbleibt, die reflektierenden Oberflächen in der Summe sogar zunehmen, wird man diesen Raum als angenehmer und wärmer empfinden. Das offenbart einen verbreiteten Denkfehler im Umgang mit dem Nachhall: Alle Augen schielen auf die bedingungslose Verkürzung von Hall und Echos. Entscheidenden Anteil hat allerdings auch der Diffusionsgrad, also die möglichst feine Zerstreuung der Reflexionen. Der Nutzen liegt auf der Hand: Während man im leeren Raum wenigen massiven, zeitlich zudem gut differenzierbaren Echos ausgesetzt ist, zerfasert ein reich möbliertes Zimmer die Schallereignisse in kleinere Reflexionen, die sich nicht mehr auseinanderhalten lassen. Aus blechernen Echos wird eine homogene Hallfahne.
Diffusion allein ist allerdings kein Heilsbringer. Die mehr oder weniger komplexe Überlagerung von Schallwellen führt uns direkt zum nächsten Problem, das Sie erahnen können, wenn Sie unseren Artikel über Raummoden hier gelesen haben. Schall besteht aus feinsten Druckunterschieden. Überschneiden sich zwei phasengleiche Schallwellen, verdoppeln sie ihre Energie. Sind ihre Phasen um 180 Grad gedreht, löschen sie sich gegenseitig aus. Da die Dimensionen des Raums die Laufzeit der Reflexionen definieren, ergibt sich ein mehr oder weniger statisches Muster von Auslöschungen und Überhöhungen. Würde man sie in ein logarithmisches Frequenzspektrum einzeichnen, ergäbe sich eine Kennlinie, die mit ihren vielen Kerben an einen Kamm erinnert, weshalb wir von „Kammfiltereffekten“ sprechen: Eine ganze Serie von Kerbfiltern, deren Frequenz in einem Verhältnis zu den Raumdimensionen stehen. Im Grunde genommen sind sie also die kleinen Geschwister der Raummoden.
Und damit kommen wir zu den wirksamen Gegenmaßnahmen, die leider mit reichlich Ernüchterung einhergehen: Diffusion und Absorption. Das Aufbrechen der Reflexionen ist wie beschrieben eine der direktesten Methoden, um aus wenigen großen Problemen unzählige kleine zu machen, die zwar weniger stören, ihrerseits aber neue Sorgen mitbringen. Stellen Sie in den Hörraum Regale mit CDs, Büchern, Familienfotos und anderem Kleinkram. Ein Tisch hier, eine kleinblättrige Topfpflanze dort, und schon wirkt das Zimmer – obwohl noch immer hallend – tonal homogener. Besonders an der Wand zwischen den Boxen und hinter dem Hörplatz können Diffusoren Wunder bewirken. Auch die Seitenwände, insbesondere jene Flächen, an denen die Erstreflexionen entstehen, können zerstreuende Möbel oder große Pflanzen vertragen. Da die meisten dieser Maßnahmen kostenlos sind und die Wohnlichkeit mit etwas Kreativität nicht zu sehr beeinträchtigen, sollte man nach Herzenslust ausprobieren und experimentieren.
Wirklich perfekt wird ein Raum jedoch nur durch Kombinierung der genannten Maßnahmen. Zunächst ist also Diffusion gefordert, um die Reflexionen aufzubrechen, dann Absorption, um den Nachhall und seine Kammfiltereffekte einzudämmen. Hier kommen in der Praxis zwar ebenfalls Hausmittelchen wie Teppiche, Raumeckenrunder und flache Schaumstoffabsorber zum Einsatz, doch führt Experimentieren nur zufällig ans Ziel. Die unterschiedlichen Frequenzbereiche stellen individuelle Anforderungen an Material sowie Dicke der Absorber. Für eine natürliche Wahrnehmung muss außerdem eine definierte Kennlinie eingehalten werden. Und da ist der Rat eines Experten unabdingbar.
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