Randy Weston – African Nite
Afrika, immer wieder Afrika.
Schon der Vater, ein Anhänger des Pan-Afrikanisten Marcus Garvey, hatte ihm in jungen Jahren eingeschärft: „Du musst eines Tages nach Afrika gehen, in unser Mutterland.“ Neben dem Jazz gehörten Musikaufnahmen aus Afrika zu Randy Westons frühen Hör-Erfahrungen. „Bei dieser Musik öffnete sich etwas in mir, und ich konnte nicht genug davon bekommen“, erzählte er. 1961 war es endlich so weit: Der 25-jährige Jazzpianist wurde als Teil einer Delegation afroamerikanischer Musiker und Poeten nach Nigeria eingeladen. Und danach reiste er immer wieder zu „Mother Africa“ – 1967 auch mit eigener Band, mit der er 14 afrikanische Staaten besuchte. An der Endstation dieser Tournee, in Tanger (Marokko), ließ sich Randy Weston damals nieder. Er blieb fünf Jahre, studierte die Musik der Gnawa-Meister, gründete einen Musikclub und organisierte 1972 das erste afrikanische Jazzfestival. Später spielte er auch auf Musikfestivals in Tunesien oder Nigeria. Er hat sich nie zwischen West- und Nordafrika entschieden. „Ich beanspruche für mich den ganzen Kontinent.“ Randy Weston holte Amerikaner nach Afrika und Afrikaner nach Amerika und vergaß auch nicht die afrikanische Diaspora in Brasilien, Venezuela oder Kuba.
Dieser Pianist hört und spielt den Jazz „afrikanisch“. Bei der Umsetzung aufs „europäische“ Klavier inspirierte ihn das Spiel des Kollegen Thelonious Monk, mit dem er sich schon in den 1940er Jahren angefreundet hatte. „Als ich Monk spielen hörte, begriff ich, dass das die Richtung war, in die ich gehen musste. Er spielte, wie sie in Ägypten vor 5000 Jahren gespielt haben müssen. Ich höre uraltes Afrika in seiner Musik. Er nähert sich dem Klavier aus einer afrikanischen Perspektive – mit Polyrhythmen und Frage-und-Antwort-Formen. Und er spielt mit gestreckten Fingern – nicht so, wie man es lernt.“ Der perkussive Anschlag, die donnernden Bässe, die sperrige Polyrhythmik der Phrasierung, die klirrenden Dissonanzen und die harmonisch-modale Offenheit in Westons Spiel erinnern immer wieder an Monk. Aber Weston spielt technisch virtuoser, musikalisch vielschichtiger, formal offener und spontaner als sein Vorbild. Zeitweise scheint er sich in ein ganzes Trommel-Orchester zu verwandeln. „Wir sind das Volk der Trommel“, sagt Randy Weston. „Wenn ich Klavier spiele, ist auch das Klavier eine Trommel.“ Der Saxofonist Billy Harper meinte: „Er ist anders als jeder andere Musiker, mit dem ich gespielt habe. Er denkt nicht länger in technischen Begriffen.“
1975 war Randy Weston noch ganz erfüllt von seiner Zeit in Marokko. Er brauchte keine Band, er hatte alles parat am Klavier, die Klänge, die Stimmungen, die Gerüche. „Yubadee“ ist einem Gnawa-Musiker gewidmet, mit dem er mehrere Monate verbracht hatte. Das Titelstück „African Nite“ entstand an einem magischen Abend in Tanger, als er allein an einem großen Bechstein-Flügel saß. „Jejouka“ grüßt ein legendäres Musikdorf in Marokkos Bergen, deren Rhaita-Bläser angeblich psychische Erkrankungen heilen können. In diesen Solostücken am Klavier verbinden sich Blues und Guembri-Fantasie, fangen afrikanische Trommeln an zu beboppen, haben arabische Melodiefloskeln ihren eigenen Swing. Der „Blues For Senegal“ – Erinnerung an ein Gastspiel in Dakar 1967 – verbindet scheinbar mühelos den Spirit mehrerer Kontinente. Afrika steckt in allem: „Nimmt man die afrikanischen Elemente heraus aus Bossa, Samba, Jazz, Blues – dann bleibt nichts übrig“, sagt Weston. Es mag wildere, exaltiertere, lautere Alben von ihm geben. Auf African Nite übersetzt er alles ins Raffiniert-Pianistische, liefert ein inneres, subjektives Konzentrat. Afrika, immer wieder Afrika.