Queen – The Prophet’s Song
Zum Progrock gehören Tempowechsel, Klassik- und Jazzanklänge, umfangreiche Instrumentalteile und überraschende Instrumente. Weil das alles zusammen kaum in einen Drei-Minuten-Song passt, gibt es den Longtrack.
Der Bandmanager war überhaupt nicht begeistert. Ein Sechs-Minuten-Song mit einem opernhaften Chorteil? Welches Radio sollte das spielen? Als Single-Auskopplung ganz unmöglich! – Doch die Band beharrte auf ihrer Entscheidung, und siehe da: Alle Radios brachten „Bohemian Rhapsody“ in voller Länge! Die Hörer konnten von dem Song überhaupt nicht genug bekommen. Er wurde ein Nummer-eins-Hit im Vereinigten Königreich und katapultierte das Album A Night At The Opera ebenfalls an die Spitze der Charts.
Allerdings war „Bohemian Rhapsody“ gar nicht der extremste Song auf dem Album. Der Opener der B-Seite ist nämlich noch zweieinhalb Minuten länger (die längste Vokalnummer, die Queen je im Studio aufgenommen haben) und enthält außerdem einen beispiellosen, mehr als zweiminütigen A-cappella-Teil. Und das ist noch nicht alles: „The Prophet’s Song“ (8:21), dieses Meisterwerk der progressiven Rockmusik, bietet eine Achterbahnfahrt durch eine ganze Reihe von Soundwelten. Kritiker fanden, der Song sei „ebenso faszinierend wie ‚Bohemian Rhapsody‘“ (AllMusic), ja sogar der „beste Track“ des Albums (Rolling Stone). Was wäre wohl passiert, wenn Queen statt „Bohemian Rhapsody“ diesen Song als Single ausgekoppelt hätten?
Inspiriert ist „The Prophet’s Song“ von einem Albtraum, den Brian May während seiner Hepatitis-Erkrankung 1974 hatte. (Ein paar der musikalischen Elemente existierten aber schon vorher.) Es hatte ihm von einer Flutkatastrophe geträumt – und er machte daraus eine quasi apokalyptische Prophezeiung: „Oh oh people of the earth / Listen to the warning!“ („People Of The Earth“ war auch der Arbeitstitel.) „Wenn die Menschheit eine Zukunft haben soll, müssen die Menschen mehr zusammenstehen“ – so beschrieb May sein Anliegen. Mehrmals wechselt Freddie Mercury im Hardrock-Teil zwischen dem Refrain und den Strophen (0:36 bis 2:57), wobei die Form, die Riffs, die Harmoniegesänge immer wieder variieren. „Songs sind für mich Reisen“, sagt Brian May. „Deshalb hört man den Chorus jedes Mal etwas anders.“
Nach einem Nebenteil („Flee for your life“) beginnt dann die große A-cappella-Einlage (3:23 bis 5:51): „People, can you hear me?“ Mercurys Gesang bekommt im Studio zwei Echos, auf die er wiederum antwortet – er singt sozusagen im Trio. „Es ist live gesungen“, versichert der Produzent Roy Thomas Baker. „Er hatte die Delays auf dem Kopfhörer und konnte mit sich selbst Harmonie singen.“ (Brian May hatte diese Technik auf der Gitarre entdeckt.) Ein harmonisierter Kanonteil (mit nur einem Delay) schließt sich an (ab 4:50). Ebenfalls mit einem Echo-Effekt setzt der Rocksound wieder ein (5:51), nun noch mächtiger und mit solierender Gitarre. (Der Steigerungseffekt ist ähnlich wie nach dem „Opernteil“ in „Bohemian Rhapsody“.) Wieder dieser düstere, riffende Hardrock in Moll – und ein letzter Refrain.
Eine Besonderheit bietet auch die erste halbe Minute des Songs. May improvisiert in dieser Introduktion auf einer Spielzeug-Koto (die Band schwärmte gerade für Japan) und auf der akustischen Gitarre, unterlegt von Windgeräuschen. (Sie kamen übrigens aus der Klimaanlage.) Dieses schöne, magische Klangbild wiederholt sich am Ende (ab 7:38) und leitet dann direkt über in den nächsten Song („Love Of My Life“).
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