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Professor P - Laissez les bons temps rouler

Professor P.’s Rhythm and Soul Revue

Laissez les bons Temps rouler

Professor P.’s Rhythm and Soul Revue

Der Professor reaktiviert aus aktuellen Gründen sein bruchstückhaftes Französisch – und dreht dann pleine puissance auf mit neuen Werken von William The Conqueror, Principles of Joy, Electro Deluxe, The Dead South und Kjellvandertonbruket.

Was die wenigsten wissen, auch nicht wissen müssen, weil’s das unwichtigste Kurzkapitel der Evolution des menschlichen Geistes ist: Professor P. studierte einst ein Semester Geschichte. Ein unsinniges Halbjahr, während dessen ich zudem das Seminar „Französisch für Historiker“ belegen musste. Eine zweifelhafte Sprachausbildung, da uns geschichtswissenschaftlichen Eleven nur jeweils die dritte Person Singular und Plural von Verben vermittelt wurde, um am Ende Quellen in französischer Sprache dechiffrieren zu können, in denen eben in der Regel ausschließlich diese Verbformen vorkommen. Ich weiß nichts mehr aus jenen fernen Tagen, außer einigen aus ihrem Zusammenhang gerissenen Daten aus der Zeit der ersten Hälfte des ersten punischen Krieges, über die ich mir eine halbgare Hausarbeit aus den Synapsen schütteln durfte. Wer von Euch jetzt den Federhalter spitzt, um mir via Leserbrief ein paar vertiefende Anmerkungen zur Auseinandersetzung zwischen Rom und Karthago zu entlocken, vielleicht weil man a) im Sommer plant, nach Sizilien zu reisen und gerne aus berufenem Mund ein wenig historisches Begleitwissen zu erfahren wünscht, oder um b) nur entrüstet aufzubegehren, dass die Schlacht von Tynes (255 v. Chr.) ja wohl recht wenig weder mit Soul- noch mit Funkmusik zu tun habe, denen antworte ich zu a): bitte nicht, und zu b): Geduld. Denn zur Vorbereitung auf das nun folgende Hauptseminar „Populärmusik durch die Brille des Professors betrachtet“* müsst Ihr dies aus selbstberufenem Munde erfahren: Wilhelm der Eroberer hinterließ, bevor er 1087 an einem Infekt starb, einen ziemlich bleibenden Eindruck nicht nur in der Normandie, aus der er stammte, sondern auch in England, das er aus Nordfrankreich kommend im Handstreich eroberte. Ein spannendes Kapitel der internationalen Überfall- und Staatsstreichgeschichte, in dem klangvolle Namen wie Godwins von Wessex, Eduard der Bekenner oder Trostig von Northumbria eine Rolle spielen. 1066 ließ sich der einstige Normannen-Stammesvater in der Kathedrale Westminster Abbey zum König von England küren. Das bedeutete – ha-ha-ha, bzw. hé-hé-hé – für den englischen Adel, dass man fortan Französisch zu sprechen hatte, und zwar in allen verfügbaren Verbformen. Heute erinnert nicht mehr viel an Wilhelm den Eroberer. Seine Grabplatte ist noch da, aber man streitet, ob sie echt ist. Das Gleiche gilt für den letzten erhaltenen Oberschenkelknochen des früheren Königs von England. So, nun denke ich, sind wir gut vorbereitet für die erste Plattenbeschau. Please stay in the line. Bzw. natürlich: Restez en ligne, s’il vous plaît.

* Wer einen Schein benötigt, melde sich zwecks Referatsthemenvergabe im Sekretariat des Lehrstuhls für vergleichendes Soulshouting am Institut für Musikbeschau der Universität Funkistan.

William The Conqueror – Excuse Me While I Vanish

Professor P - Laissez les bons temps rouler

Nach voranstehenden Worten wissen wir nun genug über historisch bedeutsame Oberschenkelknochen und die mittelalterlichen Dispute zwischen normannischen Eroberern und englischen Adeligen, die vor roundabout bzw. à peu près tausend Jahren statt hausgemachtem Shepherd’s Pie nurmehr französische Froschschenkel serviert bekamen. Ich finde aber halt, ein wenig cultural background kann nicht schaden, wenn wir uns mit der britischen Band William The Conqueror auseinandersetzen, und sei es nur, damit Ihr, meine verehrten Audio-Akademiker, beim nächsten Vorverstärker- oder Endstufenstammtisch mit fundiertem Bullshit glänzen könnt. Außerdem möchte ich anmerken, dass ich mit den folgenden Zeilen ein Versprechen einlöse, das ich vor ein paar Monaten an dieser Stelle gab: Mich eben näher mit dem Schaffen von William The Conqueror zu beschäftigen, nachdem mir mein Streaming-Algorithmus auf einer endlosen Fahrt im „Schnell“zug der Deutschen Bummelbahn den Song „Moving On“ der mir bis dato unbekannten englischen Band aus dem rosamundepilcherschen Cornwall in die Kopfhörer pustete. Die dazugehörige Platte Maverick Thinker avancierte zu einer der spannendsten Entdeckungen des Professors in den vergangenen Jahren, und nun ist bereits seit einem Jahr das aktuelle Werk Excuse Me While I Vanish ausgewildert – und ich, pants down, hatte es verpasst … Das soll uns aber nicht weiter stören. Das Schaffen dieses Trios um den charmant-fusselbärtigen Sänger-Gitarristen-Songschreiber Ruarri Joseph samt schüchterner Bassistin und schmalbrüstigem Schlagzeuger ist immer eines Lobes wert, unabhängig von Zeit und Raum. Die nun vierte Platte vereint Indie-Rock, Blues, Pop und nicht wenig Grunge-Geschrammel in erneut magischer Mischung. Aufgenommen wurde das Werk in den Marshall Studios, die direkt neben der Verstärkermanufaktur des bekannten britischen Herstellers in der mittelenglischen Industriestadt Milton Keynes liegen: mit lots of vintage shit in Sachen analoger Aufnahmetechnologie, wie der formvollendete Brite sagen würde. Selbstproduziert im Retroambiente, abgemischt von Barny Barnicoll (Arctic Monkeys, Stereophonics, Skinny Lister), feiern eigentlich alle Songs des Werkes eine ausgelassene Indie-Pop-Soul-Party in des Professors Oberstübchen, schaut mal, ob es Euch ähnlich ergeht. Anspieltipps: „The Puppet And The Puppeteer“ (mächtig groovender Tonträgereröffnungssong, Ruarri Josephs weiche Bariton-Sing-/Erzählstimme lässt hier ein Stückchen Soul sich entfalten, das sich mit Elementen des Southern Rock, Britpop und Americanafolk mischt – beeindruckend vielseitig für eine Triobesetzung), „Shots Fired From Heaven“ (schleppendes Psychedelic-Blues-Balladen-Opus mit wohlgesetzten Punk-Grunge-Pointen) und „The Tether“ (entspanntest-leises Grooven wie bei JJ Cale, dazu eine sanfte Melodie, die zeigt: Hier sind gute Songschreiber am Werk).

Label: Chrysalis Records/Cargo
Format: CD, LP, DL 24/48

Principles of Joy – It’s Soul That Counts

Professor P - Laissez les bons temps rouler

Comme par hasard, nous sommes aujourd’hui étonnamment francophiles dans la „Rhythm and Soul Revue“ du professeur. Oh, excusez mon français! Da bin ich doch versehentlich in den Marseillaise-Modus gerutscht. Was ich sagen will: Wir sind heute erstaunlich frankophil, Freunde, und das nicht nur in der dritten Person … Das rührt daher, dass nur knapp tausend Jahre nach William dem Eroberer eine weitere Vereinnahmung französischer Kultur vonstattenging, als nämlich der afroangelsächsische Soul über den Grand Etang schwappte und sich wahlweise als Northern Soul oder coole Franko-Variante zum filterlosen Chanson-Geraune französischer „Heure Bleue“-Traditionalisten positionierte. Und umgekehrt infiltrierten „Qui“-Sager im Britisch-Französischen Krieg im 18. Jahrhundert auf der Flucht von Nord (Akadien im heutigen Kanada) nach Süd (Louisiana) den Blues mit Geige und Akkordeon und feiern bis heute ausgelassene Cajun-Partys, auf denen das Motto lautet: Laissez les bons temps rouler, was so viel bedeutet wie: Lasst es krachen! Damit dürfen wir uns heute auseinandersetzen. Ich möchte Euch jedenfalls hier eine Band aus dem Großraum Paris vorstellen, die erkannt hat: It’s soul that counts. Und so lautet auch der Titel des dritten Albums von Principles of Joy. Dort geht es bunt zu – laut beiliegendem Infozettel – ja, Papier ist noch nicht ganz tot – finden sich hier Anleihen „Northern Soul der 60er“, des „Midtempo-Souls der 70er Jahre“, von zeitgenössischem „Dance-Soul“, von politisch aufgeladenem „Blaxploitation-Soul“, dazu „Shaolin-Soul“ und „Psyche Soul“, wobei ich vermute, dass sich jemand die letzten beiden Genres beim Formulieren des Handouts ausgedacht hat. Kreativität counts, zumal dem Album Anleihen „feministischen Funks“ und von „Acid-Folk“ unterstellt werden. Well … Ich schlage vor: Entscheidet selbst, welche Schubladen Ihr auf- und zumachen mögt. Oder hört auch mich. Ich empfehle diese Anspieltipps: „Girls Be Like“ (Disco-Soul im Stile von Chic, mit treibendem Bass und unbedingt tanzbar), „No Justice No Peace Pt1 & Pt 2“ (politisches Manifest im Arrangement eines zehnminütigen Voodoo-Soul-Opus) und „Your Thing Is A Drag“ (einziger Coversong des Albums, entliehen von Sharon Jones, bei dem ein Clavinet die Power-Pointen übernimmt, die sonst im Verantwortungsbereich einer Bläsersektion liegen).

Label: Q-Sounds Recording
Format: CD, LP, DL 24/44

Electro Deluxe – Next

Professor P - Laissez les bons temps rouler

Um Reisekosten zu sparen oder auch einfach um zu vermeiden, dass wir auf dem Bahnsteig übernachten, weil die TGV-Besatzungen streiken, was in mitteleuropäischen Bahnmitarbeitendenkreisen – yes, Gewerkschaft der Deutschen Bahn, I’m also thinking of you – mittlerweile zum Status Quo avanciert ist, deshalb also – puh, dieser Satz hat viele Einschübe, aber da müssen wir jetzt durch – bleiben wir einfach in Paris. Dort haben in den frühen Zweitausenderjahren ein Hammondorgelspieler, ein Schlagzeuger und ein Saxofonist beschlossen, Fusionjazz mit Elektrobeats und vor allem viel Funk und Soul zu versetzen, die Regler hochzufahren und als Electro Deluxe knackige Platten aufzunehmen. Als Septett dann begann man zwar mit Nu Jazz, landläufig auch als Fusion-Gegniedel bekannt, entdeckte aber zum Glück den Funk. Sänger James Copley, eine Mischung aus George Clooney und gut gelauntem Stefan Gwildis, singt trotz Hipster-Bart und Werberanzug mit erstaunlich dreckigem Soul-Organ. Eine Platte, Full Circle, habe ich Euch bereits vor sechs Jahren oder so vorgestellt, und in des Professors never ending review tour möchte ich auch zur aktuellen, Next, ein paar Worte verlieren und zugleich wiederfinden: Noch besser als das zuvor Erwähnte. Unter Mitwirkung von Candy Dulfer (einst Prince-Solistin), Nils Landgren (Begründer der Band Funk Unit und Schwedens Antwort auf Posaunen-Funk-Vater Fred Wesley) und Fred Wesley selbst (ehemals Musical Director von James Brown und einst neben Maceo Parker und Pee Wee Ellis ein Drittel der J.B. Horns) ist ein extremst druckvolles Werk entstanden. Ein Album, dessen Stücke in warme Orangetöne getaucht erscheinen und ein irgendwie wohltuendes Seventies-Funk-Flair schaffen – mit den gelegentlichen Neoneffekten Prince’scher Popfunk-Pointen. Ein dominanter, tief pumpender Bass, wummernde Bläserbreitseiten, ein nervös im anspruchsvollen Second-Line-Rhythmus treibendes Schlagzeug – Next bringt den Professor dazu, diesen Text hier nun zu beenden und ein paar Schritte zu tanzen.

Label: Stardown
Format: CD, LP, DL 24/44

www.electrodeluxe.com

The Dead South – Chains & Stakes

Professor P - Laissez les bons temps rouler

Aus den Weiten der kanadischen Prärie erreichte den Professor ein kleines Paket. Ein staubiger Bote des Pony-Expresses, des traditionellen nordamerikanischen Postbeförderungsdienstes mit 1 PS, warf es mir zu, nachdem er sein Pferdchen in zweiter Reihe geparkt und sodann gleich ein Knöllchen überreicht bekam, Anwohnerparkzone halt … Das Päckchen kam genauer gesagt, um geografisch vertrauensvoll zu verorten, aus der westkanadischen Provinz Saskatchewan. Und da ich Euch gerne mit unverbindlichen Grüßen aus der Recherche-Business-Unit von Prof. P. ’s Rhythm and Soul Revue beglücke: Saskatchewan ist nicht nur Heimat der gleich näher zu betrachtenden Neo-Bluegrass-Kapelle The Dead South, sondern war dies einst auch von Leslie Nielsen, dem ich als Teenager so manchen Lacher verdanke, siehe Die Unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug und natürlich Die nackte Kanone, die übrigens gerade mit Liam Neesen neu verfilmt wird. Nun, lassen wir uns nicht zu weit abtreiben: The Dead South spielen, wie sie selbst sagen, seit ihrem Debüt vor zehn Jahren, Good Company, „rockin’ stompin’ bluegrass“. Bisher hat das Quartett meinen Weg nicht gekreuzt, umso erstaunter bin ich, dass The Dead South mit der Folkmusik der Appalachen, vierfachem Harmoniegesang und ohne Rhythmussektion – man spielt Akustikgitarre, Banjo, Mandoline und Bass-Cello (!) – sogar Sporthallen füllen. Das vierte Album nun – es verirrte sich kürzlich bei Erscheinen sogar eine Woche in die deutschen Charts auf Platz 74 – bedeutet meinen Einstieg in diese recht ungewöhnliche Welt, und ich lade Euch ein, mich zu begleiten. Wie hier Folk, Country, Soul und Rock’n’Roll, blitzschnelle Banjo-Soli und Madolinen-Wahnsinn und zudem die knarzig-soulvolle Stimme von Nathaniel Hilts zu einer magischen Mixtur zusammengeschüttelt- und -gerührt werden, Freunde, das fährt ins Bein. 13 kurze Songs teilen sich die Gesamtlänge des Albums von gerade einmal 38 Minuten – langweilig wird’s da nicht. Ich erspare Euch dieses Mal Anspieltipps, das Ding muss man von vorne bis hinten gehört haben. Let’s roll!

Label: DevilDuck Records
Format: CD, LP, DL 24/96

Kjellvandertonbruket – Fossils

Professor P - Laissez les bons temps rouler

Wie Ihr vielleicht wisst, bewegt sich Bob Dylan seit 1988 konstant in einer sich stetig windenden „Never Ending Tour“ rund um den Globus. Der Professor macht es ähnlich und folgt dem inneren Nomadenruf seiner Never Ending Rhythm and Soul Revue. Und wie es auf einer Reise mit dem finalen Ziel Nirwana so geht, man sieht sich immer zwei-, drei oder vielfach. Aufmerksame Leser werden daher registrieren, dass ich mich konkret zum zweiten Mal dem Schaffen von Kjellvandertonbruket widme. Wer’s gerade nicht parat hat: Die Band setzt sich zusammen aus dem schwedischen Songschreiber Christian Kjellvander und einer Handvoll skandinavischer Jazz- und Independent-Pop-Legenden. Kjellvander ist eine Institution im Land der Elche, sein Solowerk Wild Hxmans etwa war 2018 für den schwedischen Musikpreis Grammis nominiert. Tonbruket wiederum ist eine Interessengemeinschaft um den früheren Bassisten des Esbjörn Svensson Trios, Dan Berglund, mit Martin Hederos (Keyboarder der Rockband The Soundtrack Of Our Lives) sowie Schlagzeuger Andreas Werliin und Gitarrist Johan Lindström von der Göteborger Experimental-Blues-Band Wildbirds & Peacedrums. Tonbruket wiederum haben ihrerseits bereits vier Grammis in der Sparte Jazz erhalten. Zum zweiten Mal also nun fanden sich für Kjellvandertonbrukets Fossils zwei gut eingespielte Kreativeinheiten zusammen. Das Debüt Doom Country aus dem Jahr 2020 fand hier auf diesen Seiten ja schon extrem positives Feedback, und jetzt darf ich meine Begeisterung anlässlich des Folgealbums gekonnt recyceln. Fossils also wurde erneut in einer einzigen Improvisationssession in nur vier Tagen eingespielt. Dabei entstanden langsam mäandernde Magmaklänge, die sich durch karge Klanglandschaften schieben – hätte Schweden einen Vulkan, dann hieße der Kjellvandertonbruket. Nur fünf Stücke bietet das Album, die aber sind bis zu 16 Minuten lang. „September Weather“: ein postmoderner, sich über acht Minuten aus der Stille des Raumes in eine laute Kakofonie steigernder Blues mit der Kraft einer wandernden Endmoräne, der eher nach November- denn nach Septemberwetter klingt. Ähnlich „The Last Thing (Thief)“: Aus einer zarten Gitarrenfingerübung schält sich unter Begleitung sich entfaltender Drum-Bass-Rhythmik ein apokalyptisch krachender Schweden-Gospel … Der Professor rät: Hören.

Label: Startracks
Format: CD, LP, DL 16/44

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