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Professor P - Nachtigall auf Speed

Nachtigall auf Speed

Professor P.’s Rhythm and Soul Revue

Professor P.’s Rhythm and Soul Revue – Nachtigall auf Speed

Der Professor tanzt durch den Herbst mit neuen Werken von McKinley James, Jin Jim, Bianca James, Daddy Long Legs und Fieh.

Freunde, der Professor sitzt im Train to Nowhere. Es ist dunkel draußen, schwarze Nacht, 13 Züge habe ich verpasst, die Bahn ist in Hochform. In der tiefsten Pampa („Hannover“) wechselte ich gerade erneut, joggte von Gleis 1 zu Gleis 97 und sprang als Letzter auf den Zug wie ein postmoderner Hobo. Jetzt soll es nun endlich direkt zum heimatlichen Polarkreis gehen. Der Magen hängt mittlerweile höllentief im Abyss zwischen auf dem Waggonboden verstreuten Erdnüssen und schlappen Chips – das Einzige an fester Nahrung, was die Kantine in diesem Zug zur Verfügung stellen möchte. Dann die Durchsage: „Kommen Sie doch bei uns im Bordbistro auf einen lecken Snack vorbei!“ Kollektives Unverständnis. Wildfremde Menschen nicken sich matt zu, man wirft noch eine Erdnuss ein. Der Professor lenkt sich mittels polemischer Poesie ab. Zu Hause köchelt ein Chili auf dem Herd, wie die Missus gerade via Brieftäubchen übermittelte.

Ich habe die Kopfhörer aufgesetzt und höre eine Band im Stream, die ich nicht kenne. Ausgewählt von DJ Algorithmus, der, wie ich zugeben muss, immer wieder für interessante Entdeckungen sorgt. William The Conquerer heißt die Gruppe, sie bewegt sich im Bermudadreieck des Blues zwischen Grunge, Country und schrammelndem Independent-Pop. Vermutlich werde ich mich mal in einer kommenden Ausgabe eingehender mit dem Œuvre der Eroberer auseinandersetzen. In der Zwischenzeit dürft Ihr Euch das vorletzte Album Maverick Thinker anhören. Tut das! Ich hoffe, nicht nur die Sprachwissenschaftler unter Euch erkennen einen Imperativ, wenn sie ihn sehen. Bester Song: „Move On“. Was ich aber eigentlich erzählen wollte, bevor mich das Dasein im Erdnuss-Express ablenkte: Vor kurzem war ich zu Gast im Indra. Jenem Club im toten Winkel des northgerman Vergnügungsviertels, in dem sich einst die Beatles ihre Street Credibility verdienten. Nun war es wieder ein gerade erst zum Jungerwachsenen gereifter Künstler, der mit Gitarre und als Unterstützung dem Vater an den Drums aufspielte. Und damit wollen wir uns jetzt eingehender beschäftigen. Stay tuned.

McKinley James – Live!

Professor P - Nachtigall auf Speed

Der Rambler und der Professor ritten auf ihren steifbeinigen Mähren über die Prärie. Am Horizont hob sich aus flirrender Frühsommerglut ein uralter Saloon. Wir krempelten das Zaumzeug auf links und ließen die Pferdchen an einem verrosteten Fahrradständer grasen. Drinnen war es düster. Der Barkeeper ließ zwei Humpen Rachenputzer über den Tresen sausen, wir traten nach draußen. Aßen im Hinterhof unter grünen Bäumen, die Flohpisse netzte spärliches Haupthaar, Steak und Wurst vom Band-BBQ. Zu zweit nur war die Kapelle des Abends angereist, Vater und Sohn. Wobei man korrekterweise sagen muss: Sohn und Vater. McKinley James, Wunderkind und nun 21-jähriger Wundertwen an Gitarre und Gesangsmikrofon: Spielt den Blues, als habe er es Robert Johnson gleichgetan und die Seele an den Teufel verschachert. Nennt jedenfalls Otis Rush und Johnny „Guitar“ Watson als Vorbilder, das hat Stil. An den Drums trommelt mit der Präzision eines Atom-Metronoms und dem Punch eines Muhammed Ali Papa Jason Smay. Der, so darf ich verraten, fand schon ohne Nennung seines Namens auf diesen Seiten statt, saß er doch schon viele Jahre zunächst für die unvergleichlichen Los Straitjackets (Surf-Rockabilly-Combo, deren Mitglieder mit mexikanischen Wrestlingmasken spielen) und später für den Country-Folk-Rock’n’Roller J.D. McPherson hinterm Drumkit – beide hat der Professor bereits mit Weihrauch und Myrrhe bedacht. Im Indra neulich nun, dem alten Saloon, in dem einst die Beatles spielten, feuerten Sohn und Vater einen derart druckvollen Groove-Blues ab, der hiesige Freundeskreis der leichten bis heftigen Tanzmusik stand Kopf. Man selbst eilte, endorphinschwanger und adrenalintrunken, gleich zum Merchstand und erwarb zwei Werke: die EP Still Standing By, dank guter familiärer Bande von Dan Auerbach produziert, da zählte McKinley James gerade 18 Jahre, und das aktuelle Album Live!, unter Mitwirkung eines Hammondorgelspielers im heimischen Nashville aufgenommen. Viel mehr will ich gar nicht sagen. Nur dies noch: Anspieltipps sind „Goodbye Baby“ und die pralle Eigenkomposition „Silly Dilly Woman“. Rock on!

Label: Red Lodge Records
Format: CD, LP, DL 16/44

www.mckinleyjames.com

Jin Jim – New Choices

Professor P - Nachtigall auf Speed

Im Plattenschrank meines Vaters stand ein Vinylwerk, dessen Cover mich als kleiner Junge faszinierte. Ich bekam es oft aus Versehen in die Hände, während ich Hui Buh suchte, das 1969 als Langspielplatte erschienene Gespensterhörspiel mit Hans Clarin. Die Platte aber war Gravy Train, das mit dem Bandnamen betitelte Debüt einer britischen Psychedelicgruppe, die zwischen 1969 und 1975 vier Alben veröffentlicht hat. Was ich damals natürlich nicht wusste. Mich interessierte allein der kleingewachsene Mann mit Hut und Hosenträgern, der an der Seitenwand eines verwilderten Wildwestbahnhofs lehnte und seltsam nonchalant schien angesichts der nackten Schaufensterfigur, die vorne in einem Rollstuhl auf den Zug wartet, der nie kommt. Erst viel später hörte ich mir die Musik von Gravy Train an. Blueslastiger Progressive Rock mit, und das hat mich als Bruder eines untalentierten Blockflötenspielers besonders beeindruckt, extrem grooviger Querflöte. Nun, warum erzählt der Professor Euch diese kleine Mär? Weil ihm jüngst wieder eine ihrem natürlichen Habitat entwilderte Querflöte begegnete: auf dem Album New Choices der Kölner Jazzrockband Jin Jim. Aufmerksame Leser wissen, dass man den Professor mit Jazzrock normalerweise dreimal um den Block jagen kann. Hier aber ist’s was anderes, und der Dank gebührt dem Peruaner Daniel Manrique-Smith, der an der Musikhochschule Köln Querflöte studierte und vor allem lernte, wie man sich als Flötist in einem eingespielten Gitarre-Bass-Drums-Trio behauptet. Die anderen drei des Quartetts Jin Jim spielten seit Studientagen am Arnheimer Konservatorium in den Niederlanden zusammen. Drei Songs insbesondere möchte ich Euch empfehlen, die haben mich gepackt und so milde gestimmt, dass ich über den einen oder anderen Ausflug nach Gniedelhausen gerne hinweghöre. 1. „The Fifth Millenium“: Klingt wie Jethro Tull auf einem Jazzworkshop, auf dem man sich von lustigen Pillen ernährt, schnell, rockig, unbedingt tanzbar und mit einer Querflöte als Nachtigall auf Speed, mit treibenden Trommeln und hymnischer Gitarre. 2. Titeltrack „New Choices“: pumpendes, fast poppiges Fusionrockdings, melodiös und eingängig wie eine gute Hardrock-Balladenhymne. 3. „Army Of Me“: Coverversion von Björks Meisterwerk, das auch ohne isländischen Elfengesang funktioniert. Die Basslinie klingt – auch schon bei Björks Original übrigens – wie von Massive Attack respektive Billy Cobham geklaut. Well, I don’t care.

Label: Maarweg Records
Format: CD, DL 16/44

jinjim.com

Bianca James – Bianca James

Professor P - Nachtigall auf Speed

Es gibt ein paar nette Geschichten rund um das Debütalbum der Kanadierin Bianca James. So verkaufte sie angeblich ihr Auto, um Geld für die Aufnahmen klarzumachen. Nahm dann ein Demo auf, mit dem sie eine ziemlich renommierte Mannschaft für sich gewann: Produziert wurde das selbstbetitelte Werk Bianca James von Rob Kleiner, der sich, bereits mehrfach für einen Grammy nominiert, zuletzt einen Namen machte mit seiner Arbeit am Soundtrack Avatar – The Way Of Water und am aktuellen Album von The Weeknd. Als weiterer Produzent und Co-Songwriter kam Thomas McKay an Bord, als Tontechniker Vic Florencia, beide zuletzt nominiert für den wichtigsten kanadischen Musikpreis, den Juno Award. Schließlich sorgte noch das kanadische Kultusministerium für erweiterte finanzielle Unterstützung. Wie man das als Nachwuchsmusikerin in Montreal schafft, bis dato ohne künstlerische Vita, nun, ich weiß es nicht. Lassen wir daher das Werk für sich sprechen, das, wie Ihr richtig vermutet, dem Professor ans Herz gewachsen ist, sonst hätte es ja keinen Platz in unserer kleinen, feinen Ryhthm and Soul Revue gefunden. Hier mischen sich Motown-Groove mit Adele-Pop und Winehouse-Soul. Ein Album, das dort weitermacht, wo Adele mit „Rollin’ In The Deep“ aufhörte, das tief in der Nu-Soul-Ära der späten Neunziger, frühen Zweitausender verwurzelt ist und damit ein bisschen aus der Zeit gefallen scheint. Macht nichts. Sieben Songs nur sind es, die Bianca James selbst verfasste, unter professioneller Songwriter-Betreuung von Thomas McKay. Am Ende wartet noch ein achter Track, ein Remix des vielleicht besten Songs „Bang Bang Baby“, abgemischt von Johnny Blake, Sänger und Gitarrist der britischen Elektropop-Gruppe Zoot Woman. Das Ganze klingt nun natürlich sehr, sehr ausgereift für ein Erstlingswerk, ein paar mehr Kanten und ein Knacks hie und da hätte mir schon gefallen. Doch wie zum Beispiel bei „Monaco“ eine grummelnde Westerngitarre im knackigen Nu-Soul-Arrangement herumwandert, das wiederum gefällt dem Professor schon sehr gut.

Label: Gypsy Soul Records/Warner
Format: CD, DL 24/44

www.biancajamesmusic.com

Daddy Long Legs – Street Sermons

Professor P - Nachtigall auf Speed

Tja, mir gefällt so einiges. Zum Beispiel dies: Das vierte Album von Daddy Long Legs, Street Sermons. Das könnt Ihr schon daran erkennen, dass ich vor nun bald vier Jahren bereits das dritte Album, Lowdown Ways, so mit Superlativen begleitete, dass sich die drei Musiker der New Yorker Band noch heute fragen, wo seinerzeit der ganze Honig in den nicht vorhandenen Bärten herkam. Übrigens, der Vollständigkeit halber für die Musikhistoriker unter Euch: Daddy Long Legs sind bitte nicht zu verwechseln mit Daddy Longlegs, einer Hillbillyband, die Anfang der siebziger Jahre ein paar heute verschollene Alben veröffentlichte. Wer’s nicht glaubt: Bitte mal „Daddy Longlegs“ bei Amazon eingeben – und nicht erschrecken … har har har.

Nun aber: Daddy Long Legs aus Brooklyn haben eins zur Perfektion getrieben – kunstvolles Schrammeln. Die Gitarren klingen wie Kartons mit Schnürsenkeln, die Mundharmonika scheint ein besoffener Straßenhobo zu blasen, aufs kleine Trommelset wird mit der Leidenschaft eines verliebten Neandertalers eingeprügelt. Alles in allem scheint man auf der Suche nach der Toilette in einem düsteren Juke Joint die falsche Tür geöffnet zu haben, hinter der in einer seltsamen Rock’n’Roll-Paralleldimension drei schwarz gekleidete Magier eine experimentelle Vintage-Jamsession zelebrieren. Korrektur, da mir eben die metaphorischen Sicherungen durchgebrannt sind: Natürlich klingen die Gitarren nicht wie Schuhkartons. Nein, Daddy Long Legs schaffen es, ihren anarchisch rumpelnden Blues-Folk-Rock’n’Roll präzise und wohlklingend ausbalanciert darzubieten. Hört hier hinein: „Street Sermon“ (eingängiges Albumintro, das in seiner spannungssteigernden Offenheit zugleich jedes Konzert der Band eröffnen könnte), „Rockin’ My Boogie“ (knarzender Boogie-Woogie, wie die letzte Zugabe um halb zwei Uhr nachts in einem verschwitztem Juke Joint deep down south) und „Ding-Ding Man“ (Folkblues-Miniatur mit Banjo und zudem John Sebastian an der Baritongitarre, knapp 80-jähriger Gründer einst von The Lovin’ Spoonful).

Label: Yep Roc Records
Format: CD, LP, DL 24/44

www.yeproc.com

Fieh – III

Professor P - Nachtigall auf Speed

Gerade hörte ich den Song „Texas Baby“ von Fieh. Dabei musste ich an Michelangelo denken, den italienischen Maler und Bildhauer. Denn ihm wird ein Bonmot zugeschrieben, das gut zum neuen Album III der norwegischen Band passt. Auf die Frage, ob es für einen Bildhauer nicht unheimlich schwer sei, einen Löwen aus einem Stein zu formen, soll Michelangelo gesagt haben: Nein, man müsse einfach nur alles weghauen, was nicht nach Löwe aussähe. So in etwa muss das achtköpfige Kollektiv aus Oslo beim Formen seiner Songs vorgehen: Einfach alle Noten weglassen, die nicht nach Funk klingen. Wobei „Funk“ hier eine subjektiv auslegbare Genrezuweisung ist. Mit minimalistischem Ansatz werden spartanische Arrangements zusammengehäkelt, in denen sparsamst intonierende Instrumente hin- und herwehen. Sängerin Sofie – nach ihrem Kosenamen wurde die Band benannt – flötet in charmant-skandinavischem Ikea-Englisch, doch von der Lieblichkeit sollte man sich nicht täuschen lassen. Ein wenig Punk ist auch dabei, wenn sie in „Full Time (Part Time Allthetime)“ von der Macht „all dieser alten Männer“ singt. Hier vermischen sich prägnante Basslinien à la Bootsy Collins mit Björk’schem Elfengesang und eingängigen R’n’B-Einflüssen. Das Ganze swingt zwischen zart-zauberhaft und ziemlich verschroben. Also genau mein Ding.

Label: Jansen Records
Format: CD, LP, DL 24/48

www.jansenrecords.com

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