Prof. P.’s Rhythm and Soul Revue
Väterchen Funk
Der Professor schickt seinen Lesezirkel heute auf Reisen mit Maceo Parker, Lexsoul Dancemachine, Laura Vane & The Vipertones, Dustbowl Revival sowie Sly & Robbie samt Nils Petter Molvær.
Freunde, Ihr seid’s leid, ich bin’s leid, es steht fest: Ich nehme das „C“-Wort nicht mehr zwischen die Finger. Meine Tastatur weigert sich ohnehin seit Wochen, die Buchstaben „C“, „o“, „r“, „o“, „n“ und „a“ in pandemisch korrekter Reihenfolge an die Festplatte meiner compakten, cleinen Rechenmaschine zu übermitteln. Beziehungsweise bestraft mich mit orthografisch fragwürdiger, aber cünstlerisch wertvoller Autocorrectur allein schon bei dem Versuch, das allüberallgegenwärtige „C“-Wort auch nur anzudeuten … Da wir uns alle nun schon lange und wohl noch für längere Zeit im kulturellen Lockdown befinden und befinden werden, kann der Professor in seiner Rhythm and Soul Revue leider nicht von frischen Konzerterlebnissen berichten.
Getanzt wird derzeit zu Hause, oder unter dem Sternenhimmel mit Blick auf Barkassen und Beutelratten an den Gestaden des North German Mississippi, wo ich dann und wann mit ein paar eiskalten Buds und der einen oder anderen Kräutersalzstange und in Begleitung der Soulbrüder Mr. S. und Mr. T eine kleine Boombox aufbaue, um das livemusikalisch vernachlässigte Gebein unter Ausschluss der Öffentlichkeit und mit genügend Abstand zwischen uns Funkbrothers ein wenigen rucken und zucken zu lassen. True Story, Freunde, so wahr ich hier sitze und die Finger übers Plastik tanzen lassen. Nun bedeutet all dies natürlich nicht das Ende unseren kleinen Soul-Revue im traditionellen Analog-Kompendium FIDELITY, oh nein. Vielmehr hat der Professor die neu gewonnene Zeit am Abend, wenn die Missus in die Kissen sinkt und der akademische Nachwuchs leise schnarcht, genutzt und sich kopfüber in die Welt des Soul, Funk & Gospel gestürzt. Und weil Reisen heutzutage nicht weiter als in den Bayerischen Wald oder bis nach Scharbeutz gehen, biete ich Euch einen kostenlosen Dreamtravelservice zu fernen Zielen der Sehnsucht. Heute geht es nach Norwegen, New Orleans, Kalifornien, Finn-, Est- und Holland sowie Jamaica. Cool runnings, folks!
So ein Ort der Sehnschaft und Leidensucht, destination of sweet desire, my friends, ist für den Professor ja immer schon good ol’ N’Awlins, das wissen die Stammleser unser kleinen Soulbeschau. New Orleans, Atlantis der Gegenwart, deep down south und immer ein-Meter-fünfzig unter Normalnull, halbkomatöse Alligatoren im Sumpf des Vergebens, Moskitos und Monsterkakerlaken im Tanz des Verderbens, funky Vibes, die dir das Herz auf links krempeln und das Hirn verdampfen lassen … Kurz: the place to be. Dass Funk-Altmeister Maceo Parker sein erstes Studioalbum in acht Jahren nun ausgerechnet im schwülen Nirwana am Ufer des Mississippi aufgenommen hat, mit einer Handvoll junger Musiker aus New Orleans, angeleitet von Keyboard-Wizard Ivan Neville, Sohn von Soulfalsett und Neville Brother Aaron und bereits selbst eine bestens vernetzte Legende in Crescent City, well, well, well, das haut den Prof. aus seinen Sandalen. Ich sag’s, wie es ist: Album des Jahres, da kann noch kommen, was will. Parker, Altsaxofonist und einst musical director der James-Brown-Band, Groove-Master im Parliament-Universum des George Clinton, Sideman auf knapp zehn Alben von Prince, nun, Väterchen Funk zeigt mit 77 Jahren, was solch Altersangabe im Musikgeschäft besagt: Nix. Wie frisch, bebend, süffig und knackig hier das musikalische Erbe New Orleans’ verfunkt wird, mit tanzenden Second-Line-Beats, tonnenschweren Basslinien, chilischarfen Bläsern, perlend-knarzigem Barrelhouse-Piano und süffiger Seventieshammond, dazwischen immer wieder Parkers unvergleichliches Saxofon, das ist ganz großes Kino, um mal eine allgemeinverständliche Analogie zu entstauben. Maceo Parker spielt auf Soul Food, bis auf zwei Eigenkompositionen aus den frühen Siebzigern, ausschließlich Coverversionen, etwa „Right Place Wrong Time“ von almighty Dr. John, „Just Kissed My Baby“ der Oldschool-Soulfunk-Bruderschaft der Meters, Aretha Franklins „Rock Steady“, „Yes We Can Can“ vom unvergleichlichen Allen Toussaint und die Prince-Ballade „The Other Side of the Pillow“. And that’s how it’s done.
This is Captain P. speaking. Welcome on board, please refrain from smoking and put the back of your seat in an upright position. Crewmembers, take your seats, Funk-Air is about to start… Die Reise geht weiter, Freunde des Funks. Wir haben das Delta weit-weit hinter uns gelassen, um jetzt am Finnischen Meerbusen zu landen, zwei Haltestellen südlich von Helsinki: in Tallinn. Ja, wie Ihr wisst, der Professor geleitet Euch immer wieder auch in die entlegensten Winkel dieser Welt auf seiner ewig währenden Exkursion des Fachbereichs für Beathnologie an der Universität für halbverwandte Funkwissenschaften. Zuletzt durfte ich Euch mit Rockabilly aus der Ukraine vertraut machen Heute widmen wir uns der estnischen – oder estländischen? später mal googeln – Funkszene. Beziehungsweise deren wichtigsten Vertretern, der Partyband Lexsoul Dancemachine. Deren sechs Mitglieder treten live nicht nur gerne in samtroten Schlafanzügen auf und praktizieren zu wuchtigen Tanzbeats Stagedives mit Flamingo-Luftmatratzen, nein, auch auf den seit Bandgründung 2013 mittlerweile drei veröffentlichten Alben Deus Lex Machina, Sunny Holiday In Lexico und nun ganz aktuell Lexplosion II kommt der Spaß nicht zu kurz. Trouble Funk meets Georg Clinton meets Jamiroquai – in Tallinn mischt man einen hochprozentigen und tatsächlich erstklassigen Funkcocktail, Freunde. Hört mal rein in Songs wie das pumpende „Basics“ oder die Drum-Orgie „Pike Jawz“. Als Gastmusiker übrigens konnte der amerikanische Pop-Funk-Gitarrist Cory Wong gewonnen werden – dessen Œuvre mir persönlich allerdings zu glatt und föhnfrisiert daherkommt. Kein Wunder vielleicht, dass ausgerechnet der Kooperationssong „Money“ für professorale Ohren zu sehr nach Früh-Achtzigern klingt.
PS: Wer sich schon fragt, warum der Professor nicht auf das Werk Lexplosion I eingeht: Das gibt’s nicht. Die Band wollte einfach eine neue Saga „von der Mitte her“ begründen, wie Bandleader Robert Linna sagt. Star Wars lässt grüßen.
Vrienden van lichte dansmuziek! So weit ist es nun, der Professor spricht Holländisch. Zu oft wohl habe ich in meiner kleinen Groove-Revue von Windmühlen des Funks, Soul aus dem Gewächshaus oder Tulpen-Gospel fabuliert, nun hat mich offenbar der Geist von Rudi Carrell – „da habbe wir de Frajezeichn“ – besucht und mir die Synapsen tiefergelegt. Was aber soll ich machen, Freunde der leichten Tanzmusik, da mir immer wieder Platten unbekannter Soulsisters und Funkbrothers aus den westeuropäischen Flachlanden in den Schoß fallen? Eines Landes, das so flach ist, dass man hochklettert, wenn man zum Strand geht. Nun, jetzt warf mir ein DHL-Storch die gesammelten Werke von Laura Vane & The Vipertones durch den Kamin, und darüber möchte ich Euch gerne berichten. 2008 lotsten zwei holländische Soul-DJs aus der Inselgemeinde Dordrecht die britische Sängerin Lara Vane ins Land der klappernden Klotschen, seitdem wurden drei Studioalben und sieben EPs veröffentlicht. Als sich nun die gesamte Combo im Lockdown wiederfand und eine Tour abgesagt werden musste, nutzte man die Zeit für die Aufnahme von vier neuen Songs, die jetzt als digitale EP Nr. 8 unter dem Namen Beat Junkie veröffentlicht wurden. Diese ist ausschließlich als Download erhältlich, unter anderem auf der Seite des Plattenlabels: www.socialbeats.com. Unterstützt den Soul aus Holland, liebe Leute, er hat es verdient. Eine feine Mixtur aus Neo-Soul, Motown-Sound, Acid Jazz und RnB-Pop. Hammondorgel und Funkgitarre umtanzen Vanes machtvolles Soulorgan, angetrieben von einem scharf-nervösen Schlagzeug im Stil des Drumspaten Clyde Stubblefield („Drums-Paten“ soll das übrigens heißen, nicht „Drum-Spaten“). Macht aber da nicht halt, geehrte Gospelgemeinde, auch die frühen Werke Laura Vane & The Vipertones (2009), Sugar Fix (2011) und das aktuelle, aber bereits sechs Jahre alte Album Body Quake (2014) werden Euch zum Twostep in Holzpantoffeln animieren. Klingt hie nach Sharon Jones, da nach Morcheeba-Trip-Hop. Dazu reichen wir frittierte Tulpen mit Chips. Eet smakelijk.
Hin und wieder verlasse ich ja meine kulturelle Komfortzone und wildere in literarischen Gefilden wie ein Grizzlybär auf dem überfüllten Campingplatz. So möchte ich Euch heute eines von zweien meiner Lieblingsbücher empfehlen, Mitten in Amerika (im Original: That Old Ace In The Hole) von Annie Proulx. Größer, zarter, emphatischer und unterhaltender kann amerikanische Literatur nicht sein. Ein Epos von Roman, der im Oklahoma-Panhandle spielt, jenem schmalen Pfannengriff-Zipfel des Bundesstaates, in dem der ewige Wind den Staub über die Prärie bläst, wo klappernde Windräder ihr ewiges Lied singen und die Menschen mit Sporen an den Hacken geboren werden. Oklahoma lag einst mitten in der Dust Bowl, in der Staubschüssel des vertrockneten mittleren Westens Amerikas der dreißiger Jahre, als Dürre und Stürme jeden, der noch laufen konnte, gen Westen trieben. Solltet Ihr also des Professors Ratschlag befolgen und Mitten in Amerika lesen, dann müsst Ihr auch eins tun: Is It You, Is It Me von Dustbowl Revival hören. Das, wenn ich richtig gezählt habe, bereits fünfte Werk der Band aus Venice Beach, Kalifornien, ergänzt sich perfekt mit der mild swingenden und ewig nachhallenden Sprache von Annie Proulx. Amerikanische Neo-Folk-Musik, interpretiert vor allem von Trompete, Posaune, Flügelhorn, Geige und Ukulele, unterstützt zum Glück aber von einer angenehm zurückhaltend groovenden Rhythmussektion. Wilko-Folk trifft Eagles-Pop, New-Orleans-Funk mischt sich mit Bluegrass, die Band selbst verortet ihren Stil als „Funkgrass“. Das Album wurde in nur zwei Wochen live im Studio eingespielt, die Songs dabei aus dem Stand komponiert. Wunderschöne Melodien, mit Gespür abgemischt von Brian Joseph, der das auch schon mit Bon Iver und Sufjan Stevens praktizierte.
In vorvergangenen Tagen, da der Professor noch ein unwissender Lehrling des Lebens war, ohne Muse und Nachwuchs zur Seite, besuchte er ein Konzert einer der großen Legenden des Roots-Reggae, Black Uhuru. Frontman Duckie Simpson ließ sich in jener fernen Zeit von der mächtigsten Rhythmusmaschine begleiten, die die Welt der Beats je gehört hat, Sly & Robbie. Sly Dunbar am Schlagzeug und Robbie Shakespeare am Bass – an stillen Tagen dröhnen mir bis heute die Ohren, Freunde. Viel später dann, schon zum Professor für schöne Künste gereift, ward ich Zeuge eines ganz anderen Auftritts, zufälligerweise am selben Ort, einer ehemaligen Munitionsfabrik am norddeutschen Polarkreis. Nils Petter, norwegischer Meister der Jazztrompete mit ausgeprägtem Faible für elektronische Soundexperimente, spielte sphärische Kompositionen seiner Alben Khmer und Solid Ether. Jazz ohne Gähn, seltenes Erlebnis. So, und nun haben wir den roten Teppich des Sinnzusammenhangs ausgerollt: Sly & Robbie waren gemeinsam mit Molvær im Studio in Oslo. Das Ergebnis Nordub möchte ich Euch, da uns eventuell ein Winterlockdown ins Haus steht, als bewusstseinserweiternde Grundierung für den nächsten Häkelmarathon, das Fernstudium der Aquarellmalerei oder das Praktizieren von Ü18-Kamasutra-Übungen an die Hand geben. Dabei muss ich gestehen: Die Platte wurde vor zwei Jahren veröffentlicht, der Prof. aber stand auf der Leitung, shame on me. Whatever: Über Molværs Musik schrieb einst ein einfallsreicher Kollege sehr stimmig, sie klinge zugleich kalt und heiß. Das lässt sich auch über Nordub sagen. Jamaicas Rhythmuskönige legen Bass und Drums schützend und wärmend wie eine dicke Daunenjacke um eiskristallklare Trompeten-Improvisationen. Vor dem inneren Auge brechen sich die Wellen der Karibik an den vereisten Felsküsten des Nordmeeres. Melancholische Töne flirren durch frostige Wälder, schwülheiße Basslinien wabern als akustische Fata Morgana aus Montego Bay über den norwegischen Fjell. Psychedelische Gitarrenklänge und spartanisch platzierte Computersounds – mit im Studio waren Experimentalgitarrist Eivind Aarset sowie der finnische Elektronik-Experte Vladislav Delay – umwehen das Ganze wie ein Schwarm junger Elfen. Rar og vakker, um es angemessen zu umschreiben. Seltsam und schön.